Erscheint in Jetpziz Mittwoch, Freitag, Sonnlag. Bestellungen nehmen an alle Postanstalten u. Buchhand» lungen des In- U.Auslandes. Filial- Expeditionen für die Vereiniglen Staaten: F. A. Sorge, öo» 101 Hoboken , N. J. Peter Haß, 8. W. Corner Third and coates str. Philadelphia . Der VMsßaal Organ der SozialiftLschen Arbeiterpartei Deutschlands . Abonnementspreis für ganz Deutschland IM.KOPf. pro Quartal. Monats- Abonnements werden bei allen deutschen Postanstalten auf den Lren u. llten Monat und auf den 3:en Monat besonders an- genommen; im Kgr. Sachsen u. Hrzgth. Sachs.-Altenburg auch aus den Iten Monat des Quartals ä 54Pf, Inserate, die Abhaltung von Partei-, Vereins- und Volksversammlungen, sowie die Filial- Expeditionen und sonstige Partei-Angelegenheiten beireffend, werden mit 10 Pf.,— Privat- und Vergnügungs- Anzeigen mit 2b Pf. die dreigespaltene Petit-Zeile berechnet. Nr. 73. Mittwoch. 30. Juni. 1875. Durch plötzlich vorgekommenen Defekt an der Maschine hat sich der Versandt eines Theiles der Auflage der vorigen Nummer unliebsamer Weise um einen Tag verzögert. Die Expedition. n' Eiue Erinnerung an Georg Herwegh . (Hadeiit sna fata libelli— die nachfolgende Skizze hat ihre Geschichte, die wir gelegentlich erzählen weiden. Für jetzt zur nölhigen Aufklärung dcS LeferS nur dieS: gleich nach Herwegh'S Tod wandte Herr Keil sich an die Witiwe mit dem Ansinnen, einen biographischen Abriß für die„Gartenlaube" zu schreiben. Die Wahrheit wurde geschrieben, und sie paßte natürlich nicht für die„Gartenlaube".— Ter„Volksstaat" ist stolz, eine Pflicht deS arbeitenden Volks gegen den treuen Dichter des arbeitenden Volks erfüllen zu können.) „Licht floß ihm von der reinen Schwinge nieder, Licht strahlt' er in des Schicksals dunklen Gang, Vom Glanz der Wahrheit blitzte fein Gefieder, Und der Gedanke ward bei ihm Gesang, Der ihn entzückt in trunk'ucm Flug Bis vor den Thron der Schönheit trug." Mögen diese Worte, die Georg Herwegh einst seinem Schiller zu deflen hundertjähriger Feier zurief, und die eben so gut auf den jetzt dahingegangenen Dichter passen, mir als Eingang zu der kurzen LebenSskizze dienen, um deren Abfassung Sie mich gebeten, und die Ihnen rn aller Wahrhaftigkeit und mit dem ganzen Ver- ftändniß, dessen ich fähig bin, zu geben, ich heute für eine Pflicht gegen den theuren Tobten halte, die zu erfüllen ich mich, wenn auch mit schwerem Herzen, anschicke. Wenn eine tiefe, unwandelbare Liebe, ein gleiches Wollen und Streben im Denken und Empfinden, ein Leben gemeinsamen Kampfes und der leidenschaftliche Wunsch, einem vielverkannten, wenigerkannten, vielgeliebten Menschen gerecht zu werden, den Maogel jeder schriftstellerischen Begabung ersetzen, ja dieselbe ent- behrlich machen können, so sollte ich meinen, daß mir mein Bor - habe» gelingen müsse. Ob dieses Bild, geehrter Herr, aber in Ihren Rahmen passen wird, ob Sie es darin in aller Treue werden aufnehmen können, das ist eine ander Frage.„Ganz Deutschland ist eine Gartenlaube!"„Ganz Deutschland stickt Stramin;" pflegte unser Dichter oftmals im Scherz zu sagen, wenn sein Blick auf Ihre Zeitschrift fiel. Lassen Sie'« un« versuchen. Wenn je ein Mensch unter dem Schutz der Musen und Grazien geboren ward, so war'S Georg Herwegh . Wohl selten ist bei einem Menschen der innere Adel so glücklich und so voll kommen zur Erscheinung gekommen, wie bei rhm. AlleS war har monisch, wohlthueud, biS auf den Klang der Stimme. Er besaß bei der größten Unerschrockenheit und Kühnheit de« Geiste« die ganze Zartheit, Feinfühligkeit einer echt weiblichen Natur. Wenn ihm die Festigkeit seine« Charakter«, die unerschütterliche Prinzipientreue und die Rücksichtslosigkeit, mit der er da«, was er für recht und wahr hielt, mit Wort und That verfocht,«nzählige Feinde zuziehen mußte— viel Feind', viel Ehre!