brachen; vor Kurzem ist es endlich gelungen, kleinere Bersamm-lungen ungestört abhalten zu können.— Jetzt hören wir alsodie Gründe, weshalb es so schwer ist, unser Banner dort auf-zupflanzen. Nicht der„gesunde Sinn" der Bevölkerung ist es,nein, der ungesunde Sinn, die Unmoralität, die Trunksucht,sie, die voni Liberalismus gepflegt worden sind, diese Lastersind es, welche unseren moralischen und erlösenden Ideen denEingang nach Oldenburg so sehr erschweren. Die Bevölkerungvon Oldenburg war an und für sich gesund— der Liberalis-mus hat dieselbe krank, sehr krank gemacht, der Sozialismusallein kann sie wieder heilen.Allgemeines Aufsehen hat eine Angelegenheit hervorgerufen,welche kürzlich vor dem Schöffengericht zu Blumenthal ander Weser sich abspielte. Eine bedeutende, auf der Weltausstellungzu Wien preisgekrönte Firma Reiners zu Brake a. d. Weser,die auch der kaiserlichen Marine bedeutende Posten Tau-werk lieferte, wurde öffentlich beschuldigt, zur Fabrikation des-selben das verderbliche Schwerspat verwendet und in Folge dessenSicherheit der Kriegsschiffe und Mannschaften auf'sHöchste gefährdet zu haben. Reiners klagte auf Verleumdung,erlitt jedoch eine Abweisung und Verurtheilung in die Kosten,da vereidigte Sachverständige das Vorhandensein desschädlichen Stoffes im Reiners'schen Fabrikat nachwiesen.Man ist allgemein gespannt, welche Schritte von der kaiserlichenAdmiralität gegen Reiners geschehen werden und in Betreffder von demselben mit schwerspathhaltigem. unzuverlässigemTauwerk versehenen Kriegsschiffe.— An den Kriegsschiffenselbst, deren Werth ja durch die sichere Anwendung der Tor-pedos auf Null gesunken ist, liegt uns nichts, aber die Men-schen auf denselben sind unsere Brüder, welche einer fabrikant-lichen, kapitalistischen Gaunerei zum Opfer fallen, vielleicht schontheilweise zum Opfer gefallen sind. Unsere heutige Produktionist oberfaul— der einzelne Unternehmer, um die Concurrenzaushalten zu können, muß betrügen, und so sehen wir überallVerfälschung von Lebensmitteln und allerlei Consumartikeln.Nun haben wir auch schon eine Verfälschung von Kriegsmate-rial— der Militärstaat wird da allerdings nicht spaßen, obihn dabei Humanitäts- und Gerechtigkeitsrücksichten leiten, isteine andere Sache.— Eine neue Zeugnißzwang-Affaire. In dem West-preußischen Städtchen Löbau ist vor Kurzem eine Broschüreüber die Schattenseiten des preußischen Richters erschienen, dieeiniges Aufsehen gemacht hat, da sie in scharfer Weise Mißständebehandelt, die den Nimbus des preußischen Richters vollständigzu nichte machen. Als Verfasser ist auf dem Titel ein„preußi-scher Richter" genannt, der sich mit dem Pseudonym NikolausPlanenberg dem Wohlwollen der Justizbehörden— entziehenzu können glaubte. Dazu bemerkt die„Frankfurter Zeitung":Aber ivozu wäre der Zeugnißzwang? Strafbares enthält dieSchrift nicht; man muß das wenigstens annehmen, da bis jetztweder Confiscation noch Anklage erfolgt ist. Dagegen bietetsie, wenn der Verfasser wirklich aktiver preußischer Richter ist,reichen Stoff zu einem Disziplinarverfahren. Dazu brauchtman aber, wie weiland die Nürnberger sür ihren Galgen, einenMann, den man fassen kann. Der Argwohn der Justizbehörderichtete sich zuerst gegen den Löbauer Kreisrichter vr. Kolkmann;derselbe erklärte bei seiner Vernehmung, daß er der Verfassernicht sei. Man lud hierauf den Verleger, den BuchhändlerSkrzeczek in Löbau, vor Gericht, und dieser bekannte sich alsder gebuchte Nikolaus Planenberg. Dem Mann war, wenn manihn als Autor gelten ließ, nichts anzuhaben, und die Nach-forschung wäre also für die Behörden resultatlos gewesen—aber wenn sie nun Herrn Skrzeczek nicht als Planenberg aner-kennen, wie dann? Dann wird der Herr Verleger wieder ein-facher Zeuge, den mau, wenn er renitent ist, einsperrt.