an. Sie befürchten nämlich, daß eine conservatioe Regierung dieLiberalen " mit denselben Polizeiliebensmürdigkeiteu be- glücken könnte, denen bis jetzt blas dieReichsfeinde" ausgesetzt waren, daß man das Vereins- und Versammlungsrecht nicht nur diesen, sondern auch ihnen beschneiden könnte, und erinnern sich deshalb der so oft und so schnöde verleugneten Rechte des Volkes. Alle diese Erwägungen mögen die Redaktion derMagde- burgischen Zeitung" bestimmt haben, unter obiger Ueberschrift einen Artikel zu veröffentlichen, den wir unter Hinweglassung einiger nebensächlicher Stellen hier wiedergeben. Nachdem der vor Kurzem in Berlin aufgelösten Arbeiter- Versammlungen Erwähnung gethan und von einem Versuche, eine politische Partei mundtodt zu machen, gewarnt worden, schreib! das Blatt: Der Erfahrungssatz, meinen wir, stände heute fest: Die Polizei wird die Sozialdemokratie nicht aus der Welt schaffen; der Schutzmannist der Mann noch nicht, den Teufel fest zu halten." Dieser Erfahrungssatz scheint aber noch nicht lange festzustehen", weil dieliberale" Partei bisher alle gegen uns gerichteten Polizeimaßregeln gatgeheißen hat., Die Geschichte der andern Staaten," fährt dieMagdeburg . Zeitung" fort,weist Beispiele genug auf, daß schließlich weder die Regierung, noch die besitzenden Klassen es der Polizei ge- dankt haben, wenn sie in erster Linie sich berufen glaubt, um den Staat und seine Institutionen, um alle diese letzteren be- treffenden Handlungen, durch die eine Schädigung des Staates befürchtet wird, präventiv besorgt zu sein. Ueberall, wo man das Volk durch Plackereien und Hemmungen in der freien Hand- habung seiner Rechte, ganz gleichgültig, ob es sich um das Verbot von Versammlungen, um das Äcreinsrecht, Maßregelungen der Presse, Conzessionsentziehungen, Ausweisungen:c. handelte, be- einträchtigt hat, da hat die Erfahrung bewiesen, daß dieser Ein- griff der Polizei, weit entfernt seinen Zweck zu erreichen, die Gegner der bestehenden Ordnung nur vermehrt. Eine Regierung so lehrt die Volkswirthschaft, welche dem Publikum durch die Polizei den Mund stopfen zu müssen glaubt, fügt sich zweierlei Nachtheil zu: sie entzieht sich das wirksamste Mittel, um Gebrechen, deren Heilung zum Besten des Staates nothwcndig find, zu erfahren, und verdammt ihre eigenen Anhänger zum Stillschweigen, weil Niemand deren Worten mehr Gewicht beilegt, wenn der Opposition der Mund gestopft ist, oder weil Viele derselben es schon aus Generosität verschmähen, mit dem gefesselten Gegner zu kämpfen. Die Wissenschaft warnt davor, daß dem Individuum oder dem Publikum von vornherein der Gebrauch seiner Freiheit untersagt werde, ehe man sich durch den Augenschein, durch getroffene Borbereitungen überzeugt hat, daß aus jenem Gebrauch der Freiheit ganz bestimmt eine Ber- letzung des Rechtes, des Eigenthums, der Person, der Moral, der Gesundheit u. s. w. hervorgehen werde. Alles das find politische Lehren, die nicht für die Sozialdemokratie, sondern für alle politischen Parteien, für das Bürgerthum ge- schrieben find. Was nun die Sozialdemokratie im Allgemeinen anbetrifft, so hat die staatsfreundliche Publizistik schon vielfach darauf hingewiesen, daß weder die äußerste Strenge der Gerichte, noch die schärfften Maßregeln der Polizeibehörden, am aller- wenigsten vexatorische, im Stande sind, die Sozialdemokratie zu unterdrücken. Daß bisher die Staatsbehörde, insbesondere die -ömmer Staatsanwaltschaft, den Ausschreitungen und Gesetz- Widrigkeiten der Sozialdemokraten mit aller Energie entgegen- getreten ist, verdient in hohem Grade