Allgemeiner deutscher Schneiderverein. Khemnitz, 14. Sept. Da mit Ende September das III. Quartal fällig wird, so ersuche ich alle Bevollmächtigten unbe- dingt(und zwar durch besondere Umstände diesmal ausnahms- weise) darauf zu sehen, daß die Abrechnungen schon am 10. October in den Händen des HauptkassirerS Herrn Friedr. F is ch er, Augustus- burgerstr. 54B sich befinden, da sofort nach erfolgter Bekannt- machung der Abrechnung der Ausschuß nach Braunschweig über- siedeln wird. Gleichzeitig mache ich nochmals ganz besonders darauf aufmerksam, daß Gelder nur an den Hauptkassirer!zn senden sind. Die süddeutschen Collegen ersucke ick besonders, das Geld nur durch Postanweisung zu senden, da abgesehen von der Ersparung an Porto, noch extra ein Verlust entsteht durch das Umwechseln, wenn sie das Geld in Briefe einlegen. _ Um vielseitigen Anfragen genüge zu leisten, gebe ich bekannt, baß das Protokoll von der Generalversammlung zu Gotha in den nächsten Nummern desVolkSstaat " veröffentlicht wird. Gleichzeitig gebe ich den Mitgliedschaften die Wahl des neuen Ausschuffes zu Braunsckweig bekannt: C. Ludolph, Vorsitzender, Stecherstr. No. 20 2 Tr., H. Stelxnci, Stellvertretender, F. Mumme, Geschäftsführer, alte Waage No. 6, C. Beck, Hauptkassirer, Turnirstr. No. 8, F. Schlüter, Beisitzender. Falls nach Verlauf von 8 Tagen kein Widerspruch erhoben wird, sind oben genannte Personen als definitiv gewählt zu be- trachten. . Da Nürnberg als Sitz der Controlcommission ernannt wurde, Mir aber bis jetzt die Wahl derselben noch nicht bekannt gegeben worden ist, so ersuche ich die Mitgliedschaft zu Nürnberg , so bald sls möglich die Wahl derselben vorzunehmen und anher bekannt ja geben. Weiter folgt hiermit die Bekanntmachung der Beamten der neuaegrllndeten Mitgliedschaften: Für Bamberg : Ruh l, Bevoll- mächtigter, per Adresse: Schneider Jörstel, Sandbad 1691. Kassirer, Habermann(leider ist mir die Adresse desselben nicht bekannt). Für Halle a. S.: Julius Beyer, Bevollmächtigter, kl. Sand- berg 21 Hof reckts 1 Tr. Kassirer: Joseph Urban , kleiner Schlamm No. 6. Weiter ist in Regensburg an Stelle des früheren Beooll' mäcktigten M. Ern dt, Kepplerstr. 460 3. Stock gewählt, in Pforzheim desgleichen, Franz lieber , per Adresse: Wilhelm Frey- vogel, Marftplatz. In Leipzig wurde an Stelle dös ftüheren Kassircrs Georg Lehmann, kleine Fleischergasse No. 11, 2 Tr. gewählt. _ Ferner theile ich den Mitgliedern die erfteuliche Nachricht mit, daß in einer der letzten Versammlungen des Fachvereins zu München der Beschluß gefaßt wurde, demAllgemeinen Deutschen Schneider- Viwein beizutreten,(derselbe zählt 100 Mitglieder) und steht der- selbe wegen dieser Angelegenheit mit dem Ausschuß in Ver- blndung! Nur muthig Vorwärts! Angespornt durch die Münchner Kollegen werden andere Ortschaften nachfolgen. Nur dann erst Werden wir die Früchte einer Organisation genießen können, nach- dem die größere Masse darin vereinigt ist. Mit collegialischem Gruß Im Auftrage des Ausschusses: Hermann Weck, Geschäftsführer, Sonnenstraße No. 747 1 Tr. per Adresse: Erasmus Willkomm. Correspondenzen. ßhemnih, 15. September. Am vergangenen Donnerstage wurde hier eine Frauenversammlung abgehalten, die zwar nicht stark besucht war, die aber doch insofern einen günstigen Verlauf nahm als die Verhandlungen das Interesse der Anwesenden im höchsten Grade in Anspruch nahmen. Die Tagesordnung: Die Behandlung der Frauen und Mädchen in den Fabriken und