—Und eingesperrt ist am 25. Juni der Verleger plötzlich undbleibt so lange im Loche, bis er der Justizbehörde einen ihrgenehmen Verfasser genannt hat. Seit der Beseitigung derKantecki- Geschichte war es auch in der Zeugnißzwang- Ange-legenheit in Preußen recht langweilig geworden; man hat dochjetzt wieder dem Reichstage Gelegenheit zu einer neuen Jnter-pellation und zu einer neuen— Blamage gegeben.— Wie das Volk lebt. Dem Privatbrief eines schlesischenLandwirths entnehmen wir folgende Stelle:„-- Ich findeLolkswirthe und Gründer im Parlamentvon Otto Glagau.Im November des Jahres 1875, als es sich um die noth-wendig gewordene„Sanirung" des Jnvalidenfonds im Reichs-tage handelte, verstieg sich eines schönen Tages Herr Lasker zuder kühnen Behauptung, auch die Konservativen hätten einenhervorragenden Antheil an dieser Schöpfung. Den Ultramon-tanen wagte er selbstverständlich einen solchen Vorwurf nicht zumache», das wäre auch zu kühn von dem Herrn Abgeordnetenfür Frankfurt gewesen, denn er weiß wohl, das sind die Ein-zigen, die reine Hände und leere Taschen haben. Aber sehenwir uns doch einmal an, welchen Antheil die Konservativen ander Entstehung des Aktiengesetzes gehabt haben, und welcher An-theil auf das Konto der Liberalen geschrieben werden muß. Inseinem neuesten Werke:„Der Börsen- und Gründungsschwindelin Deutschland"(zweiter Theil) giebt Herr Otto Glagau eineDarstellung von oem Hergange bei der Berathung des Aktien-gesetzes vom 11. Juni 1870, welche die obige Behauptung Laskers,n ein sehr eigcnthümliches Licht stellt. Herr Otto Glagau, dessenWerk bei P. Frohberg in Leipzig erschienen, durch alle Buch-Handlungen für 7 Mark zu beziehen ist und welches wir hiermitunseren Lesern auf das Angelegentlichste empfehlen, schreibtnämlich:Die Krönung der wirthschaftlichen Gesetzgebung des Nord-deutschen Bundes war das zu so trauriger Berühmtheit gelangteAttiengesetz vom 11. Juni 1870, welches den Gründungsschwindelförmlich organisirte, indem es die Aktiengesellschaften von jederGenehmigung und Aufsicht des Staates loslöste und für diekünftige Errichtung derselben die denkbar ungebundensten Bor-schriften, bloße Scheinbestimmungen aufstellte.Als dieses famose Gesetz am 20. Mai 1870 im norddeutschenReichstag zur Berathung kam, wollte es ein charakteristischerZufall, daß nicht, wie gewöhnlich, vr. Simson den Vorsitz führte,sondern der erste Vicepräsident, Herzog von Ujest, der Genossedes Wunder-Doktors Strausberg, und nach ihm der zweite Vice-Präsident, Herr von Bennigsen, der Gründer der vielgenanntenHannover-Altenbecker Bahn.An der Debatte betheiligten sich fast ausschlietzlich Manchester-liche„Volkswirthe", von denen viele bald darauf, während derSchwindelperiode als Gründer und Gründergenossen glänzten,Alle fanden, daß der Gesetzentwurf die Freiheit der Bewegungauf dem Gebiete des Aktienwesens noch viel zu sehr beschränke;so namentlich Schulze-Delitzsch, Justizrath Lesse, Dr. Weigel ausKassel, Dr. Braun-Wiesbaden, Hofrath Ackermann aus Dresden,es unerklärlich, wie die Menschen von dem Wenigen leben undarbeiten können, was sie erhalten. Ein Beispiel mag es Ihnenerläutern: Ein Pferdeknecht erhält pro Monat Lohn M. 5,00;acht Mal Fleisch ü Mal 10 Pf. M. 0,80; 15 Liter Milch a15 Pf. M. 2,25; 1 Hektoliter(2 Scheffel) Kartoffeln M. 4,00;1 Kil. Butter M. 2,20; 24 Kil. Brod' a 20 Pf. M. 4,80;Mehl, Graupen, Salz, Pfeffer, Kaffee, Cichorie, Fett zum An-machen der Speisen kostet pro Kopf M. 5,45; Summa 24,50Mark.