den Rücken wenden, und zwar voraussichtlich nach höchst ener- zischen Aeußerungen des Mißfallens. Und das von Rechtswegen. Genug von diesen Albernheiten. Wer unsere Prinzipien und Bestrebungen kennen lernen will, der unterrichte sich nicht bei unseren Gegnern, der befrage die Sozialdemokratie selbst in ihren Reden und Handlungen, in ihren Schriften, in ihren Zei- hingen, in ihrem Programm. Bor Allem in unserem Programm, das, von den Vertretern der Gesammtpartei ausgearbeitet, trotz mancher Mängel, die jedem Versuch der Feststellung von Prin- zipien ankleben, doch in engem Rahmen vollständigen Aufschluß über unsere Prinzipien und Bestrebungen gicbt. Wer dieses Programm mit vorurtheilslosen Blicken liest, es mit Aufmerksamkeit und Verstand liest, weiß was wir wollen, und wird nicht verdammen können, was wir wollen. Nehmen wir zuerst den ersten, allgemeinen Theil des Pro- gramms: I. Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums und aller Kultur, und da allgemein nutzbringende Arbeit nur durch die Gesellschaft möglich ist, so gehört der Gesellschaft, das heißt allen ihren Gliedern, das gesammte Arbeitsprodukt, bei allge- meiner Arbeitspflicht, nach gleichem Recht, Jedem nach seinen vernunftgemäßen Bedürfnisien. In der heutigen Gesellschaft sind die Arbeitsmittel Monopol der Kapitalistenklasse; die hierdurch bedingte Abhängigkeit der Arbeiterklasse ist die Ursache des Elends und der Knechtschaft in allen Formen. Die Befreiung der Arbeit erfordert die Verwandlung der Arbeitsmittel in Gemeingut der Gesellschaft und die genossen- schaftliche Regelung der Gesammtarbeit mit gemeinnütziger Verwendung und gerechter Vertheilung des Arbeitsertrages. Die Befreiung der Arbeit muß das Werk der Arbeiterklafle sein, der gegenüber alle anderen Klassen nur eine reaktionäre Masse sind. In vorstehenden Sätzen werden nicht vage Behauptungen ausgesprochen, sondern Wahrheiten, welche durch die Wissen- schaft festgesetzt sind. Daß.die Arbeit die Quelle alles Reichthums" ist, hat schon vor 100 Jahren Adam Smith in seinem bahnbrechenden klas- fischen Werk:Ueber den Reichthum der Nationen" nachge- wiesen; und daß von derKultur", das heißt von der Summe aller der Vortheile, welche das Menschengeschlecht in hundert- tausendjährigem Ringen sich gesichert hat und welche uns bei stetigem Fortringen ein immer menschenwürdigeres Dasein er- möglichen, das Gleiche gilt, wie von dem Reichthum, der genau genommen nur ein Theil derKultur" ist, das be­darf keiner weiteren Auseinandersetzung. Und ist die Arbeit etwa außerhalb der Gesellschaft denkbar? Kann man fich Arbeit denken, die nicht gesellschaftlich verrichtet wird? Ist nicht jeder Arbeiter, auch der, welcher die einfachste Arbeit verrichtet, auf die Arbeit anderer Arbeiter angewiesen? Sind die Werkzeuge, mit welchen gearbeitet wird, und wären es die einfachsten, primitivsten Werkzeuge, denkbar ohne dieKultur", innerhalb deren wir stehen, ohne die Arbeit unserer Mitmenschen, ohne die Arbeit, die Erfahrungen der früheren Generationen? Man stelle sich einen physisch normal entwicidten Menschen vor vorausgesetzt, daß ohneKultur" ein solcher denkbar wäre: einen Manschen, der keine Wertzeuge, keine Unterstützung, keine erworbenen Kenntnisse hat würde dieser Mensch arbeiten können? Nein. Ohne Ge- sellschaft keine Arbeit, außerhalb der Gesellschaft keine Arbeit. Während nun auf der einen Seite wissenschaftlich der Beweis erbracht ist, daß die Arbeitdie Quelle alles Reich- thums", ist auf der anderen Seite die Thatsache statistisch festgestellt und wissenschaftlich anerkannt worden u. A. von dem berühmten Bourgeoisökonomen John Stuart Mill , daß die Arbeit, welche allen Reichthum schafft, den Reichthum nicht genießt, nicht Eigenthümerin des von ihr geschaffenen Reichthums ist, der, zum größten Theil, in die Taschen nicht arbeitender, oder doch nicht nützlich arbeitender Individuen fließt. Aus diesen Prämissen(Bordersätzen) ergiebt fich der Rest von selbst. Die Sozialdemokratie