Nur aber werden dafür sorgen, daß das arbeitende Volk mit der Zeit immer mehr erkennen lernt, wo es der Schuh drückt und wo ge- Holsen werden muß, und wahrlich ein großer Bruchtheil des arbeitenden Volkes hat bereits erkannt, von wem die Hülfe kommen muß und wird den„Ordnungs"parteien am 30. Juli antworten. Wer jedoch jetzt noch nicht erkannt hat, daß alle anderen der Arbeiterpartei gegenüber eine„reaktionäre Mo'V bilden, der ist nicht zu bekehren. Indirekte Steuern erhöhen und neue einführen, das heißt doch gerade dem armen Volke den Fuß auf den Nacken oder auf die Brust setzen und ihm vollends den Garaus machen und Ausnahmegesetze in einem Staate, der sich rühmt, der militärisch bestorganisirteste zu sein, gegen eine Klasse der Bevölkerung in's Leben zu rufen, das ist ein testünomum paupertatis für denselben. Freilich, was nützt die Vermehrung des stehenden Heeres, wenn schon die Jugend vom Sozialismus angefressen ist und sozialdemokratischen Geist in die Caserne mitbringt? — Es muß auch solche Käuze geben. Der Commerzien- rath, Ritterguts- und Fabrikbesitzer Riebeck zu Halle hat eine lange Epistel in der„Magdeburgischen Zeitung" erlassen, in welcher er sich als ein absoluter Verächter der Wissenschaft selbst hinstellt. Der confuse Mensch schreibt:„Sogenannte National- ökonomen und Kathedersozialisten, und in neuerer Zeit auch die christlichen Sozialisten, Männer, die meistens nicht die nöthigen praktischen Vorkenntnisse über das Verhältniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern besitzen, fanden sich berufen, die Mittel zu lehren, durch welche Alles besser gemacht werden könne, und arbeiteten auf diese Weise den sozialen Communisten in die Hände."— Den„sozialen Communisten"! Giebt es etwa auch nichtsoziale Communisten? Die Braune, die Schulze, die Schmoller, die Stöcker— alle zusammen in einen Topf; man erkennt gleich an diesem Verfahren den Bierbrauer. Herr Riebeck versieht die gute Stadt Leipzig bekanntlich auch mit seinem Lagerbier, welches von den dursttgen Seelen sehr gelobt wird. Doch hören wir den Bierbrauer weiter:„Wenn die Herren Sozialisten aller Farben etwas Besseres lehren und erreichen wollen, so mögen sie den Anfang damit machen, die Fehler und Schwächen der Menschheit abzuschaffen, mögen Dünkel, Hochmuth und Lieblosigkeit gegen Andere unterdrücken. Wen wollen sie sonst, als unfern Schöpfer und allmäch- tigen Gott, dafür verantwortlich machen, daß er nicht alle Menschen mit gleichem Geiste begabt, nicht Alle mit gleicher Arbeitslust, gleicher Sparsamkeit und gleicher Charakterfestigkeit ausgestattet, daß er den Menschen die Freiheit gegeben habe, welche ihn unter Verantwortlichkeit befähigt, das Gute und das Böse zu wollen. Die Lehren der Sozialisten, der grünen, schwarzen und rothen, verstoßen wider Gottes Ord- nung. Sie rauben dem Menschen das Beste, was er besitzt, seine Zufriedenheit mit sich selbst, seine Liebe zum Vaterlande, zu seinem Könige und zu seinen Mitmenschen. Tief zu beklagen ist es, wenn solche Menschen in ihrer Dummheit und ihrem Dünkel wähnen, es besser machen zu können, als der allgütige Gott selbst."— Armer Stöcker! Auch Du wirst als ein Mensch hingestellt, dessen Lehren wider Gottes Ordnung verstoßen!