M 49. Sonnabend, den J7. Juni. 1871. Erscheint wöchentlich 2 mal in Leipzig . Bestellungen nehmen alle Postanstalten und Buchhand- lungen des In- und Aus- lande! an. Für Leipzig nehmen Bestellungen an: A. Bebel, PeterSstraße 13, F.Thiele, Emilienstraße 2, Der Volksstliiit Abonnementspreis Für Preußen inrt. Stempel- euer 1S Ngr.,für die übrigen eutschen Staaten 12 Ngr. per Quartal. Agent sürLondon A. Duensing ITomgu Bookseiler, Libra- riau and Newsagent, 8. Little Newport Street, Lei- ceater Square, W. C. Filialerpedition für die Verein ®taaten:F.A.Sorge,Box 101 Hoboken N.J. viaNewyork Organ der soMl-demoKratilchen Arbeiterpartei und der Internationalen GeVerksgenojsenschasten. Zum Kougretz. Anträge. Die Hamburger Parteigenossen beantragen, der Kongreß wolle beschließen: 1. Den Sitz der Kontrolkommission für das nächste Ge- schäftsjahr nach Frankfurt a. M. zu verlegen. 2. Den Antrag B eb el's betreffs Einsetzung einer Finanz- kommission für das Parteiorgan wie folgt umzuändern: „Zur Ueberwachung der geschäftlichen Leitung des Partei- organs haben die Mitglieder desjenigen Ortes, an welchem das Parteiorgan erscheint, alljährlich(und zwar innerhalb drei Wochen nach stattgehabtem Parteikongreß) eine Verwaltungs- kommission aus drei Mitgliedern zu wählen. Diese Kommission hat die Kontrole über Berwaltungs- und Finanzwesen des Blattes, soweit solches nicht direkt vom Parteiausschuß erledigt wiro, auszuüben, und ist verpflichtet, jederzeit auf Verlangen dem Parteiausschuß, beziehentlich der Kontrolkommission, sowie einem jeden Parteikongreß Bericht zu erstatten und Rechenschaft abzulegen." Motive: die Decentralisation nicht eingreifen lassen in die Rechte der Centralisation, weil sonst Zwiespalt zwischen Ver- waltungskommission und Parteiausschuß unvermeidlich. Das Blatt erfordert entweder, bei einem Deficit, Zuschuß aus der Parteikasse, oder es wirft, bei großer Verbreitung, Gelder zur Agitation ab. In beiden Fällen unterliegt es der Partei- centralmacht, d. h. den Anordnungen des Ausschusses, andern- falls würde der Ausschuß zur Nebensächlichkeit herabsinken. Die Finanzfrage kann nur vom Ausschuß, der die ganze Par- teilage kennt, gründlich beurtheilt werden, ebenso die Agita- tionsfrage. Schaffen ivir keine Zwittereinrichtung durch Lahm- legung des Ausschusses! H epner(Leipzig ) beantragt: „In Erwägung, daß politische Verfolgungen, wenn sie einen Unverheira theten treffen, von letzterem sowohl als von der Gesammtpartei leichter zu ertragen sind, als wenn sie einen Berheiratheten treffen, räth der Congreß den Par- teigenossen allerorts nachdrücklich an: „Die am meisten exponirenden Stellungen(wie die des Bevollmächtigten, Vorsitzenden, Referenten, Strike- Anführers u. s.w. womöglichst solchen P artei-Genossen zu übertragen, welche ledig und frei von der Ernäh- rung einer Familie sind." Antrag von Biedermann, einstimmig angenommen von den Parteigenossen zu Dresden : „In Erwägung, daß unsere gesellschaftlichen Zustände in Bezug auf Verfassung und Regierungsform den Gesetzen der Morgl, der Vernunft zuwiderlaufende und das natürliche Rechtsgefühl verletzende sind, indem das Prinzip monarchischer Verfassung die höchste Pflicht des Menschen, die Verantwort- lichkeit, ausschließt, indem der Wille des Einzelnen maßgebend über dem Willen der Gesammtheit steht, und somit die Rechte und Freiheiten des Volkes schädigend, dasselbe in die unwür- digste Sclaverei führt; „In Erwägung, daß die Kirche, welche eigentlich ihrer Na- tur nach die Aufgabe hat, die sittlichen Prinzipien zu vertreten, die dem Christenthum zu Grunde liegenden Ideen der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit zur Geltung und Auer- kennung zu bringen, unter dem Schilde der Humanität, der Wahrheit, der Gerechtigkeit unparteiisch