will der Ungerechtigkeit in der Vertheilung des Reichthums(der durch die Arbeit erzeugten Güter) steuern, eine gerechte Vertheilung der Güter, beruhend auf vernünftiger Organisation der Arbeit, herbeiführen, und der Arbeit zu ihrem Recht, dem Arbeiter zu seinem Eigenthum verhelfen. Das Programm fährt fort: II. Von diesen Grundsätzen ausgehend, erstrebt die sozia- listische Arbeiterpartei Deutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln den freien Staat und die sozialistische Gesellschaft, die Zerbrechuug des ehernen Lohngesetzes durch Abschaffung des Systems der Lohnarbeit, die Aufhebung der Ausbeutung in jeder Gestalt, die Beseitigung aller sozialen und politischen Ungleichheit. Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands , obgleich zu- nächst im nationalen Rahmen wirkend, ist sich des internatio- nalen Eharakters der Arbefterbewegung bewußt und ent- schloffen, alle Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt, zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahr- heit zu machen. Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert, um die Lösung der sozialen Frage anzubahnen, die Errichtung von sozialistischen Produktivgenossenschaftcn mit Staatshilfe unter der demokratischen Controle des arbeitenden Volkes. Die Produktivgenossenschaften sind für Industrie und Ackerbau in solchem Umfange ins Leben zu rufen, daß aus ihnen die sozialistische Organisation der Gesammtarbeit entsteht. Die sozialistische Arbeiterpartei �Deutschlands fordert als Grundlagen des Staates: 1) Allgemeines gleiches, oirektes� Wahl- und Stimmrecht mit geheimer obligatorischer Stimmabgabe aller Staats- angehörigen vom zwanzigsten Lebensjahre an für alle Wahlen und Abstimmungen in Staat und Gemeinde. Der Wahl- oder Abstimmungstag muß ein Sonntag oder ein Feiertag sein. 2) Direkte Gesetzgebung durch das Volk. Entscheidung über Krieg und Frieden durch das Volk. 3) Allgemeine Webrhaftigkeit. Bolkswehr an Stelle der stehenden Heere. 4) Abschaffung aller Ausnahmegesetze, namentlich der Preß-, Vereins- und Versammlungsgesetze, überhaupt aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung, das freie Denken und Forschen beschränken. 5) Rechtsprechung durch das Volk. Unentgeltliche Rechts pflege. 6) Allgemeine und gleiche Volkserziehung durch den Staat. Allgemeine Schulpflicht. Unentgeltlicher Unterricht in allen Bildungsanstalten. Erklärung der Religion zur Privatsache. Die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands fordert inner- halb der heutigen Gesellschaft: 1) Möglichste Ausdehnung der politischen Rechte und Frei- heiten im Sinne der obigen Forderungen. 2) Eine einzige progressive Einkommensteuer für Staat und Gemeinde, anstatt der bestehenden, insbesondere der das Volk belastenden indirekten Steuern. 3) Unbeschränktes Coalitionsrecht. 4) Ein den Gesellschastsbedürfniffen entsprechender Normal- arbeitstag. Verbot der Sonntagsarbeit. 5) Verbot der Kinderarbeit und aller die Gesundheit und Sittlichkeit schädigenden Frauenarbeit. 6) Schutzgesetze für Leben und Gesundheit der Arbeiter. Sanitätliche Controle der Arbeiterwohnungen. Ueber- wachung der Bergwerke, der Fabrik-, Werkstatt- und Hausindustrie durch von den Arbeitern gewählte Beamte. Ein wirksames Haftpflichtgesetz. 7) Regelung der Gefängnißarbeit. 8) Volle Selbstverwaltung für alle Arbeiterhilfs- und Unter- stützungskassen. Dies ist das Programm der vielgeschmähten, vielverläum- beten Sozialdemokratie. Klar, logisch, ist es ebenso radikal und umfassend als prak- tisch und gemäßigt in seinen Forderungen. Ja: praktisch und gemäßigt. Kann der Vorwurf, wir planten denallgemeinen gewaltsamen Umsturz, schlagender widerlegt werden als durch unser Programm? Ist eine Revolution, wir meinen eine ge- waltsame, blutige Umwälzung möglich in einem Staat, welcher ein gutes Volkserziehungssystem hat, durch Befriedigung der ge- rechten Bedürfnisse des Volks der Unzufriedenheit vorbeugt, und durch freiheitliche Einrichtungen