Von Herrn Dr. Travis, dem alten treuen Anhänger derOwen'schen Schule, wurden dem Congreß 150 Exemplare seinerBroschüre:„Uannal of Social Science" zur Vertheilung an dieDelegirten und Reporter zugesendet. In diesem kleinen Hand-buch gibt Dr. Travis eine kurze und klare Darstellung sderGrundsätze Robert Owen's und sucht den Trades Unionisten klarzu machen, daß nur durch eine radikale Umgestaltung der Ge-sellschaft auf Grundlage des Prinzipes, daß der Mensch dasProdukt seiner Verhältnisse ist und daher nur durch all-gemeinen geistigen und materiellen Wohlstand allgemeine Glück-seligkeit und allgemeiner Fortschritt hervorgerufen werden kann,eine Beseitigung des Massenelends und der Massenunwissenheitzu erwarten ist. Wie das an den vorjährigen Congreß gesen-dete Buch:„Etfectual Reform"(„Wirksame Reform") des Dr.Travis wurde auch die oben bezeichnete Broschüre mit Dank an-genonimen. Praktischen Erfolg haben diese Schriften bisher lei-der nicht gehabt, da die Gewerkschaftler den Lehren des Sozia-lismus in jeder Form aus dem Wege gehen, wie dem Scharlach-ficber.In einer gelegentlich des Congresses in Leicester unter demVorsitze des Bürgermeisters stattgefundenen Massenversammlungder Gewerkschaftler wurde eine Resolution angenommen desInhalts, daß die Anwesenden, überzeugt von der Macht derTrades Unions,„den Arbeitern einen gerechten Antheil andem Produkte ihrer Erzeugungs-Thätigkeit zu verschaffen"(„afair share in the product of their labour") dahin trachtenwollen, ihre gewerkschaftlichen Organisationen zu verstärken.Wie letztes Jahr wurden auch Heuer Resolutionen gefaßt zuGunsten der Ausdehnung der Embloyer and Workmen Acte(„Arbeitgeber- und Arbeiter-Akte") auf die Seeleute in britischenGewässern; der Amendirung der Patent-Gesetze; der Abschaffungdes Schuldgefängnisses für kleinere Beträge(unter 50 Pfd. St.= 1000 Mark); der staatlichen Prüfung von Maschinenheizern;der Abschaffung des Sweating-Systems bei Kleidermachern undSchuhmachern(durch Einbeziehung aller Wohnungen, in denenindustrielle Arbeit verrichtet wird, in die Controle der Fabriks-inspektoren) und zu Gunsten freundschaftlicher Beziehungen mitden cooperativen Genossenschaften des Königreichs.Dem parlamentarischen Ebmitö wurde ausgetragen, dahin zuwirken, daß die industrielle Arbeit in öffentlichen Besserungs-anstalten besser controllirt werde zur Verhütung der Concur-renz, welch durch diese wohlfeile Produktion den freien Arbeiternbereitet wird.In Bezug auf die Vertretung der Arbeiter im Gesetzgeben-den Körper ist ein Fortschritt unter den Gewerkschaftlern zu ver-zeichnen. Sie haben nämlich Heuer einer Resolution zugestimmt,welche ausspricht, daß das Prinzip des„moucbood suffrage"(Stimm- und Wahlberechtigung jedes Bürgers mit eintretenderMannbarkeit) als Grundlage der Volksvertretung wünschens- understrebenswerth erscheine.Die Frage der„Coontry franebise"(Assimilation des Stimmrechts der Land- zu dem der Stadtbezirke) scheint übrigens insRollen zu kommen. Vielleicht wird, da in den jüngsten Tagenselbst Herr Gladstone für diese Maßregel eingestanden ist, ausbloßer Animosität gegen die Liberalen die Sache von dem con-servativen Ministerium aufgenommen und behandelt. Jedenfallsdürfte Herr Jrevelyan nächste Session bei Einbringung seinesdiesbezüglichen Antrages kaum auf ernstliche Opposition stoßen.Zwei Zuschriften vom Auslande, die eine vom Sozialisten-Congreß in Gent, betreffend