die Kinder über, als die unter 12 Jahren nicht sechs, sondern 9, 10, ja 11, 12 und noch Mehr Stunden arbeiten! Die Kinder sollen täglich 3 Stunden Schulunterricht haben, sagt das Gesetz. In gewissen Orten haben sich Fa- bnkanten des Elementarschulwesens bemächtigt und dahin ge- wirkt, daß die Kinder, statt 3 nur 2 und noch weniger Stunden durchschnittlicher Schulzeit haben. Die Ferien kommen natürlich nicht den Kindern, sondern den Fabrikanten zu Gute. Knaben und Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren sollen täglich nur 10 Stunden beschäftigt werden, sagt das Gesetz. Diese Bestimmung ist vielen Fabrikanten ganz unbekannt. Die Kinder arbeiten nicht 10, sondern 14 und noch mehr Stunden! Die Vor- und Nachmittagspausen sollen j e Vs Stunde dauern, sagt das Gesetz. Viele Fabrikanten geben noch nicht einmal im Ganzen eine halbe Stunde! Vor �6 Uhr früh und nach �9 Uhr Abends darf nicht gearbeitet werden, sagt das Gesetz. Viele Fabrikanten lassen um 5 Uhr, viele aber schon um 1ji6 Uhr anfangen, und be- strafen zu spät Kommende!! Viele arbeiten bis 9 Uhr und länger. Am Sonntag darf der Fabrikant Personen unter 16 Jahren nicht arbeiten lassen, sagt das Gesetz. Mit polizei- licher Erlaubniß darf er nur Erwachsene des Sonntags be- schäftigen. Viele Fabrikanten verstehen das Gesetz so, daß sie eine polizeiliche Erlaubniß gar nicht einholen, und nicht blos Erwachsene, sondern auch jugendliche Personen, und nicht blos diese, sondern auch die kleinen Kinder, des Sonntags 7, 8 und noch mehr Stunden zu beschäftigen. Wir könnten noch eine ganze Reihe von Bestimmun- gen des Gewerbegesetzes aufführen, die ebenso, wie die obigen, als gar nicht vorhanden geachtet werden; wir behalten uns diese Arbeit für ein anderes Mal vor. Wo bleiben aber die Behörden gegenüber dieser offen- baren und unverschämten, in ganz Deutschland vorhandenen, in Sachsen am schamlosesten betriebenen Verhöhnung der Ge- setze? Sie sehen zu und thun nichts dagegen, oder sie sehen nicht, was alle anderen Leute sehen. In dem einen Falle sind sie unfähig, im andern gewissenlos und, als Hehler, schlimmer denn die Stehler der Arbeitskraft. Wir haben keine Hoffnung, daß das Gesetz, das von vornherein schon durch den Mangel an Ausführungsmitteln und die tragikomische Milde der Strafen seine Nichtdurchführung dekretirt hat, zur Wahrheit werde. Aber wir lvollten einmal der Welt zeigen, daß es keine Wahrheit ist. Es wird der Roth des Volkes keine Rechnung getragen werden, bis dieses seine Gesetze selbst macht. Schlechter wird es sie nicht machen können und wirkungsloser werden sie nicht bleiben, als die parlamentarischen Fabrikate, die trotz Braun's Emphase doch oft Papier bleiben! Karl Hirsch. Der sozial-demokratische Kougretz in Dresden . Bracke's Referat über das Haftpflichtgesetz. (Nach dem stenographischen Bericht.) Bracke: Bürger! Daß unser Reichstag die Interessen der Arbei- f.m,.'et letzte» Session, wie überhaupt seit seinem Bestehen, nicht sonderlich gepflegt hat, darüber sind wir alle zusammen einig. Heute isi mir die Ausgabe geworden, an einem besonderen Gesetze, von dem 1« gesagt wurde, es sei im Interesse der Arbeiter erlassen worden, nachzuweisen, wie der Reichstag gerade bei einem solchen specifisch für die Arbeiter berechneten Gesetze' gar keine Ahnung von dem gehabt hat, was eigentlich seine Pflicht gegenüber der großen Menge des Bot- les, was speziell bei diesem Gesetze seine entschiedene Pflicht gewesen wäre. Sie werden im Verlaufe meines Vortrags sogar finden, Bürger,— und ich bitte Sie, das ja zu beachten—, daß der Reichstag das Gesetz wie es von der Regierung