Sozialpolitische Uebersicht.— Der Reichstag beschäftigte sich am 2. Mai(3. Sitzungnach den Ferien) u. A. auch mit dem Gesetzentwurf betr. dieGewerbegerichte, welcher zur zweiten Berathung vorlag. An-wesend waren bei Beginn der Sitzung 232 Abgeordnete; dasHaus war also beschlußfähig.§ 1 des Gesetzentwurfs, der vonder Errichtung der Gewcrbegerichte handelt, wird nach Ber-werfung verschiedener Abänderungsanträge nach den Commissmns-Vorschlägen angenommen; desgleichen§ 2, der den Gewerbegerichten das rechtliche Gebiet ihrer Thatigkeit zuweist;§§ 3, 4und 5, welche die Zuständigkeit der Gewerbegerichte und dieKostendeckung regeln, werden nach der Regierungsvorlage an-Senommen;§ 6, der die Einrichtung der Gewerbegerichte vor-hreibt, findet Annahme nach den Commissionsvorschlägen.Zu K 7, welcher nach den Commifsionsbeschlüfsen lautet:„Zum Mitgliede des Gewerbegerichts sollen nur solche Deutscheberufen werden, welche das dreißigste Lebensjahr vollendet haben,für sich oder ihre Familien Armenunterstützung aus öffentlichenMitteln in den letzten drei Jahren nicht empfangen haben undin dem Bezirk des Gerichts seit mindestens zwei Jahren wohnenoder beschäftigt sind.Unfähig zu dem Amt sind alle Personen, welche sich in einemder durch§ 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgesehenen Fällebefinden.Das Amt der Beisitzer ist ein Ehrenamt. Die Uebernahmedesselben kann nur aus den Gründen abgelehnt werden, welchezur Ablehnung eines unbesoldeten Gemeindeamts berechtigen.Die Beisitzer erhalten Vergütung der Reisekosten. Außerdemkann ihnen eine für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleiche Ber-gühtng für Zeiwersäumniß zugebilligt werden,"beantragen Dr. Franz und Genossen:in Z 7 im Absatz 1 Zeile 2 und 3 die Worte:„oder ihreFamilien" zu streichen;Zeile 3 statt:„den letzten drei Jahren" zu setzen:„den letztenzwei Jahren".Dagegen beantragen Fritzsche und Genossen:1) Den ersten Absatz wie folgt zu fassen:„Zum Mitgliede des Gewerbegerichts sollen nur solcheDeutsche berufen werden, welche das 25. Lebensjahr vollendethaben, für sich eine fortlaufende Unterstützung aus öffentlichenMitteln in dem letzten Jahre nicht empfangen haben und indem Bezirk des Gewerbegerichts seit mindestens einem Jahrewohnen oder beschäftigt find."2) Dem letzten Absatz desselben Paragraphen folgende Fassungzu geben:Die Beisitzer erhalten eine für Arbeitgeber und Arbeitergleiche Vergütung der Reisekosten und Zeitversäumniß.Abg. Helldorf bekämpft die Anträge von Fritzsche u. Gen.Abg. Hasenclever, der dieselben vertheidigt, weist darauf hin,daß ja auch die befitzenden Klassen ununterbrochen öffentlicheUnterstützungen dadurch erhalten, daß der Staat ihnen höhereLehranstalten aus den Mitteln der gesammten Steuerzahler fürdie Ausbildung ihrer Kinder zu Gebote stelle. Er constatiredies, da bei der ärmeren Klasse schon oft die Wählbarkeit an-gefochten worden sei, weil die Eltern Schulmaterial für ihreKinder aus öffentlichen Mitteln erhalten hätten. Oft liege es,wie z. B. bei Aufnahme in Krankenheilanstalten, ganz außer derSchuld des Arbeiters, der öffentlichen Unterstützung zu verfallen;es sei oft nicht Zeit, erst den Instanzenweg bei den Kassen,denen er angehöre, abzulaufen, und hinterher forderten dieArmenbehörden ja die Unterstützung von diesen zurück. Nurwo