die universelle Organisation derGewerkschaften und die zweite von dem Centralrathe der Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereine in Berlin in den schmeicheln-sten Ausdrücken eine gegenseitige Beschickung der deutschen undenglischen Eongresse durch Delegirte ansuchend, werden auf An-trag Turner's(Sheffield)— ins Protokoll eingetragen. Undnoch dazu nebeneinander. Wenn die Herren Briten übrigens„never, never, never Slaves"(„niemals, niemals, niemalsSklaven") zu sein die lobenswerthe Absicht haben, so dürftenihnen die Ereignisse auf ihrem Arbeitsmarkt bald begreiflichmachen, daß sie auch mit den Arbeitern anderer Länder Fühlungund Einvernehmen zu halten haben. Der Zimmererstrike inManchester und der Steinmetzausstand in London geben in dieserBeziehung bereits die ersten Lektionen. An beiden Orten hatman deutsche, italienische und amerikanische„Hände" importirt.Wenn alle diese Leute thäten wie die erste Einfuhr Deutscher,welche wieder umkehrte und heimging— all rigbt!— Alleines könnte auch der Fall sein, daß die nächsten Hundert bleiben,wenn nicht in London, so anderswo. In dunkler VoraussichtEin Stück Geschichte.Dcienston(Vertheidigungsschrift) in der Untersuchungssachewider Wander.Vom Justizrath Robe(ä. ä. 9. September 1845).(Fortsetzung.)In Deutschland war es nicht anders; Karl's des Fünftenpeinliche Gerichtsordnung kennt keine Strafen gegen tadelndeRede, sondern nur im Artikel EX Strafen gegen schriftlicheSchmähungen.„Verrätherei" Artikel CXXIV und„Aufruhr" CXXVIIkönnen zwar durch Anfeuerung des Volkes in öffentlichen Redenherbeigeführt werden, aber nicht die Rede selbst, sondern dieböse Abficht und der böse Erfolg waren strafbar. Auch in demaus dem römischen gebildeten Gemeinen Recht ist die Rede inkeiner Weise durch Strafen beschränkt, wie aus Weber's Schriftüber Injurien und Welker's„Neuer Beitrag zur Lehre von denInjurien und der Preßfreiheit" hinlänglich ersehen werden kann,wenn nicht ein besonderes verpöntes Verbrechen, als Injurie undMajestätsbeleidizung, damit begangen wird.Auch in Preußen gab es vor dem Landrecht keine Gesetzegegen tadelnde Rede, wenn sie nicht etwa in die Kathegorie derInjurie und Majestätsbeleidigung gehörte. Noch heute lebt imVolk ein. Spruch, angeblich als Spruch des großen Königs:„Redet was ihr wollt,nur gebt, was ihr sollt!"Alle früheren verhindernden Maßregeln und Stcafbestimmungenwaren nur gegen Druckschriften gerichtet. So in den Eensur-edikten vom 11. Mai 1749, 28. September 1751 und 1. Juni1772. Auch das spätere Eensuredikt vom 19. Dezember 1788mit seinen Nachträgen geht nur gegen Druckschriften.So war es übrigens auch in ganz Deutschland.Joseph's des II. Eensuredikt von 1781 erlaubte Kritiken sogar,namentlich gegen den Landesfürsten, und wollte sie nur dannverhindert wissen, wenn sie ihn und den Staat„gar zu anstößigbehandeln sollten." Was nun in Schriften erlaubt war, warnoch mehr der von Mund zu Ohr beschränkten Rede erlaubt.Ich will hiermit blos auf die Ansichten der Zeit hindeuten, inwelcher das Landrecht abgefaßt wurde.Wenn also die vorlandrechtliche Zeit in Deutschland, wiebesonders in Preußen, Strafen gegen mündlichen Tadel derRegierung und ihrer Anordnungen im Allgemeinen gar nichtkannte, sondern nur gegen einige der dadurch hervorgebrachtensolcher Möglichkeit ruft der Leitartikler des„Jndustrial Review"vom 13. d.:......