Anerkennung, allein die Sozialdemokratie zu verhindern, von allen den Mitteln Ge- brauch zu machen, wozu sie Recht und Gesetz ermächtigen, wäre die größte politische Thorheit. Haben die Sozialdemokraten den Stein der Weisen gefunden und befitzen sie das Arcanum, die Welt glücklich und selig zu wachen, so lasse man sie innerhalb gesetzlicher Bahnen frei sich bewegen. Gerade dadurch wird ihrer Ausbreitung der beste Damm gezogen und zuerst vom Volk er- kannt werden, daß die Theorie vom Zukunftsstaat uud der all- gemeinen Gleichheit und Glückseligkeit blauer Dunst ist." Zum Schlüsse des Artikels heißt es dann:Die Sozial- demokratie wird erst im Wachsthum aufgehalten werden, wenn Alle an der Besserung der Zustände der unteren Volksklassen, und zwar je größer ihre geistige und materielle Kraft ist, in um so höherem Grade mitwirken werden." DieS der Artikel derMagdcburgischen Zeitung". Wir wollen nur erwähnen, daß dieLlberalen" am wenigsten berechtigt find, sich als die Verfechter der Freiheit aufzuspielen, weil sie stets bereit waren, die Rechte des Voltes zu verkümmern, weit sie jeder Gewaltmaßregel zustimmten und sich als die gefügigsten Handlanger der Polizei- und Gewaltherrschaft erwiesen haben. Ganz besonders aber können die Sozialdemokraten auf die Freund schast der sogenanntenLiberalen " verzichten, weil sie, wie sie es bisher gethan, auch künftigbin für ihr Recht selbst einzustehen im Stande find. Nicht das Recht des Voltes ist es, was die Liberalen " zur Opposition gegen die Polizeimaßregeln antreibt, sondern die Furcht vor etwaigen Maßregeln, die gegen ihre «igene Partei angewendet werden köunten. Die Anerkennung, welche den Behörden und Staatsanwaltschaften für ihr Borgehen gegen die Sozialdemokratie und für die Energie, mit welcher sie zu Werke gehen, gezollt wird, ist der schlagendste Beweis dafür, wie wenig ernst eS den Liberale« mit ihren Dekla- mationen ist. Correspondenzen ». Wien . Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen zur Ab- wechselung wieder einmal einige Polizeistückchen aus unserem in dreier Hinficht wohl bereits rühmlichst bekanntenGroßstaate" Oesterreich melde Die Polizeistückchen find zwar, im Grunde genommen, gegenüber den schon öfters in Szene gesetztenStaats- «ttungen en groa ziemlich harmloser Natur, dennoch aber charakterlstisch für den stetigen Fortschritt, welchen unsere mit der Ueberwachung der staatsgrundgesetzlich gewährleisteten Frei- chen" �khörden in der Einschränkung dieser Rechte Beginnen wir zuerst mit dem Vereins- und Bersammlungs- recht. Wie es mit diesem bei uns aussteht, habe ich schon öfters Gelegenheit gehabt, zu berichten. Bor langer, langer Zeit hat vr. Kronawetter einen Antrag auf Revision desselben im Ab- geordnetenhause eingebracht, dieser Antrag wurde einem Aus- fchusse überwiesen und war damit die Sache anscheinend erledigt, denn dieser Ausschuß hat trotz wiederholter Jnter- dellationen noch immer nicht Bericht erstattet, ja sogar, wie ich �stimmt weiß, seit Jahr und Tag keine Sitzung abgehalten. immer, zeigen sich auch hier wieder unsere Liberalen, wo gilt, rare Bolksrechte zu schützen, in ihrer ganzen reaktionären Gestalt und müssen sich sogar von den Nationalkleritalen be- lchämen lassen. Diese, welche unter dem gegenwärtigenfrei- heitlichen" Regime auch nicht wenig zu leiden haben, brachten Antrag ein, behufs Untersuchung der Handhabung des Vereins-, Bersammlungs- und Preßgesetzes durch das Ministerium Lasser, genannt Auersperg, einen Ausschuß einzusetzen, wurden aber hierin nur von den Polen und von der äußersten Linken (den 5 Wiener