scheu Expektorationen absolut nicht zur Sache gehörten, verdienteum so mehr eine Züchtigung, als er in der unmotivirtesten Weisevom Zaun gebrochen war.— Und Liebknecht, der so an denHaaren in die Debatte hineingerissen ward, machte von seinemZüchtigungsrecht unbarmherzigen Gebrauch; er erklärte HerrnRichter, daß sein Tadel ihm zur Ehre gereiche, während er sichdas Lob eines Richter schönstens verbitten müsse. Seinen Stand-Punkt habe er(Liebknecht) nie gewechselt. Der cäsaristischeScheinparlamentarismus, den er in jener Rede bekämpft, werdeauch heute von ihm bekämpft und sein Antrag(auf Abänderungder Geschäftsordnung und gegen die Valentimrerei), der amselben Tag auf der Tagesordnung war(jedoch nicht mehr zurVerhandlung kam) sei genau von dem nämlichen Geist eingegeben,wie jene Rede. Liebknecht sprach sich dann über unsere Stel-lung zum Parlamentarismus aus. Wie könne übrigens HerrRichter sich zum politischen Schulmeister und Anstandslehrer auf-werfen? Uno nun hielt Liebknecht in kurzen, scharfen Wortender Fortschrittspartei ihr Sündenregister vor, brandmarkte sieals die Partei der politischen Heuchelei par excellence undwarf ihr schließlich den Herrn Franz Duncker, der noch Mit-glied der Fortschrittspartei ist, an den Kopf. Darob verschiedeneOrdnungsrufe und obligates Pfui!(beim Duncker) verschiednerMit-Duncker. Die Hiebe hatten gesessen, und nur ein über-triebenes, auf Schwäche hinauslaufendes„Anstandsgefühl" kanndie Dosis zu reich finden. Es giebt Situationen, in denen manphysisch oder moralisch ohrfeigen muß. Und das war eine solcheSituation. Daß Liebknecht sich nicht darauf beschränkt, HerrnRichter abzustrafen, sondern sich gegen die ganze Fortschritts-Partei gewandt, kann ihm Niemand verargen. Herr Richtertreibt seit voriger Session die Jnsultirung der Sozialdemokratiesystematisch und geschäftsmäßig, innerhalb und außerhalbdes Reichstags, und er treibt dieses traurige Handwerk im Auf-trag und Namen seiner Partei. Ergo: mußte die TrachtPrügel verallgemeinert werden. Herr Richter, der wie einbegossener Pudel dastand, bald weiß, bald roth, hütete sich wohl,einen Reinwaschungsversuch zu machen; Alles wozu er sich auf-schwingen konnte, waren ein paar neue, beiläufig sehr beherzigens-werthe Citate aus der Liebknecht'schen Rede, für die Herr Richterjedenfalls eine sehr wirksame Retlame gemacht hat. Ein mit-leidiges Achselzucken war die einzige Antwort Liebtnecht's auf dieVerlegenheitsphrasen des offenbar ängstlich gewordenen Richter,der bekanntlich kein Held ist— oder blos Held Numero 2.—Nachdem sich Bracke, der als Antragsteller das Schlußworthatte, noch das Lob des Herrn Richter verbeten, wurde die Ber-Weisung des Antrags an eine Commission abgelehnt. Derselbemuß nun nochmals in zweiter Lesung an das Plenum kommen.Der Antrag auf Abänderung der Geschäftsordnung konnte nichtmehr erledigt werden, weil' die Zeit inzwischen zu weit vorge-rückt war. Er wird nach den Ferien zur Verhandlung gelangen.In den Sitzungen am Donnerstag und Freitag bewilligtedie Reichstagsmajorität endgiltig die Einnahmen und Ausgabendes Reichs und konnte somit mit gutem Gewissen, da sie ihreSchuldigkeit gethan hatte, in die Osterferien gehen, die bis zum30. April dauern. Dann wird der Reichstag wahrscheinlich nocheinen vollen Monat tagen.