„Aber, wenn derselbe Kniff angewendetwerden sollte von allen Arbeitgebern das Land hindurch und inallen Geschäftszweigen, wenn je die Arbeiter es wagen sollten,einer auf sie geübten Pression Widerstand zu leisten, dann wirdes für die englischen Arbeiter nothwendig sein, offen zu denArbeitern von ganz Europa zu sprechen und sie zu fragen, obsie den englischen Kapitalisten helfen wollen, englische Arbeiterniederzutreten, indem sie ihre respektiven Heimathstätten verlassenund über das Wasser kommen, um das Brod aus dem Mundeder Engländer, ihrer Weiber und Kinder zu nehmen!"Wenn der Schreiber meint, daß in Folge eines solchenenglischen Appells, und sei er noch so pathetisch, sich die Be-wegung des europäischen oder besser Weltarbeitsmarkts zumzum Stillstand bringen ließe, so irrt er allerdings gewaltig.Dazu gehört einmüthige Organisationsarbeit und so-zialistische Propaganda unter den„Händen" aller Länder undNationen, allerdings mit dem Hauptziele, dem„Händehandel"durch Gemeinbesitz der Produktionsinstrumente ein Ende zu be-reiten. Diese Wahrheit den englischen Arbeitern zu demonstrirenvermag vorläufig keine theoretische Abhandlung; das müssen wirder mächtigeren Logik der Thaffachen überlassen.Der Congreß wurde auch durch zwei Borträge von HerrnThomas Brassey, M. P. beehrt. Herr Brassey sprach über„Work and Wages" und„Labour at bouse and abroad."—(„Arbeit und Lohn" und„Arbeit daheim und im Auslande."—)Er suchte in sehr„arbeiterfreundlicher" Weise die Vorwürfe, dieman den Trades-Unionisten macht in Bezug auf die angeblicheVerminderung der Produktion zu entkräften. Die Löhne seienin England höher als anderswo, dafür aber sei auch die Arbeiteines englischen Handwerkers ausgiebiger u. s. f. Herr Brasseyist eben einer von denjenigen Bourgeois, welche begreifen, wasder englische„Trades-Unionism" der modernen Gesellschaft fürDienste leistet, indem er ihr den Arbeitsmarkt reguliren hilft;durch Aufrechterhaltung eines gewissen Lohnminimums die Ar-bester als Klasse conservativ macht gegen das„Lumpenproletariat",welches„gar nichts hat" und sich trotzdem nicht gerne be-graben lassen, sondern lieber revoltiren möchte; durch Versorgungvon Arbeitslosen und Invaliden, die sonst den ganzen Ge-meinden zur Last fallen würden u. s. w.— Herr Brassey erntetereichlichen Beifall von den Delegirten, den er auch von solchenMännern verdiente.Der nächste Congreß wird im September 1878 in Bristolabgehalten werden. A. Sch.SszmlpolitischL Uebersicht-— Bekenntnisse eines Fortschrittlers. Am29.Oktoberhielt Professor Virchow, der in der letzten Zeit viel von sichreden machte seiner Reaktionsgelüste auf dem Gebiete der Wissenschaft wegen, in der Generalversammlung des fortschrittlichensechsten Berliner Reichstagswahlkreises einen Vortrag,der eine Anzahl interessanter Geständnisse in sich barg. Gleichzu Anfang seiner Rede meinte Virchow:„Die Aufgabedes Vereins ist vorzugsweise die, Verständigung, Belehrung,Ueberzeugung in Bezug auf unsere Partei und deren Ziele her-beizuführen und zu verbreiten. Das ist heutzutage eineschwierige Aufgabe, weil ohne unsere Schuld die Ver-hälwiffe sich immer mehr verwirren und unsere Aussichten immerschwankender werden."