Demokraten und dem Abgeordneten Schönerer ) unterstützt. Die Liberalen in allen ihren Fraktionen stimmten ,den Antrag nieder und einer dieser respektablen Herren, der Abgeordnete Nitsche, verstieg sich sogar zu der colossal dummen Behauptung, daß durch einen solchen Ausschuß ein Consent(!) im Hause geschaffen würde. Wenn man sich vor Augen hält, daß es fast durchgehends Ultramontane und Feudale waren, welche den Antrag unterstützten, wird man die ganze Lächerlich- keit dieses geflügelten Wortes erst einsehen. Mit 125 gegen 63 Stimmen wurde der Antrag abgelehnt; dieses Votum fällt umsomehr in's Gewicht, als Minister Lasser das Haus förmlich herausforderte und erklärte, er werbe sich nicht von seinem Wege abbringen lassen, er sei unverbesserlich, das Volt, das besitzende Volk und(setzte er nach einer Pause, gleichsam sich besinnend und corrigirend, bei) das erwerbende, das arbeitende Volk wolle Ruhe haben. Baron Lasser kennt jedenfalls seine Leute und weiß, was er ihnen bieten kann. Jedes Parlament der Welt, das einigermaßen auf seine Würde hält, hätte gerade in Folge dieser Herausforderung, wenn es auch sonst nicht mit dem An- trag einverstanden gewesen wäre, denselben annehme« müssen; unsere Liberalen aber, die, mit den Worten des Abgeordneten Schönerer zu reden,kein Vereins- und Versammlungsrecht brauchen, weil sie Alles thun, was die Regierung wünscht," diese beschließen: oas Volk will Ruhe haben Ruhe ist die erste Bürgerpflicht! Kann es nach einem solchen Vorgange Wunder nehmen, wenn die Polizeiorgane in der Beschneidung unserer wenigen kümmerlichen Rechte täglich ungenirter vorgehen? So sehen wir auch die Bereinsauflösungen in schönster Blüthe: nach der Schuhmacher-Gewerkschaft kam der politischeallgemeine öfter- reichische Arbeiterverein" an die Reihe. Um Motive zu solchen Gewaltstreichen ist man nicht verlegen es genügt, daß der Verein sozialdemokratische Gesinnungen zum Ausdruck bringt, damit hat erdie Bedingungen seines rechtlichen Bestandes überschritten"(die löblichen Behörden scheinen nicht zu ahnen, daß sie mit dieser Phrase ausdrücklich aussprechen, daß die Sozialdemokratie rechtlos ist armes Staatsgrundgesetz, wie spnngt man mit dir um!) der Rest ist§ 6.-- Alle Bemühungen, seither wieder einen politischen Berein ins Leben zu rufen, blieben resultatlos. Zwar hat einmal das Reichsgericht den Ausspruch gethan, daß dieStaatsgefährlichkeit" eines Vereines erst aus dessen Handlungen und Beschlüssen ge- folgert werden könne aber was kümmert sich bei uns Re- gierung und Polizei um Gerichtsbeschlüsse sie verbietet unsere Bereine» priori alsstaatsgefährlich" und damit bast»! Ebenso geht's mit den Volksversammlungen: sie werden ver- boten oder erlaubt, aufgelöst oder nicht aufgelöst, je nachdem es in dem hochweisen Belieben der für die Sicherheit des Staates so sehr besorgten Behörde steht. Selbst freie Schuster-, freie Maurer- Versammlungen können mitunter dem Staate gefährlich werden und deshalb thut man sehr klug daran, sie bei Zeiten zu verbieten, wenn man eine derartige Gefahr wittert. Trotz- dem nun nach dem Vorhergesagten das Versammlungsrecht voll- ständiger Willkür preisgegeben ist, verlieren unsere G-nossen doch nicht die Geduld, und obwohl jedes derartige Verbot die ge- machten Auslagen sür Stempel, Anzeigen u. f. w. als hinaus- geworfen erscheinen läßt, wird doch eine Versammlung nach der andern einberufen dann und wann glückt deren Abhaltung doch, und wenn nicht, so können auch die Verbote recht auf- klärend wirken auf so manche naive Gemüther, die da wähnen, in einemRechtsstaate " zu