— Wie sehr die Majoritäten ihren geheiligten Reichstagachten, geht aus folgender Notiz der„Magdeburgischen Zeitung"hervor:„Im Reichstage fängt man bereits an, Wahlreden zu halten;wenigstens find die Ergüsse Lasker'S, der Die, welche andereAnsichten über die Steuerreform haben als er, unedle Seelennennt, dafür natürlich bald darauf aber wieder Abbitte leistenmuß, so wie die heftigen Anklagen eines Schorlemer-Alstund die Darlegungen eines Eugen Richter nebst den abwehren-den Reden der von diesem angegriffenen frei-conservativen undconservativen Abgeordneten so wenig sachlich gehalten, daßman wohl annehmen darf, es sei den Rednern dabei nicht sowohldarauf angekommen, verständige Männer zu überzeugen, alsvielmehr Stichworte für die Masse auszugeben."Das„Demogogenthum" der anderen Parteien tritt also immermehr zu Tage, während es sich zeigt, daß die Sozialisten dieeinzigen wohlanständigen Demokraten sind.— Die„verkommenen Franzosen" können in vielenDingen doch wohl den„aufgeklärten, sittlichen und glorreichenDeutschen" zum Muster dienen. Während der glorreiche deutsche,nationalliberale Federfuchser in Bezug auf die Beschickung derPariser Weltausstellung davon faselt, daß die„verkommenenUnd wir, die wir verdammt waren, es zu lesen, werfen esdvhin, wo eS hingehört— auf den bonapartistischen Schmutz-Haufen.-v-— Leipzig wird Weltstadt! So etwa mochte der Ober-bürgermeister von Leipzig, Herr Dr. Georgi, gedacht haben,als er am 1. April ein vom königlich preußischen Gesandten zuDresden, Grafen Solms, unterzeichnetes Telegramm folgendenInhalts erhielt:„Europäischer Congreß gesichert. Leipzig alsCongreßort bestimmt. Sofortige Besvrechung mit Ihnen bezüg-lich Lokalfragen und Unterbringung der Botschafter nothwendig.Womöglich schleunigst hieherkommen." Da jeder gute national-liberale Leipziger ein klein wenig vom Größenwahn angekränkeltist und Leipzig zur Weltstadt erhoben sehen möchte, ist es sehrerklärlich, daß auch unser„allverehrter" Herr Oberbürgermeisternichts Eiligeres zu thun hatte, als schleunigst nach Dresden zudampfen und sich dem Grafen Solms vorstellen zu lassen. Diesemgegenüber erklärte er nun, daß die Gemeinde Leipzig es sich zur«hre rechnen werde, die Vertreter der Mächte beherbergen zu»m'Lt' sie Alles ausbieten werde, um dieselben würdig zuÜ?a Ien a tD- u- f- w. Groß war das Erstaunen des Grafen,a er ocn Herrn Oberbürgermeister von ihm ganz unbekanntenDingen reden hörte, noch größer war aber die Verdutztheit desLetzteren, als erfuhr, daß der Graf weder von einem Tele-einem Congresse, der in Leipzig tagen sollte,etwaS wisse. � Beide Herren machten unbeschreiblich perplexe Ge-sichter, bis sich das Räthsel löste und man darauf kam, daßder-- erste April und der Herr Oberbürgermeister einemSpaßvogel auf den Leim gegangen sei. Herr Dr. Georgi soll,wie wir aus sicherer Quelle wissen, sehr mißmuthig und ver-drießlich nach Hause gekommen sein. Der schöne Traum von„Leipzig als Weltstadt" war�schmählich zerronnen. Ob der Bür-germeister von Buxtehude, schöppenstädt, Schilda, Krähwinkel,Trippstrill oder einem ähnlichen Neste wohl nach Dresden ge-dampft wäre, wenn ihm ein Spaßvogel die Abhaltung deS Con-gresses in seiner resp. Baterstadt in Aussicht gestellt hätte? Wirzweifeln daran. Was in schöppenstädt und Schilda nicht mög-lich wäre, ist in Leipzig passirt; das macht der Weltstadtwahn!Bismarck's Geburtstag wird unserem Herrn Oberbürgermeistergewiß in Erinnerung bleiben. Bon Seite der Behörden sollman bemüht sein, dem Urheber des Schabernacks auf die„Spur"zu kommen, was wohl vergebliche Liebesmüh' sein wird,! Franzosen" die