jeder Meinung die Möglichkeit des Ausdrucks, jedem Streben die Möglichkeit der Verwirklichung gewährleistet? Gibt es überhaupt eine andere Versicherung gegen die von unseren Gegnern gefürchtete und mit Recht gefürchtete gewaltsame Revolution, eine andere Bürgschaft für die von unseren Gegnern so heiß ersehnte, mit Recht heiß ersehnte friedliche Reform? Sind nicht die meisten Forderungen, die oben aufg-zählt werden, und durch ihre Verständlichkeit, wo nicht Selbstverständlichkeit eine eingehende Erläuterung über- flüssig machen, bereits in fortgeschritteneren Ländern verwirk- licht, und zum übrigen Theil von aufgeklärten Politikern und Menschenfreunden längst befürwortet worden? Sind die meisten Punkte nicht, sozusagen, geistiges Gemeingut Aller Derer, die das Wohl ihrer Mitmenschen erstreben? Die Sozialdemokratie hat kein Programm erfunden, ebensowenig, wie sie sich anmaßt, eine Wissenschaft erfun- den zu haben. Sie hat nur gewisse unumstößliche Sätze, die von oer Wissenschaft festgestellt worden sind, zur Grundlage eines sozialpolitischen Programms zusammengefügt und dem- selben alle diejenigen, von ehrlichen Vorkämpfern des Volks auf- gestellten Forderungen einverleibt, deren Verwirklichung uns dem Ziele zuführt: einer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, welche die Aus' beutung des Menschen durch den Menschen verhindert und, bei freier genossenschaftlicher Arbeit und vernünftiger und gerechter Vertheilung desArbeitsertrags, jedem einzelnen Menschen das höchstmögliche Maß von Bil- dung und Glück gewährleistet. Wer, der es gut meint mit seinen Mitmenschen und mit sich selbst, kann dieses Ziel tadelnswerth finden? Muß er nicht viel- mehr uns recht geben? Wohlan, er schließe sich uns an. Wer aber uns andere Bestrebungen zuschreibt, der kennt uns nicht oder ist ein Verleumder. Das Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie. Das neue deutsche Reich kann keine ehrliche, offene Kritik ver- tragen, weil es auf allzuschwachen Füßen steht, weil seine Ent- stehung höchst eigenthümlicher Art gewesen ist und besonders aber, weil es seinen Reichsbürgern ungemein große Pflichten in jeder Beziehung auslegt und ihnen nur äußerst geringe Rechte einräumt; es kann ferner keine Kritik vertragen, weil die er- siegten Milliarden verschwunden sind, weil die Steuern alljähr- lich steigen, die Volkswohlfahrt aber in demselben Berhältniß schwindet. Um nun die unliebsame ehrliche Kritik aus der Welt zu schaffen, sollen Mund- und Preßknebel von der bedenklichsten Stärke eingeführt werden. Darüber brütet die Reichsregierung schon seit mehreren Jahren. Im Jahre 1878 glaubte sie den richtigen Gedanken gefunden zu haben: das Reichsstrafgesetzbuch sollte verschärft werden und zwar die Paragraphen 130 und 131 derart, daß Niemand mehr von den bestehenden Gesellschafts- und Staatseinrichtungen reden durfte, ohne einer schweren Gefängnißstrafe zu verfallen. Die Verschärfung des Paragraphen 130 galt lediglich den Sozia- listen, also denen, welche mit den heutigen Gesellschaftsein- richtungen nicht zufrieden sind und sie deshalb bekämpfen. Die Verschärfung deS Paragraphen 131 aber traf mehr oder we- Niger alle Parteien, selbst diejenigen, welche mit einer oder der anderen Staatseinrichtung nicht zufrieden sind und an derselben eine, wenn auch noch so zghm,: Kritik ausüben. Daß unter solchen Umständen die geplante Verschärfung des Strafgesetzes in diesen Punkten eine allseitige Ablehnung fand, war vorauszusehen, galt es doch besonders seitens der liberalen Parteien sich ihrer eigenen Haut zu wehren. Fürst Bismarck , der selbst energisch für die Annahme der Paragraphen gestritten und die Sozialdemokratie dabei in geradezu unerhörter Weise angegriffen hatte, zog fich mißmuthig in sein geliebtes Pommer- land zurück. Doch wurde ihm die Kritik, die an seinerSchöpfung", an dem neuen deutschen Reiche geübt wurde, immer unerträglicher; dabei stand düster im Hintergrunde das Reichsdeficit trotz des