eine„fortlaufende" Unterstützung eintrete, sei von der Wähl-barkeit abzusehen. Ein Alter von 25 Jahren sei im Uebrigengenügend.Abg. Dr. Hirsch(Max) erklärt, nachdem er, durch die RedeHasenclever's veranlaßt, noch flugs den Antrag:„Die Gewäh-rung von freiem Schulunterricht gilt nicht als Armenunter-stützung" gestellt hatte, daß er und die Fortschrittspartei fürden Antrag von Dr. Franz u. Gen. stimmen würden.Nach einer längeren Debatte wird schließlich der Antrag vonFritzsche und Gen. gegen die Stimmen der Antragsteller ver-warfen. Demnächst wird der erste Antrag Dr. Franz, die Worte„oder ihre Familie" zu streichen, abgelehnt. Bei dem zweitenAnttage Franz, statt 3 Jahre nur 2 Jahre zu setzen, muß„Hammelsprung" eintreten, da.die Abstimmung durch Aufstehenzweifelhaft bleibt. Es stellt sich dabei heraus, daß der Reichstagbeschlußunfähig ist, da nur 104 Abgeordnete anwesend find.Die Sitzung mußte deshalb resultatlos geschlossen werden. Undwohlgemerkt, es war die dritte Sitzung, die der Reichstag nachWiederaufnahme seiner Arbeiten abhielt— und dreimal warer beschlußunfähig. Wenn die Reichsboten selber auf sich undihre Arbeiten so wenig Werth legen, daß sie bei einem so wich-tigen Berathungsgegenstande, wie es der Gesetzentwurf über dieGewerbegerichte ist, nicht einmal in beschlußfähiger Anzahl amPlatze sind— von allem anderen ganz abgesehen—, danndürfen sie sich aber auch nicht wundern, wenn das Volk überdie reichstägliche Gesetzesmacherei die Achseln zuckt und sich nachanderen, das Voltswohl voll und ganz verbürgenden gesetz-oeberischen Maximen umsieht.— 3. Mai. Die gestern durch die Beschlußunfähigkeit desHauseS unterbrochene zweite Berathung des Gesetzentwurfs, be-treffend die Gewerbegerichte, wurde heute wieder aufgenommenund führte zur weiteren Abstimmung über die gestern zu 8 7gestellten Anträge. Auch der zweite Theil des Antrags vonDr. Franz und Genossen zu 8 7 wird abgelehnt, dagegen wirdein Amendement Lasker's und das von Fritzsche und Ge-nassen angenommen, so daß 8 7 nunmehr lautet:„Zum Mitgliede des Gewerbcgerichts sollen nur solche Deutscheberufen werden, welche das 30. Lebensjahr vollendet haben, fürsich oder ihre Familien Armenunterstützung aus öffentlichen Mit-teln in den letzten drei Jahren nicht empfangen oder die inner-halb dieses Zeitraums empfangene Unterstützung erstattet habenund in dem Bezirk des Gerichts seit mindestens zwei Jahrennacheinander beschäftigt sind. Unfähig zu dem Amte sind allePersonen, welche sich in einem der durch 8 32 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgesehenen Fälle befinden. Das Amt der Bei-sitzer ist ein Ehrenamt. Die Uebernahme desselben kann nurauS den Gründen abgelehnt werden, welche zur Ablehnung einesunbesoldeten Gemeindeamts berechtigen. Die Beisitzer erhalteneine für Arbeitgeber und Arbeiter gleiche Vergütung der Reise-kosten und Zeitversäumniß."8 8 lautet nach der Eommisfionsvorlage folgendermaßen:„Die Berufung der Mitglieder erfolgt auf mindestens ein Jahrund auf höchstens drei Jahre. Eine wiederholte Ernennung istnicht ausgeschlossen.Die Berufung erfolgt durch Wahl des Magistrats, wo einsolcher nicht vorhanden ist oder wo das Statut oder die An-ordnung der Landes-Centralbehörde dies bestimmt, durch Wahlder Gemeindevertretung, in Communalverbänden durch Wahl