deutschen Besucher mit Brutalitäten regalirenwürden, haben die Geheimräthe Wehrenpfcnnig und Lüders, wiedie„Kölnische Zeitung" erzählt, die nach Frankreich gereist sind,um die dorttgen technischen Unternchtsanstalten zu besichtigen,sich in Paris überall der freundlichsten und zuvor-kommendsten Aufnahme zu erfreuen gehabt und sindnach Lyon gereist, wo schon mehr als eine Einladung ihrer wartet.Dir dummen Befürchtungen der deutschen Chauvinisten treffenalso nicht ein. Denn wenn ein Wehrcnpfennig, dieser allbe-kannte Franzosenfresscr, von den Franzosen zuvorkommend undfreundlich aufgenommen wird, dann wird es auch jeder andereDeutsche. Der angegebene Hauptgrund der Nichtbeschickung derPariser Weltausstellung durch das Deutsche Reich fällt also fort,es bleibt nur noch der zweite eigentliche Grund übrig, das Ge-fühl der industriellen Impotenz.— Unsere Pariser Brüder fangen an, wieder aufzuath-men. Die schwächliche Haltung der Auch-Republikaner treibt dieArbeiter wieder in Masse der Sozialdemokratie zu. Deshalbertönt auch die Sprache der sozialistischen Blätter wieder scharfwie Schwertesblitzen. Nach einem verlornen Strike schreibt zumBeispiel die„Commune Affranchie":„Sollen wir darum verzweifeln und die Büchse ins Kornwerfen! Nein, nein, tausendmal nein! Erinnern wir uns, daßim April 1792 Marat aus Muthlofigkeit nahe daran war, diePartte verloren zu geben, und daß ihn schon vier Monate späterdie Ereignisse eines Anderen belehrten. Dieses Beispiel maguns stärken und verhindern, Marat in seinem flüchtigen Irr-thum nachzuahmen. Der Kelch der Enttäuschungen des Volkes,der schon so oft voll war, droht aufs Neue überzulaufen. Diezahlreichen Arbeitseinstellungen, die aller Orten ausbrechen, diedumpfen Zuckungen, von welchen die Pfeiler der Gesellschaft er-griffen sind, die verzweifelten und längst gebrandmarkten Mittel,zu denen sich die conservativen Ulttas verurtheilt sehm, sindeben so viele Anzeichen und Ultimaten. Sie mögen sich nur inAcht nehmen, unsere„leitenden Klassen". Sie mögen sich inAcht nehmen, daß die nach so vielen unfruchtbaren Rückforderungen, so viel umsonst verspritzlem Blute aufs Aeußerste ge-triebenen Proletarier sich nicht am Ende gegen sie ausbäumen!Sie mögen sich in Acht nehmen, daß die Enterbten, für welchenach den Malthusianern kein Platz am Gastmahl des Lebens ist,nicht schließlich gebieterisch fordern, was man ihnen verweigert!"Der dicke Gambetta soll, als er vorstehendes gelesen hat, inOhnmacht gefallen sein.— An dem Börsenhimmel hängen wieder die Frie-densbaßgeigen. Rußland hat offenbar Angst und sucht einenAusweg aus der Sackgasse.-Daran kein Zweifel. Ob es gelingenwird, ist freilich die Frage. Die englische Regierung hat Alles„klar zum Gefecht": Volk und Parlament für sich, die Oppo-fition platt an die Wand gedrückt; sie wird die Chancen nichtaus der Hand geben. Daß die russische Regierung das Un-günstige ihrer Position begreift, erhellt aus der plötzlichen Mildegegen die russischen Sozialisten und den gesteigerten Unter-drückungsmaßregeln gegen die Polen. In dem neuesten Sozia-listenprozeß sind fast alle Angeklagten freigesprochen worden;u. A. auch Fräulein Vera Sassulitsch(das ist der richtigeName)— die junge Russin, welche vor Kurzem auf den Polizei-general Trepoff geschossen. Desto ärger wird in Polen gehaust.Die Verhaftungen mehren sich dort. In Warschau provozirtedie Polizei dieser Tage einen Krawall mit Studenten, an demdas Volt sich