— Doch verzeihen wir dem Herrn Riebeck seinen Blödsinn, wenn er fortfährt gutes Bier zu brauen. Hoffentlich wird sein„Esprit" nicht in sein Bier fahren. —„Republikanische" Preßfreiheit. Unser französisches Parteiorgan, die„Egalitö", ist soeben unter fünffacher Anklage vor das Polizeigericht und den Assisenhof geladen worden. Auch die„Adresse an die deutsche Sozialdemokratie" befindet sich unter den inkriminirten Artikeln; es sollen darin verbrecherische That- fachen gelobt und ferner zum Ungehorsam gegen die Gesetze auf- gefordert sein. Die fünf inkriminirten Artikel befinden sich in drei Nummern des Blattes; wenn dasselbe auf alle Punkte hin in der ganzen Strenge des Gesetzes verurtheilt wird, steht der „Egalitö" neunjähriges Gefängniß und außerdem acht- zehntausend Francs Geldbuße in Aussicht. Man sieht, wie weit es die Herren Opportunisten vom Schlage Gambetta's gebracht haben. — Die Exekutive der amerikanischen Arbeiterpartei hat sich nachdrücklich gegen die Schützenvereinsspielerei ausgesprochen, die hier und da eingerissen war und den Feinden als Popanz für die Philister treffliche Dienste that. Einige Genossen sind über das Einschreiten der Exekutive etwas erbost; wir dächten aber, die ganze Affaire wäre zu unbedeutend, um viel Worte darüber zu verlieren. Wem es Spaß macht, seinem Schützenverein(„Lehr- und Wehrverein") anzugehören, dem wird es Niemand mißgönnen; im Gegeutheil: es kann nur von Nutzen sein, daß die Männer sich im Gebrauche der Waffen üben. Ent- schieden zu verwerfen war und ist aber das rennomistische Säbel- gerassel einiger uniformsüchtigen Leute, die sich in diese„Lehr- und Wehrvereine" eingeschlichen haben und auf allen Gassen an- kündigen, daß sie mit Hülfe derselben die bürgerliche Gesellschaft und den heutigen Staat aus den Angeln zu heben beabsichtigen. Daß solch kindischem Gebahren nun ein Ziel gesetzt ist, können wir nur mit Freuden begrüßen. — Auch in Amerika wird Geld für Unterstützung der deutschen Sozialdemokratie in ihrem gegenwärtigen Kampf gegen die vereinigte Reaktion gesammelt. Man sieht, das Pro- letariat hat seine Solidaridät begriffen und die Devise: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" ist keine„alberne Phrase". — In der am 9. Juli stattgefundenen Verhandlung des Schwurgerichts in Wien wurde der Redakteur des sozialdemo- kratischen Blattes:„Der Sozialist", Johann Schwarzinger, wegen Störung der öffentlichen Ruhe zu einem Jahre schwe- ren Kerker verurtheilt. — Am 8. ds. starb zu Genf in der Verbannung Ra- zoua, unter der Commune Commandant der„Militärschule". Er War gleich tüchtig als Schriftsteller wie als Soldat, und ein überzeugungstteuer Sozialist. Sein Leichenbegängniß gab den Anlaß zu einer imposanten Demonstration. Das Proletariat wird seinen treuen Vorkämpfer nicht vergessen! Erklärung. In der Anklageschrift gegen Lehmann-Hödel heißt es:„er (Lehmann-Hödel) nahm seit November 1877 an dem Unterricht des Leipziger Arbeiterbildungsvereins, geleitet von dem Reichs- tagsabgeordneten Liebknecht, Theil." Die zweifelhafte Grammatik macht es ungewiß, ob das„ge- leitet" sich auf den Arbeiterbildungsverein oder auf den Unterricht in demselben bezieht. In jedem von beiden Fällen ist die Notiz aber unrichtig. Ich habe niemals den Leipziger Arbeiterbildungsverein, niemals dessen Unterricht„geleitet". Ich habe— gleich Anderen— zu verschiedenen Zeiten im Leipziger Arbeiterbildungsverein Unterrichtsstunden ertheilt(englische und deutsche), erinnere mich jedoch nicht, Lehmann-Hödel je zum Schüler gehabt zu haben. Der Verfasser der Anklageschrift hätte dies