Jules Favre's Nundschreibeu über die Pariser Revolulion an die Bertreter der französischen Republik(?) im Auslande: Versailles , 6. Juni 1871. Die furchtbare Insurrektion, welche soeben durch die Tapferkeit(l) unserer Armee besiegt wurde, versetzte die Welt in solche Angst, ent- setzte sie durch solch' schreckliche Verbrechen, daß ich es für noihwendig erachte, den Schauder zu unterdrücken, den sie einflößt, um zu ver- suchen, die Ursachen aufzurollen, welche sie ermöglicht tzaben. Es ist von Bedeutung, daß Sie in dieser Beziehung unterrichtet werden, um die irrigen Ansichten zu berichtigen, die Geister vor mißlichen Ueber- treibungen zu warnen, und überall den moralischen Beistand der ge- bildeten, ehrlichen»nd muthige» Männer zu erwecken, welche in ent- schlossener Weise dasPrinzip der Autorität(!!) zur Geltung bringest wollen, indem sie zur Grundlage derselben die Achtung des Gesetzes, die Mäßigung und die Freiheit erheben. Sobald man Zeuge der Katastrophen war, die wir soeben bestan- den, wird man unter dem ersten Eindruck veranlaßt, an Allem zu zweifeln, mit Ausnahme der Gewalt, welche, als äußerstes Rettungs- mittel auftretend, dadurch allem als das wahre Prinzip fl) erscheine» könnte. Doch der Rauch des Kampies ist noch nicht entschwunden und schon findet Jeder, indem er sein Gewissen befragt, in demselben den höheren Wegweiser, den man nie ohne Ahndung verläßt, und zu dem wir Alle stets zurückgeführt werden, falls wir ihn der Gewalt der Leidenschaften hingeopsert hatten. Diesmal ist die Lehre zugleich so augenfällig und furchtbar, daß man eine ganz besondere Herzensroheit haben müßte, nsn die Evidenz dieser Behauptung zu leugnen. Frankreich ist nicht, wie man nur z» leicht- sinnig behauptet, der Barbarei anheimgefallen, es ist auch keineswegs die Beute der Raserei, es wurde blos durch eine Reihe selbstbegangener Fehler von dem Pfade des Rechtes und der Wahrheit abgebracht, lliun ist über dasselbe die furchtbarste, aber auch höchst logische(!) Sühne heran- gebrochen. Wer kann es in der That leugnen, daß die Akte des zwei te» Dezember und das System, welches ihnen die Weihe verlieh, in den Schooß der Nation ein thätiges Element der Korruption und der Er- niedrigung trugen? Was namentlich Paris betrifft, so hat es keinen ernsten Geist gegeben, der die unabwendbaren M ißgeschicke nicht vorhergesagt und begriffen hätte, welche die hochmüthige Verletzung aller Regeln der Moral und der Oekonomie im Gefolge haben muffe, als man die Arbeiten sah, welche nur für die Existenz de« Kaiserreichs nothwendig waren. Man kann noch aus jüngst gehaltenen Debatten ersehen, mit welcher Genauigkeit die Gefahren angegeben wurden, welche die sehr gelehrigen Lobhudler dieser verbrecherischen Thorheiten zu be- streiten die Verwegenheit hatten. Paris wurde durch das Regime der kaiserlichen Regierung einer schrecklichen Krise entgegen getrieben: sie wäre im vollsten Frieden ausgebrochen, der Krieg verlieh ihr denCharakter einer gräßlichenKonvulsion. Es konnte nicht anders kommen. Indem das Kaiserreich in der Hauptstadt eine flottante Arbeiterbevölkerung von ungefähr 300,000 Menschen ansammelte, indem es alle Ausreizuuge» leichier Genüsse und alle Leiden des Elends vervielfachte, schuf es einen großen Herd der Korruption und der Unordnung, wo der kleinste Funke einen Brand entflammen konnte. Es hat ciiie Nationalwerkstätte gebildet, welche von einer fieber- haften Spekulation genährt wurde, und die ohne Katastrophe ruhen zu laffen, ein Ding der Unmöglichkeit war. Als das Kaiserreich den Frevel