betheiligte und der ziemlich ernsthafte Dimensionenannahm. Man will augenscheinlich einen Aufstand provoziren,um— deutsche Schutztruppen an die Grenze, vielleicht alsSicherheitspolizei in's Land zu bekommen. Charakteristisch ist,daß bei diesen Warschauer Lorgängen der Panslavismusals Regierungshebel herhalten mußte. Wir werden Näheresdarüber bringen.Zu unserer Notiz in voriger Nummer d. Bl. über dieVerurtheilung Marbach's zu«nem Jahre Gefängniß Seitensdes Halleschen Gerichts wollen wir heute noch nachtragen, daßSchritte gethau worden find, die die Rückgängigmachung desUrtheils und eine Wiederaufnahme des Prozeßverfahrens be-zwecken.— Pariser Weltausstellung. Es hat sich in Paris einComitö geb.ldet, welches sich zur Aufgabe macht, auswärtigeSozialisten, ohne Unterschied der Nationalität, die die Weltaus-stellung besuchen, mit Rath und That zu unterstützen.Der Sitz des Comitös ist bei Herrn Gastwirth Braun, Unsäe la Bastille 2, Paris. Alle Anfragen und Anmeldungen sindfrankirt an Herrn Braun zu adressiren und können sich dabeidie Gesinnungsgenossen der verschiedenen Nationalttäten ihrerresp. Muttersprache bedienen.Mitglieder des Comitös werden vom 1. Mai an jeden Abendvon 8 Uhr ab im vorerwähnten Lokale anwesend sein und imLaufe des Tages eingetroffenen Parteigenossen Wohnung undKostgelegenheit nachweisen; ebenso wird das Comitö gemeinsameBesuche der Ausstellung organisiren.Um über Fachfragen spezielle Auskunft ertheilen zu können,sind im Comitö zahlreiche Professionen vertreten, U.A.: Tischler,Goldarbeiter, Bildhauer, Lederarbeiter, Schneider, Schuhmacher.Tapezierer, Maler, Uhrmacher, Mechaniker, Photographen:c.Auf mehrfache Anfragen theilen wir mit, daß der Preis fürbescheidene Logis 1 bis 2 Frcs. täglich beträgt.Man bittet die Besucher, sich mindestens acht Tage vor ihrerAnkunft anzumelden.Den Anmeldungen ist eine schriftliche Empfehlung eines derbekannteren Parteigenossen oder eines Arbesterblattes beizufügen.CorrespondenzeuLeipzig, 11. April. Mit der Freiheit der Wissenschaft istes im„einigen deutschen Vaterlande" nirgends so traurig bestellt,als in dem„aufgeklärten" Sachsen, in welchem sich die schwärzestepfäffischste Reaktion breit macht. Leipzig, die„Universitätsstadt",der„Mittelpunkt des geistigen Lebens", hat sich den traurigenRuhm errungen, unter allen sächsischen Städten die reaktionärstenMaßregeln gegen Vertreter der Wissenschaft in Anwendung ge-bracht zu haben. Dr. Dulk aus Stuttgart wollte im Laufe dervorigen Woche einige Vorträge über die„Ungöttlichkeit Jesu",über die Nothwendigkeit des Austritts aus der Kirche und d-rgl.halten. Es ist zu erwähnen, daß Dr. Dulk derartige Vorträgein Württemberg, Preußen*) und anderen deutschen„Vaterländern"*) Hierzu ist zu erwähnen, daß Dr. Dulk von der Berliner Polizeiwegen„groben Unfugs", begangen durch die Aufforderung zum Aus-tritt aus der Landeskirche, zu 15 Mark Geldstrafe verurtheilt worden ist.Red. d.„B."iunbehindert halten konnte, ohne von der Polizei belästigt zuwerden. Der Berliner Staatsanwalt Tessendorf, welcher fürd:n„lieben Gott" gewiß Partei nimmt, wo er dessen Sache ge-sährdet wähnt, wie der Pfaffenbeleidigungs- und Gotteslästerungs-Prozeß, welcher gegen den Reichstagsabgeordneten Most ange-strengt ist, zur Genüge beweist, konnte an den in Berlin ge-haltenen Vorträgen des Dr. Dulk selbst durch die schärfstePolizeibrille nichts Gefährliches,„Gotteslästerliches" oder gar„Staatsgefährliches" erblicken. Anders