die Bestimmung des weiblichen Geschlechts" wurde in erster Linie durch Wolf behandelt. DieChemnitzer Freie Presse" sagt hierüber: Redner wies vom praktischen Standpunkte aus nach, daß die gemeine Habsucht der Bourgeoisie es ist, welche Frauen und Mäd- chen demorallsirt; durch den Hungerlohn, welchen sie den Männern bieten, zwingen sie Frauen und Mädchen, in den ungesunden Fabrikräumlichkeiten sich zu opfern, so daß die Familie auseinander- gerissen wird und kein eheliches Glück stattfinden kann. Anstatt die Unschuld der Kinder durch aufmerksame Pflege zu erhalten, Derlen dieselben in den Fabriken einer vollständigen Verwahr- wsung preisgegeben, wovon ein Jeder, der in den Fabriken be- sannt, überzeugt ist. Es erweist sich als ein wahrer Spott, den t» den Fabriken arbeitenden Frauen und Mädchen gegenüber, wenn Jüan Werke herauSgiebt, wie eine Mutter ihre Kinder zu erziehen hat, Lebens- und Gesundheitsregeln feststellt, unter welchen die Jungfrau ihrer zukünftigen Stellung gerecht werden könne, wenn wan dabei an das 14 16stündige Arbeiten in ungesunden Räum- uchkeiten, die brutale Behandlung von Seiten der Vorgesetzten und an die ungenügenden Löhne denkt, durch welche das weibliche Ge- schlecht fast mit Gewalt auf andere Bahnen getriebrn wird. Redner irmahnt die Frauen und Mädchen, sich ihrer Lage klar bewußt zu Werden, da, wenn ihre Kräfte durch Ausbeutung erlahmen, keine «ebende Familie vorhanden ist, welche sie aufnimmt, sondern sie w die Welt hinausgestoßen werden, gleich allen Proletariern, so s° daß sie ihre alten Tage trotz fleißig vollbrachter Lebenszeit, in Kummer und Elend beschließen müssen; sie möchten sich deshalb V««inigen, um ihre Würde der alles vernichtenden Habsucht gegen- über zu wahren. Auf die vom Vorsitzenden an die Versammlung gerichtete Aufforderung, etwaige Gegenansichten laut werden zu lassen, meldete sich, trotz der Anwesenheit manches AuffeherS, Nie- vsand zum Wort und sprachen dann noch Rohleder eingehend über ble Behandlung. deS weiblichen Proletariats in den Fabriken, sowie Walter, betonend, wie die Männer einen großen Theil der Schuld tragen, daß die Lage deS weiblichen Proletariats eine solche geworden sei, wogegen man zur Entschuldigung nur anführen jf.ssne, daß der Drang der Verhältnisse die Männer selbst in voll- standige Abhängigkeit hineingetrieben habe. Männer und Frauen Mußten deshalb in Vereinigung dahin streben, daß es nicht noch bhlichter, sondern besser werde. Diesen Ausführungen schloß sich uoch Milzheimer in einem längeren, die Verhältnisse klar ausein- �überlegenden Berichte an. Alle Redner fanden den Beifall der �ttsammlung. Eine von einem Mädchen eingebrachte Resolution -pärt,daß die heutige Produktionsweise und die dabei statt- llndende Ausbeutung der Frauen und Mädchen energisch zu be- atnpftn ist und deshalb die Frauen und Mädchen die Pflicht ha- sich der Manufafturarbeitergewertfchaft anzuschließen." Diese Solution wurde einstimmig angeuommeu." . Hieichenbach. Der moderne Liberalismus wirthschaftet sich Tag zu Tag mehr ab. Die jetzige LandtagSwahl hat auch die beiden hiesigen außer den Sozialdemokraten existirenden Parteien auf die Beine gebracht. Die Konservativen, Amtmann und Pastor an der Spitze, empfehlen den jetzigen, mit der Regierung gehenden und namentlich gegen die confessiouslofe Schale stimmenden Abge- ordneten Bürgermeister in Kirchberg. Darob erbosten unsere Li- bcralen und stellten gleichfalls einen Candidaten auf und zwar den hiesigen conservativen Bürgermeister, weil derselbe ein bei der Regierung wohl angesehener Mann sei und deshalb für Reichen- dach die in Aussicht stehenden Fortschritte Bahnhofs- und Realschulbau, Hauptsteueramt und dgl. kräftiger fördern könne. Nach solcher Logik wäre die Vergrößerung einer Stadt besser als die confessionsloseSchulc und nur fürOrte erreichbar, die ihren Mann an den rechten Platz senden. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei erklärte in einer Volksversammlung die Wahlenthaltung und er- hielt deshalb von demokratisch sein wollenden bittere Vorwürfe, als ob dadurch der Untergang der guten Stadt Reichenbach be- vorstehe. Nerkin. Gedankenlosigkeit oder Unverschämtheit? möchte man sich ftagen, wenn man eine Berliner Correspondenz imHarn- burger Correspondent" vom Freitag den 5. d. M. liest. Diese Zeitung bringt nämlich wöchentlich unter dem TitelBerliner-Ar- beiterbriefe" Nachrichten und Bettachtungen über die Arbeiter- bewegung in Berlin . Der Verfasser dieser Briefe ist Herr Carl Waldow, eigentlich Tischler jetzt Zeitungsberichterstatter und Literat. Früher war er ein hervorragendes Mitglied der Ortsvereine und der fortschrittlichen politischen Arbeiter-Vereine, und war er besonders wegen der Grobheit berüchtigt, mit der er seine Gegner bekämpfte. Hierfür wurde er auch einst von Herrn Bernstein in der Zeitung für Jedermann u. s. w. als der gebildetste aller Berliner Arbeiter gepriesen. In seiner literarischen Thätigkeit hat er sich auch stets als treuer Anhängerdes Königs im sozialem Reich" und der Volkszeitung bewährt; wo er konnte suchte er in seinen erwähnten Berichten über die Arbeiterbewegung die Ortsvereine zu lobhudeln und die Sozialdemokratie zu brandmarken. Man muß ihn und jeden anderen Literaten allerdings damit entschuldigen, daß die Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeiter- Vereins ihnen dieses Handwerk sehr erleichtern. Wenn Herr Waldow Parteimann ge- blieben, so ist ihm dies gewiß nicht zu verdenken, doch gestattet dies ihm nicht zu lügen. Voller Unwahrheit strotzen aber folgende zwei Sätze in der erwähnten Freitag-Correspondenz. Es muß noch erwähnt werden, daß eS sich um den letzten Strike der Weber handelt. 1) Außer dem Hirsch-Dunkerschen OrtSverein, der einige hundert Mitglieder zählt(vics ist furchtbar aufgeschnitten und muß richtig Hundert und Einige heißen) war eine Organisation unter den Webern nicht vorhanden. 2) Hatten doch nur die Mitglieder deS Hirsch-Dunkerschen Ortsvereins eine ausreichende Unterstützung von 2 5 Thalern wöchentlich erhalten, während von den Internationalen und den Hasencleverschen Sozialdemokraten Niemand unterstützt wurde. Diese beiden Sätze sind schnell zu wiederlegen, da fast das Ge- gentheil deS in ihnen Enthaltene wahr ist. Ad 1. Es existirt nämlich eine Gewerkschaft der Manufaktur- arbeiter, die besser organisirt ist und hier in Berlin ebensoviel Mitglieder enthält als der Hirsch- Dunkersche OrtSverein. Ad 2. Gehören die sogenannten internationalen Sozial- dcmokraten, die Weber sind, dieser Gewerkschaft an und wurden von derselben ausreichend unterstützt, sie erhielten wöchentlich 3 Thlr. ES ist kaum anzunehmen, daß Herrn Waldow dieses unbekannt war; derselbe ist nämlich ZeitungSberichterftatter und hat als sol- cher fast allen Versammlungen der strikenden Weber beigewohnt, und wurde in jeder Versammlung diese Gewerkschaft erwähnt. Bekannt ist außerdem, daß der Gewerkschaft 150 Thlr. von