vorgelegt wurde, noch entschieden verschlech- tert hat. Der Reichstag hat einen Paragraph in dies neue Gesetz hineingeschoben, der in der Regierungsvorlage nicht vorkommt, einen Paragraph, der das ganze Gesetz für die Arbeiter zn einem Gesetze macht, das ihre Interessen in der allermangelhafiesten Weise befriedigt, ja, der die wenigen Wohlthaten des Gesetzes geradezu wieder aushebt. Es ist der bekannte 8 4, und ich werde mir nachher erlauben, Ihnen, m. H., die Bedeutung dieses Paragraphen in seinem vollen Umfange klar zu machen. Daß dies Gesetz über die Haftpflicht im Allgemeinen von keiner Seite eine vollständige Billigung gefunden hat, das, meine Herren, will ich mir so im Vorbeigehen bemerken; denn ob die Herren National- liberalen und Reaktionäre das Gesetz des Reichstaas billigen oder nicht, has, m. H., kann uns am Ende ziemlich gleichgültig sein; wenn aber sii solchem Falle, wo wir die entschiedenste Ursache haben, uns von einem derartig erlassenen Gesetze nicht befriedigt zu erklären,— wenn wir tzaim auch mit den Nalionalliberalen, auch mit andern Parteien über- einstimmen, dann, m. H., können wir immerhin Akt davon nehmen. Betrachten wir uns das vom Reichstage erlassene Haftpflichtgesetz, "r H., so müssen wir anerkennen, daß gegenüber einem bestimmten Industriezweige, nämlich gegenüber den Eisenbahnen, die Vcrpflich- -ung zum Schadenersatz bei eintretenden Unglücksfällen, bei Beschädi- S»ng«n einer Person, bei Tödtungen, das Gesetz ein vollständig be- friedigendes genannt werden muß; denn wenn Sie den z 1, wel- cher folgenden Wortlaut hat:„Wenn beim Betriebe einer Eisenbahn em Mensch getödtet oder körperlich verletzt wird, so haftet der Betriebs- Unternehmer für den dadurch entstandenen Schaden, sosern er nicht be- chsist, daß der Unglücksfall durch höhere Gewalt oder durch eigenes Ver- schulden de« Getödteten oder Verletzten verursacht ist," ich sage, wenn Sie diesen Paragraph aufmerksam prüfe», werden Sie finden, daß da- iint allerdings gerechten Ansprüchen genügt werden kann. Bisher, M. H., war es in Folge der herrschenden Gesetze bei derartigen Unglücks- lallen die Regel, daß der Verletzte, im Tödtungsfalle die Angehörigen des Getödteten, zu beweisen halten, daß der Unglücksfall durch die Schuld der Eisenbahnverwaltung entstanden war, und erst nachdem dieser Beweis vollständig g-liesert worden, war der Ersatz des ange- richteten Schadens zu erreichen. Nun, m. H., wissen Sic aber, daß bei der allergrößten Menge von Unglücksfällen ein solcher Beweis gar nicht zu liesern ist. Denken Sie an die verschiedenen Unglücksfälle, welche in Ihrem Gedächtniß sein mögen und welche große Verheerungen angerichtet haben! Denken Sw daran, wie ganz unmöglich es da so »st gewesen ist, auch nur der Oesjentlichkeit gegenüber festzustellen, wer an dem Unglücksfalle die Schuld trug! Oft haben nicht einmal die Zeitungen nach den Gerüchten, die im Umlauf waren, mit Sicherheit angeben können: das und das war die Ursache des Unglücksfalls. Und, m. H., wenn man nicht einmal die Ursache des Unglücks genau zu begründen vermag, kann man noch weniger prozessualisch beweisen, daß Der und Der die Schuld trägt und in Folge dessen verpflichtet ist, den Schaden zu tragen. Nun, m. H., finden Sie in S 1, daß dieser lrüher nothwendige Beweis jetzt nicht mehr nöthig ist. Der Eisen- bahnunternehmer ist für jeden Schaden verantwortlich, der beim Be- triebe vassirt, es sei denn, daß dieser durch„höhere Gewalt oder eignes Verschulden des Verletzten" herbeigeführt worden ist und so, m. H., «st dem Beschädigten oder den Angehörigen des Getödteten der Ersatz des