Milliardensegens. Neue Steuern Steuerreform! lautete nun die ministe- rielle Parole. Bei der täglich wachsenden Verarmung des beut- scheu Volkes war eine solche Parole durchaus nicht unverfäng- lich, und auch sie mußt« die herbste Kritik erfahren, nicht nur durch die Sozialdemokraten, sondern auch durch die Liberalen, welche hinter der geplanten Steuerreform den Schutzzoll und das Monopol lauern sahen. Wiederum war das System Bismarck rathlos. Da kam dem- selben ein neuer, genialer Gedanke:Die Kritiker müssen deine Mitschuldigen werden die Liberalen müssen mit in dein Mi- nisterium!" Der Gedanke war gut. doch die Ausführung war schwer und man schreibt das Scheitern dieses Planes mehr den persönlichen Eigenthümlichkeiten Bismarck's zu, denen seine Untergebenen ausgesetzt sind, als der Prinz-pientreue der Na- tionalliberalen, die ja im Allgemeinen bis jetzt nur eine äußerst geringe Höhe jemals erreicht hat. Also wieder einmal rathlos. Die Erhöhung der Tabaksteuer wurde im Reichstage abgelehnt, gleichfalls die Tabaksenquete, soweit sie einem künftigen Monopol die Wege zu ebnen bestimmt war. Also nochmals rathlos. Da Paffte Unter den Linden in Berlin das rettende Schüß- chen denn einen Schuß kann ein ehrlicher Mann doch kaum das ganze Experiment nennen, da selbst der Kaiser und die Großherzogin von Baden nach Aussage der Letzteren den Knall kaum gehört haben. Also das rettende Schüßchcn hatte gepafft die scharfen Ohren des Herrn von Bismarck aber hatten es in Friedrichsruh vernommen. Sofort ein Telegramm nach Berlin :Maßregeln gegen die Sozialdemokratie!" Das war ein genialer Gedanke. Jetzt werden die Liberalen vor die Alternative gestellt, entweder sich freiheitsfeindlich zu zeigen(dann verlieren sie im Volke das Ansehen), oder sich reichsfeindlich, königsfeindlich zu zeigen, dann erhält man durch allerlei Maßregeln eine conservative Majorität im Reichstage und im preußischen Landtage und aus dieser die Steuerreform, das Monopol, die Reichseisenbahnen, die Knebelung der ge- sammten öffentlichen Meinung das neue deutsche Reich hat dann Geld und Ruhe. Daß das Volk aber noch mehr leiden, daß die Ruhe die des Kirchhofs sein würde, daran hat der Reichskanzler keinesfalls gedacht. Das Telegramm aus Friedrichsruh fand guten Boden; der neue Minister des Innern;, Graf Bodo Eulenburg, der Sohn des Reichstagsabgeordneten Eulenburg, der im Jahre 1876 einzig und allein für die Verschärfung der 130 und 131 im Reichstage gestimmt hatte, knetete aus dem kurzen Telegramm eine monströse Vorlage, die an den Bundesrath gelangte und in welcher auch die 1376 abgelehnte Verschärfung der ZK 130 und 131 im Paragraphen 6 einen entsprechenden Ausdruck fand. Diese geniale Leistung der Herren Bismarck , Eulenburg und Friedberg (Unterstaatssekretär im Justizministerium) lautet wie folgt: § 1. Druckschriften und Vereine, welche die Ziele der So- zialdemokcatie verfolgen, können von dem Bundesrath verboten werden. Das Verbot ist öffentlich bekannt zu machen und dem Reichstag sofort, oder wenn derselbe nicht versammelt ist, bei seinem nächsten Zusammentritt mitzutheilen. Der Reichstag kann die Aufhebung des Verbotes beschließen. Z 2. Die Verbreitung von Druckschriften an öffentlichen Orten, auf Straßen und auf öffentlichen Plätzen kann von der Ortspolizeibehörde vorläufig verboten werden, wenn die Druckschriften Ziele der in Z 1 be­zeichneten Art verfolgen. Das Verbot erlischt, wenn nicht inner- halb vier Wochen die Druckschrift vom Bundesrath auf Grund des Z 1 verboten wird.§ 3. Eine Versamnilung kann von der Ortepolizeibchördc verboten odev nach ihrem Beginn von dem Vertreter der Ortspolizeibehörde aufgelöst werden, wenn That- fachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß die Ver- sammlung Zielen der im Z 1 bezeichneten Art dient.