dachte der ehemaligeDemokrat und Freigeist, jetziger wohlbestallter Leipziger Polizei-direktor Dr. Rüder. Von Polizeiwegen ließ er die Abhaltungder Borträge einfach verbieten. Dr. Dulk begab sich zum Polizei-direktor. um Auskunft über die Veranlassung dieser unbezreif-lichen Polizeimaßregeln zu verlangen, wurde aber, da HerrRüder erklärte, sich auf eine Diskussion nicht einlassen zu wollen,an den Kreishauptmann verwiesen. Dr. Dulk verfügte sich zudiesem Herrn, von welchem er belehrt wurde, daß die Auf-forderung zum Austritt aus der Kirche ungesetzlich sei. Auchder Herr Kreishauptmann wollte sich auf eine Diskussion nichteinlassen und Dr. Dulk wurde wieder an den Polizeidirekrorverwiesen. Dieser Herr, der seinerzeit, was nicht oft genugwiederholt werden kann, für„Freiheit" und„Recht" eintrat, ließdm sein Recht suchenden Dr. Dult durch den Kanzleidiener au»der Kanzlei hinausspediren!! Der Beschwerdeweg wurde betretenund ist oer Erfolg abzuwarten. Es giebt doch nichts Herrlicheres,als die„Einheit des deutschen Reiches"! Was in einem Theiledieses„Einheitsstaates" erlaubt ist, kann in einem andern Winkelvon einem kirchenfreundlichen, fromm gewordenen Polizeidirektorohne Weiteres und ohne jede gesetzliche Begründung verbotenwerden. Ein derartiges Vorgehen ist unzw nfelhaft ein unbegreif-liches. Der Austritt aus der Kirche ist gesetzlich gestattet, esbesteht ein eigenes Dissidentengesetz, welches die Rechte der„Gottlosen" wahren soll, und trotzdem und alledem soll die Auf-forderung zum Austritt aus der Kirche verboten sein! DieSbegreife wer kann! In Rußland oder allenfalls auch in Mecklen-bürg, den Eldorados des Absolutismus, könnte man es begreiflichfinden, wenn ein sei» Recht Suchenver per Amtsdieuer zurThüre hinausbefördert werden würde. In einem„constitutio-nellen" Staate, wo es keine„Unterthanen", sondern„Staats-bürger" geben und der Beamte der Diener des Staates, ergoder Gesammtheit sein soll, ist ein solches Polizeioorgehen derrichtige Gradmesser zur Beurtheilnng der so sehr gerühmtenFreiheit. Dr. Rüder kann stolz auf diese seine That herab-blicken, er hat durch dieselbe den Unglauben mit Stumpf undStiel ausgerottet und seinen Freunden, den Priestern, unzählige„Seelen" gerettet. Wäre er römisch-katholisch, so würde erunfehlbar unter die Heiligen versetzt. F— 1.Leipzig, 12. April. In dem bis auf den letzten Winkel be-setzten Saale der„Tonhalle" referirte in der gestrigen Volks-Versammlung der Reichstagsabgeordnete Hasenclever über diegegenwärtige Session des Reichstags. Redner unterzog dasRückenkrümmen und die geradezu unmoralische Nachgiebigkeit derMehrzahl der Reichsboten einer vernichtenden Kritik. Der Begriffder Großartigkeit, der im deutschen Volke bezüglich der Volks-Vertretung herrsche, sei völlig falsch. Zwar sollte der Reichstag,als die Vertretung des gesammten Volkes, geachtet dastehen, erwürde und müßte auch geachtet werden, wenn derselbe aus Män-nern bestände, die sich Achtung zu verschaffen wüßten. Dies seiaber nicht der Fall, und der Reichstag trage selbst die Schuld,wenn er im Volte kein Vertrauen erwecken, sich nach„Oben"keine Achtung erwerben könne. Während seiner zwölfjährigenThätigkeit sei der Reichstag nur der Regierung zu Willen ge-wesen, habe zu Allem, was diese wolle, seine Zustimmung ge-geben. Ihre Ohnmacht habe die Reichsvertretung auf das Ekla-tantoste bei der Diätenfrage bewiesen. Sieben- bis achtmal seivon derselben der Beschluß gefaßt