aus den Akten ersehen können. Unter allen Umständen ist es sehr eigenthümlich, daß man mich, der ich er- Wiesenermaßen in meinem ganzen Leben wissentlich nur einmal mit Lehmann-Hödel gesprochen(und obendrein als mit einem Gegner, den ich bei jener Gelegenheit vor den Folgen seines provozirenden Benehmens schützte), in die Anklageschrift hinein- zerrt und zum Lehrer oder intellektuellen„Leiter" des Unglück- liehen stempeln will, während die Leipziger nationalliberalen Führer: Sparig und Hüttner, die sich Lehmann- Hödel's er- Wiesenermaßen zu politischen Zwecken bedient und hundertmal mehr mit ihm verkehrt haben als ich, in der Anklageschrift nicht und zwar in Folge eines gegen seine Mutter verübten Diebstahls an Geld in Höhe von gegen 40 Mark, hielt sich zunächst einige Zeit in der Umgegend von Leipzig auf, wo er als sozialdemo- kratischer Agitator auftrat, und wendete sich dann nach Frank- furt a. M., berührte Kolmar, Metz , Luxemburg und Trier und kehrte am 11. April 1878 nach Leipzig zurück. Am 24. dessel- den Monats verließ er wiederum Leipzig , angeblich, um nach Dresden und Bremen zu reisen, begab sich aber über Magde- bürg nach Berlin , wo er bis zu seiner Verhaftung in Schlaf- stelle bei der Wittwe Breiter, Stallschreiberstr. 13, gewohnt hat. — Hier ist er unter dem Namen Lehmann, dem Namen seines Vaters, im April Mitglied der beiden sozialdemokratischen Ber - eine, des„Vereins zur Wahrung der Interessen der werkthätigen Bevölkerung Berlins " und des„Vereins für kommunale Ange- legenheiten des Nordostdistrikts" geworden, sowie auch dem den Sozialisten gegenübertretenden Vereine der„christlich- sozialen Arbeiterpartei" beigetreten, und hat seit seiner Ankunft in Ber- lin fast jeden Abend Versammlungen dieser Vereine besucht und sozialistische Zeitschriften und Flugblätter verbreitet.— Seinen Lebensunterhalt und seine sonstigen Ausgaben in Berlin , wie z. B. den Ankauf einer Spieldose für 52 M. 50 Pf., unter deren Klängen er vielfach in Bierlokalen sozialistische Blätter absetzte, bestritt er hauptsächlich von dem Gelde, welches er bei seiner letzten Anwesenheit in Leipzig seiner Mutter entwendet hatte.— Nachdem der Angeklagte bereits 1876 Mitglied der sozialisttschen Arbeiterpartei Deutschlands geworden und deren Versammlungen vielfach besucht hatte, nahm er seit November 187? an dem Unterricht des Leipziger Arbeiterbildungsvereins, geleitet von dem Reichstagsabgeordneten Liebknecht , als Mitglied Theil. Zur selben Zeit lernte er die in Leipzig damals anwesenden „Anarchisten" kennen, deren bekanntes Programm dahin geht, daß sie als Grundlage die Gemeinden annehmen mit der Frei- heit der Gemeinden, sich zu conföderireu, und als obersten Grundsatz hinstellen, daß die Aenderung der politischen und so- zmlen Verhältnisse mit Gewalt herbeigeführt werden müsse, wahrend die Sozialdemokraten den centralisirten Volksstaat und zwar zunächst im Wege der Reform zu errichten streben. Der Angeklagte trat insbesondere in Verkehr mit Emil Werner, dem Vertreter der Anarchisten auf dem vorjährigen Weltcongreß der Sozialisten ln Gent , und bekannte sich, als ihm seit einer Volks- Versammlung zu Stötteritz , auf welcher er den„Staatssozialist" verbreitet hatte, seitens der sozialdemokratischen Partei mit Arg- wohn begegnet wurde, offen zu ihrer Richtung. In Folge von Angriffen auf die Bediensteten der sozialistischen Arbeiterpartei, besonders