§ 4. Wer einem nach§ 1 oder§ 2 erlassenen Verbote zuwider eine Druck- schrift verbreitet wird mit Gefängniß bestraft. Die Beschlag- nähme der Druckschrift kann ohne richterliche Anordnung erfolgen (§ 23 ff. des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874). § 5. Die Belheiligung an einem nach Z 1 verbotenen Vereine oder an einer nach§ 3 verbotenen Versammlung wird mit Ge- fängniß bestraft. Gleiche Strafe trifft Denjenigen, welcher sich nicht sofort entfernt, sobald die Auflösung einer Versammlung auf Grund des§ 3 erfolgt ist. Gegen die Vorsteher des Ver- eins, sowie gegen die Unternehmer und Leiter der Versammlung und gegen Denjenigen, welcher zu einer verbotenen Versamm- lung das Lokal hergibt, ist auf Gefängniß nicht unter drei Mo- naten zu erkennen.§ 6. Wer öffentlich durch Rede oder Schrift es unternimmt, in Verfolgung der im§ 1 bezeichneten Ziele die bestehende sittliche oder rechtliche Ordnung zu untergraben, wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten bestraft.§ 7. Dieses Gesetz gilt nur für den Zeitraum von drei Jahren. Die 1 bis 5 treten sofort in Kraft." Diese Vorlage war selbst dem Bundesrath zu scharf; nach zweitägiger langer Berathung beschloß man, das Gesetz ohne den Paragraphen 6 dem Reichstag zu unterbreiten. Gegen die ganze Vorlage stimmten das Großherzogthum Hessen und die freien Städte Bremen und Hamburg . Mit der Ueberschrift: Gesetzentwurf gegen Ausschrei- tungen der Sozialdemokratie, gelangte die ungeheuerliche Vorlage den 20. Mai an den Reichstag; die Mitglieder des- selben erhielten sie Dienstag, den 21. Mai. Allgemein war man auf die Reden gespannt, die bei Be- rathung dieses Entwurfs im Reichstage das Licht der Welt er- blicken würden. Man glaubte, daß besonders die sozialdemokca- tischen Abgeordnelen einige fulminante Reden halten wollten. So nahte der 23. Mai, der Tag der Entscheidung, heran; die Reichslagssitze waren kaum jemals so zahlreich besetzt, die Tri- bünen überfüllt. Man erwartete nun zuerst die Antrittsrede des neuen preußischen Ministers, Grafen Eulenburg. des Vetters des früheren Ministers Eulenburg, dem man eine bedeutende Redner- gäbe zugesprochen und der auch einen großen Anthcil an der Vaterschaft des Attentatsgesctzentwurfs hatte. Doch sollte eine große Enttäuschung folgen. Anstatt des Herrn von Eulenburg trat zuerst der allbekannte Präsident des Reichskanzleramtes Minister Hofmann für den Gesetzentwurf in die Schranken. Der Redner sprach von den maßlosen Ausschrei- tungen der Sozialdemokratie, von dem Attentat, welches die So- zialdemokratie wohl eigentlich nicht verschuldet habe, das aber eine sehr günstige Gelegenheit biete, mit reaklionären Vorschlägen an die gesetzgebenden Versammlungen heranzutreten; dann betonte er, daß das Gesetz allein allerdings nicht die Ausschreitungen der Sozialdemokratie zu verhindern vermöge, daß vielmehr die bürgerlichen Parteien und vor allen Dingen die Kirche berufen seien, mitzuhelfen. Ein reaftionäres Ausnahmegesetz, ein ge- schlossencs Auftreten des liberalen Bürgerthums und die Kirche ein nettes Trifolium! Als der Reichstagspräsident dem Abgeordneten Liebknecht das Wort gab, trat allgemeine Spannung im Hause und auf den Tribünen ein man erwartete vielfach eine sogenannte große Rede. Darin täuschte man sich allerdings; aber eine noch so be- deutende Rede würde mcht die Wirkung gehabt haben, als nach' stehende Erklärung, die Liebknecht Namens der sozialdemokratischen Abgeordneten abgab: Erklärung der sozialdemokratischen Reichstags- Abgeordneten. Der Versuch, die That eines Wahnwitzigen, noch ehe die ge- richtliche Untersuchung geschlossen ist, zur Ausführung eines lang vorbereiteten Reaktionsstreiches zu benutzen und Diemoralische Urheberschaft" des noch unerwiesencn Mordattentats auf de� deutschen Kaiser einer Partei aufzuwalzen, welche den Mord jeder Form verurtheilt und die wirthschastliche und politische Ein' Wickelung als von dem Willen einzelner Personen ganz unav- hängig auffaßt, richtet sich selbst so vollständig in den Auge jedes vorurtheilslosen Menschen, daß wir, die Vertreter der zialdemokratischen Wähler Deutschlands , uns zu der Erklär« gedrungen fühlen: