�wei zurück, so daß er zuletzt, rückwärts avancirend, in irgend ein Sumpfloch der Reaktion plumpst, wo wir ihn ruhig liegen und darüber nachdenken lassen wollen, ob er für oder gegen das Ausnahmegesetz ist. Hoffentlich kommt er vor der dritten Lesung noch mit sich in's Reine. Bamberger hatte die Geduld des„Hauses" aufs Aeußerste er- schöpft. Es war nun keines Haltens mehr. Sobald er geendigt, um 4 Uhr— wurde ein Bertagungsantrag gestellt und ein- stimmig angenommen. Morgen wird die Debatte wahrscheinlich zu Ende kommen. Da die Fortschrittspartei, consequent wie immer, sich entschlossen hat, für die Verweisung des Gesetzes vor eine Commission zu stimmen, wird die Verweisung unfehlbar mit großer Majorität erfolgen. Die Commission wird aus 21 Mitgliedern bestehen; ein sozialdemokratisches Mitglied wird dieselbe, in Folge des Widerstandes der Conservativen, vorausfichtlich nicht ent- halten.. � Berlin , 17. September. Auch heute ist die Spannung des Publikums eine große. Unter den Abgeordneten herrscht eine gewisse Erregung, weil verlautet, daß Fürst Bismarck der Sitzung beiwohnen wolle, um die gestern von Bebel gemachten„Enthüllungen" zu widerlegen oder richtig zu stellen. Das akademische Viertel wird etwas ausgedehnt und die auf 11 anberaumte Beginn der Sitzung bis auf V,12 verschoben. Nach Eintritt in die Tagesordnung erhielt als erster Redner das Wort der Fortschrittler Hänel. Der- selbe wendet sich mit Nachdruck gegen das Ausnahmegesetz, das er im Ganzen und in seinen Theilen für vollkommen unannehm- bar und für vollkommen unverbesserlich erklärt. Es sei eine wahrhaft cynische Zumuthung, die dem Reichstag mit diesem Gesetz gemacht werde. Es sei ein Parteigesetz, ja schlimmer: ein Tendenzgesetz, das nur Unheil anrichten könne. Es wende sich gegen eine ganze Partei auf Grund von Annahmen hin, deren Richtigkeit man nicht einmal zu beweisen suche. Die Sozial- demokratie könne nur mit geistigen Waffen bekämpft werden. Damit, daß man eine ganze Lehre als staatsgefährlich bezeichne, und die Unterdrückung dieser ftaatsgefährlichen Lehre verlange, ■fei blos der Beweis geliefert, daß man von Gedanken- und Gewissensfreiheit keinen Begriff habe.„Keine Regierung hat das Recht, zu entscheiden was staatsgefährlich ist und was nicht. Wird dieses Recht ihr zugestanden, dann ist es vorbei mit aller Freiheit— dann findet nur das Duldung, was der Regierung und herrschenden Partei gefällt." Wird dieses Gesetz, dessen Annahme ein schwerer politischer Fehler wäre, von dem Reichs- tag gebilligt, so ist es vorbei mit der Hoffnung auf eine gedeih- liche und ruhige Entwicklung der Dinge in Deutschland. -- Redner führt dann des Weiteren aus, daß man durchaus nicht juristisch definiren könne, was sozialistisch, und sozialdemokratisch sei, daß die Ideen und Ideale der Sozialdemokratie von vielen der edelsten und erleuchtetsten Männer gebilligt und getheilt worden seien; und daß man die Sozialdemokratie als politische Partei nicht treffen könne, ohne die Wissenschast zu treffen. Er <Redner) sei ein entschiedener Gegner des Vorgehens der Sozial- demokratie und glaube, daß sie vielfach gemeinschädlich gewirkt habe und wirke; allein dagegen habe man ja die Gesetze, die vollständig ausreichten. Unrecht sei es indeß, der Sozialdemo- kratie die jetzt unleugbar herrschende Verwilderung und Ver- vohung zuzuschreiben. Daran seien die allgemeinen politischen Verhältnisse, die Kriege, die Erschütterung der Autorität durch den raschen