angerichteten Schadens gesichert, wenn nicht eben die Eisenbahn- Verwaltung ihrerseits zu beweisen im Stande ist, daß ein durch höhere Gewalt, etwa durch einen Blitz, oder durch eignes Per- schulden, durch Unvorsichtigkeit oder Muthwillcn verursachter Unglücks- lall vorliegt; und so, m. H., können wir also, was die Haftpflicht der Eisenbahnen anlangt, allerdings zugestehen, daß die Interessen der �sbeitcr, die uns in allererster Linie zu beschäftigen haben, sowohl nne nebenbei die Interessen der Passagiere, welch- die Eisenbahn be- nutzen, zu denen allerdings auch die Arbeiter, wenn auch in minderer Zahl gehören als die Bourgeoisie, durch die Haftpflicht der Bahn- Verwaltungen genügend gewahrt sind. Merkwürdig immerhin bleibt es, m. H., daß in diesem Falle die Haftpflicht wirklich befriedigend gesetzlich festgestellt worden ist. M. H., eine Erklärung mag man dafür in dem Umstände finden, daß die Herren, welche für diese Fassung im Reichstage stimmten, daran dach- t'en, daß ihnen oder ihren Angehörigen selbst einmal möglicherweise auf der Eisenbahn ein Unglück passiren könne und daß es da doch besser sei, die Entschädigungsansprüche nicht von dem Beweise einer Schuld der Eisenbahnverwaltung abhängig zu machen. Wenn wir nun das Gesetz weiter betrachten und den 8 2 in Augenschein nehmen, so finden wir, m. H., daß dieser Paragraph, welcher folgenden Wortlaut hat:„Wer ein Bergwerk, einen Stein- bruch, eine Gräberei(Grube) oder Fabrik betreibt, haftet, wenn ein Bevollmächtigter oder Repräsentant oder eine zur Leitung oder Beauf- sichtigung des Betriebs oder der Arbeiter angenommene Person durch ein Verschulden in Ausführung der Dienstverrichtungen den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt hat, für den da- durch angerichteten Schaden."— so finden wir, daß dieser 8 2 sich vom 8 1 dadurch auffallend unterscheidet, daß die Verpflichtung der ge- werblichen Unternehmungen gegenüber der der Eisenbahnen eine so u n- endlich geringere ist. Denn es wird hier keineswegs mehr vom Unternehmer der Beweis gefordert,— falls er sich von der Haft- pflicht befreien will— daß durch höhere Gewalt oder eigenes Ver- schulden des Verletzten das Unglück entstanden ist, sondern, m. H., es muß hier in allen Fällen der sehr schwere Beweis von Seiten des Verletzten oder der Angehörigen, welche auf Entschädigung An- spruch machen, erbracht werden, daß, wie hier steht, entweder ein Be- vollmächtigter oder Repräsentant, oder eine zur Leitung oder Beauf- sichtigung des Betriebs oder der Arbeiter angenommene Person durch ein bestimmtes Verschulden in Ausübung der Dienstverrichtun- gen den Unglücksfall herbeigeführt hat. Und da, m. H., sind wir ganz in der alten Rechtsanschauung geblieben. Es wird eben der Verletzte, besonders der verletzte Arbeiter und dessen Angehörige, selten das nöthige Geld in Bereitschaft haben, um im Wege des Prozesses sein Recht zu verfolgen, und unter allen Umständen'wird es deshalb sehr schwierig sein, die Entschädigung zu erlangen, wenn auch wirk- lich die Daten vollständig vorliegen, wenn man auch wirklich weiß, daß etwas versäumt wurde und durch wen es versäumt wnrde, und wenn auch Zeugen dafür zu erbringen sind. Der Schutz, welchen ein mittelloser Arbeiter auf Grund des Armenrechts in solchen Fällen ge- nießt, wird ein sehr illusorischer genannt werden müssen. Dieser Paragraph aber, m. H., hat nicht allein eine durchaus ungenügende Fassung, er führt nicht allein eine ganz ungenügende Hastverbindlichkeir für die genannten Gewerbe ein, sondern er schließt obendrein noch eine große Menge von Gewerben von dieser mangel- hasten