Sozialpolitische Uebersicht.— Die„deutsche Vermittlung", von der sich dieBismarckanbeter goldene Berge versprachen, hat bis dato zuabsolut keinem Resultat geführt; und diese Resultatlosigkeit istwahrscheinlich gleichbedeutend mit Fiasko. Der„ehrliche Makler"duftete zu sehr nach Juchten, als daß seine Borschläge in Englandnicht dem tiefsten Mißtrauen hätten begegnen müssen. Disraeliist kein Andrassy— er kennt seine Pappenheimer, die Peters-burger und die Berliner, und besteht süvlokartig„auf seinemSchein", das heißt dem Pariser Vertrag, der nur durch dieGesammtheit der betheiligten Mächte abgeschafft werden könne,und will von keinem Congreß etwas wissen, dem nicht der ganzeVertrag von Sankt Stefano zur Berathung und Annahmeoder Verwerfung vorgelegt werde. Das ist der Angelpunktder Krise. Willigt Rußland in das Verlangen Englands, sohat es den Vertrag von St. Stefano geopfert, denn Englandwird denselben me anerkennen. Willigt es nicht ein, dann istder Krieg mit England unvermeidlich. Unter solchen Umständenist den Verhandlungen über Zurückziehung der englischen Flotteeinerseits und der russischen Truppen anderseits absolut keinWerth beizumessen, da, ohne vorheriges Nachgeben Rußlands,der Congreß doch nicht zu Stande kommt.— Inzwischen habendie letzten Tage den Russen, zu anderen unangenehmen Ueber-raschungen, eine neue, recht fatale gebracht, nämlich einen Auf-stand der türkischen Bevölkerung in Bulgarien, der großeDimensionen angenommen hat und die Schwierigkeiten, mitwelchen die Russen auf der Balkaninsel zu kämpfen haben,wesentlich vermehrt. Natürlich fällt es den Türken nicht ein,Varna und Schumla zu räumen, was die Russen täglichdringender fordern; auch Batum halten sie hartnäckig, so daß,falls der Krieg ausbricht, die Engländer sofort in Asien wie inEuropa eine vortreffliche militärische Basis haben.Wahrhaft kläglich ist die Rolle, welche Herrr Andrassy spielt.Heut englisch, morgen russisch— schwankt er rath-, hüls- undkopflos hin und her und macht Oesterreich, das bei einiger Kühn-heit, gepaart mit Verstand, eine unvergleichlich günstige Positionhätte, zum kläglichen Spielzeug der Bismarck-Gortschakoff'schenPolitik. Apropos, die beiden genannten Staatsmänner sind,Tank einer neckischen Laune des Schicksals, gleichzeitig ziemlichernsthast erkrankt: Fürst Bismarck, der seit acht Tagen in Lauen-bürg ist(wo er die Pulverfabriken für russische Rechnung über-wachen wollte), an der„Gürtelrose" und Herr Gortschakoff aneinem rheumatischen Fieber— man sieht, die Russen habenPech.— Alfred Groote, früher Landesgerichtsrath in Düffel-dorf und preußischer Abgeordneter in der Conflictszeit, ist am15. April im Alter von 63 Jahren gestorben. Er war es, derim Jahre 1863 dem Herrn v. Bismarck von der Tribüne desAbgeordnetenhauses das Wort entgegenrief:„Nieder mit diesemMinisterium!" Natürlich blieb er nicht mehr lange Landesge-rich'srath. 1866 stimmte er gegen die Annexionen; 1867 imnorddeutschen Reichstage gegen die Bundesverfassung. Seit jenerZeit betheiligte Groote sich nicht mehr am öffentlichen Leben.— Die Fortschrittspartei, der Groote wenigstens formell angehörte, begräbt seit Waldeck's Tode endlich einmal wieder einenEhrenmann. Groote wurde übrigens von seinen fortschrittlichenParteigenossen, auch von Eugen Richter, ein Sonderling ge-nannt. Wir glauben es gern, daß dieser politische Ehrenmannfür die Duncker'sche Gesellschaft ein Sonderling war.