beging, den Krieg zu erklären, zog es ans Paris den Donnerkeil herab, welcher fünf Wochen nachher es selbst vrrnichten sollte. Unsere Heere waren zerschmettert und die große Stadt stand allein achthunderitansend Deutschen gegenüber, welche unser Vaterland überschwemmten. Die Pflicht des Widerstandes er- füllte alle Geister. Um sie.zu erfüllen, mußte man in Paris Alle« bewaffnen! Der Feind war vor den Thckren und ohne diese nothwcndige Kühnheil hätte er sie im ersten Anlauf durchbrochen. Man mußte auch Alle nähren, welche keine Arbeit hatten und ihre Zahl betrug mehr als 600,000. Unter diesen gefährlichen Umständen begann die Be- lagerung. Niemand hielt sie für möglich. Man kündigte an, daß der innere Aufstand die Stadt nach einigen Wochen überliefern würde. Die Stadt hielt sich vier und einen halben Monat, trotz der Entbehrungen, trotz der Strenge einer rauhen Jahres- zeit, trotz der Beschießung; und der Hunger allein veranlaßte sie zu unterhandeln. Aber Niemand kann die Heftigkeit der moralischen und politischen Entartungen(!) beschreiben, deren Beute diese unglückliche Stadt war. Die Anforderungen des Siegers setzten dem die Spitze ans. Zur Erniedrigung der Niederlage gesellte sich nun der Schmerz der Opfer, die man ertragen mußte. Die Entmuthigung und der Zorn theilten die Gemüther. Niemand wollte sich in sein Unglück fügen, und Viele suchten ihren Trost in der Ungerechtigkeit und der Gewalt- thäligkeil. Die Entfesselung der Presse und der Clubs wurde bis zu den äußersten Grenzen der Ausschreitung getrieben. Die National- garde stäubte auseinander. Eine große Zahl ihrer Mitglieder, Chefs und Soldaten, verließen Paris . Durch die Einberufung der National- Versammlung in Bordeaux in zwei Theile gespalten, blieb die Regierung ohne Kraft. Sie hätte an solcher durch die Verlegung nach Versailles gewonnen, wenn die Anstifter nicht diesen Augenblick gewählt hätten, um die Insurrektion anzufachen. Die Regierung, die derselben nur einige kaum organisirte Regimenter entgegenzusetzen hatte, deckte die Naiioiialversammlung und begann die schreckliche Partie, die sie schließ- lick gewonnen hat; Dank vor Allein der Weisheit, Festigkeit und gren- zenlosen Aufopferung ihres Oberhauptes(!!!). Man mußte, mit Ver- achtung aller Hindernisse, eine genügend zahlreiche Armee sammeln, um die Forts und Paris zu belagern und zu bezwingen, den zur Int er- venirung immer bereiten Ausländer zurückhalten, die ge- rechte Ungeduld der Kammer beruhigen, die Jntrigueii, die täglich gesponnen wurden, aufdecken und ohne Baargeld für die ungeheueren Kosten des Krieges und der fremden Occupation sorgen. Wie häufig ist das Problem Denjctiigeü, welchen die schreckliche Aufgabe seiner Lösung zu Theil geworden war, unlösbar erschienen? Wie oft wiederholten ihnen Freunde und Feinde, daß sie unterliegen würden! Sie haben nicht verzweifelt und die Bahn ihrer Pflicht verfolgt. Die Gefangenen, die in Deutschland schmachteten, kehrten zurück; statt der Ruhe, auf die sie ein Anrecht hatten, fanden sie die Gefahr und den Tod. Das Baterland befahl, und Alle, vom Höchsten bis zum Niedrigsten, haben gehorcht. Sie haben von Neuem ihr Leben zur Vertheidigung des Rechts bereitwillig eingesetzt, und sie habe» die Unternehmung ausgeführt, die von ihren Rivalen für unmöglich gehalten wurde. Die Forts der Uinfassung wurden mit Sturm genommen, und der Schritt für Schritt verfolgte Aufruhr unterlag bis in seinen letzten Zufluchtswinkel. Aber, großer Gott! um welchen Preis? DerGe- fchichtSschreiber wird es ohne Entsetzen nicht erzählen