— so glaub' ich doch kaum, daß er deren persönliche haben konnte, so lieben«- würdig, so bescheiden bei allem Wissen, so herzgewinnend war er im geselligen verkehr. Cr war auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft zu Hau«, und wenn Wissen Freiheit ist, so gehörte Georg Herwegh auch nach dieser Sciie hin zu den frciesten Menschen seiner Zeit. Daraus ergab sich denn auch al« innerste Nottzwendigkeit, daß bei ihm der Mensch nicht vom Dichter, der Dichter ni»t vom Politiker und Forscher zu trennen war.— Jede« Gedicht, da« er schrieb, war ein Gefammtbild, ein StücT seine« innersten Leben«. Hinter jeder Zeile stand er selbst, und da« erklärt wohl am Besten die wunderbare Wirkung seiner Ge dichte und auch we«halb er fie nur sporadisch, erweckt durch die großen Ereignisse der Zeit, hinau«schickte, wie einen Schrei, der sich seiner Brust entwand. Schriftstellcrei al» Handwerk, al« Broderwerb— da« Literaten- thvm par profession waren ihm ein Gräuel.„Es muß ja nicht geschrieben sein!" rief er oftmal» au«, wen» er diese Papierver- geudung ohne wirklichen Beruf, ohne jeden ernsten Zweck sah.„Die Kunst ist da« Höchste, und wer den Beruf dazu nicht hat, wessen Wort nicht zündet, der soll e« lassen und lieber Holz spalten, da« ist ehrenwerther." Er war ein Feind alle« Halben, und au« diesem Gefühl entsprang nothwendig sein tiefer Widerwille gegen alle Zwitterparteien, sei e« auf welchem Gebiet e« wolle. Daher seine gründliche Verachtung der Nationalliber alen, Bismarck '«„Sau- Hirten", wie Jener selbst sie oftmals genannt— feine Gering- fchätzung dieses halben Auskiäricht«, ich meine der«ltkatholiken. selten war ihm ein Wort so au« der Seele gesprochen wie da«, welche« mau dem Bischof Ketteler in Betreff Döllinger« nach- sagt:„Glaubt er an so viel Wunder, so könnt' er auch noch an da« Eine glauben". Nie habe ich ihn herzlicher lachen hören, al« bei Anlaß diese« Eitate«. Nationalliberale und Altkatholiken waren in seinen Augen nicht« Andere«, als eine andere und gefährlichere Art von Gründern, eine Art politischer und religiöser Phhloxera*) gegen die bi« jetzt leider noch kein Vertilgungsmittel gefunden ist. Konnte er, der intime Jugendfreund Ludwig Feuerbach's , der treue Gefährte Ferdinand Lassalle'S ander « denken?— Alle« was einem Cvmxromiß ähnlich sah, war ihm unmöglich, und hätte man ihm die Wahl gestellt, mit Wem er umgehen wolle, und er hätte ♦) Reblaus. sich für den Einen oder Anderen entscheiden müssen, ob mit einem Vollblutaristokraten oder mit einem Nationalliberalen, mit einem frisch» fromm, fröhlichen Ultramontanen oder einem dieser tiefstw nigen Flachköpfe der Döllingerpartei, er hätte sich für die Ersteren entschieden, als seine ehrlichen, off'nen Feinde. Die Freiheit war für ihn das höchste, unveräußerliche Gut und Recht deS Menschen, weil sie über jeder Nationalität, außerhalb aller geographischen Grenzen steht und durch keine Gewalt annexirt werdeu kann.„Für den Patriotismus haben wir nicht zu sorgen, der ist unS sicher wie die Erbsünde, aber zu wehreu haben wir un«, daß unser Patriotismus nicht von den Herrschern zum Scha den der Menschenrechte und der Freiheit ausgebeutet wird". DieS waren, wenn nicht seine Worte, so doch seine Gedanken, für die ich später ihn selbst citiren werde. ES war im Jahr 1861, wir lebten damals in Zürich , al« ein früherer Professor der italienischen Literatur am dortigen Po lytechnikum, Herr de SanctiS, damals italienischer Unterricht« minister, ganz unerwartet per Telegramm an Georg Herwegh die Frage richtete, ob er den Lehrstuhl als Professor der vergleichen den Literatur in Neapal annehmen wollte? Um telegraphische Rückantwort ward gebeten. Unser Dichter, der sich nie in seinem Leben um eine Stelle beworben hatte, nahm diesen ihm so ehrew voll angetragenen Posten an und erhielt umgehend einen Dank sagungSbrief de« Ministers, worin ihm dieser seine Freude über die Zusage aufS Lebhafteste ausdrückte, jund ihm die Zusendung de« in aller Form Rechtens