Haftvcrbindlichkeit vollständig aus. Wenn wir nun diese beiden Punkte an einigen Beispielen ver- folgen wollen, so, glaube ich, ist das allerschlagendste Beispiel dafür, wie ungenügend die Haftpflicht der Unternehmungen, welche das Ge- setz überhaupt heranzieht, gegenüber den Eisenbahnen ist, das der Bergwerke. Nun muß ich allerdings gestehen, daß ich über Bergwerke sehr wenig Kenntnisse mir zu sammeln bisher Gelegenheit hatte; aber, m. H., dem einfachsten Verstände eines Laien muß Folgendes klar sein: Wenn eine solche industrielle Unternehmung, speziell ein Berg- werk, von Seiten der Unternehmer eingerichtet wird, so sollte man meinen, man könnte billigcrweise verlangen, und es eristiren aller- dings gesetzliche Bestimmungen darüber, daß bei diese» Unternehmun- gen alles Das geschieht, was zur Sicherung des Lebens und der Ge- sundheit der Arbeiter unbedingt nothwcndig ist. Nun, m. H., glaube ich, geschieht das in den Bergwerken sehr wenig; es wird oft in so leichtsinniger Weise gebaut, es wird oft vielen den Arbeitern drohen- den Gefahren in so unverantwortlicher Weise Trotz geboten, daß es wirklich sehr nothwcndig wäre, diesem Haschen nach Gewinn, wobei die Gesundheit und das Leben der Arbeiter leichtsinnig aufs Spiel gesetzt wird, einen Damm entgegenzusetzen. Man sollte vermöge einer entschiedenen Haftverbindlichkeisi vermöge strengerer Berggesetze, nur diejenigen Bergwerke überhaupt bestehen lassen, welche durchaus reell vorgehen, die Interessen der Arbeiter sichern und den Arbeitern im vollsten Maaße persönliche Sicherung gewähren. ES Tönnte dabei allerdings eine große Menge solcher Unternehmungen zu Grunde gehen, denn es ist allerdings richtig, daß die Verunglückungen in Bergwerken bisher sehr zahlreich gewesen sind, aber, m. H., es trifft dies gerade diejenigen Bergwerke, welche aus Sucht nach Gewinn in unverantwortlich leichtsinniger Weise gebaut worden sind. Ohne Sach- verständiger zu sein, habe ich mir sage» lassen, daß oft bei derartigen Unternehmungen, die gegründet werden, um möglichst viel Rente aus denselben zu ziehen, viel tiefer gebaut wird, als nach den Gesetzen zulässig ist, daß ohne vorgeschriebene Nebenschächte gebaut wird, daß die Sicherungsmaaßregeln ungenügend sind; und, ni. H., es geschieht dies zu dem einzigen Zwecke, wenn auch noch so viel Arbeiter an Ge- sundheit und Leben geschädigt werden, zu dem einzigen Zwecke, falls das Unternehmen rentirt, den Aclionären möglichst viel Dividende zu zahlen. Wenn nun aber eine solche Spekulation, bei der das Leben der Arbeiter auf dem Spiele steht, gesetzlich noch unterstützt wird durch ungenügende Haftgesetze, so ist das ein schreiendes Unrecht gegen das Volk.(Bravo.) M. H., wenn Sie nun ein Beispiel für diejenigen Gewerbe haben wollen, welche vollständig von diesem Gesetze, das in seinem 8 2 ja nur von Bergwerken, Steinbrüchen,<Äräbereien und Fabriken handelt, — wenn Sie ein Beispiel also für die Industriezweige, die vollständig ausgeschlossen sind von jeder Hastpflicht, haben wollen, dann, m. H., kann ich Ihnen das nicht besser zeigen, als indem ich Ihnen einige wenige Zahlen ans dem vom Direktor des statistischen Bureaus in Berlin dem deutschen Reichstage vorgelegte» statistischen Materiale mittheile. Es sind— ich greise wenige Zahlen heraus, die sich leich- ter behalten— beim Verkehre z» Lande inclusive der Eisen- bahnen in einem bestimmten Zeiträume tödtlich verunglückt: Arbeit geber 2, Arbeitnehmer 198, zusammen also 200. An sonstigen Ver letzungen kamen vor: an Arbeitgebern 7, an Arbeitnehmern 94, zn sammen 101. Sehen Sie weiter auf den Bergbau, so finden Sie, daß