in einem Artikel unter der Ueberschrift„Paschawirth- schast", wurde er durch förmlichen Beschluß der Leipziger So- zialisten vom 14. März aus der Partei ausgeschlossen, dieser Beschluß durch das„Central-Wahlcomitö" zu Hamburg unterm 9. Mai 1878 bestätigt und am 12. Mai iu der Zeitung„Die Fackel" bekannt gemacht. Am 24. Februar und am 17. März 1878 berief der Angeklagte selbst zwei Volksversammlungen zu Schkeuditz >bei Leipzig , in welchen der Anarchist Emil Werner Referent war. Während die Tagesordnung der ersten Volks- Versammlung„der Krieg im Orient" und die„Orientalische Frage im deutschen Reichstage" war, verherrlichten auf der zweiten Volksoersammlung Werner und Braune die Pariser Commune . Seine sozialdemokratischen, bezüglich anarchistischen Ideen kennzeichnet das von ihm über diese Versammlungen erstattete schriftliche Referat. Seitdem huldigte der Angeklagte immer mehr der anarchistischen Richtung. Er bekannte sich in prahlerischer Weise Anderen gegenüber als Anarchisten und Atheisten und that vielfach während seiner Aufenthaltes in Schkeuditz und an meh- reren anderen Orten Aeußerungen, die darauf schließen lassen, daß er bei seinem zu Gewaltthätigkeiten geneigten Charakter und politisch aufgeregtem Geist danach strebte, wenn möglich selbst zur Verwirklichung der sozialistisch-anarchistischen Ideen und ins- besondere der Abschaffung der monarchischen Regierungsform thättg zu werden. So äußerte er am Abend vor der ersten Schkeuditzer Volksversammlung zu dem dortigen Kürschnermeister Keil, als dieser sich weigerte, die Anmeldung dieser Volksver- sammlung zu unterschreiben, und dem Angeklagten erklärte, daß er mit Sozialdemokraten nichts zu thun haben wolle,„er sei nicht sozial, er sei Anarchist, er spreche nicht von Sozialdemo- kratie, weit mehr von der Commune; Amerika habe seinen Prä- fidenten und es ginge auch; Kaiser, Könige und Fürsten brauchen wir nicht." In gleicher Weise sprach er sich kurz vor der zweiten Schkeuditzer Volksversammlung in einer dortigen Restauration zu einigen Arbeitern dahin aus:„Kaiser , Könige und Fürsten brauchen wir nicht, die saugen das Volk aus;" und endigte seine weiteren Schmähreden mit den Worten:„Uns Sozialdemokraten gehört die Zukunft." Am Abend der zweiten Schkeuditzer Volks- Versammlung kam der Angeklagte mit Emil Werner in ein dor- tiges Restaurationslokal, sprach zu den dort anwesenden Gästen über die für die Arbeiter schlechten Zeiten, über den herrschenden Arbeitsmangel und äußerte dabei:„Das bringe ich noch dahin, daß ich selbst zum alten Wilhelm gehe."— Zu dem Restaura- teur Steiniger daselbst äußerte er, als dieser ihm seinen Saal nicht zu den Versammlungen einräumen wollte:„Na, weun's Hängen losgeht, da wissen wir, wo wir den Anfang machen."— Während seiner Anwesenheit in Metz am 28. März 1878 äußerte er in einem dortigen Restaurationslokal:„daß das Militär ganz überflüssig sei, daß das Volk überhaupt ohne Könige und Fürsten sich selbst regieren könne." In einem andern dorttgen Lokale bekannte er sich als Sozialdemokrat und führte Schimpfreden gegen die staatliche Ordnung und namentlich gegen die Zustände im deutschen Reiche.