Die allermeisten Mitglieder derselben, welche während derJulitage auf elende Vorwände hin verhaftet worden waren, sindwieder ohne Anklageerhebung freigelassen, ja, möglicherweise alle,und ihre grundlose Verhaftung, die Polizeiübergriffe, nachdemalle eigentliche Ruhestörung beschwichtig war, besonders die Ver-böte des Versammlungsrechtes in Chicago, St. Louis, Phila-delphia und anderwärts haben böses Blut gemacht. Noch sindgewaltsame Vorfälle an verschiedenen Orten, besonders in denKohlenbezirken Pennsylvanins, wo eine starke Besatzung von Bundes-trnppen andauert, nicht unmöglich, wenn die Habgier und derUebermuth der großen Monopole so fort schaltet; doch ist es wahrscheinlicher, daß die Entscheidung am Stimmkasten vorgezogenwerden wird.Sozialpolitische Uebersicht.— Das große heilige Rußland liegt in militärischerHinsicht gedemüthigt vor dem Herrscher der„ohnmächtigen, ver-rotteten" Türkei; in moralischer Beziehung aber zu den Füßender ganzen gesitteten Welt. Die neueren militärischen Nieder-lagen bringen wir in einer besonderen Notiz vom Kriegsschau-platze— die neuesten moralischen Niederlagen wollen wir hierregistriren. Die Bedingungen, unter welchen Kaiser Alexanderdie„Cooperation" der Rumänen erwirkte, sind demüthigend.Fürst Carol hat sich das Obercommando über einen Theil derrussisch-rumänischen Armee ausbedungen und so wurde er dennzum Befehlshaber des„Wcstdetachements" vor Plewna ernannt.Diese„Cooperation", über deren militärischen Unwerth uns dienächste Zukunft belehren wird, ist sehr theuer erkauft und es istder bis dahin unerhörte Fall eingetreten, daß ein beträchtlicherTruppentheil einer Großmacht unter das wenn auch nur nomi-nelle Commando eines kleinen souceränen Fürsten gestellt wurde.— Wie grenzenlos demüthigend aber die„Cooperation" mitRumänien ist, geht noch aus folgender Nachricht, die aus Berlinstammt, hervor:„Die königlich preußische Ostbahn sendete Loco-Motiven leihweise nach Rumänien auf Rechnung der dortigenRegierung, die ihrerseits deren Rückgabe versprochen, sobald dievon ihr in deutschen Fabriken bestellten Locomotivcn abgeliefertsein würden."— Aus dieser Nachricht geht hervor, wie elendes in Rumänien aussieht, von dem das großherrliche RußlandHülfe verlangt— Hülfe auch von Serbien, von Montenegro, vonGriechenland— von vier Kartenkönigen, die wahrlich nichtvermögen, das russische Kartenhaus zu stützen. Ein Bankrotteursucht Hülfe bei Bankrotteurs; eine nette Gesellschaft!—Daß Rußland dem Bankerott nahe ist, geht aus einer Notiz derrussenfreundlichen„Weserzeitung" hervor, welche lautet:„InFinanzkreisen befürchtet man, Rußland werde angesichts derUnmöglichkeit der Beschaffung von Baarmitteln seineZinszahlung für ausländische Anleihen bis nach demKriege vertagen."— Diese Nachricht wird jetzt von allenSeiten bestätigt, also— der Anfang vom Staatsbankerott. Dieverspotteten„Türkenlose" werden steigen und die russische Anleihebis Null sinken.— Die Demoralisation in Rußland ist immense;so werden jetzt Commissionen eingesetzt, um die Mißbräuche beider Armeeverpflegung zu un> ersuchen. In Rasdjelnaja zumBeispiel fand die Commission 3993 Säcke zu fünf Pud und71 Tschetwert Mehl unbrauchbar. 