derVertretung des Verbandes. Die Wahl kann in allen Fällender Vertretung eines Communalverbandes übertragen werden.Die Wahl der Beisitzer kann den Arbeitgebern und Arbeiternju gleichen Theilen unter mögl'cher Berücksichtigung der Haupt-ächlichen Gewerbzweige und gabrikbetriebe überttagen werden.Die zur Wahl berufenen Arbeitgeber und Arbeiter müssen volljährig und seit mindestens einem Jahre in dem Bezirke desGewerbegerichts wohnhaft oder beschäftigt sein.Die Wahlen unterliegen der Prüfung durch die höhere Ver-waltungsbehörde. Dieselbe hat Wahlen, welche gegen das Gesetzoder gegen die auf Grund des Gesetzes erlassenen Wahlvorschriftenverstoßen, für ungültig zu erklären.Sind Wahlen überhaupt nicht �u Stande gekommen oderwiederholt für ungültig erklärt, so ist>, soweit Arbeitgeber undArbeiter wablberechttgt sind, zunächst die Gemeindevertretungbefugt, die Wahl vorzunehmen. Im Uebrigen werden in denbezeichneten Fällen die durch die Wahlen zu berufenden Mit-glieder von der höheren Verwaltungsbehörde ernannt."Zu diesem 8 hatten die Abgg. Fritzsche und Genossen fol-genden Abänderungsanttag eingebracht:1) An Stelle des zweiten und dritten Absatzes in 8 8 zusetzen:„Die Wahl des Vorsitzenden erfolgt durch die Gemeinde-Vertretung, in Communalverbänden durch die Vertretung desVerbandes.Die Beisitzer werden zur Hälfte von den Arbeitgebern, zurHälfte von den Arbeitern gewählt und zwar die Arbeitgeber vonden Arbeitgebern, die Arbeiter von den Arbeitern.An der Wahl können alle Gewerbtreibende mit gleichemRechte theilnehmen, welche volljährig und seit mindestens dreiMonaten in dem Bezirke des Gewerbegerichts wohnhaft oderbeschäftigt sind.Die Wahl ist unmittelbar, die Abstimmung geheim."2) Dem vierten Absatz dieses Paragraphen anzufügen:„undunverzüglich Neuwahlen anzuordnen."3) Den fttnften Absatz desselben Paragraphen zu streichen.Der Antrag wurde, wie das übrigens vorauszusehen war,verworfen. Dasselbe Schicksal hatten auch etliche andere vonverschiedenen Fraktionen gestellte Anttäge und wurde schließlichder 8 3 nach der Commissionsvorlage, jedoch mit der Aenderungangenommen, daß die zur Wahl berufenen Arbeiter seit minde-stens zwei Jahren im Bezirke des Gewerbegerichts wohnhaft oderbeschäftigt sein müssen.Die 8§ 9—12 werden nach den Commissionsvorschlägen an-genommen, nachdem etliche Amendements der sozialisttschen Ab-geordneten verworfen worden waren. Desgleichen werden die88 13—18 nach etlichen beantragten Aenderungen im Wortlautder Commissionsvorlage genehmigt.Mit§ 19 beginnen die„Schlußbestimmungen". Derselbelautet:„Wo Gewerbegerichte nach Maßgabe dieses Gesetzes nichtbestehen, kann in Streitigkeiten der in 8 2 unter 1 bezeichnetenArt Klage vor dem Gemeindevorsteher erhoben werden. DieGegenpartei hat sich auf die Klage einzulassen.Zuständig ist der Vorsteher der Gemeinde, in deren Bezirkdie streitige Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältniß zu er-füllen ist.Der Gemeindevorsteher hat das Verfahren nach den in gleichenRechtsstreiten für den Borsttzenden des GewerbegerichtS maß-gebenden Bestimmungen zu leiten. Seine Entscheidung geht inRechtskraft über, wenn nicht von einer der Parteien binnen dreiTagen nach der Zustellung oder der in Gegenwart der Parteienerfolgten Verkündung Klage bei dem zuständigen Gericht erhobenist. Die Entscheidung