— Der Congreß der Nichtwahlberechtigten Ungarnshat am 21. und 22. April in Pest staltgefundeu. Anwesendwaren 106 Delegirte aus den verschiedensten Städten. DasBureau bestand aus den Herren Dr. Czillag, Frankl, Jhr-linger und Szabo. Die Verhandlungen wurden in deutscherund ungarischer Sprache geführt. Der Congreß beschloß denErlab eines Manifestes an die ungarische Nation. Der Congreßbeschloß ferner die Bildung einer Partei der nichtwahlberechtigtenungarischen Staatsbürger; die Entsendung einer Massendeputationan den Reichstag mußte dagegen unterbleiben, weil die Polizeidie Wahl des Exekutivcomitäs untersagte. Ueber dieses Verbotsoll der Ministerpräsident Tis za interpellirt werden, da es einenEingriff in die Staatsbürgerrechte involvirt. Ein Agitations-fand soll gebildet werden. Abgesehen von einzelnen polizeilichenUebergriffen ist der Congreß also glücklich zu Ende geführt. Esmuß sich nun zeigen, ob die ungarische Regierung dem Verlangender Nichtwahlberechtigten Ungarns nachgeben und das allgemeineWahlrecht einführen wird.Die russischen Siege.Bon A. Bl.(Schluß.)Die russische Regierung dachte bekanntlich, gestützt auf dieBerichte ihres Botschafters in Constantinopel, an ein„rühm-volles" russisches 1866. Und in dieser Eventualität würde derRuhm", der sich über alle Söhne Rußlands, besonders aberüber die in„Kaisers Rock" mit leuchtendem Abglanz verbreitethätte dem Siegesneid nicht erlaubt haben, die alleruntcrthänigstenGardistenherzen zu d-magogisiren. Nun aber erwies sich plötzlichder kranke Mann" nicht kränker als der„nordische Koloß";der türkische„Räuber" zeigte, daß er nicht geneigt war, seinemmoskowitischen Nebenbuhler die Beute leichten Kaufes aus derHand zu geben. Der kaiserlich-russische Mordsnymbus wurdehüben und drüben von seiner ephemeren Höhe rasch heruntergerissen. In Rußland begann es in Folge de„en stark zugähren. und natürlicherweise blieb auch die Garde, welche mitden jämmerlichen Niederlagen ihrer aktiven Kameraden auch dieeigene Ruhmessonne sinken sah, nicht ganz verschont davon. Undnun wußte die R-'aierung nichts Eillgeres zu thun, als.ihr auserlesenes Kanonenfutter*ur Aktion zu berufen und die Ueber-wachung der„Ordnung" den„gewöhnlichen" Truppen anzu-vertrauen. Mit welcher Bangigkeit aber dieser Schritt gethanwurde, beweist das bei dieser Gelegenheit verbreitete Gerücht,daß die Kaiserin deshalb den Winter nicht in Jdem revolutionären) Petersburg, sondern in(dem allerunterthänigst frommen)Kijew zubringen würde.Und in der Tbat, das„Kriegsglück" hat sich seit dem Ein-treffen der kaiserlichen Garde auf dem Kriegsmordplatz zu Gunstender Russen gewendet. Allein man würde sich sehr irren, wennman glauben wollte, daß es die Garde als solche, d. h. als„beste Truppe" Rußlands war, die diese„Glückswendung" herbeiführte. Nein! Jeder, der die Entwickelung des Krieges verfolgthat, weiß, daß die ersten, so überraschend leicht erfochtenenrussischen Siege, wie z. B. der Donau-Uebergang, einzig«ndallein der äußerst nachlässigen Haltung der türkischen Comman-danten zuzuschreiben sind. Von einem gründlich durchdachtenund ernst ausgearbeiteten strategischen Operationsplane der Russen— Aus der französischen„Republik". Dem liberalenOekonomen Bastiat ist in seiner Vaterstadt Mugron ein Denk-mal gesetzt worden. Der„republikanische" Finanzminister LäonSah hielt die Rede bei der Enthüllungsfeier, lobte ihn, daß ergegen Proudhon und die Sozialisten gekämpft habe mit denscharfen Waffen des Geistes, verglich ihn mit Thiers— Beideseien echte„Republikaner" und zugleich Sozialistenhasser ge-wesen, und nannte schließlich Bastiat einen glorreichen Berthe!