2679 Säcke und 71 Tschet-wert sind ganz verfault und das Uebrige ist in Folge über-mäßiger Vermengung(um das Doppelte mehr als gestattet) mitGerste, wildem Hafer u. s. w., unbrauchbar. Von 500,(XX) PudHeu fehlen 180,(XX) Pud. Das größte Untergewicht, das zulässig ist, sind 25 pCt. und sind somit 60, 000 Pud verschwunden.Das Heu ist sehr schlecht und außerdem bedeutend mit Strohund Steppengras gemischt. Das ganze Quantum von 11,600Tschetwert Hafer ist ebenso untauglich; d,e Gerste, deren Quantumnoch nicht festgestellt ist, kann unter keiner Bedingung zum Geibrauch für die Truppen verwendet werden. Die Aufbewahrungder Borräthe war gleichfalls eine höchst unachtsame. Alleswurde feucht und faulte.— Also Alles faul im StaateRußland!— Wenn man dagegen die Begeisterung in der Türkeisieht, wenn man aus die großartige Volksbewegung blickt, dieselbst einen phlegmatischen Sultan, wie Hamid einer ist, miteniportragen konnte; wenn man jetzt erfährt, daß aus allen Eckenund Enden des weiten türkischen Reiches die freiwilligen Streiterherbeiströmen, daß selbst die sonst gerade nicht kriegslustigenJuden in Jerusalem zwei selbständige Compagnien zum Kampfefür den Halbmond gebildet haben; dann bleibt kein Unbefangenernur einen Augenblick im Zweifel, welches von beiden Reichen,das russische oder türkische, die größere Existenzberechtigung hat.Und wenn auch sicherlich nicht Alles in der Türkei gerade glänzendgenannt werden kann, so ist es doch einfach lächerlich, wennein Stockblinder einem Einäugigen die Wege zeigenwill.— Frauen- und Kinderarbeit in den belgischenKohlenbergwerken. Ueber dieses grausige Kapitel lesen wirin einem Berliner Blatte, zu dessen Gewohnheiten es sonst nichtgehört, die Dinge beim rechten Namen zu nennen, Folgendes:„Im Jahre 1870 waren im Durchschnitt jährlich bei derAusbeutung der Kohlen in drei dortigen Distrikten 13,934Weiber und Mädchen, worunter 9122 im Innern der Bergwerkeund der Rest oberhalb derselben beschäftigt. Im Hennegau alleinwurden im Jahre 1873 5383 Mädchen, darunter Kinder von8—10 Jahren, in den Kohlenwerken verwendet. Diese Zuständeverhindern nicht nur die moralische und physische Entwicklungder unglücklichen Kinder, sondern wirken auch auf die Lebens-weise der Eltern höchst nachtheilig ein, welche ihre Kinder bei-nahe als Lastthiere betrachten, die ihnen mittelst ihrer schonungs-los in Anspruch genommenen schweren Arbeit ihre Einkünfte er-höhen müssen und in den Gruben verkümmern, während die El-tern selbst häufig in den in der Nähe der Gruben befindlichenKneipen ihre Zeit zubringen. Mittlerweile treiben sich diejungen Mädchen inner- und außerhalb der Gruben ohne die ge-ringste Uebcrwachung umher und sie fallen in dieser Weise dengrößten Lastern anHeim, zumal sie völlig ohne Unterricht ge-blieben sind und ihr religiöser wie sittlicher Sinn ganz vernach-lässigt ist.— Das elfjährige Mädchen, heißt es unter andermin einem ärztlichen Bericht, wird in die Grube geschickt, in wel-cher es, Sonntag ausgenommen, mithin während des überwie-gend größten Theiles des Jahres das Tageslicht fast gar nichterblickt, denn es verläßt den häuslichen Heerd um 3 Uhr Mor-gens, um erst um 6 oder 8 Uhr Abends dahin zurück zu kehren.Die physische Kraft kann sich natürlicher Weise bei zehn- bisvierzehnstündiger schwerer Arbeit um so weniger entwickeln, alsdiese meistens in einem geschlossenen Raum, unter einer denAthem erschwerenden unreinen Lust verrichtet werden muß.„Der Einfluß der Grubenarbeit auf die Leibesbeschaffenheitzeigt sich auch in der bedauernswerthesten Weise, denn im Allge-meinen sind die„Grubenmädchen"(filles des fosses), wie mansie zu nennen pflegt, bleich abgehärmt und von niedrigem Wuchs.Sie werden meistens Mutter, bevor sie wegen ihrer Jugendihrer mütterlichen Pflichten bewußt sein können. Die Zahl dertodtgeborenen Kinder ist auch weit größer als in anderen Ge-genden.