Wechsel auf politischem und legislatorischem Gebiete schuld. Statt zu reizen, statt zu ächten, gelte es zu versöhnen und eine gemeinsame Bafis für alle das Vaterland liebenden Elemente zu finden. Als Redner ungefähr in der Mitte seiner fast eine Stunde dauernden Rede(wohl der besten, die er im Reichstag gehalten) war, trat Bismarck in das Haus ein. Der Reichskanzler sieht etwas frischer aus, uls in der vorigen Session— er bewies eben hernach drastisch, daß dies nur Schein ist, und daß seine krankhafte Nervosität eher zu- als abgenommen hat. Er erhob sich kurz vor V-1 Uhr unter lautloser Stille des Hauses. Mit auffallend schwacher Stimme, und die Hände weithin sichtbar zitternd, begann er zu allgemeinem Staunen eine Attaque auf— Eugen Richter , der in dieser Session den Mund noch gar nicht aufgethan hatte und beschuldigte ihn heftig und in burschi- kosen Ausdrücken, daß er ihm(Bismarck ) m seiner Abwesenheit aus seinem Unwohlsein einen Vorwurf gemacht und ihn un- passender Beziehungen zur Sozialdemokratie geziehen habe. Uebrigens sei es ihm gleichgiltig, was Herr Richter von ihm sage und denke— eine Behauptung, die durch den Ton seiner Rede aufs Schärfste widerlegt ward. Nun wandte er sich gegen Bebel . Was zunächst die Affaire mit Eichler betrifft, so leugnet — Zur heutigen Gesellschaftsordnung. Der frühere Direktor der Rostocker Bereinsbank, Winkler, der frühere Direktor, Wächter und der Ausschußvorsitzende Paetow wurden wegen Betrug resp. Fahrlässigkeit, der erstere zu zwei Jahren Luchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf drei Jahre, der zweite zu fünf Monaten Gefängniß, der dritte zu sechs Wochen Gefängniß am 9. September verurtheilt. — Ein adliger Wegelagerer. Der Gutsbesitzer E. Frei- Herr v Leoprechting von Neuötting in Bayern erlaubte sich im Laufe des Sommers, von seiner Wohnung ans auf die nach der Stadt fahrenden Bauern mittelst eines Blasrohrs zu schießen, wegen welcher Handlung derselbe und zwar wegen Vergehens per Körperverletzung zu vier Wochen Gefängniß verurtheilt wurde. — Von einem Pistolendukll zwischen zwei höheren Offizieren wird aus Gera gemeldet; der eine wurde schwer ver- wundet. Politische Motive waren die Ursache zu diesem Mord- versuch. Darüber frenen wir uns: Wenn erst unter den Offi- zieren die politische Erregung bis zum Duell steigt, dann steht «z mit der bestehenden Staatsordnung sehr wackelig. — Der diesjährige anti-sozialdemokratische Ar- beitercongreß(Max Hirsch und Consorten) soll am 13. und 14. Oktober in Dresden abgehaltenen werden. Also nach Er- laß des Ausnahmegesetzes! Daß dieser Congreß ein reiner Ulk werden wird, das gestehen selbst die Liberalen ein, die Herrn Hirsch thatsächlich als einen Hanswurst betrachten. Uns thut der Mann bald aufrichtig leid seiner Beharrlichkeit wegen, mit welcher er darauf besteht, von seinen Gesinnungsgenossen Fußtritte S empfangen. Kaum hat er die Wahlblamage in Berlin ver- merzt, da fällt auch schon, des bevorstehenden Congresses wegen, pie„Magdeburgische Zeitung", immerhin ein tonangebendes libe- rales Blatt, mit folgenden Worten über den braven Max her: „Speciell ist es die Thätigkett des Dr. Max Hirsch , welche bisher größere Sympathieen für die Sache nicht hat aufkommen lassen. Man hat erst in neuester Zeit gesehen, daß die Fort- schrittspartei ihre Hand von diesem sozialen Agitator abgezogen hat, und es ist dabei in Berlin klar hervorgetreten, daß die große nationalliberale Partei ebenfalls nicht geneigt