den Buchdruckern gewährt worden sind, und wurde diese Angelegenheit in allen Zeitungen besprochen. Alles dieses weiß Herr Waldow wohl und wiederholen wir unsere Frage: ist dieses Gedankenlosigkeit oder grenzenlose Verlegenheit? In beiden Fällen isi Herr Wal- dow zu bedauern; auch macht es jenem Hauptorgan des Katheder- sozialismus wenig Ehre sich von seinem Berichterstatter so dupiren zu lassen und seinen Lesern so entstellte Berichte als wahre Münze aufzutischen. Königsberg , 16. Sept. In voriger Woche ist Eckstein hier zu 4 Wochen Gefängniß verurtheilt, weil er den Revacteur der hiesigenOstpr.Ztg.", Otto de Grahl, beleidigt haben soll. Gleich bei Ankunft Ecksteins am hiesigen Orle berichteten die beiden hie- sigen Zeitungen abwechselnd, daß derselbe ein bestrafter Mensch wäre:c. ic. Die Absicht ging offenbar dahin, demselben alles Vertrauen Seitens seiner Parteigenossen zu entziehen, so daß Eck- stein sich hier nicht mehr halten konnte. Mit heuchlerischen Tiraden über Achtung, die auch dem Gegner zu erweisen wäre aus solchem Munde ein bedenkliches Lob» daß nur die Eitelkeit darauf hineinfallen konnte gingen sie jesuitisch auf ihr Ziel loS. Leider gelang ihnen zum großen Theil diese Taktik gegen Eck- stein. Einige zeigten sich lauer. Ändere wollten nicktdie Kastanien für uns aus dem Feuer holen", betrachteten sich demnach als außer- halb der Partei stehend und als Ausnahmepersonen. Immerhin haben wir bei dieser Gelegenheit unsere Freunde kennen gelernt und wissen, auf wen wir uns verlassen können, auf wen nicht. Eckstein ist nun in vontuwaoinm ohne Zeugenverhör und ohne daß seinem Antrage auf Verschiebung des Ter mineS Folge geleistet wäre, zuA Wochen Haft verurtheilt, in Anbetracht derFrechheit" mit der er öffentlichder Wahrheit ins Gesicht geschlagen", wie der Staatsanwalt Bienko, ein junger Mensch, der diese Volksver- sammlungen nie besucht, sich ausdrückte(man scheint hier vor- zugsweise junge, strebsame StaatsanwaltSgehülfen gegen politische Personen zu gebrauchen). Nun, Eckstein war vollkommen im Recht, wenn er ein Ver- gehen, daß er durch 1jährige Sttafe gebüßt und durch ein 15jähriges eifriges Sttebeu für die erhabensten Ziele der Menschheit gesühnt, verheimlichte Leuten gegenüber, auf deren vorurtheilsfreie Auffassung er nicht rechnet und eS wird hier nicht einen Arbeiter geben, der ihm Solche» alsFrechheitt vorwerfen wollte.> Angesichts eines Verfahrens, welches ihn durch mehrereNummern zweier Zeitungen als Dieb und Schuft beschimpfte, ihn, dem Be- leidigten und Verläumdeten, auf Antrag seiner Verleumder noch zu 4 Wochen Gefängniß zu verurtheilen, weil er solche perfide An- griffe nicht mit freudigem Herzen erttagen. Angesichjs solcher Behandlung werden dre hiesigen Arbeiter wissen, wie sie sich bei den nächsten Wahlen Eckstein gegenüber zu verhalten haben. Adolf Radtke. WftrKitrg. 14. Sept. Seit Abhaltung des Arbeitertages am Schlüsse vorigen Jahres haben wir hier in Marburg Nichts wie- der von uns hören und die hiesigen Philister ruhig sihrem alten Schlendrian nachbumnieln lassen; schon glaubten sie, uns das Heft aus den Händen gerissen und uns todt gemacht zu haben; mehr- fach konnte man sprechen hören:Der sozialdemottatische Arbeiter verein ist zersplittert und zu Grunve gegangen". UnS amusirte dies, denn in Wirklichkeit haben wir in dieser Zeit mehr erzielt, als hätten wir allwöchentlich eine Volksversammlung abgehalten. Wir hatten unser Augenmerk vorzüglich auf die