-diger des Eigenthums. Bekannt ist Bastiat in Deutschland ge-worden, als Schulze- Delitzsch ihn in seinen Kinderfibeln—Pardon: Arbeiterfibeln verballhornt hatte, noch bekannter wurdeer, als Lasialle das Original sowohl, als den Abklatsch desselbenin seinem„Bastiat-Schulze" an den Pranger stellte.— Unddiesen oberflächlichsten aller Nationalökonomen feiert der Finanz-minister der französischen Republik als ein Phänomen auf demGebiete der Sozial- Wissenschaften. Armes Frankreich, das dudir, während man deine besten Söhne hetzt und verfolgt, soetwas bieten lassen mußt! Arme Republik, welche von Reaktiv-nären regiert wird!—„Honnette Republikaner". In Lyon sprach neu-lich der„republikanische" Deputirte Durand über die Amne-stiefrage und sagte u. A.:„Ich wünsche die Amnestie; ichhabe immer für sie gestimmt; ich bebe jedoch vor Besorg-niß, diese Frage wieder vor der Kammer angeregt zu sehen.Voriges Jahr haben 52 Deputirte für die Amnestie gestimmt;vielleicht würden dieses Jahr zehn mehr dafür stimmen; aberdies würde immer noch zu keinem praktischen Resultate führen.Uebrigens ist nur noch eine geringe Anzahl von poli-tischen Deportirten in Neukaledonien. Es ist Hauptfach-lich unsere Pflicht, uns um Jene zu bekümmern, die aus Furchtvor Verfolgungen nicht wagen, nach Frankreich zurückzukehren;für sie ist die Amnestie vor Allem nothwendig____ Im Ganzen,wäre es der Mühe Werth, um zehn Stimmen für die Amnestiezu gewinnen, die Frage in der Kammer wieder auf's Tapet zubringen und vielleicht die Gefahr laufen, die Zahl der Begna-digungen zu vermindern?"— Es ist unmöglich, die Jammer-lichkeit dieser„Republikaner" drastischer zu kennzeichnen, alsdurch obige Worte. Der platonische Amnestie Liebhaber, welcherdie Amnestie„wünscht", aber„vor Besorgniß bebt", die Amne-stiefrage in der Kammer angeregt zu sehen, ist ein klassischerTypus des Bourgeoisrepublikanerthums. Der Sophismus, hinterden er sich flüchtet, durch einen Amnestieantrag werde die Zahlder„Begnadigungen" vermindert, ist ebenso plump als die Lüge,es sei nur noch eine geringe Anzahl von politischen Deportirtenin Neukaledonien. Die„geringe Anzahl" beläuft sich, wie wiraus sicherster Quelle wissen, auf 3400— 3500! Freilich, die„Anzahl" wird täglich„geringer", und wenn die Herren hon-netten Republikaner noch ein paar Jährchen zuwarten, wird sieallerdings so„gering" sein, daß ein Amnestieantaag in derThat, weil gegenstandslos geworden, sich nicht mehr verlohnt.Pfui!— Der große Strike in Lancashire dauert fort. Aufeinem Massenmeeting zu Blackburn, dem Hauptsitze des Strikes,wurde von den Arbeitern beschlossen, bei voller Wochenarbeitden vollen Lohn zu beanspruchen; dagegen bei nur viertägigerArbeit in eine Lohnreduktion von 10 Proz., bei fünftiger Arbeitin eine Reduktion von 5 Proz. zu willigen. Da die Groß-fabrikanten einen Strike wollen, um ihre Vorräthe loszuwerden, die kleinen Fabrikanten bankrout zu machen und dieArbeiter zu Paaren zu treiben, so ist vorläufig an ein Endedieses, die bürgerliche Gesellschaftsordnung so grell beleuchtendenConflstts nicht zu denken.