ist, die Hirsch'schen Organisationen zu unterstützen. Worin diese Stim- münz ihren Urgrund hat, ist zur Zeit noch nicht ganz klar,— er sie vollständig ab; er sei erst Ende September 1862 Minister geworden und habe also nicht schon„im September" 1362„die Affaire" mit Eichler arrangiren können. Einem Eichler habe er nie Aufträge gegeben— freilich Berichte habe er von einem Eichler erhalten. Er(Bismarck ) habe überhaupt mit keinem Sozialdemokraten jemals persönlich verkehrt. Lassalle rechne er nicht zu den Sozialdemokraten, von denen er sich wesentlich unterscheide, die er weit überrage. Mit den Epigonen von heute habe Lassalle absolut nichts gemein. Mit Lassalle habe er(Bis- marck) allerdings zwei-, drei-, auch viermal Zusammenkünfte gehabt; aber nicht durch Vermittelung eines Prinzen oder der Gräfin Hatzfeldt , die er 1865 zum letzten Mal gesehen habe. Lassalle habe ihn gesucht, nicht er Lassalle. Bon Unterhand- lungen kann keine Rede sein. Lassalle sei sehr liebenswürdig, geistreich und ehrgeizig im großen Stil gewesen. Er habe sich nie in besserer Gesellschaft gefunden als mit Lassalle, der, wenn er heut lebte, die Epigonen, die heut von seinem Ruhme zehren, aus dem Schatten seiner überragenden Persönlichkeit jagen würde. „Ich habe das allgemeine Wahlrecht acceptirt mit einem gewissen Widerstreben— als Frankfurter Tradition." Er deutete dann an, daß das Experiment freilich ein ziemlich gewagtes sei. Daß er die Produktivassoziationen im Prinzip billige, gab er zu und bestätigte auch, daß er Geld für die Schlefische Produktivassoziation ausgesetzt habe. Falsch sei, daß er seine Geheimräthe„im Gespräch" mit Paul herabgesetzt habe. Wenn ein gewisser Fritzsche gesagt habe, er(Fritzsche) habe ihm Berichte zugeschickt, so habe Fritzsche„gelogen", er wisse nicht, wer dieser Fritzsche sei. Auf den Zuruf aus der Versammlung: „Abgeordneter!" korrigirte er sich und nahm den Ausdruck „gelogen" zurück. Von dem Anerbieten Bucher's an Marx und des Braß an Liebknecht sprach er nicht. Nach diesen„Erklärungen" kam der Herr Reichskanzler auf's Ausnahmegesetz zu reden; dasselbe sei durch den veränderten Charakter der sozialdemokratischen Bewegung nothwendig gemacht. Die heutige deutsche Sozialdemokratie sei eins mit den russischen Nihilisten und Meuchelmördern, deren Thaten sie ver- herrlicht hat. Bon dem Moment an, wo„Bebel oder Liebknecht" von der Tribüne des Reichstags das Loblied der Commune gesungen und sie als nachahmenswerthes Beispiel hingestellt habe, sei seine(Bismarck's) Stellung zur Sozialdemokratie eine andere geworden. Man werde in Deutschland nicht zu so drastischen Mitteln zu greifen brauchen, wie in Frankreich , aber der Staat müsse sich seiner Haut wehren. Wir wollen nicht länger unter der Furcht vor einer Gesellschaft von Banditen leben. Es gilt-diese Gesellschaft unschädlich zu machen. Es kann dabei ja der Eine oder Andere fallen, aber wer erliegt, hat wenigstens das Bewußtsein, auf dem Felde der Ehre zu fallen. Nach dieser Kraftphrase sank der Fürst Reichskanzler er- schöpft in seinen Sitz zurück. Nun war aber die günstige Dem- peratur für das Auftreten eines Vollblutjunkers. Kleist-Retzow besteigt nun seine Rosinante und trompetet eine halbe Stunde die bekannte Melodei in's Haus hinaus. Zucht und Sitte fort, Gottesfurcht fort, Deutschland eine Mördergrube, und an Allem das vaterlandslose Gesindel der Sozialdemokratie Schuld! Sei doch ein sozialdemokratischer Abgeordneter bei dem neulichen Hoch auf den Kaiser sitzen geblieben. Wenn das Gift so weit und so tief gedrungen sei, müsse der Staat sich helfen, mit fester Hand zugreifen, die Gegner zermalmen. Nur keine halbe Arbeit. Die Sozialdemokraten erstreben den Umsturz, sie untergraben Staat und Gesellschaft, sie bereiten die gewaltsame Revolution vor(Hasselmann ruft: Denunziant! ein Ausdruck, der von dem Präsidenten als unparlamentarisch bezeichnet wird). Als Kleist-Retzow die Kraft seiner Lungen erschöpft, meldet sich Bebel zum Wort zur Geschäftsordnung und verlangt, daß Kleist-Retzow wegen seinen Beschuldigungen gegen die Sozial- demokratie, der er kriminell strafbare Handlungen vorgeworfen, zur Ordnung gerufen werde; desgleichen beantragt er den Orb- nungsruf gegen Fürst Bismarck , der ja im Haus der Disziplinar- gewalt des Präsidenten untersteh-, wegen des Ausdrucks„gelogen", den er gegen Fritzsche gebraucht, und ferner wegen des Ausdrucks „Gesellschaft von Banditen", der sich gegen die deutsche Sozial- demokratie im Allgemeinen und folglich auch gegen die Vertreter der Sozialdemokratie im Reichstag gerichtet habe. Der Präsident erklärt, daß er in Anbetracht des Themas Kleist-Retzow's Ausdrücke nicht als unparlamentarisch erachten könne, daß Bismarck das Wort„gelogen" zurückgenommen habe, und daß der Ausdruck„Gesellschaft von Banditen" keinen der Reichstagsabgeordneten persönlich treffe. Er ertheilt hierauf das Wort an Bracke. Dieser„will in die erregte Debatte wieder einen es ist uur eine Art instinktiver Widerwille gegen diese Führer- schaft unverkennbar in fast allen Kreisen der Wähler zu consta- tiren gewesen. Möglich, daß Herrn Dr. Hirsch Unrecht geschieht, da Manche ihn für einen halben Sozialdemokraten halten, Andere wieder seiner zu selbstständigen Leitung des sozialen Vereins- Wesens feind sind und ihn für unklar in seinen Zielen erklären. L. Bamberger nannte das„Harmonie- Mäxchen" des „Vorwärts" den„Süßwasser-Sozialisten", fortschrittliche Stimmen erklärten direkt, wo Max Hirsch sei, fei auch die Confusion." Und trotz dieser fortschrittlichen Stimmen bleibt Max beim Fortschritt?! Es giebt eben Naturen, die ohne Prügel sich nicht wohl fühlen. — Attentäterei. Der„Weser-Ztg." ging folgendes Tele- gramm zu: „Berlin , 13. September. Gerüchte circuliren von angeb- lich entdecktem neuem Komplott gegen den Kaiser. Der Atten- täter soll verhaftet sein." Die„Post" klärt nun diesen„Fall" auf und da erfahren wir denn, daß in Gastein wirklich ein Mann sich in verdächtiger Weise nach den Gewohnheiten des Kaisers erkundigt habe, daß dieser Mann dann verhaftet wurde und daß in dessen Besitz sozialistische Schriften gefunden worden sind. Die Absicht eines Attentats ließ sich zwar nicht constatiren. Der Mann soll aus Hannover und sein Vorleben nicht geheuer sein.— Wir aber bemerken der„Post", daß nur ein echtes wirkliches Attentat ihren reaktionären Plänen noch weitere Hülfe bringen würde. Kann sie das nicht in Scene setzen, dann möge sie doch solche Albernheiten unterlassen, die nicht einmal bewirken, daß Lasker über den Stock springt, wenn er nicht ohnehin Spring- gelüste hat. — Christlich -Soziales. Der„Staatssozialist" giebt in seiner neuesten Nummer in geradezu feierlicher Weise den Christ- lich-Sozialcn und dem Herrn Stöcker den Laufpaß. Stöcker wiederum hat seinen Trabanten, den Herren Grüneberg, Küster, Siering-c. denselben ertheilt. Grüneberg und Küster schimpfen sich gegenseitig als Lumpen. Ein nettes Ende! ruhigen sachlichen Ton bringen"; er weist nach, daß gerade die fozialbemokratische Weltanschauung den Versuchen gewaltthätigen Eingreifens in die sozialpolitische Entwicklung vorbeuge, wäh- rend die übrigen Parteien ihren Anschauungen, und theilweise auch ihrer Praxis nach, solchen Versuchen keineswegs feindlich gegenüberständen. Man habe uns vorgeworfen, Nobilings Schrotbüchse geladen und den Dolch der russischen Nihilisten ge- schliffen zu haben. Man habe uns ferner ein Verbrechen dar- aus gemacht, daß wir Hödel-Lehmann für ein Produkt der Heu- tigen Gesellschaft erklärt. Gut. Hödel ist in einer preußischen Besserungsanstalt erzogen worden, und die Sozialdemokratie, bei der er für kurze Zeit Rettung suchte, war außer Stand, aus einem verkommenen, durch und durch verlumpten Jndivi- duum einen tüchtigen Menschen zu machen. Der einzige echt menschliche Zug, den man von Hödel erfahren, ist die, vor der Hinrichtung gethane Aeußernng: Hätte ich eine andere Er- ziehung gehabt, dann wäre das nicht geschehen." In diesen Worten liegt allerdings eine schwere Anklage gegen die heutige Gesellschaft, die dem Unglücklichen eine menschenwürdige Erziehung versagt habe. Von Nobiling ist nur zu bemerken, daß die Sozialdemokratie nie die geringsten Beziehungen zu ihm gehabt hat. Er bewegte sich in reich streuen Kreisen, und aus diesen Kreisen sind allerdings Kundgebungen hervorgegangen, die in ein verwildertes Gemüth, wie das Nobiling's, den Samen des Verbrechens einsenken konnten. Redner verliest hierauf einige nalionalliberale Stilproben, die allerdings drastische Auf- reizungen zur Gewaltthätigkeit enthalten. Die Mittheilungen des Grafen Eulenburg über die angeblichen Geständnisse Nobi- lings haben keine Beweiskraft, weil Nobiling in einem Körper- zustand war, der seine volle Zurechnungsfähigkeit ausschloß. Bracke erwähnt noch, daß eine von dem jetzigen National- liberalen Bamberger redigirte Zeitung 1849 ein Attentat auf den Prinzen, heute deutschen Kaiser, verherrlicht habe und ver- breitet sich des Längeren über das Wesen der Sozialdemokratie, deren reformatorischen Charakter, deren wissenschaftliche Grund- läge, und beweist die Ungerechtigkeit und zugleicher Zeit Unwirk- samkeit des Ausnahmegesetzes. Der philantropische elsässer Fabrikant Dolfuß betritt jetzt die Tribüne, um„mit vielem Gefühl und wenig Stimme" eine Rede über die Lösung der sozialen Frage durch Arbeiter- Häuser, Versorgungsanstalten:c., so wie er sie in Mühlhausen eingeführt hat, zu lesen und dadurch jedes Ausnahmegesetz, das er verurtheilt, überflüssig mache. Hierauf erhebt sich Kardorff und wiederholt in etwas ab- geschwächter und entsprechend langweiligerer Manier das von Kleist-Retzow Trompetete. Dem Ritter des„preußischen Schnaps" folgt auf der Redner- bühne der Pole Jadzewski, welcher der Regierung von vorn- herein das Recht abstreitet, der Sozialdemokratie vorzuwerfen, sie untergrabe den Staat, die Religion, die Nationalität, denn gerade die preußische Regierung habe Polen gegenüber selbst Alles das gethan, was sie, wie er überzeugt sei, fälschlich der Soziald-mokratie in die Schuhe schiebe. Inzwischen ist es VzS Uhr geworden. Das todtmüde Haus beschli tzt mit großer Mehrheit den Schluß der Diskussion und nimmt den Bamberger 'schen Antrag auf Niedersetzung einer Emundzwanziger-Commisston an. Nach einer Reihe persönlicher Bemerkungen, auf die wir heute nicht eingehen können, wurde die Sitzung geschlossen. Morgen Wahl der Commission und Plenarsitzung um 12 