ländliche Bevöl- kerung gerichtet, und hier ist eS, wo wir den Boden sondirt und durch private Agitation einen Keim gelegt, der für die Zukunft von großem Vortheil für uns sein wird; in der Wahlbewegung noch einige öffentliche Versammlungen dort abgehalten und die Mehrzahl der ländlichen Bevölkerung macht Front gegen den Natioualliberalismus, weil sie während der letzten Reichstazspe- riode eingesehen hat, was sie erreicht, wenn sie für jene und mit ihnen für dasheilige Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte" schwärmt; sie hat eingesehen, daß mit all den Nationalfesten und all den famosen gesellschastsrettenden Reden und Thaten des hohen Reichstages doch nur das wahre Jammerbild der modernen gesell- schaftlichen Zustände ttberkleistert wird. DaS Klassenbewußtsein greift nach und nach Platz unter ihr, mehr wie bei unseren städti- schen Arbeitern, die eher zu allem Andern, als zum Denken zu gebrauchen sind. Auf einmal wurde sie aus diesem Siebenschläfer- träum durch eine Volksoersammlung aufgerüttelt. Tagesordnung: 1.Hat der Sozialismus eine kulturhistorische Bedeutung?" 2.Welche Bedeutung hat der Reichstag für das arbeitende Volk?" Referent: Herr Dr. Walster aus Dresden . Zu Punkt 1. waren insbesondere, da eS ein wissenschaftliches Thema war, die Vertreter der Wissenschaft eingeladen. Durch besondere Zwi- schenfälle war»s nicht möglich gewesen, außer einer Annonce, die Bekanntmachung noch durch die Schelle, wie es hier noch Sitte ist, ergehen zu lassen, und so kam es denn, daß die Versammlung schwach besucht war, da die Arbeiter dasMonstrum der Jour- nalistik",Oberhessische Zeitung" genannt, wenig oder gar nicht in die Hand bekommen. In das Bureau wurden Wosniak als Vorsitzender und Unterzeichneter als Schriftführer gewählt. Par- teigenosse Dr. Walster ergriff das Wort zum ersten Punkt der Tagesordnung und beutete dies Thema in anderthalbstündiger, ttefflicher Rede vollständig aus. Zunächst erwähnte er des Ein- drucks, den der Sozialismus gegenwärtig überall, wo er auftrete» auf die Gegner mache; alle Hebel würden in Bewegung gesetzt, um diese Bewegung zu unterdrücken. Diese Furcht vor dem So- zialismus entstehe größtentheils durch die lügenhaften und verläum- derischen Berichte der Presse, z. B. die Schilderungen über die Pariser Commune . Der größte Feind jedoch sei die Denkfaulheit der arbeitenden Klassen selbst. Redner entwickelte hierauf an der Hand der Geschichte, daß schon im Alterthum jederzeit und bei allen Völkern soziale Zuckungen zu finden gewesen seien, wie jeder- zeit der Ueberlegene seinen Vortheil zur Ausbeutung seiner Mit- menschen benutzt habe, so im Kirchlichen, wie im Weltlichen; die Schwächeren hätten sich um diese schaaren müssen und so sei denn geistliche und weltliche Oberherrschaft entstanden. Wie dann später unter den verschiedenen Volksklassen Vereinigungen zur Wahrung ihrer Rechte entstanden seien, größtentheils noch mangelhaft und mit Egoismus durchzogen. Später sei dann die mächtige Fackel des Sozialismus entzündet, in seinen Lichtstrahlen das große WortFreiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" verkündend. Da wäre»dann von Neuem der Kampf gegen diese neue Lehre ent- brannt; wenn früher nur einzelne Parteien gegen einander ange- kämpft hätten, so hätte sich hier Alles vereinigt, um gemeinsam den neuen Feind, welcher sich erdreisten wollte, in ihre Vorrechte einzugreifen, zu zerschmettern. Ohnmächtig seien alle diese Ver- suche bisher gescheitert. Redner greift sodann in der Geschichte wieder zurück und be- weist an den Beispielen früherer mächtiger Staaten, wie das große römische und griechische Reich, da eS Reiche der Uebervortheilung und Ausbeutung gewesen und daher die untern Klassen kein In- teresse daran hatten, ein solches Reich zu erhalten und zu unter- stützen, daß Alles, was nicht aus der Basis der Solidarität der Interessen beruhe, unbedingt dem allmäligen Verfall preisgege- ben sei. Ilebergehend auf die Lehre Jesu charakterisirt Redner das wahre Christenthum als daS wieder zu sich selbst kommende Be- wußtsein der engsten Zusammengehörigkeit, wie die Lehre Jesu auS Eigennützigkeit gefälscht und entstellt sei; der Sozialismus enthalte in sich das wahre Christenthum. Zum Schluß bespricht Redner noch die niederttächtige Kampfes- weise unserer Gegner; da, wo es falsche und entstellende Berichte zu machen gebe, wären sie gleich dabei, Auge in Auge aber wage Niemand den Kampf aufzunehmen. Leider mußte Referent seinen Vortrag in Kürze schließen, da der uns überlassenc Rathhaussaal nur bis 10 Uhr zur Verfügung stand. Bezeichnend ist wieder, daß die Bertteter der Wissenschaft, trotz spezieller Einladung, in großer Abwesenheit glänzten; es ist ja dies das alte Lied: entweder anerkennen sie den Sozialismus und scheuen sich, dieS vor der Oeffentlichkeit zu bekennen, oder sie sind Gegner des Sozialismus und halten eS für unter ihrer Würde, mit Arbeitern über die tiefst-wissenschaftliche und wichtigste Zeit- frage öffentlich zu diSkutiren. Samstag, d. 6. ds. Vits., beriefen wir eine öffentliche Mit- gliederversammlung ein, in welcher unser Delegirte V. Ch. Schnei­der über den Kongreß referirte. Die Versammlung war ziemlich zahlreich besucht und ließen sich am Schluß derselben mehrere neue Mitglieder aufnehmen. Mit Befriedigung wurden die Kongreß- beschlüsse von der Versammlung entgegen genommen und allgemein der feste Wille ausgedrückt, ohne Rast und Ruhe zu arbeiten an dem großen Bau der Erlösung des Proletariats aus dem Labyrinth von Knechtschaft, in welches es durch die gesellschaftlichen Zustände versunken ist. Herr Koch, Herausgeber und Redakteur der oben genannten Oberhesstschen Zeitung", hätte in dieser Versammlung die gün- stigste Gelegenheit gehabt, sich von dem wahren Thun und Treiben des sozialdemokratischen Kongresses zu überzeugen, denn an Arti- keln über denselben, die er jedenfalls von irgend einem lügenhaf- ten Correspondenten oder aus irgend einem Winkelblättchen ge- schöpft hat, in welchem Hohn und Spott den Vordergrund bildeten, hat er eS nicht fehlen lassen. Freilich, die Wahrheit wollen diese Leute nicht wissen, einsehend, daß sie mit derselben sich selbst in'S Gesicht schlagen würden. Ferner wurde in der Versammlung beschlossen, jetzt unverzüg- lich in die öffentliche Agitation unter der Landbevölkerung zu treten. Mögen die Parteigenossen allerorts darnach streben, gerade diese Klasse des Volkes zu gewinnen. Gerade dies ist es, wovor die Gegner sich am meisten fürchten, wohl wissend, daß, wenn sie die Landbevölkerung verlieren, sie ohnmächttger sind, als je zuvor. Dies ist der Boden, auf welchen sie sich am Meisten stützen und welcher ihnen seither das Stimmvieh geliefert hat; haben wir ihnen diesen entrissen, so ist unser Kampf ein weit leichterer. Auf denn, Parteigenossen! Tragt ohne Zögern unser Evan­gelium hinaus unter die Landbevölkerung! Versäumte Zeit ist nicht wieder einzuholen.