unterschriebenen DecretS in nahe Aus ficht stellte. Von dieser Stunde an studirte unser Dichter mit unglaublichem Eifer Tag und Nackt die italienische Sprache, deren Literatur ihm bekannt war wie Wenigen. Eine seiner Eigenthüm lichkeiten bestand ohnehin darin, daß er sich in daS Lesen eines Wörterbuch« vertieseu konnte, wie Andre in die Lectüre eines Ro man«. Ein Freund von un«, Professor Moleschott , der damals eine von ihm nachgesuchte Stelle als Professor der Physiologie in Turin antreten sollte, verließ un», mich dünkt es war Anfang November, mit den Worten: Auf baldiges Wiedersehen in Italien Aber Monat auf Monat verging, ohne daß da« verheißenen Dekret kam— da plötzlich wurde daS Ministerium gestürzt, au die Stelle de« bisherigen UutirrichtSministerS de SanctiS, trat der bekannt« Maltiucci, ein fanatischer Anhänger Napoleons III. wie seiner säwmtlichen College», und al« wtr unS acht Tage vor Ostern, der zum Antritt de» Lehrstuhl« bestimmten Zeit, auf die Reise nach Neapel begeben wollten, lasen wir, ohne durch eine»orange- gangene Entschuldigung und Mittheilung Seiten» de« neuen Ministerium« an Georg Herwegh darauf vorbereitet worden zu sein, in einer Nummer des in Mailand erscheinenden„Pungolo", folgende Notiz:„Der sehr gelehrte Professor Georg Herwegh , welchem der Lehrstuhl für vergleichende Literatur in Neapel angetragen war, der diesen Ruf angenommen hatte und eben im Be- griff stand, mit seiner Familie überzusiedeln, wird diese Stelle nicht bekleiden, weil sich die politischen Hindernisse— Frankreich und Preußen hatten, wie un« später berichtet wurde, Protest gegen die Anstellung eine«„rothen Republikaner »" eingelegt— al« un- übersteigbar erwiesen haben." „Du siehst," sagte er mir damals,„daß ich dazu geboren bin, keine Anstellung zu haben." Ich selbst melde Ihnen diesen Vorgang nur, weil Sie Einige« au« dem Privatleben unsere« Dichter« zu wissen wünschen. Jetzt zu etwa« Wichtigerem. Sie ftagen mich in Ihrem Briefe, wie sich Georgh Herwegh zum Kriege von 1866, wie er sich zu dem unglückseligen Kampfe von 1870 verhalten? Ich werde Ihnen darauf um so besser und erschöpfender antworten können, al« ich e« mit seineu eignen Worten kann: Kampsprolog im Himmel. Ach! wo ist der bess're Manu? Wo die bess're Sache? Alle«, was ick schtueu kann, Äst ein Tag der Rache. Wem von ihnen bleibt da« Reich? Frevelhafte Frage! Beider Thateu wiegen gleich Auf der großen Waage. Schwarzer Kugel Bleigewicht In der Sckaalen eine Traurig legt der Blum und spricht: „Habsburg , da« ist deine!" Neben ihm ein junger Held Weist die Wundenmale; Dortu'» schwarze Kugel fällt In die andre Schaale. Um den Schlackteugott im Krei« Schweben die Walküren : Bater, sag', der Sieze«preiS, Wem wird er gebühren? Sann der Alte hin und her, Hat den Spruch verkündigt: „Beide— haben schwer Sich am Volk versündigt." „Freiburg und Brigittenau! Rastatt , Arad'S Galgen! Zwei— blond und grau— Mögen sie sich balgen!"— „Doch, wenn müde bi« zum Tod, Beide sich bestritten— Ueber sie auf mein Gebot Ruft mir dann den Dritten! „Schwert au Schwert und Schild an Schild Mögen wild ertönen! Nur da« Recht des Stärkern gilt Bei den Erdensöhnen." „Denn ich will in Nacht und GrauS, -- begraben". Sprach es und zum LeickenfchmauS Rauschen Odin'S Raben.*) 13. Juni 1866. Die Jahre 66— 70 füllen außer den vielseitigsten naturwissen- schaftlichen und Sprach-Studien auch die verschiedenen Shakespeare- Uebertragungen au«, von denen sieben in der Bodenstedt'schen Sammlung treu und unentstellt, wie sie der Dichter geschrieben, erschienen sind, und vor diesen in dem Reimer'scheu Verlag der „Coriolan ". Bei diesem Anlaß kann ich nicht umhin, eine« Um- stände» zu erwähnen, dessen ich mich noch heute nach so langer Zeit nicht ohne Empörung erinnern kann, und für dessen Wahr- heit ich bürge: Ein Jugendfreund Georg Herwegh '», Franz von Dingelstedt , hatte zur Zeit im Namen ver in Weimar