hat ihre Ruhestätte auf dem dortigen Kirchhof gefunden.— Vor zwei Jahren kam Ferdinand Lingenau zum Besuche nach Europa um alte Freunde in großen und kleinen Orten aufzusuchen. Auch mich erfreute er mehrere Tage mit seinem Besuche und t sprach mir gegenüber bereits die Absicht aus, sein Vermögen der Sozialdemokratie der ganzen Welt zu vermachen und dabei auch Gumbinnen nicht zu vergessen.„Em Sozialdemokrat und na- mentlich einer aus St. Louis in Amerika , mit dem muß es einen Haken haben"— so waren denn auch viele Leute mit sich einig, daß er ein Hauptschwindler sei, nur hergekommen, um alte Freunde anzupumpen. Lingenau , dem ich diesen Verdacht scherzeshalber mittheilte, als ich ihn einige Tage nach seiner Ab- reise von hier wieder in Königsberg traf, lachte und zahlte in meiner Gegenwart einige hundert Thaler für Denksteine, die er auf die Gräber seiner Eltern gesetzt. Wenige Wochen darauf, las ich in den Zeitungen, daß Je- mand, der Name war nicht genannt, in Genf fem Vermögen der Sozialdemokratie vermacht habe. In Briefen, die ich aus ver- schiedenen Orten Deutschlands und später aus St. Louis von Lingenau erhielt, hat er freilich nie dieses Testaments gedacht, trotzdem zweifelte ich nicht einen Augenblick, daß er der Erb- lafser sei. Am 4. August d. I. verstarb mein alter Freund in St. Louis in Amerika und wurde jetzt der Name des Erblassers in verschiedenen Zeitungen genannt, das fragliche Testament in verschiedenster Weise besprochen, ein fetter Bissen für die ver- schiedensten Reptile! Ein solches Reptil hat es aber in seinem Eifer zu komisch getrieben. Der„Mecklenburger Anzeiger" bringt aus Neustrelitz folgende Mittheilung: „Der hier nicht im besten Andenken stehende Buchhändler Lingenau , ein Sohn des früheren hiesigen Postmeisters Lingenau , hat der Sozialdemokratie aller Länder 14,lX>l1 Dollars vermacht und zu Testamentsvollstreckern unter Andern auch Bebel und Liebknecht ernannt" zc ic. Das Reptil bezweifelt natürlich, wie alle, daß das Testament rechtsgiltig sei, und führt als Grund an, daß, wenn der Erblasser auch von seiner Frau rechtskräftig geschieden sei, doch noch drei Kinder da seien, die jedenfalls auch an die Erbschaft Ansprüche erheben dürften. Wie schön liest sich diese Reptilnachricht: ein Sozialdemokrat, der„nicht im besten Andenken steht', der seine Kinder ent- erbt" ze. Alles nicht wahr, liebstes Reptil! Unser Ferdinand Lingenau ist ein ehrlicher Ostpreuße , niemals verheiratet gewesen und erfreute sich bei alten und neuen Freunden des besten Rufes. Kurz wir Ostpreußen sind stolz darauf, daß er unser Landsmann gewesen. Zu näherer Auskunft, verehrtes Reptil, ist gern bereit I. Reitenbach-Plicken. Aus Heuchelland. Stille Beobachtungen eines Berliners in London . II. Lassen Sie mich heute ein wenig kannegießern, ich meine, um in der Sprache der Journalistik zu reden, das Roß der hohen Politik besteigen— nein— wie sagt man das doch gleich?— das hohe Roß der Politik oder die höhere Rösser- polit— mein Gott, ich verwirre mich! Na, Sie verstehen mich schon. Mit größter Spannung folgt man hier den Vorgängen im Orient. Alle Welt ist in der Lektüre der neuesten Kriegs- »achrichten vertieft und die ältesten Zeitungsjungen erinnern sich keiner so glänzenden Geschäftscampagne, wie die gegenwärtige. Auf der Straße, auf dem Omnibus, der„Tram" und der Eisen- bahn, in Cafä's, Wirthshäusern, Theatern rc. K., überall sieht man die Leute in die ellenlangen englischen Zeitungen eingewickelt und kommt man mit einem Engländer