— Man sieht, der brave Fortschrittlermacht es sich sehr leicht, wenn er alle Schuld von der Fort-schrittspartei abladet— wir hingegen sind nicht so freundlich,diese Reinigung gelten zu lassen. Gerade die Fortschrittsparteihat durch ihr ewiges Paktiren und Compromittiren, dann durchihren giftigen Haß gegen die weiter links stehende Sozialde-mokratie das Freiheitsgesühl und das Rechtsbewußtsein des Volksderart erschüttert, daß unsere, die sozialistische Partei großeMühe hat, dem Fasse den ausgeschlagenen Boden wieder einzu-setzen. Das mochte Professor Virchow auch wohl fühlen, als erder Sozialdemokratie gedachte; er sah die Verworrenheit seinereigenen Partei, er wurde wärmer und auch etwas gerechter gegenuns; loslösen von der Fortschrittspartei konnte und mochte derProfessor sich nicht, aber er deutete, wenn auch widerstrebend,an, daß nicht ihr, sondern der Sozialdemokratie die Zukunftgehöre, indem er folgende Ausführungen machte:„Das persönliche Eigenthum, die Familie, die Jeder als dieseinige haben solle, erkennen wir an; ja, die hierin sich ver-wirklichende individuelle Freiheit gilt uns als das höchstean sich schon strafbaren Wirkungen, als: Widerstand gegen dieObrigkeit, Aufruhr oder Beleidigungen des Landesherrn undseiner Familie, so sehen wir im Landrecht ganz dasselbe. Dazukommt, daß es in Z 39 bis 44Krim.-Rechtja auch denConat(Versuch)bestraft, mithin auch Conat zum Aufruhr, wenn er durch münd-liche Reden unternommen wird. Es bestrast in§ 199 und 200boshafte und die Ehrfurcht verletzende mündliche und schriftlicheAeußerungen über die Handlungen des Landesherrn, womit, daunter den Handlungen des Landesherrn auch jene gesetzgeberischensind, nicht minder der mündliche Tadel der Gesetzgebung betroffenwird. Diese Strafbestimmungen sind zur Verhinderung straf-baren mündlichen Tadels gegen die Gesetze und Anordnungendes Staats auch völlig ausreichend, weshalb die Gesetze Z 149 ff.zu anderen Behufen gegeben sein müssen. Sie find gegeben zurAufrechthalwng der inneren Ruhe und Sicherheit des Staats;und von diesem Gesichtspunkte aus kann§ 151 nur gegen dendurch die Presse vervielfältigten geschriebenen Tadel gerichtetsein. Es liegt in der Natur der mündlichen Mittheilung, inder Begrenzung der menschlichen Stimme und des Hörvermögens,daß sie gletchzeitig immer nur an Wenige gemacht werden kann.Mündlicher Tadel der Gesetze kann also immer nur bei WenigenMißvergnügen erzeugen, was für die innere Sicherheit und Ruhedes Staats in Wahrheit ungefährlich ist. Der Uebergang desMißvergnügens in Handlungen als in Aufruhr, Tumult undWidersetzlichkeit ist aber genugsam verpönt. In Schriften da-gegen, m binnen kurzer Zeit zu 50 Tausenden von Abdrückenzu vervielfältigenden, und binnen verhältnißmäßig ebenso kurzerZeit über den ganzen Staat zu verbreitenden Schriften, ist derAngriff auf die gesetzliche Ordnung des Staats allerdings ge-fährlich; denn es kann dadurch in Wahrheit ein Mißvergnügender Staatsbürger aller Orten zugleich und in Masse gegen dieRegierung erzeugt werden. Ein dadurch erzeugter, wenn auchnoch verborgener Zwiespalt zwischen Bürger und Regierung kannsogar nicht blos der innern Ruhe des Staats, sondern selbstseiner äußeren Sicherheit gefährlich werden.Nur ein solches Mißvergnügen der Bürger in Masse undnichts Geringeres kann in§ 151 gemeint sein. Um einzelneMißvergnügte kann sich der Staat nicht bekümmern, sonst würdeer allen Anträgen von Gemeinden, Ständen, Zünften, Religions-Parteien, jederzeit willfahren müssen. Aber sie sind für dieinnere Ruhe und Sicherheit des Staats ungefährlich, weil siein Rücksicht auf die übrige zufriedene Masse der Staatsbürgernicht in Betracht kommen und gleichsam verschwinden. Sie sind: Gut insbesondere des deutschen Volkes. Auch in den religiösenKämpfen ist dies unser Ziel gewesen, die individuelle Freiheitinnerhalb der im Interesse des Gesammtwohls nöthigen Schran-ken zu fördern und zu sichern. Es ist stark ausgedrückt, abernicht unwahr, wenn wir behaupten: diesen echt deutschen Cha-rakter will die sozialdemokratische Bewegung vernichten. In-ternational müssen wir werden, sagt man; darum müssen wirdie jetzige soziale national- egoistische Welt umwerfen. Aber—trotzdem haben die Sozialdemokraten Anspruch darauf, ange-hört und beachtet zu werden. Ja, wir müssen ihnen zu-.geben, daß im Laufe der Zeit die Schranken zwischen denVölkern sich mildern, in mancher Beziehung wohl auchsjch winden, daß die Völker durch Verträge ihrem National-willen Schranken gesetzt, daß sie ein internationales Recht an-erkannt haben. Und es ist wohl möglich, daß in dieser Richtungnoch Vieles möglich werden wird, was wir heute noch fürunwahrscheinlich halten. In früherer Zeit würde ein vor-nehmer Herr es gewiß für unverträglich mit seiner soziale«Stellnng gehalten haben, in Gesellschaft von ihm ganz unbe-kannten Menschen in Einem Wagen, wie das heutzutage auf derEisenbahn geschieht, eine Reise nach Paris zu machen. Wir finve«' heute kein Bedenken mehr, unsere Kinder in die öffentlichenSchulen zu schicken, unbekümmert darum, welcher Leute Kindernoch neben ihnen auf Einer Bank sitzen. Wer weiß, was dieserGang der Dinge noch weiter mit sich bringen, inwiewester Gemeinschaft herbeiführen, wo solche jetzt noch nicht da ist,welche Formen des gesellschaftlichen Lebens er noch gestaltenwird! Diesem in der Entwicklung der Menschheit unverkenn-baren kommunistischen Zuge werden wir nicht entgegen-arbeiten wollen; aber ebenso wenig werden wir das mit Ge-walt herbeiführen wollen, was der Gang der Entwicklung natur-gemäß und allmählich durch sich selbst herbeiführt. Wir wollen— Reform und erwarten nur von ihr Gutes; die Sozialde-mokraten wollen— Revolution und meinen, daß nur sie dasGute herbeiführen kann. Die Sozialdemokratie will nichtwarten; sie will sofort genießen. Wer von uns hätte nichtauch Wünsche, deren Verwirklichung viel zu seinem Lebensglückbeitragen würde!-Aber wir beneiden und hassen Die-jenigen nicht, die durch die Verhältnisse besser situirt sind alswir. Wir streben aber darnach, daß Alle theilhaftig werdender Mittel, ohne welche keiner zu dem wahren menschlichen Le-bensglück gelangen kann."—Daß Virchow uns die gewaltsame Revolutton um jeden Preisin die Schuhe schieben will, ist recht ungezogen von ihm, da erals wissenschaftlicher Mann die Ursachen der gewaltsamen Revo-lutionen gewiß ganz wo anders gefunden haben wird, als ineiner voransttebenden Partei; daß wir diejenigen weder beneidennoch hassen, deren Verhältnisse besser sind als die unserigen,haben wir oft betont— wir bekämpfen nicht den einzelnenMenschen, wie es die wirthschaftlichen Verhältnisse der Jetztzesteigentlich als selbstverständlich erachten und es demgemäß auchvon den Anhängern solcher Verhältnisse im bittern Conkurrenz-kämpf bis auf's Hemdausziehen geschieht, wir bekämpfen nur dieSysteme der Ausbeutung und der Ungleichheit.Daß wir nicht„warten wollen"— dies ist ein hohes Lob,wir haben eben die Nachtmütze und den Schlafrock längst abge-setzt und ausgezogen, was einem deutschen Professor allerdingsrecht sonderbar vorkommen mag.Im Uebrigen aber athmet der von uns angeführte Virchow'scheRedeerguß soviel Naivetät und dabei so großes Entgegenkommengegen die Sozialdemokratie, daß wir die wenigen absprechendenUrtheile gern mit in den Kauf nehmen können.Die fortschrittliche Wählerschaft wird dem Herrn Virchowfür seinen halb sozialistischen Vortrag gewiß nicht dank-bar sein.In dem Schlußsatze seiner Rede aber erklärt Virchow aus-drücklich den Bankerott seiner Partei, indem er sagt:„Aus unserem Streben und Wirken wird sich wederfür unser Staatswesen noch für andere Völker eineSchädigung ergeben."Das glauben wir— aber auch kein Nutzen!Keine Schädigung— kein Nutzen, also höchst überflüssig,das hat Virchow auch wohl gemeint, der die todte Fortschritts-Partei in sarkastischer Laune sezirt hat. Er wird nun auch wohlfür ein anständiges Begräbniß sorgen.— Aus Berlin erhalten wir folgende interessante Zuschrift.Sie brachten jüngsthin bereits eine kurze Mittheilung übexaber zu bändigen, und es kommt nur darauf an, zu verhindern,daß ihr Mißvergnügen in ungesetzliche Thatcn übergeht. DasMißvergnügen der Bürger in Masse kann nun wohl durchSchriften rasch und gleichzeitig, niemals aber durch mündlicheRede über den ganzen Staat verbreitet werden. Die Verbrei-tung einer der Ruhe und Sicherheit des Staats gefährlichenUnzufriedenheit durch bloße Rede ist bei der Ausdehnung desStaats und bei der Zeit, welche zur Herbeiführung eines wirklichgefährlichen, d. i. weit ausgebreiteten Mißvergnügens erforderlichsein würde, kaum denkbar. Mindestens stehen der Tadel derGesetze durch mündliche Rede und das Mißvergnügen der Staats-bürger in Masse so unabsehbar fern von einander, wie einEisenerzlager unter der Erde von einem mordenden Schwert.In diesem ungeheuren Zwischenraum liegen noch so viele zurErzeugung der vom Gesetz erforderten Wirkung nothwendige,von dem Zufall wie von der Uebereinstimmung des bösen WillensVieler abhängige Erfordernisse, daß der Gesetzgeber niemalsdaran gedacht haben kann, den ersten Anfang zu bestrafen.Voraussichtiger kann kein Gesetzgeber sein als Gott. Wenn ernach dieser Theorie gehandelt hätte, so würde er die Menschenstumm geschaffen haben, damit nie eine Blasphemie aus ihremMunde gehen könnte.Genug, es ist nicht wahrscheinlich, daß das Gesetz in§ 151mündliche Aeußerungen hat verpönen wollen. Jndeß der Wort-laut ist gegen mich und ich werde auf das Gesetz näher ein-gehen müssen.Das Gesetz fordert zur Anwendung einer Strafe zweierlei,nämlich erstens eine die Grenzen des Gesetzes überschreitendeabsichtliche Handlung, zweitens eine die innere Ruhe undSicherheit des Staats gefährdende Wirkung. Wirkung undMittel müssen beide zur Strafanwendung zugleich vorhandensein. Die Anwendung des Mittels allein, wie die ohne diesMittel hervorgebrachte Wirkung allein, find, einzeln und jede fürsich, nicht strafbar. Ich weiß sehr wohl, daß man aus demEensuredikt vom 8. Oktober 1819 Artikel XVI No. 2, die Straf-barkeit schon der bloßen Aeußerung, auch wenn sie ohne alleWirkung geblieben ist, herleiten will. Jndeß ist diese Ansichtnicht begründet. Man darf erstens nur beachten, daß diesesCensurgesetz selbst den in s 151 gebrauchten Ausdruck„veran-lassen" ganz so auffaßt, wie er sprachgemäß gefaßt werden muß,nämlich als den Beginn einer Wirksamkeit bezeichnend. Heißtnun im eigenen Sinn des Gesetzgebers„veranlassen" den Be-ginn einer bestimmten Wirkung hervorbringen, so bemerke man