die Vorstellung wach, als wäre namentlich die Eisenbahnpolitik des Handelsministers theils eine gedankenlose, theils eine direkt reichsfeindliche gewesen." Daß durch die Confusion, welche im Reiche und in Preußen herrscht, der Etat bis zum gesetzmäßigen Termine, bis zum ersten April, nicht fertig gestellt werden könne, das konnte man längst wissen. Deshalb hat der Reichstag am 28. März auch über einen Nothetat berathen.— Noch sei zu erwähnen, daß der- schieden- Blätter melden, das Amt eines Vicekanzlers, welches der Graf Stollberg erhalte, sei nur ein Uebergangsstadium zum Reichskanzler, da Bismarck sich in nicht ferner Zeit in den wohlverdienten Ruhestand begeben werde.— So ist Alles in's Schwanken gerathen im„Reiche der Ordnung und guten Sitte". Und wer ist der„Verrunjenirer"? — In der Sitzung des Reichstags vom 26. März kam ein Theil des Postetats zur Berathung, bei welcher Gelegen- heit der Abg. Rittinghausen an den Generalpostmeister das Gesuch richtet, für Briefe und Kreuzbandsendungen getrennte Einwürfe einzurichten, da es häufig vorkomme, daß Briefe sich in Kreuzbandsendungen einschieben und in Folge dessen nie oder erst nach Monaten ihre Adresse erreichen.— Genosse Temmler bemerkt bei dem Punkte, der sich um Herstellung einiger Post- und Telegraphendiensthäuser handelt, daß in der Commission kein technischer und künstlerischer Sachverständiger sei; deshalb habe er sich für verpflichtet gehalten, die Pläne und Kosten- anschlüge der Bauten einer Prüfung zu unterziehen. Dabei habe er gefunden, daß namentlich die Kosten für den Entwurf und die Leitung ganz exorbitant seien. Diese Arbeiten müßten von den etatsmäßig angestellten Postbaubeamten besorgt werden. Man sollte das unnütze Geld, welches man hier an Baumeister zahle, die mit der Post gar nichts zu thun haben, lieber den unteren Postbeamten geben. Die gefertigten Entwürfe seien auch nichts weniger als mustergültig. Auf höhere Anweisung habe man den gothischen Stil gewählt. Derselbe eigne sich jedoch grade für derartige Gebäude, die nur Bureauräume enthielten, noch weniger als für andere Profanbauten. Um einen ästhetischen Effekt zu erzielen, habe man dann z. B. Thürme an die Flügel eines Gebäudes gestellt und 14 Fuß hohe Erker angebracht, die einen praktischen Zweck absolut nicht hätten, so daß das Geld weg- geworfen sei.— Der Antrag der Commission auf Genehmigung der betreffenden Gelder zur Aufführung stephanischer Bauten wird natürlich genehmigt. — Die sozialistischen Abgeordneten haben folgende Gesetzentwürfe eingebracht: 1. Gesetz über die Abänderung des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. November 1867. Einziger Artikel. Das Alinea 1 des§ 3 des Gesetzes, betreffend die Frei- zügigkeit, enthält folgenden Wortlaut: Insoweit wegen gemeiner entehrender Vergehen oder Verbrechen bestrafte Personen nach den Landesgesetzen Aufent- Haltsbeschränkungen durch die Polizeibehörden unterworfen werden können, behält es dabei sein Bewenden. Berlin , den 26. März 1878. J o h. Most, als Antragsteller. Unterstützt durch: Kapell. Liebknecht. F. W. Fritzsche. Motteler. Hasenclever. I. Auer. G. A. Temmler. Rittinghausen. Bracke. Bios. Heckmann-Stintzy. Grad. Äuerber. Stötzl. (Die gesperrt gedruckten Worte fehlten bisher im Gesetz, wes- halb man m manchen Theilen Deutschlands auch politische „Verbrecher" mit Ausweisungen k. behelligte.) 