— Einige Tage darauf, am 31. März, in der Winter'schen Gastwirthschaft zu Trier , entwickelte der Ange- klagte den anwesenden Gästen gegenüber seine atheistischen An- sichten, kam dann auf Staat und Gesetze zu sprechen und äußerte dabei:„Wir brauchen keinen Kaiser, keinen König und keine Regierung, fort mit allem, alles muß fort, wir wollen frei sein, die Reichen müssen theilen, alle müssen gleichmäßig arbeiten, ein Jeder höchstens zwei Stunden täglich" und so fort. Kurz vor erwähnt werden. Auf welche Motive ein solches Verfahren zurückzuführen und ob es zu rechtfertigen ist, das überlasse ich dem Leser zu errathen und zu beurtheilen. Leipzig , den 11. Juli 1878. W. Liebknecht. Correspoudenze«. Nerti», 8. Juli. Die Paßkontrole in Berlin kam dieser Tage, wie man sich hier in kaufmänmschen Kreisen unter großer Heiterkeit erzählt, einem Jndustrieritter sehr gelegen. Derselbe, ein in seiner Heimath sehr angesehener Bankier, fühlte recht be- denkliches Schwanken seines Geschäfts, welches durch Schwankun- gen ähnlicher Geschäfte dem Zusammensturz vollends nahe ge- bracht wurde. Um nicht unter den Trümmern begraben zu werden, verließ der Bankier rechtzeitig das baufällige Haus und kam hierher nach Berlin . Hier war er aber nicht für alle Fälle geborgen, er mußte weiter, mußte in's Ausland. Dazu brauchte er einen Paß. Aus welche Weise den unter solchen Umständen erhalten, das war die Frage. Da kommt zur rechten Zeit der Paßzwang für Berlin . Nun schreibt unser Bankier ganz ge- müthlich an den heimischen Polizeidirektor, man solle ihm sofort einen Paß nach Berlin senden, weil er dessen wegen des Paß- zwanges dringend bedürfe. Der brave Polizeidirektor sendet, um seinen angesehenen Mitbürger prompt zu bedienen, sofort den Paß, und der Bankier segelt nun vergnügt in die weite Welt hinaus. Man steht, es hat Alles seine gute Seite! Berlin , 11. Juli. Die„Berliner Freie Presse" schreibt: Gestern waren die Mitglieder des Central-Wahl-Comitees und unser verantwortlicher Redakteur vorgeladen und wurde ihnen bei der Gelegenheit eröffnet, daß gegen sie wegen Verbreitung des bekannten Flugblattes Anklage wegen Beleidigung des Bundes- rathes und wegen Verstoßes gegen§ 131 eröffnet worden sei.— Die inkriminirten Stellen sind so unschuldiger Natur, daß eine Freisprechung selbstverständlich erscheint, bezeichnend aber ist die eingeleitete Untersuchung für unsere Zustände immerhin.— Daß die Wahlfreiheit unter solchen Umständen mehr und mehr zur Illusion wird, liegt auf der Hand, Versammlungen können wir nicht abhalten, weil die Polizei sämmtliche Lokalbefitzer einge- schüchtert hat, gelingt es aber trotzdem, eine Versammlung zu- sammen zu bringen, so wird sie aufgelöst, unsere Flugblätter aber werden konfiszirt und so geht es weiter. Nun, am 30. Juli werden wir auf dieses alles unsere Antwort geben und zwar eine prompte und pünktliche Antwort. Bis dahin aber kühl Blut und fleißig agitirt.— Wie der Redaktion unseres hiesigen Parteiblattes vom Genossen Most selbst per Korrespondenzkarte aus Chemnitz mitgetheilt wurde, ist derselbe von dort nach hier transporttrt worden. Die Frau von Most begab sich nun gestern sofort nach Plötzensee, um sich dort zu erkundigen, ob ihr Mann eingeliefert sei, erhielt aber darauf die Antwort: Das ist Dienst- geheimniß.