thronenden Shakespeare - Gesellschaft, deren Vorstand er, glaube ich, war, die Frage an ihn gestellt, ob er die Uebertrazung der sämmtlichcn„römischen Dra- meu" übernehmen wolle, und auch auf's Taktvollste und Einstch- tigste die geschäftliche Seite dieser Angelegenheit besprochen und geordnet. Coriolan, ein Lieblingsstück unseres Verstorbenen, sollte den Reizen eröffnen, und wenn irgend eine Feder, so eignete stch wohl die Georg Herwegh '« dazu, gerade diese» Stück in seiner ganzen Schönheit wiederzugeben. E« gelaug denn auch, wie Dingelstedt und so mancher Andere e» vorausgesehen, auf« Vollkommenste, und die von mir verfer- tigte Abschrift de« Manuskript» ward abgeliefert. Da ftagte einer der Herren Professoren und Haupthähne der Shakespeare- Gesell- schasl, Herr Ulrici, bei Georg Herwegh an, ob dieser ihm gestatte» wolle, seiner„Einleitung zum Coriolan" noch einige Bemerkungen von sich aus beizufügen? Sorglos, gleichgültig und ohne jedwede Eitelkeit, wie es unser Dichter in Allem war, was ihn persönlich anging, gab er hierzu gegen meinen Rath seine Einwilligung, und siehe da, wa« geschah? Der Herr Professor hatte sich nicht begnügt, die ursprünglich herrliche coucise Einleitung durch sein gelehrte«, weitschweifiges .Drum und Dran" förmlich unter Wasser zu stelle», nein, er hatte ich sogar an eine eigenmächtige Umänderung deS Textes gemacht, o daß ich, der vom Abschreibe» viele Seiten dieser groß- artigen Arbeit, wegen der Schönheit und Vollendung der Form noch Wort für Wort im Gcdächtniß geblieben waren, und die da«, wenngleich ziemlich unleserlich gewordene Manuskript zur Ber- gleichuug noch besaß, buchstäblich durch diese» LaudaliSmu« wie vom Schlage gerührt blieb, denn keine Seite war unverfälscht und uuverballhornt geblieben. Ich war darüber so unglücklich, daß ich den Dichter flehentlich bat, doch eine öffentliche Erklärung abzu- geben,»eil e« sich hier ja um kein vergehen gegen die Privat- person, sondern um eine« gegen den heiligen Geist, gegen den Poeten handle.„Laß e« gehen!" antwortete er mir;„cola ne vant pas la peino."•*) Ich machte mir darauf da« schmerzliche Vergnügen, eine» der Exemplare in seiner ursprünglichen Form wieder herzustellen— aber wa« nützte e«? In die Oeffeutlichkeit ist doch nur der„verstüm- melte Coriolan" gedrungen. Im Jahre 1870 lebten wir schon seit vier Iahren hier in Baden. Diese« Jahr zählt für viele im Leben Georg Herwegh '«! Sie ftagen, wie er sich zu diese» welterschütteruden Ereigniß verhielt? Er soll Ihnen selbst antworten. Bon Sedan an schämte«r sich ein Deutscher zu sein, denn er besaß jenen allerdiug« selten gewvrdenen Patrioti«»u«, der über die Fehler de« eigene» Volke« mit erröthet, weil er stch mit dafür verant- wortlich fühlt, der das am ftanzösischen Volke durch die Annexion begangene Unrecht wie eine persönliche Schuld mit empfand, und nicht die wohlseile Vaterlandsliebe Derer, die sich nur im Siege ihrer Nation erinnern, wie wenig Theil sie auch an dem- selben haben, welcher Art derselbe auch sein möge,— Derer, für die auch der im Blut der Freiheit getränkte Lorbeer noch eine Ruhmestrophäe bleibt. So hören wir denn auf der eine» Seite da« Hofiannah Über den Sieg von einem der„fteiwilligen Preußen", in der selbst- gefälligen, wohlbeleibten»nd wohlgenährten„Wieder-Unser-Litera- tur" anstimmen, und auf der anderen, den Trauergesang der „eisernen Lerche" über die zu Grabe getragene Freiheit. ») Wir könne» de» Dichter« Strophen nur verstümmelt zum Abdruck bringen. Da« Bismarck'sche Reich hat da« Heine'sche National-Zacht- hau«„so herrlich erfüllt"! Die freie Schweiz , in welcher Herwegh'» Gebeine ruhen, soll auch seinem Lied eine Freistätte sein. Die„Tagwacht" in Zürich wird der neuen Trutznachtigall zornigste« und gewaltigste» Trutzlied veröffentlichen. R. d. V. ") Da« ist. nicht der Mühe«erth.
Ausgabe
7 (30.6.1875) 73
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