Wir erachten es mit unserer Würde nicht vereinbar, an der Discnsfion des dem Reichstage heut vorliegenden Aus- nahmegesetzes theilzunehmen, und werden uns durch keinerlei Provocationen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, in diesem Beschlug erschüttern lasien. Wohl aber werden wir uns an der Abstimmung betheiligen, da wir es für unsere Pflicht halten, zur Verhütung eines beispiel- losen Attentats auf die Volksfreiheit das Unserige beizutragen, indem wir unsere Stimmen in die Wagschale werfen. Falle die Entscheidung des Reichstages aus wie sie wolle die deutsche Sozialdemokratie, an Kampf und Verfolgungen ge- wöhnt, blickt weiteren Kämpfen und Verfolgungen mit jener zuversichtlichen Ruhe entgegen, die das Bewußtsein einer guten und unbesiegbaren Sache verleiht. Berlin , 23. Mai 1878. Auer. Blos. Bracke. Temmler. Fritzsche. Hasenclever. Kapell. Liebknecht. Most. Motteler. Rittinghausen. Diese Erklärung wirkte geradezu verblüffend auf die Mit- glieder des Bundesraths und des Reichstags. Allseitig hatte man sich vorgenommen, über die Sozialdemo- kratie in der persönlichsten und schärfsten Weise herzufallen; durch die würdige Erklärung der sozialdemokratischen Abgeordneten aber war solchem Vorhaben von vornherein die Spitze abge- brachen worden und nur Einer im deutschen Reichstage, der Fortschrittsabgeordnete Herr Eugen Richter , ließ seiner ange- borenen Schmählust die Zügel schießen! Die conservativen Redner, die Bundesrathsmitglieder und einige reaktionär-.liberale" Professoren, welche für die Vorlage eintraten, waren um Gründe nicht verlegen. Die Sozialdemo- kratie bedroht die bestehende Ordnung, deshalb muß sie vernichtet werden; das Mittel, welches wir vorschlagen, ist allerdings kein allzu lauteres, auch kein glücklich gewähltes, auch vielleicht nicht einmal ein wirksames, aber wir haben kein anderes, deshalb muß es gebraucht werden. Das war thatsächlich Alles, was von den Anhängern der Vorlage vorgebracht worden ist. Die Gegner der Vorlage, die Liberalen und das Centrum, ließen es sich auch nicht nehmen, auf die Gefahren, welche die Sozialdemokratie bringe, hinzuweisen; sie betonten, daß man letzterer mit allen Mitteln entschieden entgegentreten müsse, aber die Vorlage sei unannehmbar, weil sie ungeschickt und vorzüglich deshalb, weil sie, zum Gesetz erhoben, wirkungslos sei. Ja, man behauptete sogar und wir glauben nicht mit Unrecht daß nach der Annahme der Vorlage die Sozialdemokratie noch mehr wachsen und gedeihen werde und daß die Gefahren, vor denen mau jetzt schon bebe, in anderer und furchtbarerer Gestalt nahe treten würden. Die von den gesetzlichen Bahnen durch eine Ausnahmegesetzgebung abgedrängte sozialdemokratische Bewegung werde auf den Weg der geheimen Conspiration und somit auf den Weg der Gewalt hingeführt. Attentate, Putsche, Rebellionen würden dann eine stehende Rubrik in den Tagesereignissen finden. Neben solchen Betrachtungen aber wurde besonders von Seiten der nationalliberalen Redner der Regierung empfohlen, die bestehenden Gesetzesvorschriften bis an die äußerste Grenze der Zuläsfigkeit anzuwenden. Als wenn dies nicht schon längst geschehen wäre? Als wenn nicht schon längst die Polizeiagita- tion der Sozialdemokratie gegenüber die äußerste Grenze der Zuläsfigkeit überschritten hätte? In richtiger Würdigung dieses Vorwurfs, den deutschen Re- gierungen gemacht, trat der preußische Polizeiminifter Eulenburg demselben entschieden entgegen, indem er betheuerte, daß die Regierungen von den bestehenden Gesetzen den denkbar ausgie- bigsten Gebrauch gegen die Sozialdemokratie bisher gemacht hätten, daß dies aber nicht gefruchtet habe, deshalb sei ja gerade dies neue, schärfere Gesetz vorgelegt worden. Wenn man aber das Gesetz ablehne und dennoch schärfere Polizeizügel haben wolle, so könne er auch damit dienen; er wolle dann schon da- hin wirken, daß die vorhandenen Mittel bis an die äußersten Grenzen der Möglichkeit in Anwendung gebracht würden. An den Widerspruch, der in solchen Aeußerungen liegt, stößt sich ein reaktionärer Minister ebenso wenig, wie ein liberaler Abgeord- neter sich an den inneren Widerspruch stößt, der darin liegt, wenn man ein Ausnahmegesetz gegen eine politische Partei ab- lehnt, diese selbe Partei aber unter ganz besondere Polizei- aufsicht gestellt sehen will. Merkwürdig war, daß sich für den von den Juristen der liberalen Parteien seiner Form halber so hart mitgenommenen Gesetzentwurf kein einziger Jurist des Bundesraths erhob, ob- wohl Herr Friedberg , der Mitoater desselben, während der ganzen langen Debatten sich im Reichstage befand. Die Verhandlungen wurden am 23. Mai nicht zu Ende ge- führt. Donnerstag den 24. Mai wurden sie wieder eröffnet und zum Schlüsse gebracht. An diesem letzteren Tage hatten noch einigeLberale" Professoren einen Abänderungsvorschlag vor» gelegt, der dem Regierungsvorschlag wie ein Ei dem andern ähnlich sah. Bei der Abstimmung wurde dieser Professoren- Entwurf, welcher in tz 1 stattwelche die Ziele der Sozialdemokratie ver- folgen" zu setzen vorschlägt,welche den auf Umsturz der be- stehenden Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen der So- zialdemokratie dienen", mit 243 gegen 60 Stimmen abgelehnt; sechs Mitglieder enthielten sich der Abstimmung und zwar die nationalliberalen Abgeordneten Baehr(Kassel ), v. Cuny, v. Huber, Struckmann, Dr. Wagner und Witte; für das Amendement stimniten die Deutschconservativen, die Minister Falk und Frieden- thal, die deutsche Reichspartei bis auf die Abgeordneten Schlomka und Dieffenbach, von den Nationalliberalen nur Gneist, Moeller (Schwerin ) und v. Treitschke , ferner Beseler. Hierauf wurde der§ 1 der Bundesraths- Vorlage mit 251 !nrj7 Kulmen abgelehnt; der Abstimmung enthielt sich der «j dafür stimmten die Deutschconservativen, die und bis auf die Abgg. Graf Luxburg, Schlomka, f"b �ffenbach v°n den Nationalliberalen allein v. Treitschkee Nmi-n ��eler. Für den Paragraph 1 der Vorlag- I Ackermann, Graf Arnim , v. Bärensprung, R-tbu v v«-scler. v. Bethmann-Hollweg , Graf Zu Carolath, Clauswitz, v. Colmar , Dietze, Graf Dohna, Freiherr v. Ende. Graf zu Eulenburg, m l««V** a�0lfen6ur5' Dr- Friedenthal, v. Gerlach, V- Kordon. V Graevemtz. Fürst Hatzfeld. Heinrich, v. H-lldorf. Graf Holstein, V.Jagow, v. Kardorff, Katz, Klette, Graf Kleist, v. Knapp, V. Levetzow, �r. Lucius, v. Lüderitz , Freih. v. Man- teuffel, Marcard, Graf Moltke, Fürst Pleß, v. Pattkammer (Lübben ), Herzog v. Ratibor , v. Ravenstein , Reich, v. Schmid (Württemberg ), V. Schwarze, Staehlin, Staudy, Graf Udo Stollberg, stamm, V. Treitschke, Thilo, Uhden, Freiherr von Unruhe-Bomst, Freiherr v. Barnbüler, v. Waldaw, v. Wedell und Wichmann. Von diesen sind 48 gewählt in Preußen, je 4 in Sachsen und Württemberg und l in Baden. Die Namen der Herren, welche für das Ausnahmegesetz ge- stimmt haben, seien dem Volke hiermit zu ganz besonderer Beach- tung empfohlen. Der Reichskanzleramts-Präsident erklärte nun, daß die ver- bündeten Regierungen keinerlei Gewicht mehr auf die Abstim- münzen über die anderen Paragraphen des Gesetzes legten, und es wurde deshalb die Berathung eingestellt. Das Ausnahmegesetz war s?mit vorläufig beseitigt. Daß die Reichsregierung eine Blamage erlitten, wer möchte es bestreiten; aber auch den sämmtlichen Parteien, außer der sozialdemokratischen, ist die Blamage nicht erspart worden, da die- selben aus Anlaß eines Attentats, verübt von einem verlotterten, halbwahnsinnigen Burschen, zu den heftigsten, unmotivirtesten Angriffen auf die Sozialdemokratie sich verleiten ließen, da sie den Schutz der Polizei für sich anriefen, diese Polizei aber auf die Sozialisten zu Hetzen versuchten, ja, dieselbe Polizei, welche in der Sozialistenhctze schon so Außerordentliches geleistet hat. Aber damit noch nicht genug! Für die nächste Zukunft ist die Einbringung eines allgemeinen deutschen Vereins- und Ver- sammlungsgesetzes der Regierung empfohlen worden, welches bei der reaktionären Stimmung, die gegenwärtig vom Conservatis- mus bis zum Fortschritt in allen Parteien herrscht, gewiß ultra- reaktionär ausfallen wird möge es so ausfallen, wenn seine Bestimmungen nur klar sind, so daß die Polizeiwillkür bei seiner Auslegung, wie jetzt so oftmals, nicht mehr den Ausschlag geben kann.--- Die Sozialdemokratie aber ist aus dem großen Kampfe als Siegerin hervorgegangen und sie wird Siegerin bleibenan Kampf und Verfolgungen gewöhnt, blickt sie weiteren Kämpfen und Verfolgungen mit jener zuversichtlichen Ruhe entgegen, die das Bewußtsein einer guten und unbesiegbaren Sache verleiht." Die Gewerkschaften. Von Freunden der Gewerkschaftssache ist wiederholt der Vor- wurf ausgesprochen worden, die deutschen Sozialdemokraten ver- Mnden zum großen Theil nicht die Gewerkschaftsbewegung und würdigten sie deshalb nicht genügend. Wir müssen gestehen, daß der Vorwurf nicht ganz unbegründet ist. Nur zu oft begegnen wir der Anficht, daß die Gewerkschaften, wenn überhaupt nöthig, eigentlich nur nothwendige Uebel, und blos als Anhängsel der politischen Partei, als Rekrutirungsfeld der Sozialdemokratie zu dulden seien. Nichts kann verkehrter sein als diese Anschauung. Es ist wahr, die Arbeiter bedürfen der politischen Organisation, wenn sie den ihnen gebührenden Einfluß im Staat erringen und die zur Befreiung der Arbeit und Arbeiter erforderlichen Reformen durchsetzen wollen. Allein ebenso wahr ist, daß eine politische Organisation nicht leicht darauf rechnen kann, das Gros des ar- bettenden Volkes in sich zu vereinigen, dauernd zu vereinigen, während dies, wie das Beispiel Englands gezeigt hat, bei einer gewerkschaftlichen Organisation sehr wohl möglich ist. Wenn man den raschen Zerfall der eine Zeitlang scheinbar so mächtigen, weil Millionen umfassenden Chartistenbewegung, mit der bewundernswürdigen Zähigkeit vergleicht, welche die englischen Trabes' Unions im Kampf gegen das Kapital seit vollen zwei, wo nicht mehr Menschenaltern entwickeln, springt diese Thatsache hell in die Augen. Sie bietet nichts Erstaunliches. Das In- teresse ist die mehr oder weniger verborgene oder sich ver- bergende Triebfeder, wenn auch nicht aller menschlichen, doch aller politischen und gesellschaftlichen Handlungen, und daß der Masse der Arbeiter das Interesse, welches sie an einer gewerk- schaftlichen Organisation haben, weit leichter klar zu machen ist, als ihr Interesse an einer politischen Organisation, das liegt auf der Hand. Bei jener handelt es sich um, zum Theil ziemlich entfernte, dem Ungebildeten, Denkungeübten schwer verständliche Ziele, welche das Interesse des Einzelnen nicht direkt berühren; bei dieser um nächste, Jedem verständliche Ziele, und die direktesten, dem Blödesten erkennbaren, weil sich fühlbar machenden Jnter- essen. Tie Zahl der Arbeiter, die von Staat und Gesellschaft klare Begriffe haben, ist relativ gering; wohingegen es nur äußerst wenig Arbeiter giebt, die von ihrem Gewerke und ihrer Stellung zu demselben und in den. selben nicht klare Begriffe hätten. Wir glauben nicht zu übertreiben: auf je einen Arbeiter, der über das Wesen des Staats und der Gesellschaft correct ur- theilen und sprechen kann, kommen zum Mindesten zehn, die über ihr besonderes Gewerke correct urtheiten und sprechen kön- nen. Daraus folgt, daß es zehnmal so leicht ist, die Arbeiter für eine Gewerkschaftsorganisation als für eine politische Orga- nisation zu gewinnen. Wende man uns mcht ein, wie man das mitunter hört: durch die Betheiligung an einer Gewerkschaft würden die Arbeiter von den höheren Zielen der politischen Be- wegung, also von der Sozialdemokratie abgelenkt. Das ist durch- aus nicht richtig. Geleugnet soll nicht werden, daß die GeWerk- schastsbewegung in guten und ruhigen Geschäftszeiten leicht einen philisterhaften Charakter annimmt, allein unsere herrliche bürger- liche Gesellschaft hat dafür gesorgt, daß diese guten und ruhigen Geschäftszeiten nur Oasen sind in der Wüste der Krisen und der Geschäftslosigkeit; und einwal aus diesen Oasen heraus befinden sich die Gewerkschaften im Kampf, im Klassenkampf. Tau- sendmal haben die englischen Trades' Unions die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit proklamirt, und tausendmal ist ihnen von dem Kapital der Klassenkampf aufgezwungen worden. Dies wird genau so lang dauern, bis jeder englische Trades Unionist eingesehen hat, daß in der heutigen Gesellschaft die Harmonie zwischen Kapital und Arbeit ein Nonsens, ein Unsinn ist, daß ein klaffender Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit besteht, und daß dieser Gegensatz blos gehoben werden kann, indem die Ar- beit in den Besitz der Arbeitsmittel gesetzt und genossenschaftlich organisirt wird. Das läßt sich aber ohne politische Aktion der Arbeiterklasse nicht erreichen. In demselben Moment, wo die englischen Trades' Unionssten durch die Bank eingesehen haben, daß das Bourgeois-Kapital auf dem Boden der Bourgeois ie- sellschaft und des Bourgeois-Staats unbesieglich ist, in demselben Bioment tritt das englische Proletariat in die politische Aktion ein. Und wie tritt es in sie ein? Eine festgegliederte, in hundertArbeitsschlachten" erprobte, wohldisziplinirte Armee von fast anderthalb Millionen Streitern. Das heißt eine Macht, der, wenn sie sich mit voller Wucht auf den entscheidenden Punkt wirst, keine Regierung, kein Klassenregiment erfolgreichen Widerstand leisten kann. Mit anderen Worten: die Bürgschaft des Sieg?. Aber noch mehr. Gesiegt haben die Arbeiter ichon oft, aber den Sieg nicht cur isnützt, und deshalb umso.; gesiegt. Warum? Weil die SL. hrzahl des Volks, des arbmenden Volks sich von der po- Ii: ichen Bewegung fern gehaUen, ja, sich ihr gegenüber feindlich verhalten hatte und im kritischen Augenblick fehlte oder gar in d.n Reihen der Feinde focht. In einem Lande, welches eine Gewerkschaftsbewegung hat wie die englische, ist Sehnliches nicht zu befürchten, denn die Mehrzahl der Arbeiter ist organisirt, der Rest unter dem Ein- flusse der Organisation. Und dies bringt uns zu einem andern Punkt, der bisher leider fast gänzlich übersehen worden ist. Die Gewerkschaften sind die Krystallisationsfäden der künftigen Arbeits- ordnung, die in Gewerkschaften organisirten Arbeiter die Pioniere der neuen Gesellschaft. Unsere modernen Staaten, ganz unter der Herrschaft der Bourgeoisie oder doch der Bourgeoisideen stehend, haben nirgend einen ernstlichen Ver- such gemacht, das, nach Zerbrechung der Zünfte und Gilden durch diefreie Conkurrenz" geschaffene Chaos zu beendigen, dem Krieg Aller gegen Alle ein Ziel zu setzen und an Stelle der anarchischen Produktion und ungerechten Güterverthei- lung eine planmäßige Produktion und gerechte Güterver- theilung einzuführen. Was die Regierungen hätten thun sollen, das haben die Arbeiter gethan, aus eigener Jnitia- tive gethan. Die Gewerkschaftsbewegung ist der erste Versuch, die chaotischen Produktionsverhältnisse zu regeln und einAr- beitsrecht" zu schaffen; sie bahnt den Weg aus der Mißwirtb- schaff der Bourgeoisie und legt die Fundamente einer vernünfti- gen Gesellschaftsorganisation. Setzen wir den Fall: die englische Arbeiterklasse wäre was für die Arbeiter aller Länder blos eine Frage der Zeit ist regierungsfähig geworden. Wohlan, es bedürfte eines Dekrets von 5 Zeilen, welches die englischen Gewerkschaften beauftragte, sämmtliche Fabriken, Bergwerke, Eisenbahnen, Do- mänen, Fideikommisse in Verwaltung zu nehmen, und der Uebergang aus der Bourgeoifiewirthschaft in die sozialisttsche Wirthschaft würde sich ohne alle und jegliche Störung vollziehen zum Heil der Arbeiter, zum Heil der Gesammtheit, und namentlich zum Heil der besitzenden Klassen. In keinem anderen Lande der Welt sind die Bedingungen so günstig und das ausschließlich Dank der vortrefflichen, großartigen, sich über alle Arbeitszweige erstreckenden Organi- sation der Trades' Unions. Also nicht länger von oben herab auf die Gewerkschaften gesehen! Nicht länger sie stiefmütterlich behandelt! Zu einer gesunden, die Bürgschaft des Erfolgs in sich tra- genden Arbeiterbewegung gehört eine, das gesammte Arbeits- gebiet in allen seinen Zweigen umfassende Gewerkschafts- bcwegung. Ohne sie ist kein Sieg möglich, mit ihr der Sieg gewiß. Zweck der Gewerkschaftsorganisation ist der, die zer- streuten Glieder einzelner Gewerbszweige, z. B. Schuhmacher, Schneider, Buchdrucker, Tischler, Maurer u. s. w., zu vereini- gen, gemeinsam nach Verbesserung der bestehenden Arbeits- Verhältnisse zu streben, die verschiedensten Lohnverhältnisse zu regeln, d. h. Normen(Tarife) festzustellen, nach denen sich der Preis der Arbeit besser bestimmen läßt, um dadurch der Will- kür in der Bezahlung der betreffenden Leistungen ein Ende zu machen, mit all r Kraft einzutreten für Aufreckthaltung dieser selbstgeschaffenen Gesetze und die in solchem Kampfe ge- maßregelten Genossen zu unterstützen. Ein weiterer Zweck ist, durch die Gesetzgebung dahin zu wirken, daß eine bestimmte Ar- beitszeit, ein Normalarbeitstag, und zwar vorläufig der zehnstündige eingeführt, alle regelmäßige Sonn- und Feier- tagsarbeit verboten werden, sowie gänzliches Verbot der Kin- derarbeit, Beschränkung der Frauenarbeit auf