leben. Neulich(23. März) fand endlich nach langer Pause wieder eine Volksversammlung mit der übrigens bereits mehrmals un- tersagten Tagesordnung:Der Entwurf einer neuen Gewerbe- ordnung" statt. Dieselbe lief so ziemlich glatt ab; als jedoch ein Redner meinte, die Arbeiter mögen lieber statt Arbeiter- kammern das allgemeine Wahlrecht verlangen, wurde ihm vom überwachenden Polizeikommissär das Wort entzogen. Bierzehn Tage später hatten wir das allgemeine Wahlrecht auf der Tagesordnung einer Volksversammlung. Ein Redner cittrte den Abgeordneten Schönerer , welcher das allgemeine Wahlrecht als eine Lebensfrage für den Bestand des Staates bezeichnet hatte, und knüpfte an diesen Ausspruch die Schluß- folgerung: Diejenigen also, die das allgemeine Wahlrecht ver- langen, wollen den Staat erhalten, und Die, welche es ver- weigern, werden ihn zerstören, Facit: Auflösung der Ber- samnilung wegenaufreizender Reden". Die gleiche Wirthschaft herrscht auch in den Vereinen, natür- lich den Arbeitervereinen, denn die Vereine der liberalen Bour- geoisie werden ungeschoren gelassen. Jeder wissenschaftliche Vor- trag muß bei der Polizei angezeigt werden und wird auch mit der Anwesenheit eines k. k. Polizeikommissärs beehrt, und da diese Herren bekanntlich die Wissenschast mit dem großen Löffel zu steh genommen haben, so verstehen sie Alles besser als der Bortragende, und lassen es an Unterbrechungen nicht fehlen. Ein Prachtexemplar dieser Sorte ist z. B. der Commissär des 6. Bezirks, ein gewisser Reif(wir halten den Herrn reif für eine andere staatliche Versorgungsanstalt), der in dem löblichen Bemühen, aus seiner gewohnten Lebensweise nicht heraus- und noch vor der Thorsperre nach Hause zu kommen, die Borträge nach Möglichkeit abzukürzen sucht. Einmal gehört das philo- sophische System Rousseau's nicht in die Culturgeschichte ein andermal die Frauen- und Kinderarbeit nicht in die Nattonal- ökonomie u. s. w., damit wird manches Viertelstündchen ge- Wonnen. Zu seiner Entschuldigung wollen wir gestehen, daß er uns wirklich ein Bedürfmß«ach Ruhe zu haben schien, denn nach Beendigung deS letzterwähnten Vortrags blieb er noch fünf Minuten schlafend beim Tische sitzen. Als Curiosum mag erwähnt werden, daß nicht nur die Bereine, sondern auch die Polizeibehörden selbst überwacht werden. So kamen unlängst in das Lokal des Arbeiterbildungs- Vereins zu Atzgersdorf zwei Gendarmen, um nachzusehen, ob Jemand von der Gemeinde die stattfindende Monatsversammlung überwache! Es fehlt jetzt blos noch, daß man auch zur Ueber- wachung der Gendarmen Jemand bestimme. DiePreßfreiheit " blüht nach wie vor; nach wie vor bringt fast jede Nummer der amtlichenWiener Zeitung " ein langes Verzeichniß der nach dem beliebtenobjektiven Verfahren" ge- maßregelten Zeitungen. Unser junges Parteiblatt, dieSozial- politisch- Rundschau" ist seit ihrem viermonatlichen Bestände noch nicht einmal in erster Auflage erschienen; jedesmal wurde sie confiszirt, Nr. 2 sogar dreimal, so oaß eine vierte Auflage veranstaltet werde« mußte! Auch derSozialist" kann sich über Vernachlässigung von Seite des-Staatsanwalts nicht beklage» fast jede zweite, dritte Nummer verfällt seinen staatsrette tischen Händen und da man hofft, daß die Wiener Bourgeois-Geschwo- renen sich eher zu einer Verurtheilung herbeilassen werden, als die bäuerlichen Geschworenen von W>ener-Neustadt, so versucht man es zur Abwechslung auch einmal mit subjektiven Anklagen, von denen dieGleichheit" durch die ganze lange Zeit fihres Bestehens verschont geblieben war. Der verantwortliche Redak- teur