zusammen, so kann man 100 gegen 1 wetten, daß er innerhalb der ersten zehn Minuten gefragt haben wird: Wie man denn über„Turkey" und„Russia " denke? Und wie sich die Dinge wohl zunächst gestalten werden? Und ob die Großmächte auch weiterhin neutral bleiben dürften? U. s. w., u. f. w. Anfangs, als man mir immer und immer wieder dieselben kitzlichen Fragen stellte, glaubte ich schon, die Leute meinen offen- bar, ich sei von Bismarck in geheimer diplomatischer Mission bierhergeschickt und wollen mich veshalb aushorchen. Natürlich schnieichelte mir solches sehr und ich strengte mich deshalb auch jedesmal an, meinem Gesicht den echt diplomatischen Ausdruck zu geben, d. h. so dämlich wie nur irgend möglich auszusehen bis zur„Manie" gesteigert ansah. Sein Gemüth wurde daher von den„verwerflichen Tendenzen" der Redner so erregt, daß er die Versammlung schon vor ihrem Schluß verließ, weil er sich die„Gefühle, welche ihm, dem Himmel sei Dank, sein Lebe- lang für den Thron und Staat beseelt haben, unmöglich durch solche Borgänge verkümmern" lassen wollte. (Fortsetzung folgt.) — Eine Proklamation Mukthar Paschas, die er kürzlich erlassen hat, liefert den Beweis, daß für die einzelnen türkischen Grausamkeiten, die als Revanche verübt sein mögen, die türkischen Generale und auch die Regierung nicht Schuld sind, was man von den russischen Generalen in Bezug auf die russichen großartigen Gräuelthatcn gerade nicht sagen kann. Die Proklamation lautet:„Dank dem Allmächtigen"— so bedeutete Mukthar Pascha seinen an der Gränze bei Man und Bajafid operirenden Truppen—„sah der Feind sich gezwungen, ge- schlagen und gedemüthigt in sein Land zurückzuweichen. Nun ist unser sehnlichster Wunsch der Erfüllung nahe: wir werden die Offensive ergreifen und die Grenze überschreiten. Obwohl wir von den Russen in unserem Lande ungerechte, rechtswidrige und barbarische Thaten zu dulden hatten, erwarte ich, daß Jeder von euch sich milde benehme gegen die unterdrückten Bewohner von Eriwan ; daß ihr, entsprechend den euch angeborenen guten Ge- fühlen und eurem angeerbten Edelsinne, jede That vermeiden werdet, die eine Befriedigung der Leidenschaften zum Zweck hat; daß ihr nie überschreiten werdet die Grenzen unseres heiligen Gesetzes, welches höher steht als alle bürgerlichen Satzungen; und daß Niemand unter euch sich erniedrigen wird, Thaten des Raubes und der Unterdrückung nach dem Beispiele der Russen zu verüben. Es ist"— so heißt es im Verlaufe dieser langen Ansprache an die türkischen Soldaten—„ein furchtbares Ver- brechen, ein menschliches Wesen, Gottes herrlichste Schöpfung, gesetzwidrig zu tödten. Enthaltet euch somit jedweder unge- rechten Tödwng und jedweden Raubes. Thut kein Leid allen denen, die euch um Schonung anstehen, kein Leid den Gefangenen und Ausreißern, sie müßten denn Handlungen begehen, die ihre Vernichtung nothwendig machen. Achtet das Eigenthum, die Wohnungen und die Ehre der armen Landesbewohner, die in Wirklichkeit zu euch stehen; kauft nichts ohne Genehmigung der Besitzer; hindert sie nicht in ihren Religionsübungen; erweiset und mit wichtiger Miene allerlei geheimnißvolle Brocken fallen zu lassen, aus denen kein Mensch, am allerwenigsten ich selber, klug wurde. Zu meinem Aerger bemerkte ich aber bald, daß man zene Fragen keineswegs nur an mich richtete, sondern daß sie hier zur allgemeinen conventionellen Redensart geworden sind, etwa wie man sonst zu sagen Pflegt:„Gesegnete Mahlzeit allerseits!" Seitdem sehe ich gar nicht mehr diplomatisch aus. Es war