können. Mehr- malS wird die Feder seineu Händen entfallen, wenn er die scheußlichen und blutigen Szenen dieser bejanimernswerthen Tragödie wird be- schreiben müssen, von der Ermordung der Generale Lccomte und Clement Thomas angefangen bis zu den vorbereiteten Brandstiftungen, zur Ver- brennung von ganz Paris , bis zu der verabscheuungswerthen und feigen Nledermetzehung der heiligen z!), in ihren Gefängnissen füsilirten Opfer. Die Entrüstung und der Ekel können gleichwohl die Männer der Politik nicht in der Erfüllung der Untersuchungspflicht hemmen, die ihnen so außerordentliche Missethaten auferlegen. Sft zu verab- scheuen und zu bestrafen, ist nicht genug. Man inuß den Keim der- selben suchen und diesen ausrotten. Je größer das Uebcl ist, desto wichtiger ist es, sich davon Rechenschaft zu geben, um ihm dieEoalition aller ehrliche,'(!) Leute entgegenzusetzen. Ich habe nun kurz auseinandergesetzt, wie der allgemeine Zustand der Stadt Paris durch sich selbst, eine Prädispositioil*) zur Unordnung bewirkte, wie derselbe sich durch die Anarchie der Belagerungszeit in den drohendsten Proportionen verschlimmert hatte. Eine kleines?) Gruppe politischer Sektirer hatte schon seit dem 4. September, glücklicherweise vergebens, versucht, die Verwirrung zu benützen, um sich der Gewalt zu bemächtigen; seitdem haben sie nicht aufgehört, zu konspirire». Die gewaltsame Diktatur, den Haß gegen jede Ueberlcgenheit, die Lüsternheit und die Rache repräsentirend, waren sie in der Presse, in den Vereinen, in der Nationalgarde kühne Par- teigänger der Verläumdungen, der Herausforderungen und der Revolte. Am 31. Oktober besiegt, benützten sie die Straflosigkeit, um sich mit ihren Verbrechen zu glorifiziren, und am 22. Januar deren Ausführung wieder m Angriff zu nehmen; ihr Losungswort war: di e Ko m- *) Empfänglichkeit, Geneigtheit für. mune von Paris , und später, nach dem Präliminarvertrage, die Föderation der Nationalgarde. Mit seltener Geschicklichkeit bereitete sie eine anonyme und ge- Heimes!) Organisation vor, die sich bald über die ganze Stadt ver- breitete. Durch diese machten sie sich am 13. März' zu Meistern der Bewegung, die anfangs aar keine politische Tragweite zu l aben schien.(!!!) Die hohnsprechenden Wählen, die sie vornahmen, waren für sie nur eine Maske; Herren der bewaffneten Macht, unrechtmäßige Besitzer un- ermeßlicher Muiiitionshilfsquellen, dachten sie an nichts, als durch den Schrecken zu regieren und die Provinz in Aufruhr zu bringen. Zu gleicher Zeit brach die Insurrektion auf mehreren Punkten aus, welche, einen Augenblick ermuthigt, ihren sträflichen Hoffnungen Nahrung gab. Sie wurde, Gott sei Dank, unterdrückt; nichtsdesto- weniger warteten hie Unruhestifter mehrerer Departements nur aus den Erfolg in Mrih. Paxis blieb der Einzige Kampfplatz der Revo- lution. Um die unglückliche Bevölkerung ins Unglück mitzureißen, schreckten die Verbrecher,>ie im Hotel de Ville hausten, vor keinem Attentat zurück. Sie nahmen die Lüge, die Gewalt und den Mord zu Hillfe. Sie warben Mörder an, die sie aus erm Kerker befreiten!!), Deserteure und Fremde. Alles, was Europa an Auswurf be- saß, wurde zu Hilfe gerufen. Paris wurde das Rendez- vous der Entarteten der ganzenWelt. DieNationalversamm- lung ist der Schmach und der Rachgier preisgegeben worden. So führte man eine große Anzahl von Bürgern irre, so kam die Hauptstadt unter das Joch von Fanatikern und Uebelthätern. Ich brauche ihre Verbrechen nicht zu detailliren. Ich wollte nur zeigen, bei welch' einem Zusammentreffen unglückseliger Zustände ihr