die Zahl der tödtlich verunglückten Arbeitgeber— 0 ist, die der getödteten Arbeitnehmer dagegen 523 beträgt. Die Zahl der verletzten Arbeitgeber sind wiederum— 0, die Zahl der verletzten Arbeitsnehmer dagegen beträgt 137. Sie sehen dabei gleichzeitig, daß die Zahlen für die Bergwerke noch größer sind, als beim Betriebe des Verkehrs zu Lande, incl. der Eisenbahnen. Ich will nicht verfehlen, hierbei auszusprechen, daß die geringere Haftpflicht der Bergwerks- Unternehmer gegenüber den Eisenbahnverwaltungen deshalb ein um so größeres Unrecht ist. Aber, in. H., wenn wir nun weiter suchen in diesem statistischen Material, so finden wir, daß z. B. bei den Bau gewerken, welche nicht unter die Bestimmungen des Haftpflichtgesetzes fallen, die Zahl der Unglücksfälle eine fast eben so große ist, wie bei dem Berg- bau. Es sind nämlich verunglückt in diesem selben Zeiträume tödt- lich: Arbeitgeber 17, Arbeitnehmer 325, also zusammen 342; verletzt: Arbeitgeber 7, Arbeitnehmer 219, also zusammen 226. Während Sie also bei den Bergwerken tödtliche Verletzungen 523 haben, beim Ver- kehr zu Lande, incl. der Eisenbahnen tödtliche Verletzungen 200, so haben Sie bei den Baugewerken die sehr bedeutende Zahl von 342 Tödtungen in demselben Zeiträume. Wenn wir weitergehen: Bei der Landwirthschaft sind tödtlich ver- unglückt in demselben Zeiträume 107 Arbeitgeber, 455 Arbeitnehmer, zusammen also 562(die größte Zahl von allen) nicht tödtlich 25 Arbeitgeber, 86 Arbeitnehmer, zusammen III. (Schluß folgt.) Weiteres zttr Parteisteuerfrage. Die Bedenken, welche Parteigenosse Geib gegen die Einführung der progressiven Einkommensteuer als Parteisteuer geltend gemacht hat, hätten uns schon eher zu einer Entgegnung veranlaßt, wenn wir nicht noch etwaige weitere Einwürfe von anderen Seiten hätten ab- warten wollen. Da aber der Hamburger Artikel keine Nachfolge ge- funden hat, so sind wir zu der Annahme berechtigt, daß wir uns im Uebrigen der Zustimmung der Parteigenossen zu erfreuen haben, und es bleibt uns nur die Erledigung der von Herrn Geib in Frage ge- zogenen Punkte übrig. Herr Geib sagt zu Beginn seines Artikels:„Der Breslauer An- trag"'(Nr. 74 d. Bl.), er könne„aus taktischen Gründen die An- schauungen der Breslauer Mitglieder nicht theilen", indem„die Par- teiagitation vorerst ungemein erschwert würde, wenn wir den neuein- tretenden Mitgliedern zuerst die Frage nach der Höhe ihres Einkommens vorlegen, dann denselben unsere Steuerskala er- klären und endlich nach Schluß dieser Verhandlung ihnen die Mt- gliedskarte verabsolgen" wollten.— Aus dem letzteren Satze geht nun mit vollster Deutlichkeit hervor, daß Herr Geib meint, das von ihm beschriebene absonderliche Verfahren entspräche der„Anschauung" ver Breslauer. Wir aber sind glücklicherweise in der Lage, diese Meinung, deren Entstehungsursachen uns durchaus räthselhaft find, als ganz unbegründet zu bezeichnen. Wir finden das angedeutete Verfahren für die Agitation nicht nur unzweckmäßig und hinderlich, sondern geradezu raffinirt ungeschickt, wir wissen, daß es auf die Mehrzahl Derer, welche der Partei beitreten wollten, etwa wirken würde, wie Tabaksdüfte aus Mücken, wir endlich fühlen uns demselben gegenüber noch reiner, als Herr Geib, denn wir haben es gar nicht einmal ge- dacht.— Herr Geib wünscht für die Agitation ganz bestimmte, ein fache Normen, wir auch. Herr Geib will eine Minimalbeitragsquote — wir auch. Herr Geib wünscht bei der Aufnahme von Mitgliedern keine langweiligen Auseinandersetzungen, die den Geldpunkt betreffen, wir erachten dieselben sogar für abgeschmackt und thöricht. Für uns gestaltet sich die bei der Aufnahme neuer Mitglieder vorzunehmende Prozedur höchst einfach wie folgt: Der Beitretende zahlt den Minimalbeitrag von 1 Sgr. 6 Pf. pro Monat(ek. Breslauer Steuerschemas oder einen beliebig höheren Betrag, und empfängt die Parteikarte nebst Programm und Organisation. Damit ist fllr's erste alles geschehen!— In jeder geschäftlichen Sitzung aber(die also keine Agitationszwecke verfolgt) wird vom Vertrauensmann kurz die Steuer- frage berührt und allen neueingetretenen Mitgliedern der zu diesem Zwecke mit den nöthigen Erläuterungen versehene gedruckte Steuertarif verabreicht. Es bleibt nun den Einzelnen anheimgestellt, ob sie ihre Beiträge gemäß den Bestimmungen des Tarifs regeln oder es dem Vertrauensmann überlassen wollen, sie auf die ihrem Beitrage ent sprechende Steuerstufe einzuschätzen.— Damit wird die Agitation natür lich nicht im Mindesten berührt oder gar erschwert, aber— und das ist nicht hoch genug anzuschlagen— einem unserer wichtigsten Prin- zipien genug gethan. Wir gewöhnen außerdem aber auch die mit uns einverstandenen Massen an die einzig gerechte Besteuerung, wir sitzen an die Stelle, der Willkür das System und üben auf die Beitragspflicht der Bemittelteren den denkbar höchsten Druck. Die anfänglich bestehende Freiwillgkeit aber wird sich, genöthigt von dem guten Beispiele der prinzipienklaren Parteigenossen, bald bei allen ihres Wesens entäu ßern und in völlige Unterordnung unter die Normen des Steuersy stems umschlagen. Das gute Beispiel ist neben der sorglichen Aus- klärung über die Zwecke unserer Maßnahmen übrigens der einzig wirksame Zwang, den wir auf die Handlungen der einzelnen Partei Mitglieder sie facto ausüben können. Die Breslauer. Augsburg , 16. Oktoberr. Das sozialdemokratische Gift hat sich von hier aus, auch auf das nahe gelegene und eine große Arbeiter- bevölkernng zählende Lechhausen verpflanzt. Es traten vor einigen Wochen mehrere Gestnungsgenossen, die bisher in Augsburg Mit- glieder waren, zusammen und gründeten einen Arbeiterverein„Bor- wärts" auf sozialdemokratischer Grundlage. Dieser Verein zählt trotz der kurzen Zeit seines Bestehens schon einige fünfzig Mitglieder und herrscht ein frischer gesunder Geist unter ihnen. So veranstalteten die Mitglieder dieses Vereins Sonntag den 15. Oktober ein Tanzkränzchcn, wobei abwechslungsweise sehr hübsche Deklamationen zum Vortrag kamen, wozu auch die Augsburger Äesinnungsgenoffen eingeladen waren. Hr. Jrlinger als Vereinsvorstand begrüßte die Augsburger Ge- sinnungsgenossen und dankte ihnen in kurzen kräftigen Worten für die Mühe und Ausdauer, die dieselben für die Ausbreitung der Sozial- demokratie an den Tag gelegt. Nach ihm trat Frau Jrlinger aus, die ein sehr sinniges Gedicht an die Angsburger Gesinimngsgenossen im'Namen der Frauen und Mädchen der VereinSnütglieder richtete, nach dessen Schluß ein schönes Blumenbonquet an Freund End reS aus Augsburg überreicht wurde. EndreS dankte in kurzen kräftigen Worten den Vereinsmitgliedern, sowie deren Frauen und Mädchen für diese Ovation, die er für die Augsburger Gesinnungsgenossen annehme, und forderte die Anwesenden auf, daß Jeder seine Schuldigkeit indem großen Lefreiungswerke des Proletariat« thun möge; so wie sich die Arbeiter Augsburgs und Lechhausens die Hände reichen, so möchten es alle Arbeiter allerorten thun. Er schloß mit einem Hoch aus das Proletariat der ganzen zivilisirten Welt. Ein anwesender Ge>innungsgenosse aus München überbrachte Grüße der Münchner Arbeiter und hob das erfreuliche der Betheiligung des weiblichen Geschlechts an der Arbeiterbewegung hervor und forderte