ist nach Maßgabe des 8 16 vollstreckbar.Der Gemeindevorsteher kann die Wahrnehmung der ihmhiernach obliegenden Geschäfte mit Genehmigung der höherenVerwaltungsbehörde einem Stellvertreter übertragen. Derselbemuß aus der Mitte der Gemeindeverwaltung oder Gemeinde-Vertretung und auf mindestens ein Jahr berufen werden. DieBerufung ist bekannt zu machen.v. Cuny beantragt, im Absatz 1 die Worte„nach Maßgabedieses Gesetzes" zu streichen;im Absatz 3 statt„binnen drei Tagen" zu setzen:„binnenzehn Tagen".Diese Amendements werden angenommen, und ein AntragBürgers, den ganzen 8 19 zu streichen, damit abgelehnt.8 20 lautet:„Bis zum Inkrafttreten des Gerichtsverfassungs-gesetzes finden gegen die Entscheidungen der Gewerbegerichte diein den geringfügigsten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zulässigenRechtsmittel bei den für solche zuständigen Gerichten statt; fürdie Zwangsvollstreckung find die Bestimmungen über die Zwangs-Vollstreckung in den geringfügigsten bürgerlichen Rechtsstreitig-leiten maßgebend." Derselbe wird unverändert genehmigt.8 21 lautet nach der Regierungsvorlage:„Die Bestimmungendieses Gesetzes finden keine Anwendung:1) auf Streitigkeiten der Kaufleute und Apotheker mit ihrenArbeitern;2) auf Streitigkeiten der Vorstände der unter öffentlicher Ber-waltung stehenden Betriebsanlagen mit den in der letzterenbeschäftigten Arbeitern.Die Commisfion schlägt dagegen vor, im 8 21 nur zu sagen:Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden keine Anwendung aufStreitigkeiten der Kaufleute und Apotheker mit ihren Gehilfenund Lehrlingen.Das Haus genehmigt den 8�21 nach dem Commisfionsvor-schlag, desgleichen die übrigen 88 des Gesetzes, welches im Gan-zen 24 Paragraphen enthält.— In der Sitzung vom 4. Mai, auf deren Tagesardnungals einziger Gegenstano die zweite Berathung des Gesetzentwurfs,betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, stand,war von sozialistischer Seite(Most und Genossen) u. A. auchfolgender Antrag gestellt worden: Den 8 105» mit 8 105 d zubezeichnen und vor demselben folgenden Paragraph einzuschalten:„8 105». Gewerbliche Arbeiter dürfen täglich nichtlänger als zehn Stunden, an den Tagen vor Sonn- undFesttagen nicht länger als neun Stunden, ausschließlich derPausen, beschäftigt werden. Kürzere ArbeitSschichten sind derfreien Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmernüberlassen. Während der Arbeitsschicht müssen drei Pausenvon zusammen mindestens zwei Stunden stattfinden. DieHauptpause muß in die Witte der Arbeitsschicht fallen undmindestens eine Stunde dauern. Die Arbeitsstunden sind nachder öffentlichen Uhr zu richten und dem Gewerbegericht anzu-zeigen. Die Arbeitsschicht darf nicht vor 6 Uhr Morgensbeginnen und muß spätestens Abends 8 Uhr beendet sein."Wie vorauszusehen war, wurde der Anttag, der in derHauptsache die gesetzliche Einführung des zehnstündigenNormalarbeitstages bezweckte, nach eingehender Begründungdurch den Abg. Most, verworfen. Es kann also in der alt-hergebrachten gewohnten Weise ins Maßlose hinein weiter aus-gebeutet und geschunden werden. Ausführlicher Bericht über dieDebatten und Beschlüsse bei Berathung des Gewerbegerichts undder Gewerbeordnung folgt.