und mit der That einzu- treten in den Kampf für die Befreiung der Völker vom Joche der Tyrannei und Willkürherrschaft, und einer sittlichen, gesell- schaftlichen Ordnung das Wort zu reden; „In Erwägung, daß die Kirche diese ihre Aufgabe nicht erfüllt, im Gegentheil, ihren Pflichten zuwider, die Rechte und Freiheiten des Volkes mißachtend, von der Höhe ihres ursprüng- lichen Berufs zur Sclavin, zur willenlosen Dienerin der am Ruder stehenden Gewalt herabgesunken, und so die mächtigste Stütze dieser unnatürlichen Zustände ist, stellen die sozialdemo- kratischen Parteigenossen zu Dresden den Antrag: „Der Congreß möge auf Grund dieser thatsächlichen Ver- Hältnisse beschließen, mit allen ihm zu Gebote stehenden wirksamen Mitteln, theils durch Verbreitung hierauf bezüglicher Schriften, sowie durch zu diesem Zwecke aller Orten einzube- rufende Versammlungen, für den Austritt aus der Land es- kirche zu agitiren, um auf diese Weise die in unserem Programm aufgestellte Forderung der Trennung der Kirche vom Staate zu vollziehen, und somit das Bündniß unserer Gegner auf politischem und kirchlichem Gebiete zu vernichten, die am Ruder befindliche Gewalt ihrer mächtigsten Stütze zu berauben." 1871. Zertrümmert liegt der erste Bau, Den unsre Freunde kühn errichtet, Noch war der Frühling allzu rauh Und hat die junge Saat vernichtet, Die junge Saat Zum freien Staat, Zu Ehr' und Ruhm Dem Menschenthum, Zum gleichen Recht für Me! Ein Kampf war es wie nie vorher, Sein oder Nichtsein klang die Frage, Hier siel das Vorrecht, liebeleer, Die neue Zeit dort in die Waage, Die neue Zeit, Die uns befreit Von Druck und Last, Die sonder Rast Will gleiches Recht für Alle! Der Knechtschaft Schergen siegten ob, Sie wälzen sich im Blut der Rothen, Und so wie sie der blaue Mob,") Zur Rache rufen drum die Todten! Zur Rache? Nein! Zum Sieg allein! Trotz Feindes Wuth Mit heil'ger Gluth Zum gleichen Recht für Alle! Ein andrer Frühling kommt wohl bald, Um allem Schlaf ein End' zu machen, Dann wird, ein Phönix an Gestalt, Aus seinem Traum das Volk erwachen, Aus seinem Traum, Giebt weiten Raum Der Weisheit Rath, Dem freien Staat, Dem gleichen Recht für Alle! _ August Geib. Politische Uebersicht. In Paris und Umgegend dauern die Erschießungen fort, nur daß man etwas ordnungsmäßiger verfährt, wie das einer Ordnungspartei geziemt. Das Morden wird methodisch besorgt von Kriegsgerichten, die es nicht an dem nöthigen Ei fer fehlen lassen. So wurden am 12. d. auf einmal 150 Pompiers, die der Kommune gedient hatten, zum Tod ver- urtheilt und sofort erschossen!— Unser Freund Vaillant soll den Versailler Ordnungs- banditen entkommen sein. Ebenso Leo.Frankel, der sich nach einer Wiener Korrespondenz der„Frankfurter Zeitung " in London befindet.— Lüge, Verläumdung,' Fälschung: das sind die Was- fen des Geistes, mit denen die Bourgeoisie den Sozialismus bekämpft. Und nie ist sie im Gebrauch derselben so schäm- und rücksichtslos gewesen, wie jetzt gegenüber der Pariser Kom- mune und deren Vertreter. Die Erzählungen von der„Schreckens- Herrschaft" während der Belagerung— Lügen; die Plünderungen, Gewaltthätigkeiten, Hinrichtungen— Lügen, Lügen, Lügen. Die Einäscherung von Paris durch die Sozialisten, nachdem die Versailler eingedrungen— Lüge; die Befehle zur Anzündung der Stadt— Fälschun g; zur Hinrichtung der Geiseln.