schmach- volles Regime möglich werden konnte. Sie bemächtigten sich einer der Arbeit entwöhnten, durch das Unglück verwirrten Bevölkerung, die überzeugt war, daß ihre Regierung sie verralhe. Sie herrschten durch Schrecken und Verbrechen und machten die Verirrten zu Genos- sen ihrer Leidenschaften und Frevel. Von ihrer ephemeren Gewalt be- rauscht, im Sinnentaumel lebend, gaben sie sich ungescheut der Be- sri edigung ihrer B egi erden hin(I), verwirklichten sie ihre abscheu- lichen Träume und stürzten sich wie Bühnenhelden in eine der schrecklichsten Katastrophen, die eine verbrecherische Phantasie je erfin- den konnte. So, mein Herr, betrachte ich diese Ereignisse, die un- erklärlich scheinen würden, wenn man sie nicht aufmerksam studirt hätte(!?). Ich kann noch ein wesentliches Moment dieser unseligen Geschichte erwähnen, indem ich aus diese Nachäffer der Jacobiner ver- weise, welche die Absicht hatten, ein politisches System herzustellen, das. zur Grundlage hatte, die Chefs einer Gesellschaft als Oberhaupt an- zuerkennen, die unter dem Namen„Internationale" zur trauri- gen Berühmtheit gelangt ist und deren Aktion vielleicht mächtiger war, als jene ihrer Mitschuldigen, da sie sich auf die Zahl, auf die Dis- ziplin und auf den Kosmopolitismus stützte. Die internationale Arbeiterassoziation ist gewiß einer der gefährlichsten Faktoren, gegen welche die Regierun gen sich vorzusehen haben. Die Zeit ihrer Entstehung liegt schon serne. Sie soll von der 1862er Ausstellung her datiren; ich halte sie für noch älter. Es ist natürlich und gesetzlich, daß die Arbeiter durch die Assoziation sich einander zu nähern suche». Seit mehr als vierzig Jahren streben sie dies an, und wenn auch ihre Anstrengungen durch die gesetzgebeuden Körper und durch die Gerichtshöfe vereitelt wurden, hielten sie dennoch stramm zusammen. In den letzten zwei Jahren gewann ihre Thätigkeit einen bedeutend größeren Spielraum, und ihre Ideen nahmen einen Charakter an, der beunruhigen darf. Wie der Titel dieser Assoziation auch anzeigt, woll- ten die Gründer derselben nichts weniger, als die verschiedenen Ratio- nalitäten einem gemeinsamen Interesse unterordnen und den Charakter der Nationalität verwischen. Man konnte anfangs der Ansicht gewesen sein, daß diese Ideen nur dem Wunsche nach der Gemeinsamkeit und dem Frieden entkeimt sind. Die amtlichen Aktenstücke dementiren vollends diese Auffassung. Die Internationale ist eine Gesellschaft des Kriegs und des Hasses. Sie hat den Atheismus und den Koinmunismus zur Grundlage, die Zerstörung des Kapitals und die Vernichtung Der- jenigen, welche es besitzen, zum Zwecke, und die rohe Kraft der großen Menge dient ihr als Mittel, Alles zu zerschmettern, was ihr im Wege ll egt. Das ist das Programm, welches die Führer mit zynischer Kühn- heit ihren Jüngern vor schlugen; sie haben dasselbe in ihren Kon- gressen öffentlich gelehrt und in ihren Journalen ver- offentlicht. Ihre Komitees sunktioniren in Deutschland , Belgien , England und in der Schweiz . Sie haben ihre zahlreichen AnHanger in Ruß- land, Oesterreich, Italien und in Spanien . Wie ein großes Freimau- rerthum umspannt ihre Gesellschaft die ganze Welt. Was ihre Vorschriften betrifft, so beweisen sie zur Genüge, daß sie auf die Nega- tion aller Prinzipien hinarbeiteii, auf denen die Civili- sation beruht. Wir fordern, sagten sie in ihrem offiziellen Blatte(?) vom 25. März 1869, die unmittelbare Gesetzgebung für das Volk, durch das Volk, die Aufhebung des persönlichen Erbrechtes für Kapitalien und Werk- zeuge, und die Umwanolung des Grundbesitzes in einen gemeinsamen Belitz. Die Alliance(I) erklärt sich atheistisch, sagte der Generalrath von London , der sich im Juli 1869(!) konstituirte, sie will den Kultus ab- schaffen, den Glauben der Wissenschast unterordnen und schließlich die Abschaffung der Ehe.