— Auf die Interpellation des Abgeordneten zum Ge-raer Landtage, Parteigenossen Brätter, über die Behandlungdes früheren verantwortlichen Redakteurs der„Thüringer FreienPresse", Leuschke, in der Strafanstalt Ichtershausen ist seitensdes fürstlichen Ministeriums die gewünschte Antwort ertheiltworden. Hiernach hätte der sich zur Verbüßuug von 5 MonatenGefängniß wegen Beleidigung und Verleumdung verurtheilteSchuhmacher und Colporteur Leuschke freiwillig gemeldet; beiseiner Aufnahme habe derselbe erklärt, sich der Hausordnungfügen zu wollen. Da die Tragung eigener Kleider noch nichtausgewirkt war und es ihm an ausreichender Wäsche fehlte, habeman ihn mit Hauskleidern versehen. Die Haare wurden ihm,da er hiergegen nicht protestirt, geschnitten/ Einen Bart habederselbe gar nicht gehabt. Er sei zuerst isolitt und dann imSchuhmachersaale beschäftigt worden. Nach einiger Zeit sei der-selbe von H. Kettel(welcher gegenwärtig ebenfalls dort inhaf-tirt) besucht worden und seien von demselben dann jene Behaup-tungen in der„Thüringer Freien Presse" veröffentlicht worden,welche das fürstliche Staatsministerium veranlaßt haben, Erör-terungen hierüber zu pflegen. Leuschke habe später seine eigenenKleider tragen können, auch sei ihm der Bezug von anderer Kostgestattet worden. Zeitschrfften habe er lesen können, nur nichtdie„Thüringer Freie Presse" in Gotha. Er selbsi, sowie auchdie jetzt dort zur Berbüßung ihrer Strafzeit befindlichen Redakteure Bruck und Kettel haben sich über ihre Behandlungnicht beschwert. Das Battscheeren sei seit dem 1. April d. I.abgeschafft worden.— Abg. Brätter erkennt an, daß hiettnnunmehr Wandel geschaffen ist und daß nicht Alles, was in seinerInterpellation angedeutet, zutreffe. Das Wesentlichste derselbensei aber auch durch das Schreiben der Direttion nicht entkräftet.Er könne sich nicht denken, daß ein Besuchender so etwas er-findet und weiter verbreitet; Kettel müsse doch Leuschke in diesemZustande dott getroffen und das Uebttge von demselben mitge-theilt erkalten haben.— Daß die Interpellation noch diesenErfolg gehabt hat, ist rein zufällig. Wäre Brätter nicht Par-teigenosse und zugleich Geraer Landtagsabgeordneter— Leuschkeund seine übttgen polittschen Mitgefangenen würden, der„Ge-rechttgkeit" gemäß, vielleicht noch heute wie die gewöhnlichenVerbrecher behandelt werden.— Glücklich vertuscht. Der Redakteur eines BerlinerBlattes(„Neue Zeit") ward kürzlich von dem Aufsichtsrathe derGesellschaft„Flora" verkrachten Angedenkens mit einer Verlcum-dungsklage bedacht wegen eines Artikels, in welchem behauptetworden, daß ein Mitglied des Aufsichtsrathes genannter Gesell-schaft die Summe von 5837 Mark„zur Bestechung von Ber-lmer Zeitungen" gebucht, aber nicht ausgezahlt. Das betr.Blatt beschwerte sich also nicht über die Absicht der Be-stech un g, sondern bloß darüber, daß diese Absicht nicht ver-wirklicht worden! Vor einigen Tagen kam es in Charlotten-bürg zur öffentlichen Verhandlung des Prozesses. Der alsZeuge vernommene Bankier Lewenstein gab ungenirt zu, daßer eine Geldsumme für die Berliner Presse,„umdiese günstig zu stimmen", ausgesetzt habe, und— zogdann im Namen des Aufiichtsraths die Klage zurück. DieSchmerzen des Redakteur« der„Neuen Zeit" werden wohl nach-träglich gestillt worden sein. Jedenfalls hat die Diskretion desBankiers Lewenstein verschiedenen Berliner Redattionen etliche„unangenehme Viertelstunden" erspart. Wie dem aber sei: dieThatsache ist constatirt, daß Berliner Aktiengesellschaften es imInteresse des Geschäftes für etwas ganz Selbstverständlicheshalten,„Berliner Zeitungen" zu bestechen. Daß Aktienge-feilsch asten dies nicht für etwas Selbstverständliches haltenkönnten, wenn nicht„Berliner Blätter" dergleichen Anschau-ung huldigten, liegt auf der Hand.—— Herr von Diest-Daber hat, nachdem die Tivilge-richte sich inkompetent erklärt, den„General" Bismarck jetztbei dem Militärgericht verklagt. Wir find sehr begierig aufdas Resultat. Erklärt auch daS Militärgericht sich inkompetent,weil Bismarck— was ja unleugbar— eine Civilperson sei,so wäre ein prachtvolles Mittelchen gefunden, der Justiz einSchnippchen zu schlagen, und die—„ehrlichen Leute" könnten tttum-phiren.— Olivier Pain, ein Mitglied der Pariser Communeund Freund Rochefort's, mit dem er aus Neukaledonien entwich,war im Sommer vorigen Jahres von Genf aus als Kriegs-correspondent eines französischen Blattes auf den türkischenKriegsschauplatz gegangen. Bei Plewna fiel er den Russen indie Hände, die ihn erst erschießen, dann nach Sibirien schickenund schließlich nach Frankreich ausliefern wollten. Neuerdingsist es den schweizerischen Behörden gelungen, die Frei-lassung Pain's zu erwirken.— Der schweizerische Arbeiterbund und der Grütli»verein halten am Pfingstsonntag den 9. Juni in Luzern einenDelegirtentag ab. Zur Berathung sollen folgende Punkte ge-langen: Organisatton und Programm der sozialdemokratische»Partei: Reorganisation der Jnstiwte des Arbeiterbundes. Bonder Abhaltung eines Congrcsses wurde auf Wunsch vieler Sek-tionen und aus finanziellen Rücksichten abgesehn.— Aus der Schweiz schreibt Freund Joh. Philipp Becker:„Wie man hott, soll hier England, wie zur Zeit des Krim-ktteges, Mannschaften anwerben. 2500 Francs pro Mannund eine bedeutend höhere Summe für Offiziere zahlen. DasUnternehmen soll nicht ohne Erfolg bleiben, was bei der großenArbeitslosigkeit nicht zu verwundern ist. Doch läßt sich nichtleicht etwas Bestimmtes darüber in Erfahrung bringen, da dieWerberei durch die ganze Schweiz strengstens verboten ist. Nun,dieser Menschen- und Kanonenfutterhandel wird trotz Verbotsnur mit der Klassenherrschaft, dieser Ursache des politischen, na-tionalen, des ökonomischen und sozialen Krieges aufhören".— Ein Bauernaufstand. In Galizien(Oesterreich) istes auf zwei großen Gütern in Folge der unerträglichen Be-drückung der Gutsbauern durch die der Leibeigenschaft nahe-kommenden Hof- und Spanndienste und in Folge der unerhörtharten Behandlung der Landarbeiter seitens der„Herren" voreinigen Tagen zu einem ernstlichen Bauernaufstand gekommen.Einem polnischen Blatt, das unterm 29. April darüber schreibt, enttnehmen wir solgende Einzelheiten:„Eine Anzahl von Bauernerschien in Begleitung ihrer Frauen und Kinder und widersetztsich der amtlichen Commiision. Es wurden neun Gensdarwe"und einige Militärs zu Hilfe gerufen. Auf'die Aufforderungder Gensdarmen, die Bauern möchten sich von dem besetztenGrund zurückziehen, achteten diese nicht, sondern schlössen v-Gensdarmen ein. In erster Linie gingen die Weiber und Kinder, hinter ihnen die Männer mit Gabeln bewaffnet. Ermawnungen und Drohungen halfen nicht und bald kam es zu TYlichkeiten: die Bauern stürzten sich auf die Gensdarmen