— Fälschung."") Und nun erst die unzähligen Ver- läumdungen! Welche Schandgeschichten hat man nicht über die hervorragenderen Persönlichkeiten der Kommune in Umlauf gesetzt. Dieser hatte betrogen, Jener gestohlen, wieder Andere waren an Bonaparte verkauft— letzteres allerdings ein sehr sonderbarer Borwurf im Mund einer Presse, die den über- führten Söldner des Bonaparte,„Herrn Vogt", noch zu ihren Hauptautoritäten zählt. Die neueste Verläumdung, die wir herausgreifen— denn alle zu berücksichtigen, würde uns unmöglich sein, auch wenn unsere Zeit und unsere Kräfte sich verhundertfachten— betrifft unseren erschossenen Freund Varl in. Um in ihm die Sache, der er sein Leben gewidmet und für die er so heldenmüthig gestorben, zu verdächtigen, wurde das Gerücht ausgesprengt, bei seiner Verhaftung habe er Geld und Werthpapiere zum Betrag von 400,000 Frs. bei sich getragen. Nun' finden wir aber in französischen Blättern den amtlichen Bericht des Lieutenant Sicre, der Varlin verhaftete und das Exekutions- piket kommandirte. In diesem Bericht heißt es:„Unter den bei ihm gefundenen Gegenständen war ein seinen Namen tra- gendes Taschenbuch, ein Portemonnaie, welches 283 Frs. 15 Cent, enthielt, ein Taschenmesser und eine silberne Uhr." Also wieder verläumdet! gelogen! Ueber Barlin's Märtyrer-Tod entnehmen wir der „Tricolore", einem royalistischen Blatt, folgende Einzel- heiten: „Varlin wurde in der Rue Lafayette verhaftet und nach Moni- martre geführt. Die Menge, welche dem Zug folgte, schwoll mehr und mehr an, und man kam nur mit Mühe am Fuß der Buttes Moni- martre an, wo der Gefangene vor einen General geführt wurde, dessen Name wir nicht behalten konnten. Der mit dieser traurigen Mission beauftragte Offizier trat dann vor und sprach einige Augenblicke mit dem General, der ihm mit gedämpfter und ernster Summe antwortete: Dort, hinter der Mauer! Wir hatten nur diese vier Worte gehört, und obgleich wir ihre Be d-utung ahnten, wollten wir doch das Ende eines der Schauspieler in jenem Schreckensdrama,(!) das sich zwei Monate lang vor unfern Augen abgerollt hatte, bis zur Schlnßscene mit.ansehen. Allein die öfientliche Rachsucht hatte es anders beschlossen. Am bezeichneten Ort angelangt, rief eine Stimme, deren Urheber wir nicht erkennen konnten, und der sofort viele andere folgten: Man muß ihn noch spazieren *) Der englische Ausdruck für Pöbel. **) Sogar der„honette" Seinguerlet erklärt die vom„Paris Journal" veröffentlichten Aktenstücke für Fälschungen, fuhren! ES ist noch zu früh! Und eine einzige Stimme fügte daraus hinzu:„Die Gerechtigkeit(!) muß sich in der Straße des RosierS vollstrecken, wodiefeElcnden dieGeneraleLecomte und Thomas ermordet haben. Der traurige Zug setzte sich nun wieder in Marsch, gefolgt von nahezu 2000 Personen, die meistens der Bevölkerung von Montmartre angehörten. Als man in der Straße des Rosiers angekommen war, widersetzte sich der Generalstab, welcher dort sein Hauptquartier hatte, der Exeku» tion. Man mußte also, immer gefolgt von der stets anschwellenden Menge, nach den Buttes Montmartre zurückkehren. Die Zögerung wurde peinlicher und peinlicher; welche Verbrechen auch dieser Mann verübt haben mochte, er marschirte mit solcher Festigkeit dem Schick- sal entgegen, das er seit mehr als einer Stunde kannte, daß man diese verlängerte Todesqual bemitleiden mußte I Endlich war der verhängnißvolle Ort erreicht, man stellte den Gefangenen mit dem Rücken an die Mauer, und während der Offizier seine Leute aufstellte und sich bereit machte, Feuer zu kommandircn, ging die schlechtgehaltne Flinte eines Soldaten los; sofort gaben die übrigen Feuer, und Varlin hatte aufgehört zu leben. Die Soldaten, ohne Zweifel fürchtend, er sei nicht todt, stürzten vor, um ihn mit dcmKolben zu erschlagen; aber der Offizier sagte zn ihnen: Ihr seht doch, daß er todt ist! Laßt ihn..." Ein Kommentar würde dieses Schauergemälde nur ab- schwächen. So wird„die Gesellschaft gerettet." Nur Eins haben wir zu erwähnen: die„öffentliche Rachsucht" war die Rachsucht der„ h o n e t t e n"L eute, der„Ordnungs"-Philifter, die mit der diese Menschenart auszeichnenden Feigheit sich, ohne zu mucksen, der Kommune untergeordnet hatten, so lange die- selbe bestand, und jetzt, da sie gefallen war, mit der allen Feig- lingen eigenen Grausamkeit ihre Angst an dem besiegten und wehrlosen Gegner rächten! Männer aus dem Volk waren es nicht. Das können wir getrost sagen. Denn durch die eng- lischen Zeitungskorrespondenten ist konstatirt, daß das Volk von Paris , das heißt die gesammte Einwohnerschaft, nach Abzug der relativ kleinen Minorität von Kapitalisten und Grund- und Hauseigenthümern auch heute noch für die Kommune ist. Für uns aber liegt in diesen Privatbarbareien der Bour- geoisie, wie in ihren öffentlichen, offiziellen Unthaten, der Beweis, daß die Herrschaft der Bourgeoisie sich mit der Humanität und Zivilisation nicht mehr verträgt, und daß folg- lich die Humanität und Zivilisation den Sturz der' Bourgeoisie erheischen. Wir müssen bei dieser Gelegenheit an das prophetische Wort erinnern, das der so schmachvoll gemordete Varlin am 20. März 1868 aussprach, als er mit 9 Mitgliedern der In- ternationalen vor dem Pariser Zuchtpolizeigericht stand"): „Wenn eine Klasse das moralische Uebergewicht das ihr zur Herrschaft verholfen, verloren hat, so muß sie vom Schauplatz verschwinden, wennsie nicht zuGrausamkeiten, dem letzten Mittel aller untergehenden Gewalten, greifen will. Möchte die Bourgeoisie begreifen, daß ihr Streben nicht groß genug ist, um alle Bedürfnisse der Zeit zu umfassen, und daß ihr deshalb nichts anderes mehr übrig bleibt, als in der jungen Klasse aufzugehen, die ihr eine mächtige politische Wiederge- burt, die Gleichheit und die Solidarität durch die Freiheit, ent- gegenbringt!"— Der General v. Werder, jüngst um seine Meinung über dasFranktireurswesen befragt, hat folgende schriftliche Ant- wort gegeben:„Nach meiner persönlichen Ansicht liegt in dem Begriffe des französtischen Franktireurwesens an sich etwas Jnfamirendes nicht und es hat daher ein Franzose sich durch den Eintritt in ein solches Corps in meinen Augen keine schimpfliche Handlung zu Schulden kommen lassen, derart, daß er durch diesen Schritt sich den Anspruch auf fernere Ach- tung verwirkt hätte. Es wird vielmehr bei Beantwortung der Frage, ob dem Einzelnen aus seiner Theilnahme am Krieg als Franktireur mit Recht irgendwelcher Vorwurf gemacht werden könnte, lediglich sein persönliches Verhalten, namentlich als Soldat, sowie das des besondern Corps, dem er fortgesetzt angehört, in Betracht zu ziehen und von Entscheidung sein." Und der nationalservile Reichstags-Abgeordnete v. R o ch o w, ehe- mals Redakteur des Wochenblatts des Nationalvereins, schrieb vor Jahren in seiner„Geschichte des deutschen Landes und Vol- kes":„Wenn es gilt, die Vernichtung des Vaterlandes durch fremde Uebermacht abzuwehren, dann ist jedes Mittel, das zum Ziele führt, recht."— Unser Rechenexempel, betreffend das militärische Ehr- gefühl, war nicht ganz richtig. Wie wir aus dem steno- graphischen Bericht ersehen, rechnet Herr von Plötz 50 Gemeine auf 1 Offizier, also gerade doppelt so viel als wir angegeben hatten. Unb Herr von'Plötz muß es doch wissen. Nach der Plötz'schen Ziffer verhält sich das Plötz-Roon'sche„Ehrgefühl" der Offiziere zu dem der„Gemeinen" wie%»_ zu oder 1 zu 450. Mit anderen Worten: ein Offizier hat so viel Plötz-Roon'sches„Ehrgefühl," wie vierhun- dertfünfzig gemeine Soldaten, oder zwei ganze Compagnien in Kriegsstärke!— Dem Berliner Reichstag ist ein Dotationsgesetz, welches den Kaiser-König ermächtigt, unter„verdiente" Generale eine Gesammtsumme von 4 Millionen Thalern zu vertheilen, vor- gelegt und von Fürst Bismarck mit„großer Wärme" empfohlen worden. Daß ein Minister, der felber eine Dotation bean- *) S 69 der Eichhofs'schen Schrift über die„Internationalen Ar- beiterassoziation". SnHfofcttna auf Seite 4.
Ausgabe
3 (17.6.1871) 49
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