(I) Sie fordert die Abschaffung des Erbrechtes, auf daß in der Zukunft der Genuß eines Jeden seiner Produktion gleich sei, und daß, wie vom letzten(?) Kongreß in Brüssel beschlossen würde, der Boden, die Arbeits- Werkzeuge, wie das ganze Kapital in den Besitz der ganzen Gesellschaft übergehe, um nur von den Arbeitern, das heißt von der ackerbauenden und industriellen Assoziation benützt zu werden. Das ist das Resumä der Lehre der„Internationalen". Nur um jede Thatkraft, wie jedes individuelle Eigenthum aufzuheben, um die Nationen unter dem Joche einer Art von blutigem Möilchthum(!> zu vernichten, um aus denselben eine große, durch den Kommunismus verarmte und verthicrte Horde zu machen, bewegen diese ver- irrten und frevelhaften Leute die Welt, verführen sie die Unwissenden und ziehen hinter sich die nur zu zahlreichen Zuschauer her, welche in der Wiederbelebung dieses ökonomischen Unsinns Genüsse ohne Ar- beit und die Befriedigung ihrer lasterhaften Wünsche zu finden hofsen.(!) Dies sind wohl die Zukunftsbilder, welche sie den Einfältigen, welche sie täuschen wollen, vormalen. „Arbeiter der Welt"— sagt eine Proklaination vom 29. Januar 1870—„organisirt Euch, wenn Ihr wollt, daß die Leiden der über. mäßigen Arbeit und der Entbehrungen aller Art ein Ende nehmen. Durch die internationale Assoziation der Arbeiter werden die Ordnung, die Wissenschast, die Gerechtigkeit die Unordnung, die Unwissenheit und die Willkür ersetzen. Für uns ist das rothe Banner das Sinnbild der allgemeinen Menschenliebe. Mögen deshalb unsere Feinde bedacht sein, es nicht selbst in das Banner des Schreckens umzugestalten." Nach diesen Anführungen(!) ist jede Erläuterung überflüssig. Europa steht vor einem Werke systematischer Zerstörung, welche gegen jede Nation, aus der es besteht, gekehrt ist, und sogar gegen die Grund- sätze, auf welchen jedwede Civilisation gegründet ist.' Nachdem die Welt die Chefs der Internationalen am Ruder sah, wird sie nicht länger zu fragen Rauchen, was ihre friedlichen Erklärun- gen bedeuten sollen. Die letzte Folgerung ihres Systems kann nur der schreckliche Despotismus einer kleinen Zahl von Chefs sein, welche sich einer unter das Joch des Kommunismus gebeugtem Menge aufdrängen. welche zu allen Sklavendiensten bereit ist, bis zum allerschmählichsten — der Verleugnung des Gewissens, welche keinen Herd und keine Stätte mehr hat, kein Ersparniß und kein Gebet, die, zu einer großen Werk- stätte umgebildet, durch den Schrecken geleitet und durch die Staatsgewalt gezwungen wird, Gott und Faunlie aus den Herzen zu verscheuchen.— Das ist eine ernste Situation. Sie gestattet den Regierungen keine Gleichgillig- keil und keine Trägheit. Sie würden nach den Lehren, welche uns soeben ertheilt wurden, eine große Schuld auf sich lade», wenn sie regungslos auf den Sturz aller Gesetze blicken würden, auf welchen die Moralität(!) und das Glücks I) der'Völker beruhen.