— Unserem Genossen Bebel war von Seiten der Libe-ralen der Vorwurf gemacht worden, daß er sich im Jahre 1869bei den Berathungen der Gewerbeordnungs-Commission, derenMitglied er war, nicht betheiligt habe. Kürzlich war anläßlichder Reichstagsdebatte über das Haftpflichtgesetz dieser Borwurfvon dem„Berliner Tageblatt" erneut erhoben und von der„Berliner Freien Presse" zurückgewiesen worden. Letztere erhieltnun nachstehendes Schreiben von Bebel zur Veröffentlichung:„Allerdings bin ich damals in die Gewerbeordnungs-Commissiongewählt worden, habe auch an einer, möglich auch an zweiSitzungen theilgenommen, war aber alsdann genöthigt, dringenderGeschäfte halber nach Hause zu reisen, und als ich zurückkam,waren die Berathungen der Commission so weit vorgeschritten,daß ich es für zwecklos hielt, mich weiter zu betheil, gen. Ichmuß hierbei ausdrücklich bemerken, daß die Commission nurwar dabei nichts zu merken. Ja, überall hat sich sogar dasGegentheil gezeigt. Statt conzentrisch aus die Hauptangriffs-punkte vorzugehen, verzettelten die Russen ihre Kräfte und führtenden Krieg mit Kosackensotnien„politisch". Trotzdem aber warensie fast überall in der Mehrheit oder überraschten den nachlässigenGegner, so daß die ebenfalls zerstreuten türkischen Abtheilungenimmer tiefer ins Innere retirirten. Jndeß dieses Retiriren desGegners wurde für die Russen verderblich. Die einzelnen Ab-theilungen der türkischen Armee conzentrirten sich rückwärts undals das Obercommando in die Hände energischer Heerführergelegt wurde, ergriffen die nunmehr conzentrirten türkischenArmeen die Offensive— und brachten dem, wenngleich numerischüberlegenen, aber verzettelten und darum schwächeren Gegner inEuropa wie in Asien die jämmerlichsten Niederlagen bei.Die Folge dieser Niederlagen der russischen Aktionsarmeewar eine zweifache. Erstens wurde dadurch dem eitlen, keinenWiderspruch ertragenden Hochmuth der commandirenden Groß-fürsten ein Dämpfer aufgesetzt, so daß nunmehr die faktischenFührer— die Generale— die Leitung in die Hände bekamen,und damit kan, nun die taktische Kriegsführung an Stelle derfrüheren„großfürstlich politischen" an die Tagesordnung. Zwei-tens bewirkte das Retiriren der russischen Armeetheile unwill-kürlich eine Conzentration derselben. Beide Gegner erwiesensich in Folge dessen als gleich starke Ringer; keiner vermochteeine volle Entscheidung herbeizuführen— die Gegner hieltensich lange Zeit gegenseitig in Schach.Diese Zeit benutzte die russische Regierung dazu, Verstärkungenheranzuziehen, welche ihr das Uebergewicht sichern könnten, undberief sie dazu aus oben angeführtem Grunde hauptsächlich dieGarde. Und in der Thät, die Heranziehung der 70—80,000Mann starken Garde bewirkte das Uebergewicht der russischenArmee, welche nunmehr, conzentrirt und unter fachkundigerLeitung eines Loris-Melikow, Gurko, Jemeritinski Skobelew,dem�Gegner bedeutende Niederlagen beibrachte.Schon merkt man in Rußland die traurigen Folgen desSiegesrausches. Die„liberalen" Zeitungen, wie z. B. der„Golos",die Petersburger„Ajedomosti", die„Nowoje Wremja" zc. ic.vergessen wegen der„russischen Festung Kars" die furchtbarenWunden, an denen der russische Staats- und Volksorganismusblutet