ebenfalls die Anwesenden zu treuem, festem Zusammenhalten auf. Tanz mit abwechslungsweisen Deklamationen hielt die Anwesenden beisammen bis gegen Mitternacht. Habel Dank, Gesinnungsgenossen in Lechhausen, für Eure Gast- freundschaft und stehet fest im Kampfe für das Proletariat, bis uus der Sieg winkt! Spandau . Zur Arbeiterbewegung in unserer Provinz und besonders in Berlin . Unsere Arbeiter sind im Verhältniß zu andern Gegenden in pekuniärer Hinsicht iinmer noch: so leidlich situirt, sie wären gewissermaßen noch im Stande, etwas für unsere Organisation, resp. deren Verbreitung zu thun, wenn nur nicht der großen Masse die Erkenntnsß ihrer Klassenlage gänzlich seblic, und besonders der Phrajenkleister der Schulze-H i r s ch' sch e n-S e l b st Hilfe zu fest in das Gehirn gedrungen wäre. Ich weiß, was für Mühe es mir gekostet hat, der ich in politischer und religiöser Beziehung schon längst aus dem radikalsten Standpunkt stand. Uiuer uns wenigen im Verein, die wir meist früher auf Schulze'schem Standpunkt gewesen, hat in der kurzen Zeit die Erkenntniß unserer Lage mit sammt den Prinzipien unserer Partei vollständig und allgemein Platz gegriffen, nur die Massen bleiben uns noch fern; für alles Oberflächliche haben sie Sinn, auch lassen sie sich roch immer durch Halbheiten, Phrasen und selbst durch den nationalen Baterlandsschwindel bezaubern, gerade wie in der Metropole(des SicgeSjnbels*) Berli n. Und dennoch glaube ich, daß keine Zeit für unsere Agitation güustiger war als die jetzige, die Gesellschaft des Quacksalbers Max verliert von Tag zu Tag Anhänger und Terrain besonders iu Berlin . Dort sowie in der ganzen Provinz müßten anziehende zeitgemäße Flugschriften in die Massen geworfen werden, denn die Unzufriedenhell in betreff der Wohnungsnoth und des Steuerdrucks wird mit jedem Tage allgemeiner und größer, die Wirthe können sich heute leichter denn je ihre Steuern abwälzen; doch wo die Erkenntniß in den Massen fehlt, da hilft selbst die Einigkeit nichts, da gehts zu wie im Deutschen „einigen Reich". Agitatoren müßten, wenn die Mittel nicht fehlten, grade in Berlin und in unsrer Provinz überall erstehen und vou Ort zu Ort die Erkenntniß tragen. Mit sozialdemokratischen Gruß W. Fischer Parteigenosse. Ronneburg , d. 19. Oktober. Seither befanden sich am hiestge» Orte zwei Vereine, welche Ihnen unter den Namen Arbeiter- und Volksverein bekannt sein werden. Für ein so kleines Städtchen war solches gewiß ein Uebelstand, welchem nun endlich auch abgeholfen ist. Die beiben Vereine hatten am 7. d. M. ihre erste gern einsame Ver- sammlung und führen nun zusammen den Namen„ Sozial-dc mo- tratischer Volksverein" der stch z« dem Statut der Sozial-demo- kratischen Arbeiterpartei bekennt. Vorsitzender ist August Seebald, Schriftführer und Vertrauens- mann Karl Schmidt, Kassirer Ferdinand Fuchs. Berichtigung. Bei der letzten Abrechnung, der eingesandten monatlichen Parteibeiträge ist irrthümlich Dresden ausgelassen; ich, be- richtige nun hiermit, daß die Sienern der Dresdener Parteigenossen bis Monat Juni d. I. bei den Kongreßkosten als entrichtet verrechnet find. Leipzig , den 18. Oktober. Theodor Burckhardt. ») Mit dem Siegesdnsel soll es doch nicht mehr so weil her sein. Man schreibt uns, der Katzenjammer sei schon ziemlich allgemein.— Mit„Ruhm" buttert man kein Stück Brod, und von den„Dotationen" für die„Reservisten und Landwehrmänner" kann man»ich» einmal trocken Brod kaufen. Solch'„harte Thatsachen" müssen doch mit der Zeil auch den Duseligsten entnüchtern. R. d. V.
Ausgabe
3 (25.10.1871) 86
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