— Ich lade Sie nun ein, mein Herr, mit der allergrößten Aufmerksamkeit alle Thatsachen zu studircn, die sich an die Entwicklung der Internationalen knüpfen und sich über diesen Gegenstand ernsthaft mit den offiziellen Repräsentanteii der Obrigkeit zu besprechen. Ich verlange in dieser Beziehung die detaillir- testen Berichte und die strengste Wachsamkeit. Die Klugbei gebietet, nicht leichtfertig zu abzuurtheilen; ebenso befiehlt sie, kein Mittel der Aufklärung hinianzustellen. Die Fragen, zu deren Unter- suchung ich Sie auffordere, berühren schwierige Probleme, die seit Langein die Welt bewegen. Ihre völlige Lösung auf dem Wege der Gerechtig- keit würde die menschliche Vollkommenheit voraussetzen, die ein Traum ist, der sich aber trotzdem eine Nation in größerem oder geringerem Grade nähern kann. Der Pflicht der Männer von Herz bestellt darin, weder an ihrer j Zeit, noch an ihrem Lande jemals zu verzweifeln, und, ohne sich durch/ Täuschungen entmuthigen zu lassen, die Ideen der Gerechtigkeit zur Geltung zu bringe» trachten. Wenn dies unsere Pflicht ist, woran ich übrigens nicht zweifle, wenn wir nur durch aufrichtige und uneigen- nützigc Erfüllung derselben die Uebel unseres unglücklichen Vaterlandes> gut machen können, ist es.da nicht dringend, die Ursachen auszuforschen, welche den von der Internal! onalen gep redigten Jrrthümern i eine so rasche und verhängnißvolle Herrschaft über die Gemüther ver- liehen haben? Diese Ursachen sind zahlreich und verschieden und durch die Bestrafung und Unterdrückung allein wird man sie nicht verschwin- den machen. In die Gesetze jene Strenge einzuführen, welche von den sozialen Erfordernissen verlangt wird, und diese Gesetze ohne Schwäche in Anwendung zu bringen, das ist eine neue Ausgabe, zu der Frankreich sich entschließen muß. Es ist für dasselbe eine Angelegenheit des Heils. Aber es wäre unklug und strafbar, wenn es nicht energisch daran ar-> besten würde, die ösfentli ch e Moral durch eine gesunde und kräftige Erziehung, durch ein sparsames liberales Regime, durch eine aufgeklärte Liebe zur Gerechtigkeit, durch Einfachheit, Mäßigung und Freiheil wieder aufzurichten. Frankreichs Aufgabe ist riesig, sie überragt jedoch seine Kräfte nicht, wenn das Land nur die Größe derselben begreift, anstatt sich in persönlichen Jntriguen zu verlieren. Es möge nur beginnen, durch sich selbst gegen das Ungemach zu wirken, zu teben für sich und durch sich selbst, indem es zu seinen Führern die Gerechtigkeit, das Recht und die Freiheit auserwählt, und wie schrecklich sodann die weiteren Prüfungen auch sein mögen, es wird sie überstehen. Frankreich wird seinen Rang in der Welt neuerdings einnehmen, aber nicht mehr um zu bedrohen, sondern um zu beruhigen und zu beschützen. Es wird i wieder der Alliirte der Schwachen werde», wird seine Stimme gegen die Gewalt erheben, und seine Autorität wird um so größer sein, sie mehr es wegen seiner Abirrungen gelitten hat. Ich werde glücklich sein, mein Herr, Ihre eigenen Erfahrungen und Ideen in dieser Frage auf dem Wege des Gedankenaustausches kennen zu lernen. Genehmigen Sie zc. ic. Antwort an Herrn Jules Favre . Herr Minister! Die deutschen Internationalen bescheinigen hiermit den Empfang Ihrer zweiten„historischen Thräne" eis dato Versailles 6. Juni, welche Sie— nicht wie die erste von Ferneres in Wasser, sondern in Tinte— der Pariser Revolution gewidmet haben, und beeilen sich, Ihrem Prinzip gemäß:„kein Mittel der Aufklärung hintanzustellen," Ihnen ihre„eigenen Ideen und Erfahrungen auf dem Wege des Gedankenaustausches" zu- kommen zu lassen. Wir wollen uns hierbei, Herr Minister, auf keine eigent- liche Geschichte und Kritik der Pariser Bewegung einlassen, sondern nur, anknüpfend an Ihre Worte und bezugnehmend auf Ihre Handlungen, die Stellung zu charakterisiren suchen. welche Sie in den geschichtlichen Ereignissen eingenommen haben, und damit zugleich die