und welche durch neue Eroberungen nicht nur nicht ge-einzelne Abschnitte, und zwar nicht die wichtigsten, zurBorberathung überwiesen bekommen hatte, der Haupttheil wurdedurch Berathung im Hause erledigt. An den Verhandlungendes Plenums nun'habe ich, wie Bracke ganz richtig imReichstag hervorgehoben hat, sowohl an der General- wie ander Spezialdebatte mich lebhaft betheiligt— wenn ich nicht irre,ergriff ich in jener Session 17 Mal das Wort, die stenographi-schen Berichte stehen mir augenblicklich nicht zur Verfügung—und stellte auch eine Reihe von Anträgen, und zwar insofernnicht ohne Erfolg, als mein Antrag, die Arbeitsbücher zubeseitigen, Annahme fand, also eine Materie durch meineVeranlassung beseitigt wurde, die man gegenwärtig von gewisserSeite gern wieder in die Gewerbeordnung hineinbringen möchte.— Dies der Sachverhalt.Leipzig, Bezirksgerichts- Gefängniß, 17. April 1878.Mit Gruß A. Bebel."— Der Redakteur des„Nürnberg-Fürther Sozialdemokrat",Genosse Weber, wurde von dem Schwurgericht von Mittel-franken wegen Beleidigung des Bürgermeisters von Nürnberg,der sich bekanntlich Stromer benamset, zu 6 Monaten Gesang-niß verurtheilt. Gegen dieses Urtheil hatte Weber Berufungan den obersten bayerischen Gerichtshof angemeldet, dieser aberverwarf nicht nur die Berufung, sondern verurtheilte Weberaußerdem noch zu einer sogenannten„Frivolitätsstrafe" von 15Tagen Gefängniß. Weber hätte sich also nach dem oberstenbayerischen Gerichtshof mit den 6 Monaten für eine einfacheBeleidigung zufrieden geben sollen. Wozu ein solcher Gerichts-Hof dann aber überhaupt noch existirt, wenn es frivol ist, dessenSpruch anzurufen, das ist für den gesunden Menschenverstandunerfindlich.— Praktisch. Die„Berliner Freie Presse" ersucht dieParteigenossen, nur bei denjenigen Gastwirthen zu verkehren,welche den Sozialisten ihre Lokale zu Versammlungen und Be-sprechungen zur Verfügung stellen. Nur dadurch wird es möglichwerden, die Beeinflussungen, denen die Lokalinhaber von gewisserSeite her ausgesetzt sind, zu parallelijiren. Wir entschädigendurch eine solche Taktik diejenigen, welche uns, ohne Parteige-Nossen zu sein, ihre Lokale zu den erwähnten Zwecken überlassen,während wir andererseits diejenigen Wirthe, welche jenen Beein-flussungen willig Gehör schenken, ganz empfindlich bestrafen.Lassalle's Briese an Rodbertus.Von C. A. Sch.Den älteren Parteigenossen ist der Name Rodbertus wohl-bekannt. Das Central-Comits zur Berufung eines AllgemeinenDeutschen Arbeiter- Congresses in Leipzig hatte sich zu Anfangdes Jahres 1863 an Lassalle und später auch an Rodbertus ge-wandt, um von diesen beiden hervorragenden Gelehrten Rathund Auskunft über die vorzunehmenden Schritte zu erhalten.Lassalle gab als Antwort sein„Offenes Antwortschreiben", Rod-bertus erwiderte in einem seiner Zeit auch veröffentlichtenBriefe, in welchem er besonders die Richtigkeit des Lohngesetzesanerkannte.Jetzt haben die Erben von Rodbertus beschlossen, den litera-rischen Nachlaß desselben zu veröffentlichen; Professor AdolphWagner hier in Berlin und der Mecklenburgische Domänen-Pächter Schumacher in Zarchlin sind mit der Ordnung und Her-ausgäbe dieses Nachlasses betraut worden.Das erste, in diesen Tagen erschienene Heft enthält 19 BriefeLassalle's an Rodbertus, mit einer Einleitung zu denselben, dieHerr Professor Wagner