„Rechnet man von dieser Summe den Lohn mit 5,00 M.und 6 Kil. Brod ab, welche er im Monat verkaust, um das„Wäschegeld" herauszuschlagen, so stellt sich die Beköstigung auf18 M. Zg Pf. oder pro Tag auf 61 Pf. Doch da es nicht aufden Preis der Speisen ankommt, sondern auf die Beschaffenheit derselben, so wirkt das Beispiel erst drastisch, wenn mandie Tagesration herauszieht; die ist: Fleisch pro Tag für 2,66Pf., circa 20 Gramm, Milch'/, Liter, Brod 600 Gramm, Kar-toffeln 3'/z Liter, Butter 9'/, Gramm. Der Rest kostet in Summapro Tag 18,16 Pf.„Freilich können die Leute physisch auch nicht viel leisten;die angewohnte Arbeit verrichten sie mechanisch, das geringstePlus an Kräfteverbrauch macht sie schachmatt.„Die Arbeitslosigkeit wirktauch hier erschreckend; das Bettelnist keine Schande mehr, auch die Bravsten fristen theilweise aufdiese Weise ihr Leben. Jüngst kamen nicht weniger als 16 Mannin's Gehöft um Almosen. Seit der Eröffnung des BahnbauesNeurode-Glatz scheint es etwas besser zu gehen.„L. L. Eben wird mir ein Fall schrecklicher Noth mitge-theilt: Dichtbei wohnt ein Weber mit Frau und 7 Kindern,von denen das jüngste vor einigen Tagen geboren wurde, wäh-rend das älteste Schulkind ist. Der Mann macht in 3 Wochenein„Stück" fertig, wofür er 6 Mark erhält— das machtdreißig Pfennige Verdienst pro Tag. Die Leute aßennur Kartoffeln, saure Milch und weißen Käse(Quark); zu bet-teln schämten sie sich und saßen den ganzen Winter in kalterStube, was bei der Lage des Hauses auf exponirtem Gebirgs-Hügel was heißen will.— Lebt da nicht, mit diesen Leuten ver-glichen, der Pferdeknecht nicht noch wie ein— Börsenspitzbube?wie---?!"— Ein neues Schlagwort des Liberalismus.„Pro-letarier" und„Arbeiter" sind Gegensätze, lautet die neueste Pa-role der Herren Liberalen, und nicht gleichbedeutend, wie die„Führer" der Sozialdemokratie es gern darstellen! Hören wir die„Sozialkorrespondenz" selbst:„Die Führer der Sozialdemokratie lassen es sich angelegensein, die Begriffe„Arbeiter" und„Proletarier" mit ein-ander zu verquicken. Und doch, welch' himmelweiter Unterschiedbesteht zwischen diesen! Wer arbeitet, der ist ebensowenig einProletarier, wie sich Derjenige, welcher faullenzt, zum Arbeiter-stände rechnen darf. Spricht� man vom Proletarier, so denktman an körperlich und wirthschaftlich heruntergekommene Leute,welche einst der Arbeiterklasse oder irgend einem andern Standeangehört haben mögen, jetzt aber der Gesellschaft zur Last fallenund daher von dieser als Bürde betrachtet und behandelt werden.Man spricht nicht nur von einem Arbeiter-, sondern auch voneinem Handwerker- und Fabrikanten-, sowie von einem Gelehrten-,Börsen- und Adelsproletariat. Bekennt also Farbe, ihr Führerder Sozialdemokratie. Wer die Gelegenheit, die Kraft und dieTugend besitzt, sich oder auch eine ganze Familie mit den Früchtenseiner Arbeit zu ernähren, wird zwar die Schäden der bestehendenGesellschaftsordnung nicht übersehen und gern mit Hand anlegen,um die Wunden des Staates zu verbinden oder die Quellen zuverstopfen, aus denen neues Unheil entspringen könnte. VollDank für das, was er hat, verachtet er aber die Pläne Derer,welche die Gesellschaft, als deren rüstiger Mitarbeiter er berufenwurde, in ihren Grundfesten zu erschüttern streben. Daher klingelaut in alle Lande:„Arbeiter und Proletarier sind nicht Eins;hie Arbeiter, hie Proletarier!"Mit dieser Wortklauberei glaubt der Liberalismus wiedereinen lockenden Köder gegen die Sozialdemokratie auszuwerfen,aber nur Gimpel können auf diesen Leim gehen. Ganz abge-sehen von der Kleinlichkeit derselben ist die ganze breitgeschlageneDeduktion eine total falsche, denn erstlich, wenn wir auf denUrsprung des Wortes„Proletarier" zurückgehen, so begegnenwir demselben zuerst unter dem römischen Könige Servius Tullius.Edgar Roß aus Hamburg w. Besonders mißfielen die Strafen,welche fahrlässige und ungetreue Mitglieder des Vorstandes undVerwaltungsrathes einer Wiengesellschaft bedrohen; und siewurden nur sehr widerwillig, weil Seitens der Regierung eineconditio sine qua von(unerläßlich? Bedingung), mit in denKauf genommen. Herr H. H. Meier(liberal) aus Bremen pro-phezeiete sogar, daß sich gegenüber dieser„rigorosen" Straf-androhung(Gesängniß von höchstens Monaten!) anständige Leuteschwerlich zu Aufsichtsräthen hergeben würden. Herr Dr. Ham-macher(lib.) entgegnete ihm jedoch sehr richtig:„es werde sichschon machen". Um jene Strafen abzuschwächen, brachten Herrvon Bernuth(lib.), Justizminister a. D. und Professor v. Sybel(lib.) einen„Berbesserungs- Antrag" ein. Derselbe läßt, auchwenn Vorstand und Aufsichtsrath den Stand der Verhältnisseeiner Gesellschaft wissentlich unwahr darstellen oder verschleiern,mildernde Umstände zu, und setzt für den Fall, statt der Ge-fängnißstrafe, eine bloße Geldbuße. Vergebens widersprach derAbg. von Luck(konservativ), später Oberstaatsanwalt in Berlin,indem er anführte, wie hier von„mildernden Umständen" nichtdie Rede sein dürfte: der„Verbesserungsantrag" der Herrenvon Bernuth und von Sybel wurde trotzdem bettebt.Am weitesten ging Herr Miquel(lib.), damals schon Mit-direktor der Diskonto-Gesellschaft. Nicht nur, daß er ganzungenirt pro domo(für seinen eigenen Bortheil) sprach, nämlichfür die Kommandit-Gesellschaften auf Aktien, welche, seiner Mei-nung nach, von der Regierung sehr stiefmütterlich bebandeltwürden; er wollte auch dem Vorstand resp. Aufsichtsrath einerAktien-Gesellschaft erlauben, je nach Ort und Umständen zutäuschen und zu verschleiern. Vor solcher Moral erschrak selbstHerr Lasker, und mit dem sittlichen Eifer, der ihn ziert, riefer aus:„Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß der Abg. Miquelvor der Konsequenz seines eigenen Anttages zurückschrecken würde,wenn er diesen auslegte, wie er ausgelegt werden muß. daß esdem Aufsichtsrath in Bereinigung mit den Aktionären gestattetsein soll, falsche Thatsachen zu verbreiten, die zwar den Aftionärengünstig sind, aber dem allgemeinen Publikum zum Schaden ge-reichen."Herr Miquel beschied sich und zog seinen„Berbesserungs-Antrag" zurück. Wer aber denkt hier nicht unwillkürlich andie Dortmunder Union und an die Rumänische Eisenbahn-Gesellschaft!Das Aktiengesetz wurde mit solcher Hast berathen, so übersKnie gebrochen, daß selbst etliche Manchesterleute im Reichstagdies andeuteten und, wenn auch etwas verschämt, davor warnten.! In der von diesem vorgenommenen Klasseneintheilung desrömischen Volkes bezeichnet man mit dem Namen ,proietarii-die unterste, vermögenslose und darum auch rechtloseKlasse, welche meist aus Männern des Handwerks bestand.Stimmt das nicht auf ein Haar mit unseren modernen Verhält-nissen? Wer ist vermögenslos, wer so gut wie rechtlos? Weranders als der Arbeiterstand, also die Proletarier!— Aber wenn dies auch nicht der Fall wäre; die„Sozialkorre-spondenz" müßte so gut wissen wie wir, daß man seit dem Empor-blühen der Industrie, seit dem gleichzeitigen Hervortreten dersozialen Frage, den Arbeiterstand in allen seinen Zweigen mitdem Namen„Proletariat" bezeichnet hat. Die Berechtigung diesesNamens hat auch bisher noch Niemand bestritten, selbst die Libe-ralen nicht; aber sobald�es sich darum handelt, ein neuesSchlagwort gegen die Sozialdemokratie ins Feld zu führen,wann hätten da jemals die Liberalen nicht mit beiden Händenzugegriffen und wenn der Blödsinn auch noch so blühend war!— Wenn übrigens in der That Bezeichnungen auftauchen konntenwie:„Fabrikanten-, Gelehrten-, Adels-:c. Proletariat", so istdies wiederum nur ein Beweis für die gemeine Denkart derherrschenden Klassen, welche den Lumpen ihrer Kreise dieSpezialbezeichnung für Arbeiter beilegten, weil sie die Arbeiterüberhaupt für niedrige, tief unter ihnen stehende Wesen ansahen.— Und durch solche Köder sollten sich unsere Arbeiter fangenlassen? Nimmermehr. Der denkende Arbeiter weiß sehr wohl,daß sein Feldgeschrei lautet: Hie Proletariat! Das Böh-mertsche— liberale Feldgeschrei lautet dagegen: Hie reaktiv-näre Masse! Hie Lumpenproletariat!— Dem Versailler„Ordnungs"pöbel ist abermals einCommunekämpfer zum Opfer gefallen— Leo Badin. Badin,etwa 50 Jahre alt, war beim Ausbruch des deutsch-französischenKrieges(1870) Buchhalter der radikalen Zeitung„Reveil". ImJahre 1871 ernannte ihn der Communegeneral Clus er et zumDirektor der Centralmagazine des Kriegsministeriums, in wel-chcm Amt er bis zum Falle der Commune verblieb. Am 24. Mai 1871flüchtete Badin nach Vincennes, woselbst er sich bei einemFreunde verborgen hielt, bis es ihm gelang, nach England zuentkommen. Nach Frankreich zurückgekehrt, fiel Badin der Po-lizei in die Hände; er wurde vor ein Kriegsgericht gestellt undzur Deportation nach einem befestigten Platze verurtheilt— d. h.ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft ist jetzt auflange Zeit, wenn nicht auf immer, der Gesellschaft entzogen, undwarum? weil es sich hatte das„Verbrechen" zu Schulden kom-men lassen, die Aufgaben der Gesellschaft anders aufzufassen, alsdie Versailler„Ordnungs"männer.— Zur russischen„Humanität" Jüngst wurde vonden Russen ein Herr Kraut zu Bukarest als der Spionage ver-dächtig gefangen genommen. Die Nachricht, daß er ohne vielFederlesens erschossen worden sei, ist unrichtig, er wurde viel-mehr vorläufig nach Kischeneff transportirt, wo er in Gefangen-schaft gehalten wird. Die beiden deutschen Kaufleute Retemeierund Henoch, welche sich zufällig in der Gesellschaft des Herrnv. Kraut befanden, hat das russische Oberkommando nach Wochen-langer Haft auf freien Fuß gesetzt. Retemeier hat, wie der„Allg. Ztg." geschrieben wird, eine Art Gnadengesuch unter-zeichnet und wurde darauf nach der Siebenbürger Grenze abge-schoben; Henoch aber weigerte sich im Bewußtsein seiner voll-ständigen Schuldlosigkeit ein Gnadengesnch zu machen. Er wurdein Folge dessen zwar zwei Tage länger in Haft gehalten, aberdann auf freien Fuß gestellt. Henoch begab sich nicht sofort insAusland, sondern