mir ohnehin immer sehr sauer geworden. Aber— seien wir ernst in so ernster Zeit. Welches die öffentliche Stimmung hier ist in Bezug auf die bedeutungsvollen Ereignisse im fernen Osten? Das läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen— es ist eben die alte, alte Geschichte: Das Volk will den Frieden, die Herrschenden wollen den Krieg. Ja, das Volk will den Frieden. Wer auch nur einige Ge- legenheit hat, mit ihm zu verkehren, dem wird das bald zur Gewißheit. Aber beileibe muß man nicht etwa so naiv sein, das wüste Geschrei der Zeitungspresse als den Ausdruck der Volksmeinung ansehen zu wollen. Eine Volkspresse gibt es hier nicht. Und das, was es gibt, das singt eben ein Jedes das Lied dessen, deß Brod es gerade ißt, und kümmert sich den Teufel um Volkes Stimme. Gerade wie anderswo auch. Dieser Krieg stellt überhaupt unsere modernen Preßzustände so recht in ihrer ganzen unglaublichen Verkommenheit blos. Wie man zur Zeit des„wirthschaftlichen Auffchwungs" in Gründungen „machte", genau so wird letzt in orientalischem Krieg„gemacht". (Gottlob, es gibt doch immer was zu handeln.) Anstatt sich hier auf den Standpunkt zu stellen, der einer echten, sich ihres hohen Berufs bewußten Presse einzig würdig wäre, nämlich Türken wie Russen mit gleichem Maße zu messen, in den auf beiden Seiten verübten Scheußlichkeiten die natürliche, unausbleibliche Folge der Entfachung aller schlimmen Leidenschaften bei zwei ohnehin halbbarbarischen Nationen zu erkennen, dafür aber immer von Neuem den tiefsten Haß uno Abscheu gegen die elenden Urheber dieses Krieges auszusprechen und gegen die heutigen Machthaber unseres Europas , deren niederträchtige Staatskunst es glücklich zu diesen unser Jahrhundert schändenden Hunnen- greueln gebracht hat, die sich bei ein wenig Ehrlichkeit doch so leicht hätten vermeiden lassen— statt dessen sehen wir die Presse überall in die wüthendste Parteigängerschaft für den einen oder den anderen der Kriegführenden getheilt, eine Parteigängerschaft, der die gemeine Bezahltheilt an allen Ecken und Enden hervor- guckt. Da werden— je nachdem man den Weg zum Rubel des Russen oder zum Backhschisch des Türken und seiner guten Freunde gefunden hat— bei den Abscheulichkeiten der nichtzahlenden Partei die Backen voll sittlicher Entrüstung genommen, während man eben dieselben Unthaten, von Seiten des Brodgebers ver- übt, entweder ftech leugnet oder doch zu beschönigen und zu verkleinern sucht. So ziemlich unsere gesammte„anständige" Presse steckt heute entweder im Kaftan oder im Kosakenrock, Alle sind sie fanattsche Fürsprecher entweder des Türken oder des Russen, Keiner Fürsprecher der Menschlichkeit, mit welcher diese beiden so blutwenig zu thun haben. Es ist allerdings wahr'— die Menschlichkeit verfügt über leinen Preßfonds. Was thut man also mit der Menschlichkeit? Das Großarttgste leistete und leistet darin wohl die berüch- tigte Preßdirue an der Donau , welche die eben nur ihr eigene Stirne besaß, die bekannten vorjährigen Grcuelthaten') der Türken an der bulgarischen Bevölkerung dem entrüsteten Europa gegenüber zu vertheidigen. Was mag ihr wohl diese Gefällig- keit eingetragen haben? Das englische Volk will den Frieden, sagte ich oben. Aber indem es den Frieden will, hat es sich doch nicht etwa engherzig auf sich selbst zurückgezogen, nur an das eigene Interesse denkend. Mit jenem warmen Mitgefühl für die Unterdrückten, das eben nur den Unterdrückten eigen ist, hat das englische Volk in den bekannten großartigen Meetings") kurz