geschrieben hat und in welche verschie-dene von Rodbertus dazu gemachte Bemerkungen eingeflochtensind.Die Ansichten und Meinungen so hervorragender Männersind von hohem Interesse für die gesammte Wissenschaft. Längstliegt ja schon die Zeit hinter uns, in welcher der vom wirth-schaftlichen Liberalismus zum„König im sozialen Reiche" er-klärte Herr Schulze aus Delitzsch Lassalle einen Halbwissernennen durfte; wer sich heute unterfangen wollte, einen gleichenAusspruch zu thun, würde unter dem Hohngelächter des deut-scheu Volkes für unzurechnungsfähig erklärt werden. Wohl er-kennt man jetzt die Bedeutung Lassalle's überall an, aber manmöchte dem verhaßten Agitator, der die Arbeiter über ihreInteressen aufzuklären unternommen hat, doch gar zu gern nochirgend etwas am Zeuge flicken; dazu bietet den Wahrheitslieben-den liberalen Zeitungsschreibern nun eine Notiz von Rodbertusüber Lassalle eine erwünschte Gelegenheit.lindert, sondern sogar noch mehr verschlimmert worden. DieOrgane des„Liberalismus" wimmeln von alleruntcrthänigsten,alleruuwürdigsten Speichelleckereien für den„großen weisen Czarenund Befreier" und seine„ruhmreichen Helden". Die Regierung,welche erst vor einigen Monaten revolutionäre Erhebungenfürchtete und welche, von tödtlicher Angst wegen der Plewna-Niederlagen erfüllt, sogar schon von„Constitution" sprach—dieselbe Regierung scheut sich jetzt nicht, das Gesetz, nach welchemalle Gerichtsverhandlungen öffentlich sein müssen, zu verletzen,wie sie es in dem letzten großen politischen Prozeß gethan.Wohl werden die Siege der kaiserlichen Armee nicht imStande sein, die natürliche, historische Entwickelung des russischenVolkes zu ersticken; die Entwickelung derselben ist schon zu weitvorgeschritten, als daß sie von der Soldatenzewalt vollendsniedergehalten werden könnte. Aber eins wird der„siegreichen"russischen Reaktion gelingen können, und das ist— die Verfälschung der freiheitlichen Entwickelung. Mögen die Siege derkaiserlichen Armee noch so„ruhmreich" sein, die Einführungeines constitutionellen Zustandes in Rußland ist früher oderspäter unvermeidlich. Aber in was für Gestalt? Das könnenwir aus der früheren„Kulturthätigkeit" derselben russischen Re-gierung ersehen. Trotz der„ruhmreichen" Siege der kaiserlichenArmee von 1863 war die Regierung außer Stande, die frei-heitliche Bewegung des russischen Volkes zu ersticken. DieReaktion mußte dieser letztern nachgeben. Finnland erhielt eine„Constitution", das russische Volk im Ganzen bekam mehrere„constitutionelle Conzessionen"— die theilweise Aufhebung derCensur, das reorgamsirte Gerichtswesen mit—„Oeffentlichkeit",eine„freiheitliche" Städteordnung:c. Aber was für jämmerlicheKarrikaturbilder sind das! Nun, von der sinnländischen„Eon-stitution" kann sich Jedermann ein Bild machen, wenn er be-denkt, daß sie— noch keine Veranlassung zum Einschreiten ge-geben hat. Die russische„Preßfreiheit" wird genügend durchdie massenhaften„Preßoerbrechen" charakterisirt. Die„dema-gogischen" Prozesse geben ein klares Bild von der„Unabhängig-keit" der Richter und der„Oeffentlichkeit" der Gerichts verHand-lungen, zu welchen nicht einmal die Zeitungsreporter Zulaßhaben. Und was endlich die„freiheitliche" Städte„ordnung"betrifft, so braucht man sich blos an die Affaire Brodski zae innern, um diese„Freiheit" als Lüge zu erkennen.