Klasse, welche Sie als öffentliche Person repräsentiren. Schon der Anfang Ihres Cirkulars, Herr Minister, läßt in jedem Denkenden die Frage auftauchen, wie es wohl mit der Einsicht und Thatkraft eines Mannes, resp. der durch ihn vertretenen Klasse, bestellt sein müsse, welcher nach einer welt- geschichtlichen Katastrophe, die verstanden und erforschtsein will, nur„Angst",„Entsetzen" und„Schauder" hat, weil sie ihm unerklärlich, unbegreiflich ist. Und diese„entsetzlich schauder- hafte Angst" treibt Sie, den„Republikaner, " sogar dazu, als obersten Grundsatz der„ehrlichen, gebildeten und muthigen Männer" das„Autoritätsprinzip" hinzustellen, d. h. den stockreaktionären und möglichst unrepublikanischen Grundsatz, daß jeder Wille, jede Intelligenz sich blindlings beugen müsse unter das eiserne Joch der„Autorität," d. h. der weltlichen Machthaber und geistigen Bevonnunder. Nachdem Sie dieses Prinzip gleich zu Anfang aufgestellt haben, wäre es thöricht, sich mit Ihnen in längere Diskussion über„aufgeklärte Liebe zur Gerechtigkeit",„Mäßigung" und„Freiheil" einzulassen, denn, wenn man, wie Sie, vom Autoritätsprinzip ausgeht, so ist f es ganz consequcnt, daß man unter Ersterem die Erschießungen ohne richterliches Verhör, unter dem Zweiten die Massenhinrichtun- gen, unter dem Dritten den Belageruilgszustand zu verstehen hat, daß demnach— wie der von Ihnen ebenso gefürchtete als gehaßte Karl Marx bereits vor 2(1 Jahren geschrieben hat— die republikanische Tricolore„Freiheit, Gleichheit, Brü- derlichkeit" umgewandelt wird in:„Infanterie, Kavallerie, Artillerie", oder— den jetzigen Zeitumständen angepaßt:„Füsilade, Standrecht, Deportation".| In Ihrem Versuche, Herr Minister, die Ursachen der Pariser Revolution zu schildern, sind Sie so scharfsinnig, drei Momente herauszufinden, welche wie ein Blitz die ganze Si- tuation auf einmal erhellen sollen: 1) Bonaparte, 2) der Krieg, 3) die Internationalen,— und damit sollte auch Alles er- klärt sein! Ein Korn von Wahrheit liegt in dem Punkt 2), doch f ohne daß Sie, wie die gesammte Bourgeoisie, sie ganz zu fassen vermöchten. Denn: würde die Bougeoisie zu der Einsicht kommen, daß jeder Krieg indirekt dem Socialismus zu Gute kommt, indem er Hunderttausende zu Proletariern, macht und die sociale Revolution beschleunigt, müßte sie sich nicht dann von der Monarchie auf ewig lossagen, um die dy- nastischen Kriege für immer unmöglich zu machen? Das thut sie aber nicht; im Gegentheil, aus Furcht vor dem„rothen Gespenst" wirft sie sich hüben wie drüben dem Säbelregimcnt in die Arme; sie erhält aber von letzterem statt des erbetenen* und zugesagten Schutzes immer nur Fußtritte und Prügel. Diese so einfache und leicht faßliche historische Wahrheit haben Sie aber, Herr Minister und Akademiker, noch immer nicht zu begreifen vermocht; das beweist Ihre Geschichtsauffassung über die letzten Dezennien. Sie werden sich nämlich erinnern, Herr Minister, daß ein gewisser Jules Favre in der 1848er Ratio- nalversammlung bei Berathung darüber, ob dem zum Ab- geordneten gewählten Bürger Louis Bonaparte die Rückkehr nach Frankreich erlaubt sei, die Aufhebung der Verbannungs- gesetze befürwortete, indem er sagte:„Die Bonaparte's sind heute für Frankreich unschädliche Individuen." Man muß Ihren Scharfsinn bewundern, wenn man hört, daß derselbe Jules Favre , welcher vor 20 Jahren den Bonaparte für einen„unschädlichen" Menschen hielt, ihm heute die Pariser Revolution zum Theil in die Schuhe schiebt, gleich-
Ausgabe
3 (21.6.1871) 50
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