2. Gesetz, betreffend die Vereins- und Versammlungsfreiheit. Einziaer Artikel. Alle Einwohner des Deutschen Reichs haben das Recht, ohne polizeiliche Anmeldung oder Genehmigung zu jeder Zeit und an ledem Ort— unter freiem Himmel, wie in geschlossenen Räumen — sich zu versammeln und Vereine zu politischen oder nicht- politischen Zwecken zu gründen. Alle Vereins- und Versammlungsgesetze der deutschen Einzel- stallten sind aufgehoben. Das Gesetz tritt am 1. Juli 1878 in Kraft. A. Kapell und I. Most als Antragsteller. Hasenclever. Motteler. W. Liebknecht. Fritzsche. I. Auer. Blos. Bracke. Temmler. Rittinghausen. Heckmann. Stintzy. Grad. Stötzl. Guerber.) (Max Hirsch , welchem der Antrag gleichfalls zur Unter- schrift vorgelegt wurde, verweigerte dieselbe unter den verschie- densten Ausflüchten und charakterifirte sich so als echter„Ar- beitervertreter".) Die Charakterlosigkeit in Deutschland . „Um die Freiheit ist's nach meiner Ueberzeugung heute in Deutschland schlecht bestellt. Ja, sehr schlecht, trotz des liberalen Anstrichs so mancher Verhältnisse." Mit diesen Worten leitet vr. Kollmann, Kreisrichter zu Rosenberg in Westpreußen , eine Schrift unter dem Titel:„Die Charakterlosigkeit in Deutschland " ein. In dieser Allgemeinheit wird die Behauptung des Ver- fassers schwer zu begründen sein. Er hätte sie beschränken sollen auf die Preßfreiheit, mit welcher sich in der That die kleine Schrift fast ausschließlich beschäftigt. Und auch in dieser Be- ziehung sehen wir das Uebel weniger in unserer Preßgesetzgebung, in welcher erreicht ist, was unter den obwaltenden Umständen zu erreichen war, als in der Handhabung der Gesetze, weniger in unseren Gesetzen, als in unseren Sitten. Die freie Meinungs- äußerung ist uns noch nicht in Saft und Blut übergegangen, und so leiden auch unsere Richter noch oft an den veralteten Anschauungen jener Zeit, wo nichts gedruckt werden durfte, als mit hoher obrigkeitlicher Erlaubniß. Die Nationen, bei denen sich eine wirkliche Pretzfrciheit eingebürgert hat, sind daher nicht wenig erstaunt über unsere zahllosen Preßprozesse und über so manche ihnen unverständliche richterliche Entscheidungen. So schreibt eins der angesehensten englischen Blätter, der„Manchester Guardian":„Wenn die Freiheit der Presse, wie wir anzunehmen gewohnt sind, einen wesentlichen Bestandtheil der nationalen Freiheit bildet, kann dann Deutschland , daß sich gerade seiner Cultur und nationalen Größe so sehr berühmt, in Wirklichkett ein fteies Land genannt werden? Kaum ein Tag geht vorüber, an welchem die Zeitungen des Geburtslandes von Goethe und Schiller uns nicht neue Illustrationen der Schwierigkeiten und Gefahren bringen, inmitten welcher sie sich zu behaupten suchen müssen. Nachdrückliche und offene Kritik der Minister, der nationalen Institutionen, der Politik und der Absichten, welche in der Regierung herrschen, kann einzig mit großem Risiko geübt werden. Das Gesetz schlägt mit Geldbuße oder Gefängniß einen Jeden, der nach der Meinung deutscher Richter den Einfluß der Träger der Staatsgewalt zu schwächen oder eine Jnstitution, wie — Das Stärkeverhältniß der Parteien im Reichstage ist nach einer neueren Zusammenstellung genau folgendes: Centrum 97. Deutschconservattve Fraktion 40, Freiconservative (Reichspartei) 38, Nationalliberale Fraktion 123, Gruppe Löwe 7, Fortschrittspartei 36, Elsässer Autonomisten 5, Elsässer