Uhr. Tagesordnung: Antrag auf Sistirung eines Prozesses gegen Fritzsche und Bericht über Wahlprüfungen. — Stimmen der Presse über das Bismarckische So- zialistengesetz. Die„Magdeburgische Zeitung" erklärt, daß die Vorlage, welche unmittelbar nach dem Hödel'schen Mordversuche dem deutschen Reichstage vorgelegt worden sei, namentlich an der unklaren und verschwommenen Fassung des Paragraphen 1 gescheitert sei und nennt es eine glänzende Rechtfertigung der ablehnenden Haltung der damaligen Reichstagsmajorität, daß die Regierung nicht eine sorgfältig ausgearbeitete Vorlage eingebracht habe. Wenige Zeilen nach dieser Behauptung kritisirt das Blatt den nunmehrigen§ 1 und kommt zu folgendem Resultat:„Mit diesem neuen Paragraphen, mit dess-n Annahme oder Ablehnung das ganze Gesetz stehen oder fallen muß, sammt seiner in den Motiven erhaltenen Erläuterung, kommt man nicht viel weiter, als früher." Trotzdem also der jetzige Paragraph l nicht besser ist, als der damalige, und die Ablehr.ung des da- maligen völlig gerechtfertigt war, trotzdem empfiehlt die„Magde- burgerin" jetzt die Annahme des Gejetzes mit dem neuen Para- graph 1. Welche Logik! Als wenn das Blatt sich dieser Logrk selbst schämte, sagt es zum Schlüsse des betreffenden Artikels: „Wir verkennen dabei aber nicht die entsetzlichen Ge- fahren, welche eine solche Ausnahmegesetzgebung ganz unzweifelhaft in sich birgt und stimmen für dieselbe nur, weil sie uns, wie gesagt, von zwei Nebeln immerhin das kleinere zu sein scheint. Weit, sehr weit von uns aber müssen wir es weisen, den redlichen, auf das Wohl des Landes ehrlich bedachten Männern, die nach ihrer Ueberzeugung ein Ausnahme- gesetz verwerfen, auch nur den leisesten Vorwurf machen zu wollen. Wer kann sagen, daß er den allein richtigen Stand- punkt in dieser Frage einnimmt, die voll grauenhaften Un- Heils ist und unser Volksleben— so oder so— bis in's innerste Mark hinein verzehren und— so oder so— noch sehr böse Stürme gegen die Gesellschaft entfesseln wird? Wehe, wehe über Die, welche mit der Sozialdemokratie ein böses Spiel getrieben haben!" Alle Diejenigen, welche Ausnahmegesetze wollen und erlassen, treiben aber mit der Sozialdemokratie ein böses Spiel und haben die„entsetzlichen Gefahren" und das„grauenhafte Un- heil", welche unzweifelhaft aus der Annahme der Ausnahme- gesetze entspringen, sich selbst zuzuschreiben. Die das„Kreuzige, Kreuzige" geschrien haben, sie sind die eigentlichen Morder gewesen!--. Daß Bismarck mit dem Ausnahmegesetz nicht den s o z,a- lismus treffen will, besiätigt in folgender drastischer Weise die Londoner „Pall Mall Gazette ": „Es würde leichter sein, die Bismarckische Politik zu ver- folgen, wenn man ihre Ziele errathen könnte. Geradezu absurd ist die Annahme, daß ein Staatsmann seines Schlages sich der Hoffnung hingebe, den Sozialismus durch Maßregeln aus der Welt zu schaffen, wie sie von der Regierung verlangt werden." Trotzdem die ganze Welt die Liberalen warnt, werden sie doch über den Stock springen. Und bald schon wird das bekannte Sprüchwort in folgender Wendung angewandt werden:„Die Liberalen werden nicht alle!" —„Die Ihr rieft die Geister, werdet Ihr nicht los!" Diese Variation des Göthe'schen Spruches trifft die Herren Klerikalen, welche der Kirchenfragen halber politische Opposition machen und selbst reaktionär die Reaktion bekämpfen.
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3 (20.9.1878) 111
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