„Ich habe, klagte eine 48— 50jährige Frau, zwölf Kin-der auf dem Friedhofe. Jetzt sind mir nur noch deren dreiübrig geblieben und wer weiß, ob ich sie zu erhalten im Standesein werde."Soweit der Auszug aus dem bewußten Berliner Blatte, demobige schreckliche Schilderungen aus Brüssel zugingen. Aberwie heißt wohl das Blatt, das der Wahrheit so mannhaft insAntlitz schaut?— wunderbar, es ist der„Gewerkverein" desHerrn Max Hirsch, desselben Mannes', der die Sozialdemokratiebefehdet, weil sie Zustände aus der Welt schaffen will, wie sieoben geschildert sind, und der trotz solcher grauenhasten Zuständesich erkühnt, die Arbeiter nach wie vor mit seiner Harmonie-lehre zu langweilen. Aber wo die Thatsachen so beredt für dieBestrebungen der Sozialdemokratie plaidiren, da wird die Har-monielehre auch von dem kleinen Bruchtheil Arbeiter, der jetztnoch aus sie schwört, bald als das erkannt werden was sie ist— nämlich als eitel Harmonieheuchelei.— Ueber Fabrikantenhumanität berichtet unser Zü-richer Parteiorgan, die„Tagwacht", daß vor ungefähr IV, Iah-ren ein Herr Honegger in Siebnen(Kanton Schwyz) eineKinderbewahranstalt errichtet habe. Es wurde das von Anfangan als eine Wohlthat angesehen und man sagte, die Kinderwerden dort allerlei erlernen können. Heute kann über die„Wohlthat" etwas näher Auskunft gegeben werden. Die Kinderwerden nämlich auf drei bis vier Jahre angenommen und inder Spinnerei und Weberei des Herrn Honegger beschäftigt.Dazu aber kommt noch, daß die Kinder Hunger leiden müssen.Der Schreiber dieses hat selbst solche Kinder weinen und klagengehört, daß sie statt des Frühstücks Prügel bekämen. Schoneinigemal sind Kinder dieser„Versorgung" entflohen und bettelngegangen, um Nahrung zu erhalten. So werden die armenGeschöpfe unglücklich gemacht unter dem heuchlerischen Deck-mantel der Humanität. Die Anstalt ist allerdings eine„wohl-thätige", aber nicht für die Kinder und die Bevölkerung, son-dern für den Herrn Honegger; sie schafft ihm wohlfeile Sklavenund entzieht den Erwachsenen die Arbeit, resp. drückt deren! Lohn herunter. Das bedenken leider Diejenigen nicht, die ihreKinder dazu hergeben. Vor vierzig Jahren haben die Bürgervon Siebnen dem Herrn Honegger den Grund und Boden fürdie Fabrik unentgeltlich gegeben, und heute wird ihnen derLohn herabgedrückt und der Verdienst entzogen. Ja, die durchdie Arbeit der Bevölkerung reich gewordenen Fabrikanten gehennoch weiter, sie schreiben den Arbeitern bereits vor, was siedenken und lesen sollen. Wie in dem monarchischen Oester-reich, so ist auch in Siebnen den Fabrikarbeitern die„Tagwacht" verboten! Man fürchtet, daß die Arbeiter denkenlernen, man fürchtet, daß die Bevölkerung über das Treibender Fabrikherren aufgeklärt werde.„Haben unsere Ahnendafür die österreichischen Landvögte hinausgejagt, damit ihre Nach-kommen ein halbes Jahrtausend später noch weit mehr geknechtetseien?"— So fragt in berechtigtem Zorne zum Schlüsse die„Tagwacht".— Die Bersailler Ordnungsbanditen an der Ar-beit. Wieder ist ein Communard zum Tode verurtheilt wor-den! Nach 6>/, Jahren ist also der Blutdurst der Herren Ge-sellschaftsretter noch nicht gestillt. Freilich, nach den bisherigenLeistungen, hat das nichts Ueberraschendes. Was den vorliegen-den Fall besonders gehässig macht, ist die Art und Weise, wieer dem Publikum aus getischt und zur Verbreitung der infamstenLügen über die Commune benutzt wird. Man lese nur den Be-richt, welcher durch die gesammte liberal- und conservativ-reak-tionäre Presse geht. Derselbe lautet:„Paris, 31. August. Julius Lyaz, genannt Bon-Coeur,62 Jahre alt und schon stüher einmal zu zehnjähriger Depor-tation verurtheilt, seines Zeichens Schreiber bei einem Huissier,der gestern vor dem 3. Kriegsgerichte von' Paris erschien, warmit seinem Spießgesellen Philippe unter der Commune derSchrecken der Vorstadt Bercy. Philippe, ein Zuhälter vonStraßendirnen, welcher in Bercy als Maire der Commune schal-tete und nach dem Eindringen der Bersailler Truppen die Mairieund einige andere öffentliche Gebäude des 12. Arrondisscmentsniederbrennen ließ, wurde auf frischer That erschossen. Lyaz,sein Adjunkt und unzertrennlicher Begleiter, entkam hingegenund blieb lange unentdeckt, um erst sechs Jahre nach seinenMissethaten der Behörde in die Hände zu fallen. Er hatte alsAdjunkt von Bercy mit einem Gehalt von 300 Frcs. monatlichvorzugsweise das„Schulwesen" unter sich und verfuhr damitauf seine Art. So hielt er am 12. April in einer von Nonnengeleiteten großen Mädchenpension im Passage Corbes eine Haus-suchung, confiscirte 300 Frcs. und eine Anzahl silberner Me-daillen, die er da vorfand, verjagte die Nonnen und hielt dieErwachsenen von den Schülerinnen zurück. Es sollen sich hierScenen zugetragen haben, welche, wie der Vorsitzende desKriegsgerichts, Oberst Desandrö, versicherte, alle anderen Misse-thaten der Commune noch in Schatten stellten. Philippe undLyaz stellten den Auswurf der weiblichen Bevölkerung an dieSpitze der Anstalt und wenige Tage darauf sah man die zurück-gebliebenen jungen Mädchen schwer berauscht und auf das ent-setzlichste verwahrlost in den Höfen mit den Föderirten herum-liegen. Als der Sieg der regulären Armee diesen Orgien einZiel setzte und die Nonnen in ihr Institut wiederkehrten, fandensie darin eine scheußliche Epidemie: mehrere Mädchen erlagenansteckenden Krankheiten, fünf waren von einer heftigen Augen-entzündung ergriffen und fünfundvierzig hatten den Aussatz aufdem Kopfe. Wie weit Lyaz an den Brandlegungen Phillippe'sbetheiligt war, läßt sich nicht feststellen, dagegen bekundete einZeuge, daß er ein Frauenbataillon rekrutirt hat, welches aus-schließlich die Aufgabe hatte, auf die jungen Leute Jagd zumachen, die sich dem Militärdienst unter der Commune entziehenwollten, zahlreicher anderer Greuelthaten nicht zu gedenken. DasKriegsgericht verurtheilte Lyaz zum Tode."Dies der infame Waschzettel. Nichts ist daran wahr, alsdaß die Bersailler Mordgesellen abermals ihre Bestialität ge-zeigt, und nicht zufrieden damit ihre Opfer Physisch zu tödten,sie auch moralisch zu meucheln versuchen. Das Letztere wirdihnen aber nicht gelingen. Die Thatsachen reden zu laut.Was speziell den verurtheiltcn Lyaz betrifft, so kennen wir ihnnicht; wir wissen aber, daß die Commune ihr möglichstes ge-than hat, die Unsittlichkeit des Kaiserreichs und der Bourgeoisieauszurotten, daß sie der Prostitution nachdrücklichst gesteuert undnamentlich auch die Nonnenklöster, die wahre Bordellewaren, erfolgreich gesäubert hat. Von einem dieser Klöster, diemeist mit Pensionaten verbunden waren, ist in obigem Wasch-zettel die Rede, und die Verthcidiger der alten faulen Gesell-schaft haben wieder einmal ihr altes faules Kunststückchen ge-Midhat Pascha,dessen Rückberufung nach Konstantinopel unmittelbar bevorzu-stehen scheint, beantwortete vor einigen Tagen zu Paris emeAdresse der dortigen„Positivisten"(etwas Aehnliches wie unsere„Freidenker") mit folgenden Worten:„Meine Herren! Ich schätze mich glücklich, von Personenumgeben zu sein, die keinen Religions- und Racenhaß kennen.Die Umstände rechtfertigen das Gefühl, dem ich hier Ausdruckverleihe, vollkommen. Seit zwei Jahren wohnt Europa demSchauspiele bei: eine christliche Macht, Rußland, die mit einermuselmännischen Macht, der Türkei, befreundet und verbündetwar, hat offenkundig auf dem Gebiete dieser letzteren Unruhengefördert. Ihre Botschaft in Konstantinopel und ihre Consulatein den Provinzen waren die Herde, wo Jntriguen gesponnenund das Losungswort ausgegeben wurde, in Folge dessen derAufstand auf verschiedenen Punkten zugleich ausbrack. DieselbeMacht hat Montenegro und Serbien gegen ihren Oberherrn be-waffnet; sie hat ihre Soldaten und Offiziere dahin abgesandt,um mit der Türkei, mit welcher sie nach wie vor offizielle Be-Ziehungen unterhielt, einen öffiziösen Krieg zu führen. Die Türkeihat den Aufstand bewältigt und die Empörung ihrer Vasallenzurückgedrängt, ohne daß sie ihren Sieg zu mißbrauchen suchte,sie hat Serbien und Montenegro den Frieden angeboten undden christlichen Bevölkerungen die politische Gleichheit geschenkt.Auf der einen Seite die Unredlichkeit und Feindseligkeit in allenGestalten, auf der anderen Langmuth und Mäßigung im Siege.Angesichts dieses Schauspiels haben sich aus dem Schooße descivilisirten Europas gewiß sehr berufene Stimmen erhoben, umwen zu verdanimen? Die Türkei! diejenige der beiden Mächte,welche angegriffen worden war, während die berühmten Rednergegen den Angreifer nicht ein Wort der Entrüstung fanden. Wiemuß man sich das erklären, meine Herren? Sie wissen wohl,daß, wenn die Türken Christen wären, die Dinge eine ganzandere Wendung genommen hätten. Es ist traurig, es sagenzu müssen: das religiöse Gefühl hat die Vernunft verdunkeltund den Begriff der Gerechtigkeit und denjenigen verhüllt, derenGeist hoch über allen Vorurtheilen hätte stehen sollen. Wasnützt die Religion, wenn sie den Menschen nicht zur Gerechtigkeitführt? Ist nun aber die muselmännische Religion, der so vielMißtrauen entgegengebracht wird, wirklich eine in Starrheitversunkene, allem Fortschritt und aller Gesittung feindliche Religion? Vor einigen Monaten benutzte ich meinen nothge-drungcncn Aufenthalt in Europa, um Spanien zu besuchen.Hier traten mir auf Schritt und Tritt die Trümmer jener wun-dervollen Civilisatton entgegen, welche die Araber eingeführthatten. Nicht ich brauche Ihnen zu sagen, ob Spanien und dieCivilisation dadurch gewonnen haben, daß das Christenthum denJslamismus aus der Halbinsel verdrängte. Die Geschichte läßthierüber keinen Zweifel.„Niemand kann aufrichtiger als ich die herrlichen Resultatebewundern, welche in anderen Theilen Europas in moralischersowohl als materieller Hinsicht erzielt worden sind. Vor Allembewundere ich die steisinnigen europäischen Institutionen als diehöchste Bürgschaft des Fortschritts und des Wohlergehens derNationen. Ich habe hier nicht zu untersuchen, ob diese Jnsti-tutionen in Europa mit dem Beistande des Christenthums oderseiner ungeachtet zu Stande gekommen sind. Das aber kannich sagen, daß die Verfassung in der Türkei unter dem Schutzeund der Mitwirkung unserer Ülemas eingeführt worden ist. Undnicht ein Zufall hat uns diesen Beistand verschafft. Diejenigen,welche bei uns beaustragt sind, die Moral der Religion zu lehren,waren von jeher von diesem Geiste beseelt. Man würde staunen,wenn man sich in Europa die Mühe gäbe, den Geist des Js-lamismus aus der Zeit der Abassiden und der Eyubis zu er-forschen, als der Jslamismus im Orient die ersten Grundsteineder Demokratie und der Freiheit legte.„Meine Herren, gestatten Sie mir noch ein letztes Wort.Das Mißtrauen, das die europäischen Christen noch gegen denJslamismus hegen können und das sich gewiß auch noch zer-streuen wird, ist uns fremd dem Christenthume gegenüber, dessenStifter wir verehren und dessen ungeheuren Einfluß auf dieBesänftigung der Sitten ich anerkenne. Was die Christen derTürkei betrifft, so wollen wir in ihnen nur Brüder, nur Os-manen gleich uns erblicken, welche dieselben Pflichten und die-selben Rechte haben, wie wir. Getrennt durch Religion undAbstammung, wollen und können wir einig sein in der Liebezum Vaterlande.„Das, meine Herren, wollte ich Ihnen als Antwort aufeinen Theil Ihrer Adresse sagen. Ich brauche wohl kaum hin-zuzufügen, daß ich tief gerührt bin von der Versicherung derpersönlichen Sympathie, die Sie mir entgegenbringen. DieseGesinnungen, die mir überall seitens der ausgezeichnetsten Män-ner zu Theil werden und auf die ich um so mehr stolz bin, alssie sich über mich hinweg an mein Land richten, sind meinsüßester Trost.„Und Sie, mein Herr, der Sie mich die männliche Spracheder edlen ungarischen Nation haben vernehmen� lassen, in derenNamen Sie das Wort ergriffen haben, sagen Sie Ihren Lands-leuten, daß Sie an mir einen Landsmann mehr in Paris habenund daß fortan jeder Osmane ein solcher für sie sein wird.Unsere beiden Nationen haben einander frühzeitig auf denSchlachtfeldern bewundern gelernt. Heute lieben sie einander.Möge ihr Bund die strafbaren Anschläge vereiteln helfen, dieunter unseren Augen gegen die allgemeine Sicherheit undgegen den letzten Rest des europäischen Gleichgewichts gerichtetwerden!"Sehr treffend ist, was Midhat Pascha über die relativeCulturbedeutung des Jslamismus und des Christenthums sagt.So viel steht fest, daß der Islam im Großen und Ganzen zum mindestenkein größeres Hinderniß des menschlichen Fortschrittes ist alsdas Christenthum, und daß der Islam wenigstens auf einePeriode hinweisen kann, in welcher er die Civilisation gefördert,Künste und Wissenschaften gepflegt hat(zur Zeit der Maurenin Spanien), während man in der Geschichte des Christenthumsvergeblich nach einer solchen Periode sucht. Nur unwissendeMenschen oder russische Soldschreiber können den Türken inderen Eigenschaft als Muselmänner die Culturfähigkeit absprechen.Wer sich eingehender über dieses Thema unterrichten will,-derlese die einfchlägigen Kapitel in„Kolb's Culturgeschichte".— Sterblichkeitsstatistik und Gesundheitsverhält-nisse. Gemäß den Veröffentlichungen des Reichs- Gesund-heitsamtes sind bis zu der am 18 August cr. beendeten dreiund-dreißigsten Jahreswoche von je 1000 Bewohnern(auf den Jahres-durchschnitt berechnet), gestorben: in Berlin 32,2, in Königsberg28,3, in Köln 33,7, in Hannover 22,9, in Magdeburg 34,2, inBreslau 35,4, in Stettin 27,5, in Altona 26,6, in Straßburg31,4, in München 34,3, in Augsburg 46,2, in Dresden 26,1,in Leipzig 31,8, in Stuttgart 24,2, in Braunschweig 30,6, inKarlsruhe 23,7, in Hamburg 25,3, in Frankfurt a. M.—, inChemnitz—, in Wien 25,3, in Budapest 41,2, in Prag 23,8,