Pro- testler 10, Polen 13, Sozialdemokraten 12, Wilde 11. Diese von den einzelnen Parteien errungenen Sitze entsprechen aber nicht überall den Stimmenzahlen, welche die betreffenden Frak- tionen auf sich vereinigten. ES bekamen nämlich Stimmen: die Nationalliberalen 27, das Centrum 26, die Deutsch -Conserva- tiven 10, die Sozialdemokraten 9, die Freiconservativen 3 und die Fortschrittler 7-/,°/g. Hiernach hätten die Nationalliberalen 108, das Centrum 104, die Deutsch -Conservattven 40, die So- zialdemokraten 36, die Freiconservativen 32, die Fortschrittler 30 Abgeordnete beanspruchen können. Bei dem jetzigen Wahl- system ist freilich nie daran zu denken, daß die Parteiverhält- nisse des Landes im Reichstage zum getreuen Ausdruck gelangen, und speziell die Sozialdemokratie wird nie auch nur nnnähernd eine ihrer Stimmenzahl entsprechende Anzahl von Vertretern in den Reichstag bringen, da sie als die radikalste oppositionelle Partei alle anderen Parteien gegen sich hat und besonders bei den Stichwahlen niedergestimmt wird. Die Aenderung unsres Wahl- kreissystems ist daher ein Gebot der Gerechtigkeit und, fügen wir hinzu, auch ein Gebot der Klugheit, wenn anders den Macht- hadern daran gelegen ist, daß sich im Reichstage der Bolkswille ungefälscht kundgiebt. — Die Liberalen sind ganz aus dem Häuschen über die bösen Staatssozialisten; die„Magdeburgische Zeitung" nennt die Herren:„Hofdemagogenpartei", weil sie das Privat- eigenthum nicht für heilig erklären. Hören wir über diesen Punkt den„Staatssozmlist"; er schreibt: „Nicht die Gleichberechtigung, sondern die gewaltthätige Herrschaft, das Zuvorkommen des Einen vor den Anderen und die schlaue Uebervortheilung des Einen durch den Andern bil- deten die Grundlage des römischen Eigenthums- und bezw. Be- fitzergreifungsrechtes und bilden es in schmachvoller Weise in den sogenannten christlichen Staaten noch bis auf den heutigen Tag. Die äußerliche Vermögens- und Rechtsstellung der Befitzenden zu den Besitzlosen ist eine vollständig willkürliche und im Wesent- lichen durch die augenblicklichen äußeren Machtverhältnisse und persönlichen Interessen gegebene. Für den Besitzlosen existirt überhaupt kein gleiches Recht, sondern statt dessen die Gnade der Besitzenden, und wo man versucht hat, wie dies im preußischen Landrecht geschehen, ein solches zu begründen, da wird es einfach nicht befolgt...... Das Traurigste bei den herrscheiden Zuständen ist der Um- stand, daß die große Masse der Halbgebildeten und auch der größte Theil der nach dem jetzt maßgebenden allgemeinen Ur- theile wirklich und„klassisch" Gebildeten... sich in dem fata- listischen Wahne befinden, der gegenwärtige Raubstaat sei in der That ein Rechtsstaat." Nun, wir sind mit diesen Deductionen einverstanden; unS ist überhaupt die Staatssozialistenpartei nicht unangenehm, trotzdem sie unter großem Geschrei vorgiebt, die Sozialdemokratie be- kämpfen zu wollen; sie ist uns deshalb nicht unangenehm, weil sie Rekruten für uns wirbt. —„Gott ist tobt, es lebe der Teufel!" Das„Katho- tische Volksblatt" in Mainz erklärt allen Ernstes, daß diese Devise sich auf dem Banner ver Sozialdemokratie befinde. Und um die Wahrheit dieser Behauptung zu bekräftigen, heißt es wörtlich weiter: „Es ist klar, daß die rothen Sozialisten weniger auf die Verbesserung der Lage der Arbeiter hinarbeiten, als vielmehr darauf, den Arbeitern die Religion, den Glauben an Gott, an die Ewigkeit, ewige Belohnung und Bestrafung aus dem Herzen zu reißen und sie mit ihrer Lage recht unzuftieden zu machen. Lassalle, der Jude, GotteSläugner, der im Zweikampfe ermordet wurde, der Apostel und„Heiland" der Sozialdemo- kraten, dessen höchstes Ideal der Besitz irdischer Güter und der Genuß möglichst vieler sinnlicher Freuden war, sprach zu Frank- furt a. M. folgende Worte:„Ihr Arbeiter, Ihr seid merk- würdige Leute; so lange Ihr nur ein Stück Wurst habt und ein Glas Bier, merkt Ihr gar nicht, daß Euch Etwas fehlt! Das kommt aber von Enrer verdammten Bedürfnihlosigkeit" u. f. w. Während die gesunde Vernunft und das Christenthum uns rathen, möglichst wenige Bedürfnisse zu haben, worin gerade ein Theil der Zufriedenheit und des Glückes in der Familie besteht, lehrt Lassalle das Gegentheil. Er sagt gleichsam: Ihr Thoren, Ihr dummen Arbeiter, Ihr begnügt Euch mit Bier und Wurst; Champagner und Rehbraten gebührt Euch, darnach müßt Ihr streben." Herr Kaplan! Es heißt:„Champagner und Rehbraten ge- etwa die stehende Armee, herabzusetzen sucht. Das Gesetz er- mächtigt die Gerichtshöfe, Redakteure von Zeitungen zur Angabe von Namen ihrer anonymen Mitarbeiter zu zwingen und legt ihnen im Weigerungsfalle eine sechsmonatliche Gefängnißhaft auf." Das Recht, seine Meinung frei zu äußern, ist der Athemzug jeder Männerbrust, und auch in Deutschland ist unS die Preß- freiheit durch die Verfassung verbürgt. Sie besteht aber nicht blos darin, daß wir über Wissenschaft, Kunst, Naturgeschichte und andere harmlose Dinge sagen dürfen, was wir wollen, son- dern wir müssen auch über öffentliche Verhältnisse und Personen unsere Meinung ungehindert aussprechen können. Ja, eine strenge Controle der Staatsverwaltung wurde sogar schon von Friedrich Wilhelm III. als eine Aufgabe der Presse bezeichnet. Wir sind aber in Deutschland noch nicht über den unauflöslichen Wider- spruch hinausgekommen, daß wir bei dieser scharfen Kritik gleich- zeitig verlangen, Niemand, namentlich kein Beamter, dürfe dabei beleidigt werden. Leider hat aber noch kein Jurist den Begriff einer Beleidigung zu bestimmen gewußt, und in der Praxis herrscht darüber die grenzenloseste Verwirrung. Die gewöhnliche Praxis ist die, daß jeder Tadel, namentlich jeder scharfe Tadel, und wenn er noch so gerecht wäre, als eine Beleidigung an- gesehen und gerichtlich bestraft wird. Hat doch noch dieser Tage die„National-Zeitung" eine Geldbuße entrichten müssen, weil sie von dem Abg. v. Ludwig gesagt hatte, seine heftigen Reden erregten nur pathologisches Interesse. Ein Engländer, welcher gewohnt ist, sein Urtheil über Abgeordnete und Minister in den stärksten und derbsten Worten seiner an Kraftausdrücken reichen Sprache abzugeben, versteht ein solches Urtheil gar nicht. Wir haben leider eine lange Praxis hinter uns, auf welche sich die Richter berufen konnten. Wer von den Zuständen in der Theorie und Praxis der Lehre von der Beleidigung sich eine richtige Vorstellung machen will, der muß einen Einblick in die Literatur und in die Paraphrase zum deutschen Strafgesetzbuche thun, die der frühere Ober-Staatsanwalt beim Ober-Tribunal, Oppenhoff, auf Grund von Präjudicien geschrieben.„Die Aeußerung einer allgemeinen ungünstigen Anschauung über den sittlichen Werth bühren Euch."— Ob es aber noch genug„dumme Teufel" geben mag, die solchem einfältigen Kaplangeschwätz Glauben sch-nken? Die„gesunde Vernunft" und das„Christenthum" rathen, möglichst wenige Bedürfnisse zu haben! Das Christen- thum: Ja! Deshalb sind die christlich- katholisch- frommen Lazzaroni's in Neapel auch so empfehlenswerthe Vorbilder für die Menschheit. Die gesunde Vernunft: Nein! Weil durch möglichst wenige Bedürfnisse die Faulheit culttvirt wird, Herr Kaplan— und„Müßiggang ist aller Laster Anfang".— Wenn elf also geschieht, daß das„Katholische Volksblatt" den strengen„Gott der Bedürfnißlosigkeit" leben läßt, so bringen wir demselben fteudig ein„pereat" und lassen den milden Cultur- teufel leben, der die Erde mit ihren Schätzen und Genüssen der gesammten Menschheit preisgeben will. — Auch Du Brutus! Der„Deutschen Allgemeinen Zei- tung" wird„von zuverlässiger Seite" geschrieben:„Wie ich soeben aus London höre, hat die Regierung des Deutschen Reiches einem der ältesten Vorkämpfer und Dulder für die Freiheit Deutschlands , dem seit den vierziger Jahren in England in der Verbannung lebenden deutschen Philosophen£>r. Arnold Rüge, einen namhaften jährlichen Ehrensold bewilligt und so dem viel- geprüften Manne für den Abend seines Lebens die Sorge für sich und die Seinen in liberalster Weise erleichtert."— Da hätte der Bismarckcultus, welchen Herr Arnold Rüge seit Jahren treibt, seinen verdienten Lohn erhalten. Wir gSnnen's dem Mann. Nächstens wird wohl die Reihe an den Erzhumbuger Karl Blind kommen, der's wahrhaftig nicht weniger verdient hat. — Aus dem Lande des permanenten Klassenkampfes, aus England, kommt die Mittheilung, daß die Weber in Black- burn mit einer Lohnreduktion von 10 Prozent bedacht werden sollen. Wie natürlich, sträuben sich die Arbeiter, auf dieses An- sinnen ohne weiteres einzugehen, da Hunger bekanntlich weh thut. In einem zahlreich besuchten Meeting der Weber wurde denn auch darüber berathen, ob die Lohnreduktion unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu acceptiren oder zu verwerfen sei. Allgemein war man der richtigen Ansicht, daß die Fabrikanten statt der Lohnreduktion eine Arbeitszeitermäßigung votiren sollten, wenn die Webeproduktton aus Mangel an Absatz oder Uebcr- produktton stockt. Es wurde beschlossen, in derselben Angelegen- heit ein zweites Meeting abzuhatten, inzwischen aber sollen die Arbeiter jeder einzelnen Fabrik eine Deputation an die resp. Fabrikanten senden, um diesen eine Verkürzung der Arbeitszett statt einer Lohnreduktion anzuempfehlen. Den Arbeitern ist es mithin um eine gütliche Beilegung der Differenz zu thun, ob auch den Fabrikanten, das wird die Zeit lehren. — Im Leipziger Tageblatt veröffentlichte vor Kurzem irgend ein als„Parteigenosse" unterzeichnender Bummler eine von A bis Z erlogene oder verlogene Notiz gegen die Beamten der Leipziger Genossenschafts-Buchdruckerei und sonstige Partei- beamte und behauptete u. A. auch, unser verantwortlicher Redak- teur Helßig habe nach Schluß einer der letzten Sozialisten- Versammlungen einen„Parteigenossen" mißhandelt. Die Beamten der Genossenschafts-Buchdruckerei haben das„Tageblatt" bereits verklagt, um den Namen des anonymen Bummlers zu erfahren und den sauberen Patron an den Schandpfahl zu stellen,.v�elßiz hat in einer der letzten Nummern des„Tageblatts" folgende Erklärung veröffentlicht: � In Nr. 74 des„Leipziger Tageblattes" wird in einem „Eingesandt" behauptet, ich hätte nach Schluß einer Sozialisten- Versammlung mich mit einem„Opponenten" in einen Streit eingelassen und denselben auf offener Straße mißhandelt. Diese Behauptung ist vollständig unwahr. Wahr ist, daß ich einen mir unbekannten Menschen, welcher sich schon während der Versammlung auf das Ungebührlichste benahm und nach Schluß derselben, sowohl im Lokale als auch auf der Straße, in nicht wiederzugebender Weise schimpfte und skandalifirte, zur Ruhe verwies. Dies geschah in der maßvollsten Weise. Daß diese Berichtigung erst jetzt erfolgt, hat seinen Grund darin, daß ich mich in Haft befand, als jene Verleumdung in diesem Blatte gegen mich gerichtet wurde. Uebrigens werde ich die Einsender gerichtlich zur Verantwortung ziehen. Hermann Helßig, Redakteur des„Vorwärts". — Ein Fahnenflüchtiger. In der„Süddeutschen Volks- zeitung" lesen wir Folgendes: „Emil Leininger, früherer Redakteur d. Bl., theilt aus seiner Haft in Heilbronn unserem Genossen Pfund mit, daß man ihn„nicht mehr in politischer Thätigkeit als für die Sache wirkend" zu betrachten habe. In demselben Briefe, der unter- deS Andern" ist nach Oppenhoff's Lehre nicht gestattet, namentlich auch nicht„Urtheile über den Charakter eines Mitmenschen weder im Allgemeinen, noch bezüglich einzelner innerer Eigenschaften", sofern die Urtheile für oen Betreffenden kränkend seien. Den Begriff einer Beleidigung hat das Ober-Tribunal am 20. No- vember 1874 dahin bestimmt, es sei„nicht erforderlich, daß der gebrauchte Ausdruck eine Eigenschaft bezeichne, deren Mangel au sich eine Verminderung der Ehre enthält; vielmehr genügt es, wenn die Aeußerung oder anderweitige Kundgebung erkennen läßt, daß dem Betroffenen die äußere Anerkennung oder Achtung seiner Persönlichkeit versagt werde... daß Jemand mit einer Bezeichnung belegt wird, welche einen körperlichen oder geistigen Mangel andeutet, und zwar ist es für den Charakter der Beleidigung gleichgültig, ob die als fehlend bezeichnete Eigenschaft eine erwerbbare oder nicht, ob der Mangel ein verschuldeter oder ein unverschuldeter ist." Haben wir zu viel gesagt, als wir vorhin behaupteten, daß jeder Tadel oder doch jeder scharfe Tadel als Beleidigung an- gesehen werde? Je tadelnswerther vielleicht ein hoher Beamter ist, desto unmöglicher wird es, seine Wirksamkeit mit Freimuth Ju besprechen. Als ein Blatt den damaligen Justizminister örafen zur Lippe als nicht befähigt für sein hohe» Amt be- zeichnet hatte, wurde es wegen Beleidigung des Ministers bestraft und dabei im Urtheil die Regel aufgestellt, daß jeder Beamte beleidigt werde, wenn ihm die mittlere Befähigung zu seinem Amte abgesprochen werde. Ist auf diese Weise es möglich, noch von einer freien Meinungsäußerung zu sprechen? Hat der Verfasser der Schrift so Unrecht, wenn er die Verhältnisse der deutschen Presse folgender- maßen schildert:„Allerdings, loben, schmeicheln, speichellecken— giebt eS noch mehr Grade der Kriecherei?— darf die Presse, aber wehe ihr, wenn sie mit Tadel, mit sittlicher Entrüstung oder gar dem Zorn gegen Persönlichkeiten herausrückte! Dann ziehen die Herren Staatsanwälte auf Treibjagd und schrecken die arme Presse aus ihren Freiheitsträumen auf." Die deutsche Presse soll beständig den Pelz waschen, aber ihn bei Leibe nicht naß machen. Der Verfasser sieht das Grundübel mit Recht in
Ausgabe
3 (31.3.1878) 38
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