desSozialist", Johann Schwarzinger, hat bereits zwei Anklagen wegen diverser durch die Presse begangenerBer- brechen" undBergehen" und dürfte im Laufe des Monats Mai vor die Geschworenen kommen. Augenscheinlich ist es aber dem hochgebornen Herrn Staatsanwalt weniger um die Perso« Schwarzingers, sondern vielmehr um die Caution des Blattes zu thun. Bei einer eventuellen Verurtheilung könnte nämlich auch ein Cautionsverlust ausgesprochen werden, der binnen acht Tagen ersetzt werden müßte, widrigenfalls das Blatt als Wochen- blatt aufhören und höchstens monatlich zweimal erscheinen könnte; und da unsere Partei eben, wie allbekannt, eine arme Partei ist, hofft Graf Lamezan durch solche Manipulation am ehesten das verhaßte Sozialistenblatt unterdrücken zu können. Noch einen andern Kniff versuchen jetzt die Herren von der Staatsanwaltschaft; etwas mißmuthig darüber, daß sich die so- zialdemokcatischen Blätter durch die fortwährendenobjektiven" Confiscationcn nicht mürbe machen lassen, sonder» stets unter Hinweglassung des beanstandeten Aufsatzes eine zweite Auflage veranstalten, wodurch die Parteigenossen, wenn auch spät, aber doch zu ihrem Blatt kommen beginnt man jetzt damit, bei einer Confiscation auch die Druckformen zu versiegeln und so die Veranstaltung einer zweiten Auflage zu verhindern. Das ist zwar im Gesetz- nirgends begründet, aber die Polizei thut es und was die thut, das ist recht. Daß durch öftere Wieder- holung einer derartigen Praxis auch die besteingerichtete Druckerei bald an Schriftmangel leiden muß, da diese Versiegelung oft Wochen und Monate lang dauert, ist begreiflich. Daß damit die Reihe der Liebenswürdigkeit gegen unsere freie" Presse noch nicht erschöpft ist, wird nach dem voran- gegangenen Wunder nehmen. So legt man z. B. letzt ein Haupt- gewicht darauf, daß jedes Blatt genau am programmmäßigen Tage erscheint, verzögert sich das Erscheinen wegen unvorher- gesehener Umstände um ein oder zwei Tage, so ist entweder ein gestempeltes und vom Herausgeber, Redakteur und Drucker unter- zeichnetcs Gesuch an Staatsanwaltschaft und Polizeidirektion zu richten oder Strafe! Sie sehen, daß unsere Preßzustänoe den vielberühmten russischen wenig nachstehen. Für heute will ich jedoch die Leser desVorwärts" mit wetteren Belegen über dieFreiheit wie in Oesterreich " verschonen. Aertin, 15. April. DieBrüder in Christo", welche von der profanen WeltChristlich-Soziale" benamset werden, find sich gegenseitig in die Haare gerathen. Die Herren Hofprediger finden es, veranlaßt durch irgend einen uns unbekannten Um- stand, für gut, sich gegenseitig zu bekämpfen. Der Oberhof - Prediger Kögel macht denverehrten Bruder in Christo", den Hofprediger Stöcker, dafür verantwortlich, daß die Arbeiter dem so dick aufgestrichenen christlich-sozialen Leim aus dem Wege gehen und nicht geneigt sind, sich über Hals und Kopf in die Arme derliebevollen Mutter Kirche" zu stürzen, sich vielmehr, durch diehochwurdige" Agitatton veranlaßt, von der Kirche immer mehr entfernen. Die Geistlichen, zumal in Berlin , habe» nach der Ansicht des Oberhofpredigers mehr und Wichtigeres zu thun, als sich mit den bösen, für kirchliche Lehren total unem- pfänglichen Sozialdemokraten herumzubalgen. Dieses Herum- balgen ist allerdings für Jene sehr gefährlich, die stets Federn lassen müssen und so oft sie auf den Kampfplatz treten, jämmer- lich zerzaust werden. Nach der Meinung des Herrn Oberhof - Predigers dürfe der Polittker nur dann mit den Sozialdemo- kraten sich einlassen, wenn er das Zeug dazu habe und denselben erfolgreich führen könne. In einer der letzten Versammlungen der Christlich- Sozialen wurde diese bittere Kritik einer Be- sprechung unterzogen. Zwei Prediger ergingen sich in Lobprei- sungen der Bestrebungen der christlich-sozialen Partei, welche endlich doch über alle Hindernisse den Sieg davontragen müsse. Der bekannte Misfionsdirektor Wangemann erklärte sich als von Gott berufen", die geschmähte Kirche zu vertheidigen. Ihn treffe keine Schuld, wenn er sich im Kampfe alszu dumm" herausgestellt habe. Logischerweise würde für dieDummheit" des Herrn MissionSdirektorsGott ", der ihnberufen" hat, verantwortlich sein; eine billige Manier, sich eigener Unge- schicklichkeit zu entledig-n. Herr Hofprediger Stöcker suchte die Berechtigung seiner Mission durch Citate aus dem alten und neuenTestamente" zu beweisen. Denkende Menschen können freilich keinen Zusammenhang zwischen den 2000 Jahre alten Judengeschichten und der heuttgen Stöckerei finden, dieFrommen" beweisen aus derheiligen" Schrift Alle», was sie eben be- weisen wollen. Schließlich sehnten sich dieehrwürdigen" Herren wieder aus, um, wie betont wurde, der bösen Welt kein Aerger- niß zu geben. Es wird also mit vereinten Kräften fortgestöckert, so lange als sich noch Dumme finden, die geneigt find, sich den salbungsvollen Quatsch anzuhören. Daß die Stöckerei sogar gewissen, jeden Ulk mitmachenden Berlinernzu dumm" wird, beweist der schwache Besuch der Betstunden Pardon! Ber- sammlungen, zu welcher sich in der Regel nur noch jeneDamen " einfinden, welche, da sie auf dieFreuden der Welt" oothge- drungen verzichten müssen, sich nun demhimmlischen Bräutt- gam" zuwenden. Aerti«, 13. April. Am 11. April wurde von den Sozial- demokraten im großen Saale des Handwerkervereins der Ge- burtstag Lassalle's gefeiert. Der Saal wurde von sozialdemo- kratischen Frauen und Mädchen, unter der Leitung der Frau Stägemann, festlich und geschmackvoll dckorirt. Ueber der mit Kränzen geschmückten Rednertribüne befand sich, umgeben von t almzweigen und Topfgewächsen, die Büste Lassalle '». Der aal war mit Guirlanden, Fahnen, Transparenten u. p w. ge­schmückt. Anwesend waren gegen 1200 Personen beiderlec Ge­schlechts. Parteigenosse Finn gab bekannt, daß die Pouzel das Halten der Festrede verboten habe. Zu Beginn des festes wurde von einem kleinen Mädchen ein Gedicht vorgetragen. Gesangs- Vorträge der hiesigen sozialdemokratischen Gesangvereine, Dekla- mationen und Musik Piecen füllten den Abend aus. Dem be- währten Agitator für unsere Sache, dem Staatsanwalt Tessen- dorf, wurde ein stürmischesHoch" dargebracht. Das Fest verlief trotz des polizeilichen Verbotes der Festrede ln der würdigsten "'�Aromverg �10�' April. (Agitationsbericht.) Wie überall, benimmt sich auch hier die Fortschrittspartei den Sozialdemo- traten gegenüber auf die denkbar perfideste Weise. In einer öffentlichen Versammlung des hiesigen Arbeiter-Lesezirkel», in welcher Genosse Hahn über das sozialdemokratische Programm sprach, meldete sich der Fortschreiter Jsak zum Wort und ver- unglimpfte die Arbeiter auf das gemeinste. Dieser würdige Fortschrittsmann schimpfte und lästerte wie ein Marktweib und spie Gift und Galle auf Lassalle ; der Siel in der Fabel rega- lirte den tobten Löwen ja auch mit Fußtritten. Nach Anficht dieses Jsak's hat einzig und allein die Fortschrittspartei Großes geleistet, während die Sozialdemokraten rein Nichts gethan haben. Schulze-Delitzsch , der große Fortschrtttsmann hat mit seinen Spar-Consum-Wirthschafts und sonstigen Bereinen den Leuten viel Erleichterung verschafft, denn sie wurden durch diese Bereise