nach den vorjährigen „bulgarian atrocities", seinen Sympathien für die unglückliche Rajay Ausdruck gegeben und, indem es die Länderraubgier des Czarenthums verurtheilte, entschieden erklärt, daß die so höchst berechtigten Besttebungen der Balkanvölker nach Befreiung von der Türkenschaft auf's Mäftigüe zu unterstützen seiend) Durch diese das englische Boll in so hohem Grade ehrenden Kundgebungen hat es erreicht, daß erstens dem Lande, bis jetzt wenigstens, der Friede erhalten wurde und daß zweitens der englische Name vor der Schmach bewahrt blieb, daß englisches Blut für eine so elende Sache, wie es die Zurückführung der Balkanvölker in das alte Sklavenjoch ist, vergossen wurde. Achtung den ihnen heiligen Stätten, ihren Kirchen und auch ihren Priestern. Zerstört keines ihrer Gebäude, sie müßten denn von den Russen zu Verschanzungen verwandt worden sein. Laßt euch wegen der Verschiedenheit ihres Glaubens, ihrer Sprache und ihrer Sitten nicht zum Uebelwollen gegen sie stimmen. Quält und tödtet nicht Gefangene und Verwundete; verfolgt nicht die Flüchttgen um ihnen das Leben zu nehmen. Ahmt nicht den Russen in ihrer Grausamkeit und Gewaltthätigkeit nach. Tödtet Keinen, den ihr gefangen nehmen könnt, und bringt die Verwundeten darunter in die Hospitäler. Jeder Mensch, weß Glaubens er sei, ist ein edles Geschöpf Gottes: hindert deshalb den Feind nicht, seine Tobten zu begraben, und begrabet selber, die er nicht begrub. Führt keinen Streich gegen einen gefallenen Feind und verstümmelt keines feiner Glieder außer im wirklichen Kampfe. Nehmt euch, als denkende Menschen, diese meine Mah- nungen zu Herzen, gehorcht euren Führern und haltet in Ach- tung unser heiliges Gesetz."— Es ist dies eine Soldatensprache, wie sie der christlichst: aller Generäle und der gottesfürchtigste unter den alten Propheten nicht eindringlicher hätte zu Papier bringen können._ — Wir Heiden sind doch bessere Menschen, decken die Hindus von Benares (Indien ) und haben einen Verein zur Ausbrei- lung der brahmanischen Religion unter den Christen, zunächst unter den in Australien wohnenden, gegründet. Die Sache wird so erzählt: „Ein vornehmer Brahmine, Namens Suradschi, halte einen Besuch in den englischen Colonien in Australien gemacht und gefunden, daß die Trunksucht dort in schauerlichem Maße unter den Chrften herrsche. Ali er nach Hause zurückkehrte, berief er eine Versammlung ein, in welcher er nachwies, daß man diesen Leuten helfen könne, wenn man sie zur brahmanischen Religion bekehre. Er bekam sofort 12,000 Mark zur Gründung einer G.sellschaft für diesen Zweck; einige Brahminen erklär- ten sich bereit, als Missionare nach Australien zu gehen, und Suradschi selbst hat sich mit E'.fer an's Werk gesetzt, um passende Stellen aus den Wedas, den indischen Religionsbüchern, in's Englische zu über- setzen."— Bravo ! Hoffentlich kommen die indischen Missionäre mit der Zeit auch nach Europa , und haben Glück mit ihren Bekehrungs - versuchen! Man denke nur, der B>qymanismus verbietet(und ver- hü: et erfolgreich) Nicht blos die Völlerei und ähnliche Tugenden unserer C vilrsatiou; er lehrt überhaupt die reinste menschliche Moral, verkündigt die Heiligke't und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, stempelt das Blutvergießen, den Mord im Großen und Klei- neu zum fluchwürdigsten Verbrechen. Ach, wenn Herr Suradschi doch recht bald käme und den Brahmanismus importirte. Wir wären Denn unzweifelhaft erscheint es mir, daß ohne jene Kund- gebungen, d. h. hätte man die