das derselben vonderNatur angewiesen? Gebiet eintrete. Auch haben esdieGewerk- schaften unternommen, gegen die die freien Arbeiter schädigende Zuchthausarbeit Front zu machen und an die gesetzgebenden Faktoren dieserhalb zu petitioniren. Wenn auch bis jetzt nur geringe Erfolge zu verzeichnen sind, so ist doch mit Befrievigung zu konstatiren, daß die Arbeiter immer klarer erkennen, wo Ab­hilfe geschaffen werden muß durch die Gesetzgebung. In consequenter Folge dieser Bestrebungen haben die Mitglieder der Gewerkschaften nur solchen Reichstagsabgcordneten ihre Stimmen bei der Wahl zu geben, welche für die Interessen der Arbeiter mit aller Entschiedenheit eintreten.' Einer der Hauptzwecke des gewerkschaftlichen Lebens aber ist unstreitig das Unterstützungswesen. Es sind schon vorhanden verschiedene Kranken- und Sterbekassen, Wittwen-, Wai- sen-, Invaliden- und Wanderunterstützungskassen. In neuerer Zeit hat man auch die Arbeitslosen in einigen Ge- werkschaften unterstützt. Die Kassen, welche solchen Zwecken die- nen, sind die Fundamente der Bewegung und es basiren alle Erfolge auf der zweckmäßigen und billigen Einrichtung derselben. Um die leider vielfach zerstreuten kleineren Orte- und anderen Kassen leistungsfähiger zu machen, geht man damit um, die Centralisation derselben herzustellen. Der am Pfingstfeste in Hamburg stattfindende Gewerkschafts-Congreß wird in dieser Beziehung hoffentlich eine allgemeine Organisation derjenigen Zweige der Gewerkschaftsbewegung in's Leben rufen, die allen Gewerkschaften gemeinsam sind und das sind eben die Unterstützungskassen. Löst die Polizei auch die Gewerkschaften aus irgend welchen Gründen auf, so dürfte sie doch über solche Kassen, die auf Grund des Hülfs- tassengesetzes organisirt find, nicht den Stab brechen können. Es muß Jedem klar sein, daß, wenn Tausende der verschiedensten Gewerbszweige in eine Kasse zahlen, für den Einzelnen der Beitrag gering und die Leistung der Kasse eine ungleich höhere sein wird, als wenn nur einige Hunderte denselben Zweck in zehn verschiedenen Vereinen befolgen. Auch dem Genossenschaftswesen bat man seine Aufmerk- samkeit zu schenken. Es sind zwar vielfach schon Genossenschaften ins Leben gerufen worden; jedoch die Erfahrung hat gelehrt, daß mit privaten Mitteln die Arbeiter mit der Kapstalinacht auf solchem Wege im Großen und Ganzen nicht konkurriren können, sondern daß endgültig der Staat die Organisation der Arbeit, die Regelung der Produktion in die Hand nehmen muß; und zwar der Staat aufgebaut auf den Prin- zipien der allgemeinen, wahren Freiheit und des Rechts der Arbeit. Der Nutzen all' dieser Bestrebungen speziell für die Arbeiter und die wohlthätigen Folgen derselben auch für die Gesammtheit leuchten jedem Vernünftigen ein. Bezeichnend für den heutigen Staat aber bleibt es, daß so- gar die Gewerkschaften demselben ein Dorn im Auge sind. Trotz alledem bricht sich die Erkenntniß der Wahrheit unserer Prinzipien allüberall Bahn und so beginnt auch die Gewerk- schastsbewegung mehr und mehr in den Vordergrund zu treten. Die deutschen Arbeiter fangen an zu begreifen, daß sie vereinzelt Nichts, vereinigt alles Erstrebenswerthe erreichen können! Mögen deshalb die Genossen sich den Gewerkschaften ansck ließen und dort dazu beitragen, daß die Vorbedingungen zur geuosseuschastlichen Produktion, das Berständniß dafür jedem Menschen klar werden Also, auf zur Organisation, auf zur Agitation!