— Wir wissen also augenblicklich nicht, wo sich Most befindet, hoffentlich aber wird diese Geheimnißkrämeret nicht allzu lange dauern. Die„Volkszeitung" meldet, daß Most direkt vom Anhalter Bahnhof in das Gefängniß am Plötzensee geführt worden sei. KirchVerg, 9. Juli. Am 1. Juli verschied nach langem Leiden unser Vorstand Wilh. Schubert. Derselbe war einer der Ersten, der unserer Fahne folgte, und ist ihr auch bis zu seinem Ende treu geblieben. Leider hinterläßt derselbe eine zahlreiche Familie ohne alle Existenzmittel, und möchten wir auswärtige Genossen bitten, der Familie ein Scherflein zukommen zukommen zu lassen, damit dieselbe nicht gänzlich dem Elend verfalle. Handelsmann Hermann Schwedler in Kirchberg nimmt Beiträge dankend entgegen. Sotdau. Am 9. Juli hielt sich Genosse Pöhmler besuchs- weise in Neumark bei guten Freunden auf. Nichts Böses ahnend, sahen P. und seine Freunde sich alsbald von Gendarmen und Polizisten verfolgt, und der bejahrte 62jährige Mann in seinem dem Attentat erzählte er hier dem Schlossergesellen Krüger, daß er Sozialdemokrat sei und daß, wenn alle Sozialdemokraten zu- sammenhielten, sie die Oberhand bekämen und alles umstürzen könnten. Wie sehr der Angeklagte die Ideen der absoluten Frei- heit und den Sturz der Dynastien in sich aufgenommen hat, bezeugt er selbst in seinem Briefe vom 21. Mai 1873. Er schreibt:„daß die Schweiz durch Tell frei geworden, daß ein neuer Tell erwünscht sei und in Deutschland es an solchen Tells fehle; schon in früher Jugend habe in ihm der Wille gekeimt, Front zu machen, den Kampf bis auf das Messer zu führen, die vollste individuelle Freiheit zu befitzen und nicht der Willkür dynastischer Jnteressenmänner zu gefallen."— Er rühmt sich weiter, in Berlin ein Viertelhundert revolutionärer Köpfe ge- schaffen zu haben, mahnt, daß eS Zeit sei,„tabula rasa zu machen", und schließt mit den Worten:„Es lebe die Propa- ganda der That." Demgemäß wird der Angeklagte des Verbrechens wider§§ 80, 211, 43 und 32 deS Strafgesetzbuchs beschuldigt. — Wie's gemacht wird. Unsere liberalen Spießbürger bieten überall die Krieger- und Turnvereine auf, um sozialistische Versammlungen zu sprengen. Und diese edlen Recken folgen auch dem Commandoruf des Geldsacks. Man sagt, daß b« solchem Aufgebot jedes Mitglied der Kriegervereine 50 Pfennige und jeder Turner zwei Seidel Bier Belohnung erhalte. — Wahlgeschichten. In Constanz hat Prinz Wilhelm von Baden die ihm von den Deutsch -Conservattven m einem Aufrufe, der das„Aufhören des Culturkampfs" fordert, angebotene Candidatur gegen den bisherigen nationalUberalen Abg. Heilig angenommen.— Ueberaus hübsch»st"n Wahlaufruf in einem Beuthener Blatte, welcher die Wahl des Herzogs von Ratibor empfiehlt. Er lautet wörtlich;„An die Männer der Stadt und des Kreises. Wählet den Mann, der Oberschlesien kennt!- Wählet den Berwandten des Kaiser- Hauses— gerade weil er Katholik ist!— Wählet Viktor, Herzog von Ratibor , den Präsidenten des Herrenhauses.— Wählet und fraget nicht!— Treu zu Kaiser und Reich wird er die Wahl annehmen!— Sollte der Herzog die Wahl für unsern Kreis annehmen, so wäre dadurch die beste Gelegenheit geboten, unseren bisherigen Abgeordneten nicht ferner seinem Berufe als Priester zu entziehen. Für den Herrn Herzog dürften auch unsere sämmtlichen katholischen Mitbürger stimmen, wenn von dem liberalen Wahlcomitö eine Einigung mit der ultramontanen Partei erzielt würde."— Herr Wölfel hat aus das Reichstagsmandat im Wahlkreise Merseburg - Querfurt verzichtet. Man sagt, daß die Merseburger Knüp- pelei daran die Schuld trage; Wölfel schäme sich jetzt der ganzen Affaire und wünsche nicht von jenen Prügelhelden gewählt zu werden.
Ausgabe
3 (14.7.1878) 82
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten