iv. Mittwoch, de« SV. September. 1871. Erscheint wöchentlich 2 mal in Leipzig . Bestellungen nehmen alle Postanstalten und Buchhand- lungen des In- und Aus- landes an. Für Leipzig nehmen Bestellungen an: A. Bebel, Petersstraße 13, F. Thiele, Emilienstraße 2. Erscheint wöchentlich 2 mal in Leipzig . AbonncmentSprriS: Für Preußen ind. Stempelsteuer IS Rar., für die übrigen deutschen Staaten 12 Ngr. per Quartal. Filialerpedition für die Der- einigten Staaten: F. A. Sorge, Box 101 Hoboken N.J. viaNewyork Organ der sozial-demokratische» Arbeiterpartei nnd der Internationalen Gewerksgenossenschasten. Aufforderung. Die Parteigenossen aller Lrte werden hierdarch dringend anfgefordert, dem Ausschutz die P amen resp. Adressen der nach K5 der Geschäftsordnung neu vorzuschlagenden Vertrauensmänner sofort einzusenden Es sollen deren Namen demnächst durch das Lrgan de- taunt gemacht werden, sofern die Betreffenden nicht etwa ausdrücklich das Äegcuthetl wünschen. Da bis heute erst Breslau , Hannover , Etzlingen, Leipzig , Bassel, Braunschweig , Hamburg und Glauchau Borschläge derBertrauensmäuner gemacht, so erwar- teu wir, datz alle anderen Lrte unverzüglich dasselbe thuu werden. Der Ausschuß der sozialdemokr. Arbeiterpartei. Hamburg , 15. Sept. 1871. Most's Berhaftnng. Die eigenthümliche Mslivirung, mit welcher das Chem- nitzcr Bezirksgericht die gegen Stellung einer Kaution von 5<X) Thlr. zugestandene Freilassung Most's nachträglich zurück- gezogen hat, macht in den Arbeiterkreisen viel böses Blut. Besonders ist, wie uns aus Chemnitz berichtet wird, der Un- Wille dort allgemein, und wir glauben, daß das Bekanntwerden der näheren Umstände, unter denen diese Maßregel erfolgt ist, nur dazu beitragen kann, den Unwillen zu steigern und in den Arbeitern die Ueberzeugnng hervorzurufen, daß es sich hier bloß darum handele, einen einflußreichen und beliebten Agitator der sozial-demokratischen Sache auf einige Zeit unschädlich zu machen. Wir erwähnten bereits in voriger Nummer, daß die Weigerung des Chemnitzer Gerichts, Most gegen die verhält- nißmäßia gewiß sehr hohe Kaution von 500 Thlr. frei zu lassen, nur zweierlei Gründen entsprungen sein könne: daß entweder das Chemnitzer Bezirksgericht, als es die Freilassung beschloß, vorausgesetzt habe, diese Summe könne von der sozial- denwkratischcu Partei nicht aufgebracht werden; oder daß von„Oben" herunter ihm nachträglich die Weisung zugegangen sei, gegen Most möglichst strenge zu verfahren. Welche von beiden Annahmen die rechte, können wir zwar auch heute nicht entscheiden, daß aber eine von beiden, vielleicht auch beide zugleich richtig sind, dürfte aus Folgendem sonnenklar hervorgehen. Zunächst erheischt es die Vernunft und der Gebrauch, daß ein Untersuchungsrichter die Freilassung eines Gefangenen gegen Stellung einer Kaution nicht ohne die Zu st i,n- mung des Staatsanwa lt s beschließt. Der Untersuchungs- richter hatte sich also in der Most'schen Sache auf jeden Fall der Zustimmung des Staatsanwalts erst ver- gewissert. Um so mehr muß es überraschen, wenn trotz- dem hinten nach die Freilassung verweigert wird. Ein Grund könnte noch angeführt werden, nemlich, daß nachträglich neues Belastungsmaterial sich vorgefunden habe. Aber auch das wird durch einen neuerdings von Most geschriebenen Brief widerlegt, aus dem hervorgeht, daß derselbe auf tz. 130 und 131 des bürgerlichen Strafgesetzbuches angeklagt ist. Diese Paragraphen lauten nun folgendermaßen: tz. 130. Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Be- völterung zu Gewaltthätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geldstrafe bis zu zwei- hundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Z. 131. Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich behauptet oder verbreitet, um sdadurch Staatseinrich- tungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, wird mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren be- straft. Wir kennen nicht das Material, auf welches die Anklage sich stützt, vermögen also auch nicht zu beurtheilen, in wie weit eine Verurtheilung möglich ist. Gesetzt der Fall, die Anklage werde vom Gericht als begründet erachtet und eine Verur- theilung trete ein und diese Verurtheilung laute in beiden Paragraphen auf das höchste Strafmaß, so betrüge dies 400 Thlr. Geldstrafe oder 4 Jahre Gefängniß. Die ge- forderte und gestellte Kaution war also noch um hundert Thaler höh.er als das denkbar höchste Strafmaß, welches den Angeklagten treffen kann. Ganz ab- gesehen von der Ehrenhaftigkeit Most's, ganz abgesehen davon, daß ein Mißbrauch seiner Freilassung etwa durch Flucht eine schwere moralische Schädigung seines politischen Charakters und eine materielle Schädigung desjenigen oder der- l-nigen Parteigenossen wäre, welche die Kaution gestellt— war unzweifelhaft die geforderte Kaution vollständig ausreichend, das höchste Strafmaß und die entstandenen Kosten zu decken. Daß man dessenungeachtet die Entlassung aus der Haft ver- weigerte, scheint uns zur Evidenz zu beweisen, daß das maß- gebende Motiv ist, Most durch längere Präventivhaft �uschüdlich zu machen. Wird er später dennoch freige- 'prochen, nun so hat er wenigstens einige Monate gesessen. �aß der Verhaftete ungerechtfertigter Weise seiner Freiheit deraubt, materiell und vielleicht auch in seiner Gesundheit schwer geschädigt würde, darnach wird nicht gefragt. Die Präventivhaft ist unter Umständen ein bequemes Mittel, unter der Form des Gesetzes unbequeme Leute auf eine Zeit lang zu beseitigen. Das Verfahren des Chemnitzer Gerichts gegen Most er- scheint aber in noch ungünstigerem Lichte, wenn man fest- hält, daß seiner Zeit die Leipziger Parteigenossen, welche der „Vorbereitung zum Hochverrath," also eines weit schwereren Ver- gehens angeklagt sind, auf Handgelöbniß ohne Weiteres der Haft entlassen wurden. Warum wird in ein und demselben Lande nach ein und demselben Gesetz mit zweierlei Maß gemessen? Eindem Gesetz günstiges Unheil kann eine so verschiedene Handhabung des Gesetzes nicht erwecken, wohl aber das Gegentheil. Und da wundert man sich noch, wenn die Sozial-Demo- kratie gegen unsere„liberale" Reichsgesetzgebung sich auflehnt? Wir haben wahrhaftig alle Ursache dazu, denn Freizügigkeit, Preßgesetz, die Gesetze über die Erwerbung des Staatsbürger- rechts, der Heimathsangehörigkeit und vor allem auch das Strafgesetz, sie haben so reichlich der Sozial-Demokratie ihren reaktionären Charakter zu kosten gegeben, daß wir nach weiteren Proben kein Verlangen tragen. Ueber den famosen §. 130 des Strafgesetzbuches wollen wir ein ander Mal noch ein Wort sprechen. B. Politische Uebersicht. Die„Freiheit" in der französischen„Republik " macht enorme Fortschritte. Der(unfern Lesern aus einem Briefe von Acollas bekannte) blaue Republikaner Valentin, gegen- wärtig Präfekt, hat den Bürgermeistern seines Bezirks jede Demonstration z r Feier des Geburtstags der Republik (4. Sep tember) in höflicher Form untersagt. Einer seiner Kollegen, Bapernau, ging schon einen Schritt weiter und suspen dirte den Bürgermeister von Montauban , weil dieser am 4. September hatte illuminiren lassen.— Der Koni- Mandant des noch immer im Belagerungszustand befindlichen Paris , Ladm irault, hat dem Gemeinderathsmitglied Mottu — wie wir aus einem von diesem an die Brüsseler„Libertä" gerichteten Brief ersehen— das Anschlagen eines Plakats ver boten, in welchem es nur hieß:„Nach Aufhebung des Bela- gerungszustandes wird ein tägliches Blatt erscheinen,„Der Ra- dikale", redigirt von Mottu. Derselbe Ladmirault hat die „Berits" wegen eines Ariikels über die Versailler Junkerschaft „suspendirt", d. h. bis auf Weiteres unterdrückt!— Dieser Maßregel würdig zur Seite steht folgender Ministerialerlaß:„Versailles , 2. September 1871. Minister des Innern an den Präfekten von Arras . Lassen Sie an die Eigenthümer von öffentlichen Lokalen den ausdrücklichen Befehl ergehen, die Petitionen für Auflösung der Nationalversammlung, bei Strafe der Schließung, aus ihren Lokalen verschwinden zu lassen."— Die Brüsseler„Liberte" hat von den Komm unemit gliedern jBastelica, Clement, Rouillier— alle drei waren Mitglieder der Arbeitskommission— ein Schreiben aus London erhalten, in dem es heißt: „Wenn die Lüge durch die Straßen von Paris läuft und im Kriegsrath zu Versailles triumphirt, kann man wenigstens versichern, daß die Wahrheit in London ist. Solche Lügen, unter tausend andern, sind zum Beispiel:„Die während des Pariser Kriegs gemachten Razzia's und die von den Kommuna- listen weggeschleppten Millionen."— Wenn auch die Lage keine erfreuliche ist, so glauben wir doch über diese B erläumdungen eher lachen als weinen zu müssen. Wenn wir sagen, daß„die Wahrheit in London ist", so meinen wir: die Wahrheit über die Kommunalisten und ihre Millionen. Denn, wenn man den berüchtigten Zeitungen, Polizeiblättern und blödsinnigen Jour- nalen unseres armen Paris Glauben schenkte— hätten dann nicht die Kaufleute und Hotelbesitzer von England alles Geld von Frankreich in der Kasse?... „Wie immer haben die Flüchtlinge eine wohlwollende Aus nähme und großmüthige Gastfreundschaft gefunden. Unterstützungen sind ihnen zugesandt worden, und wir sind glücklich, hier öffentlich danken zu können den Bürgern, die den Anfang damit gemacht, und denen, die sich ihnen angeschlossen haben. Aber der Zweck dieses Briefes ist hauptsächlich, zu versichern, daß wir nicht anders als durch Arbeit zu leben verstehen, daß wir keine Konkurrenten, aber Freunde sein werden. Viele von uns verstehen nicht englisch. Aber was liegt daran? Ist nicht die Arbeit eine Weltsprache? Kann die Sprachvcrschie- denheit die Arbeiter hindern, sich die Hände zu reichen? „So ergeht denn hiermit ein Aufruf zum Rr- beitsnachweis! Wir zählen unter uns: Ciseleure, Bijou- terie- und Holzarbeiter, Schuhmacher, Bronzearbeiter, Maschi- nenbauer, Stubenmaler, Bildhauer, Lehrer, Handelscommis. Sind das nicht weit ausgebreitete Professionen? Ist nicht das Handwerkszeug das Bindemittel zwischen den Völkern? „Stille allso, ihr Verläumdcr! Der Hammer, die Feder, die Feile, das sind die Millionen, über welche die Kommuneflüchtlinge in London verfügen, und welche wir, mit der Bitte, Gebrauch davon zu machen, den Arbeitergruppen und Arbeitgebern lur Perfügung stellen. „Alle Arbeitsangebote wolle man franko adressiren: L. P ou- lain, Pentonville Road 131, London ." Die Absender des obigen Schreibens und ihre Genossen werden es den deutschen Sozialdemokraten aufs Wort glauben, daß, angesichts der deutschen Polizeiverhältnisse, eine Uebersiede- lung nach Deutschland , um dort in Arbeit zu treten, für die Kommuneflüchtlinge auf alle Fälle unrathsam ist. Die deut- scheu Arbeiter müssen also ihren französischen Brüdern auf andere Weise unter die Arme greifen.— Aus Newcastle berichtet der in genannter Stadt erschei- nende„Daily Chronicle" die folgenden Einzelheiten über den weiteren Verlauf des Masch inenbauer-S trikes: Am Sonn- abend(9. Sept.) waren es fünfzehn �Wochen, seit die Bewegung ihren Anfang nahm. Am 27. Mai stellten zwischen 8700 und 8800 die Arbeit ein, und jetzt sind nur noch 2100 in den UnterstützungS- lassen der Ne un- Stund e n- L(g a verzeichnet, so daß inzwischen einige 6600 Mann anderweitige Beschäftigung inner- halb oder außerhalb Newcastles gefunden haben. Die eben ge- nannte Liga, welche ihren Namen von ihrem Programm, der neunstündigen Arbeitszeit, erhalten, hat während dieser fünfzehn Wochen etwa Pfd. St. 12,000(80,000 Thlr.) an UnterstützungS- geldern ausgetheilt, welche ihr aus allen Theilen Englands von Seiten ähnlicher Arbeiterverbände zugingen, und allem Anscheine nach sind die Leute noch auf mehrere Wochen hinaus im Stande, bei dem Strike auszuhalten. Die Arbeitgeber verschreiben sich inzwischen noch immer neue Kräfte aus dem Auslande. Der Charakter und die Fähigkeiten dieser Leute sind verschieden. Die Mehrzahl sind gewöhnliche Tagelöhner, doch sind auch mehr oder weniger gelernte Maschinenbauer, Sandformer u. s. w. darunter. Die Arbeitgeber scheinen entschlossen, diese Ausländer sehr kurz zu halten und sie erwirkten über zwanzig Vorladungen gegen Ausländer, die in Verdacht standen, ihre Stelle verlassen zu wollen. Einige dieser Ladungen wurden sogar in VerHafts- befehle verwandelt, doch nur zwei von ihnen wurden vollstreckt, und auch in diesen Fällen wurden die Leute nach kurzer Haft freigelassen, um wieder an ihre Arbeit zu gehen. Die Unzu- friedenheit, welche unter den ausländischen Arbei- tern herrscht, ist sehr groß, und es unterliegt kaum einemZweifel, daß sie beinahe Alle denBezirk ver- lassen würden, wenn man ihnen mit den nöthigen Geldmitteln an die Hand ginge. Im Ganzen haben die Arbeitgeber von Newcastle etwa 1400 Mann vom Continente und aus verschiedenen Theilen Englands herangezogen, und da von diesen bereits 300— entweder auf eigene Kosten, oder von Freunden unterstützt— wieder abgereist sind, stehen von neuen Kräften augenblicklich noch einige 1100 bis 1200 in Arbeit. Die Unterhandlungen, welche das Unterhausmitglied Samuelson anzubahnen gesucht hat, sind noch zu nichts gekommen, da die hervorragendsten Mitglieder der Liga augenblicklich in der Pro- vinz sind, um UnterstützungSgelder zu sammeln. Auch sind neuerdings wieder einige frische Arbeitskräfte eingetroffen; der „Grenadier " brachte vierzig Mann von Hamburg , außerdem kamen dann noch fünfzehn B el g i e r und eine Anzahl I r l ä n d er." Es sind also doch wieder Deutsche nach Newcastle gezogen, obschon die wiederholten Warnungen in den Arbeiter- blättern(darunter die Erklärung der zurückgekehrten Ber - liner Arbeiter, welche selbst von bürgerlichen Zeitungen ver- öffentlicht worden ist) als gekannt in Arbeiterkreisen voraus- gesetzt werden müssen. Ob die gedachten 40 Hamburger zu der ersten Schmach auch noch eine zweite hinzugefügt haben und an der Straßens kandal-Scene, welche weiter erzählt wird, betheiligt sind, ist noch nicht bekannt. „Die Ausländer hatten(berichten die Blätter) in den Kneipschenken der Stadt des Guten etwas zu viel gethan, zogen mit Brecheisen und anderen Mordinstrumenten bewaffnet durch die Straßen, schlugen unter heftigen Wuthausbrüchen das Feuer aus dem Pflaster, und es wäre zweifelohne zu einer blutigen Schlägerei gekommen, wenn ein englischer Arbeiter sich hätte blicken lassen. Glücklicher Weise war dies nicht der Fall, und nur einige Fensterscheiben wurden zerschlagen. Als die Bettunkenen ihr Müthchen gekühlt hatten, rückte eine Polizeimacht von fünfzig Mann heran, um zu finden, daß hier Hilfe nicht mehr vonnöthen sei." Wie wir aus der letzten Nummer des„Beehive", des Organs der englischen Trades'- Unions, ersehen, ist der Sieg des Newcastler Strikes mit ziemlicher Bestimmtheit zu erwarten. Die Londoner„Times", die eine feine Bourgeoisnase für den „Erfolg" hat, macht bereits entschieden Front gegen die „Meister", deren Benehmen während des ganzen Strikes sie „unklug und unpolitisch" nennt, und sie geht sogar so weit, die Berechtigung der Neunstundenbewegung anzuer- kennen. Wir werden diesen merkwürdigen Artikel des vornehm- sten Organs der europäischen Bourgeoisie in der nächsten 'Nummer zum Abdruck bringen, ebenso einen in dem(mit den Handels- und Jndustrieverhältnissen sich beschäftigenden) C ity- Artikel der„Times"mitgetheilten Brief eines englischen Bourgeois, der sich für den, durch den Staat zu dekretirenden Normal- arbeitstag ausspricht.— In Wigan , England, eine Grubenerplosion— etliche 80 Arbeiter durch das„schlagende Wetter" getödtet! Und wer ist Schuld an dem„schlagenden Wetter"? Natürlich die Herren Grubenbesitzer, die für getödtete Arbeiter nichts zu bezahlen brauchen, wohl aber sehr viel für die Vorsichtsmaßregeln, die es verhindern, daß Arbeiter getödtet werden. Die Tamerlane Kortfetzvng ans Seite 4.
Ausgabe
3 (20.9.1871) 76
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