öffentliche Meinung im eigenen Lande nicht zu fürchten gehabt, der englische Soldat schon längst im schönen Verein mit Baschibozuk und Tscherkesse an der Wiederherstellung des„status guo" im Orient„arbeiten" würde, Dank der elenden Krämer- und Fuchsjägerpolitik der herrschenden Kasten, die für ihre blutsaugerischen„Interessen" in Indien zittern. Jene rühmenswerthe Haltung des englischen Volkes hat von Neuem den schönen Beweis geliefert, wie allzeit und überall der wahre Vertreter des Rechtes, der Menschheit und der Cultur das Volk und nur das Volk ist— gegenüber der engherzigen „Jnteressenpolittk" der Reichen, deren einziger Leitstern ihr Geldsack, und gegenüber den finstern und blutigen Plänen, welche in den„Cabinetten" der Könige zum Unheil der Völker ersonnen und ausgeführt werden. Viele Parteigenossen in Deutschland haben jene Kundgebungen des englischen Volkes, die. seitdem der Russe auf dem Plan er- schien, zwar verstimmt sind, gewiß aber in der alten Stärke wieder aufleben werden, sobald man daran gehen wird, die Balkanvölker von Neuem in die türkische Sklaverei zurück- zuführen und sie der furchtbaren Rache ihrer Peiniger zu über- lassen— viele Parteigenossen sage ich, haben jene Kundgebungen in anderem, viel absprechenderem Sinne beurtheilt, als ich es hier thue. Es hängt dies mit der Stellung zusammen, welche sie den ganzen Orientvorgängen gegenüber eingenommen haben. Sie haben die südslavische Bewegung von Anfang an durchaus verurtheilt und sich voll und ganz auf die Seite des Türken ge- stellt. Ich gestehe, daß ich diese Auffassung der Sache nicht theilen kann, ja sie geradezu bedauerlich finde. „Es thut mir in der Seele weh, Daß ich dich in der Gesellschaft seh'." Nämlich in der türkischen. Nicht fehlzugehen glaube ich, wenn ich sage, daß diese Stellung- nähme gegen die südslavische Bewegung und für den Türken, wie sie sich eben bei vielen Parteigenossen kundgiebt, ihrem Hasse gegen Rußland entsprungen ist. Nun, wer, der Freiheit und Fortschritt will, möchte ihn nicht theilen, diesen Haß gegen das czarische Rußland, den alten Erbfeind der Freiheit? Aber— heißt es nicht ein wenig das Kind mit dem Bade ausschütten, wenn man aus Haß gegen dieses Rußland die Revolution der Balkanvölker verdammt, nur weil jenes seine eigenen räuberischen Pläne an diese anzuknüpfen versucht? Ihr sagt, diese ganze südslavische Beivegung sei von Rußland gemacht, sei nickts als das Werk russischer Aufhetzungen. Hui! wie schrill diese Worte durch's Ohr tönen, wenn sie aus dem Munde von Männern kommen, die es jenem blödsinnigen Pack, das sich unsere„Gegner" nennt, so oft und so klar be- wiesen haben, daß Revolutionen niemals„gemacht"�) werden können, sondern stets in den Verhältnissen ihre Wurzel haben und daß nur dort„aufgehetzt" werden kann, wo es was auf- zuHetzen gibtP) Benutzt hat das ländergierige Rußland die unglückliche Lage und die tiefe Unzufriedenheit der türkischen Rajah für seine räuberischen Zwecke— das erscheint auch mir ganz zweifellos. Dieses Spielen mit dem Feuer der Revolution, sobald es den eigenen Plänen dienlich erscheint, ist ja eines der Hauptgaukler- stückchen des modernen Cäsarismus, von dem auch das Czaren- thum zu profitiren angefangen hat. Rußland hat bewirkt, daß der Ausstand gerade jetzt, wo ihm der rechte Moment gekommen zu sein schien, zum Ausbruch kam, es hat zu diesem Ende seine Emmissäre gesandt, die jene Völker zu der laug und heiß er- sehnten Abschüttelung des Türkenjoches aufmunterten, ihnen durch den Hinweis auf das