worden, die Diäten einzuführen,und ebenso oft sei dieser Beschluß vom Bundesrathe abgewiesenworden. Nicht eine einzige energische That habe hiergegen dasParlament gethan; der Gegendruck hätte so leicht durch die Ver-Weigerung des Budgets geleistet werden können. Ein Theil derSchuld, daß die Volksvertretung eine so traurige Rolle spielenkönne, falle aber auch auf das Volk. Ein Volk verdiene nichtbesser regiert zu werden, als es regiert sein wolle. Wenn nichtlauter Jasager gewählt, wenn Männer mit steifem Nacken undunbeugsamem Muthe in die Volksvertretung geschickt würden,so würde auch letztere sich Achtung zu verschaffen wissen. Rednerschildert hierauf das Vorgehen und Benehmen der Rcichsbotenunliebsamen Rednern gegenüber und führt einige Beispiele an,wie Oppositionsmänner ausgelacht und niedergebrüllt(Ewald undDeutsch) worden seien. Des permanenten Schlußantragfabrikan-ten,„Volksvertreter" Valentin, welcher während seiner mehr-jährigen Wirksamkeit als Reichsbote außer den verhängnißvollenWorten:„Ich beantrage Schluß der Debatte", noch kein Wortgesprochen, wurde auch, wenn auch nicht rühmend, erwähnt.Redner erwähnt ferner, daß sogar am Bundesrathstische, anwelchem die Vertreter der Regierungen zu sitzen pflegen, seitlängerer Zeit nur mehr ganz untergeordnete Personen wahrzu-nehmen seien, welche beauftragt find, etwelche Fragen der Volks-Vertretung zu beantworten. Bismarck selbst scheine eine Ab-neigung gegen diese Gesellschaft zu haben und komme nur, wenner seinen Willen durchsetzen, wenn er etwas durchdrücken wolle.Mit der Krankheit des Reichskanzlers, welche zum Borwand fürsein Ausbleiben dient, scheine es doch nicht so weit her zu sein,denn an den parlamentarischen Bierabenden, an welchen dieHerren Volksvertreter bei„Reichskanzlers" eingeladen sind, seiderselbe ein sehr fideler Wirth. Redner bespricht die Orient-debatte und weist nach, daß trotz des Gelächters, welches die„Liberalen" während der Rede Liebknecht's verübten, dieser dochRecht gehabt habe, und daß die seitherigen Ereignisse lehrten,daß er die Lage der Dinge besser zu beurtheilen wußte, als selbstder Kanzler des deutschen Reiches, welcher bis längstens 15. Märzden Congreß in sichere Aussicht stellte, während jetzt, MitteApril, vom Congreß keine Rede mehr sei. wohl aber der Kriegvor der Thüre stehe. Auf die Steuervorlagen übergehend, er-klärt sich Redner gegen jede neue und ganz besonders gegen jedeindirekte Steuer. Die„Liberalen" sehen wohl ein, daß„gespart"werden müsse, sie wollen aber nicht sparen, wo gespart werdenkönne, beim Militäretat, sondern machen da und dort unbe-deutende, kleinliche Abstriche im Etat. In den Reihen der„Liberalen" erhoffe man Alles vom Kronprinzen. Derselbewerde, nach Ansicht der„Liberalen", die zweijährige Dienstzeiteinführen und verschiedene andere Freiheiten gewähren. Rednerweist aus der Geschichte nach, daß derartige Hoffnungen auf„liberale Kronprinzen" oft gehegt, aber immer„zu Schanden ge-worden seien". Wenn rn den Parlamenten Männer wären, dieunerschrocken für die Freiheit einstehen und immer drängen undfordern würden, so würden schließlich auch die herrschenden Ge-walten nachgeben und dem Volke die verlangten Freiheiten ge-währen müssen. Scharf und gerecht geht Redner mit den Fort-schrittlern ins Gericht und hält ihnen, von öfteren Bravorufender Anwesenden unterbrochen, ihre politischen Sünden und ihreErbärmlichkeit, die mitunter in Gemeinheit ausartete, vor. Ganz