kehrte nach Bukarest zurück, reichte hier demdeutschen Konsulat eine Beschwerdeschrift ein und verlangt eineEntschädigung von 100,000 Francs. Daß er diese noch nicht inder Tasche hat, dürfte wohl selbstverständlich sein. Der Senatvon Bremen soll übrigens wegen der ganz unerhörten Bchand-lung, welche einem der geachtetsten Bürger der freien Hansestadt,Hrn. Kaufmann Retemeyer, von Seiten der Russen in Rumänienzst Theil geworden, das auswärtige Amt in Berlin ersucht haben,mit allen Mitteln auf eine Genugthuung von Seiten der russischenRegierung hinwirken zu wollen. Das auswärtige Amt soll bereftsüber den Thatbestand auf telegraphischem Wege genaue Erkun-digungcn eingezogen haben, wird aber schwerlich im Stande sein,eine Bestrafung der Militärbehörden, welche die Verhaftung derder Spionage verdächtigen Personen vorgenommen, veranlassenAber sie redeten zu tauben Ohren. Am 12. Mai 1870 gelangteder Entwurf an den Reichstag und wurde einer sogenanntenfreien Kommission überwiesen, welche, ohne in das Detail ein-zugehen, sich schnell schlüssig machte. Am 20. Mai fand die ersteund wie schon Tags vorher verabredet, sofort auch die zweiteBerathung statt. Die dritte Lesung erfolgte am 24. Mar, amspäten Nachmittage, als die Gesetzgeber bereits müde und hungrigwaren. Vergeblich riefen einige Stimmen„Vertagen!" HerrSimson(lib.) ermahnte die ungeduldige Versammlung mit derihm eigenen olympischen Würde:„Ich glaube, wir thäten recht, den Gegenstand, der, so vielich beurtheilen kann, nicht eben weitläufig ist, noch in heuttgerSitzung zu erledigen."Das Knurren der hungrigen Magen ward für Beifalls-gemurmel genommen. Herr Simson aber schritt feierlich hinaus,um sich in seinen Gemächern etwas zu restauriren. SeinenThron erklomm der Herzog von Ujest, der die Formalität derdritten Lesung in wenigen Minuten beseitigte. So macht manbei uns Gesetze!Herr Dr. Endemann(lib.), Professor und Ober-Appellrathzu Jena, der auch Mitglied des Norddeutschen Reichstages war,hat das Aktiengesetz„aus den Materialien erläutert;" und billigerstaunt man, in diesem Kommentar dieselben Anschauungenwiederzufinden, die sich in den Reden von Miquel und Genossenspiegeln. Auch Herrn Endemann sind die sogenannten Normativ-bestimmungen des Aktiengesetzes„ohne Noth einengende Be-schränkungen" und ihm erscheint„die eigene Vorsicht und dasselbstständige Urtheil des Publikums als die einzig haltbare Ga-rantte gegen Mißbrauch". Auch er ist eigentlich gegen die„An-drohung direkter Polizeistrafen" und hält die Ahndung jeder Ber-schleierung für sehr bedenklich. Ja, Herr Endemann meint, daßgewisse Bestimmungen des Gesetzes zu einer Umgehung fastherausfordern; und bei Artikel 215, welcher einer Gesellschaftden Erwerb eigener Attien verbietet, versichert er tröstend:„Werdie Zustände des Verkehrslebens kennt, darf sich dabei beruhigen,daß sich die Praxis doch zu helfen wissen wird." Den Gründernund Gründergenossen, soweit sie jetzt auf die Anklagebank kom-men, ist der Endemann'sche Kommentar dringend zu empfehlen;der Richter wird ihn hoffentlich zu entbehren wissen.Aber dieser Kommentar beweist, wie miserabel und vieldeutigschon die Fassung unserer neueren Gesetze ist; wie sie, so zusagen, mit Dampf fabrizirt werden; wie sie fast immer aufKompromissen beruhen und den materiellen Interessen der Herr-schenden Partei dienen, dem sogenannten„Liberalismus", derheute, seinem eigentlichen Kern nach, Handels- und Börsenlibe-