mächtige Rußland, das seine„Brüder" nicht im Stiche lasse und ihre Sache vor ganz Europa vertreten werde, Muth einflößten, es hat dann den Aufständischen Waffen, Geld und Führer geliefert, kurz es hat die Lunte an's Pulverfaß gelegt, gewiß, gewiß— aber ist es deshalb schon richtig, das Vorhandensein des Sprengstoffs selbst bestreiten zu wollen? Seit Jahren schon sehen wir, wie diese Völker- Gut und Blut opfern in diesem grauenvollen Kampfe, wie sie ihre fruchtbaren Gelände verwüsten, ihre Frauen schänden, ihre Kinder ermorden lassen von den Barbarenhorden, die ihre grau- samen Peiniger gegen sie losgelassen und wie sie— in wirklich bewundernswerthem Heldenmuth— doch immer und immer wieder zu den Waffen greifen")— und das Alles soll ohne ernstlichen Grund, nur in Folge„russischer Aufhetzungen", rein pour los beaux yeux(für die schönen Augen)„Väterchens" geschehen? Das glaube wer will. Nein, so wird kein dynastischer Krieg aus immer von den„irischen; ftöhlichen Kriegen" und sonstigen Be- Ihätigungen unserer christlich- germanischen Cullur gründlich erlöst. Freilich, gewisse Leute bekämen dann keine Dotationen und müßten aus Mangel an Erwerb auswandern. — Wie aus Therapia der„Times" telegraphirt wird, haben, die türkischen Soldaten strikte Befehle erhalten, aus keinen russischen General zu feuern, damit er nicht getödtet oder kämpf- unfähig gemacht und ersetzt werde. — Die holländische Bourgeoispresse ist in großer Aufregung. Der König der Niederlande soll nämlich im Begriffe stehen, eine Sängerin zu Heirathen, und dies wird von den Getreuen als ein„großes Unheil für die geliebte Dynastie und das Land" bezeichnet! Auch eine even- tuelle Abdankung nütze nichts, da der Kronprinz ein geradezu skandalöses Leben führt und häufig in total betrunkenem Zustande aus den ordinärsten Kneipen der Hauptstadt höchst respektwidrig hinausgeworfen wird.— Der englische Krön- prinz, welcher in ähnlichen„noblen Passionen" macht, soll seinem College» in Holland Brüderschaft angetragen haben. Verwandte Seelen finden sich— auch unter Kronprinzen! — Bier Eier und etwas Mehl geben einen guten Eier- kuchen— dies erzählte vor einiger Zeit ein vortragender Professor im Handwerkerverein zu Breslau . Das hatten die alten Weiber beider- lei Geschlechts bis dahin noch nicht gewußt und dieselben nickten der Entdeckung verständnißinnig zu. Vier Eier und etwas Mehl geben einen guten Eierkuchen wiederholen leise auf dem Nachhausewege einige Philister bis in ihre Wohnung vor sich hin, um diese welterschütternve Entdeckung ihrer Ehkhälste mitzutheilen. Doch eine im Hause anwesende alte Köchm eines sonst achtbaren Zopfbürgers schüttelte bei dieser Nach- richt ungläubig den Kopf und behauptete kühn, daß dies nicht er schöpfend genug vorgetragen sei, denn damit vier Eier und etwas Mehl einen guten Eierkuchen geben, sei es auch nöthig, daß be des ge- hörig untereinandergerührt nnb über das Feuer gebracht würde, sonst würde kein Eierkuchen entstehen. Der Hausherr, ergrimmt über solche freche, revolutionäre Dreistigkeit seiner Dienstmagd, die klüger als die vortragenden Professoren und Doktoren sein wollte, stellte sofort ein inquisitorisches Berhö. mit ihr an, um zu ermitteln, ob sie sich vielleicht einen Schatz angeschafft habe, der sozialistische Ideen hege, da sie dann sein Haus sofort verlassen müsse. Ob die Inquisition von einem günstigen Resultate begleitet wurde, konnten nicht ermittelt werden.
Ausgabe
2 (10.10.1877) 119
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