Totales* Staat? Totale Revolution! Herr Professor Heidegger , Rektor der Universität Freiburg -Breisgau, ist Nationalsozialist geworden- Das ist in Deutschland nichts besonderes mehr. Jeder, der eine dem System nicht genehme Vergangenheit tarnen will, wird Nationalsozialist. Und Herr Professor Heidegger hat eine Vergangenheit Er ist Schüler des bekannten Philosophen H u s s e r 1, der jüdischer Abstammung ist und er ist Freund der Marburger Schule mit ihren Häuptern Hermann C o h e n und Paul N a- t o r p. Seine Philosophie liegt auf dem Wege vom liberalen Idealismus zum Sozialismus. Wir registrieren diese Tatsache nicht um Herrn Heidegger zu denunzieren. Was liegt schon daran, ob ein Professor mehr oder weniger Nationalsozialist geworden ist! Sondern wir wollen damit nur kennzeichnen, wohin die nationalsozialistische Bewegung gekommen ist. Ihr Terrorismus treibt alle aus Deutschland fort, die sich eine anständige Gesinnung bewahren wollen, und er treibt ihnen gleichzeitig alle anderen zu, gleichgültig, ob sie aus Verzweiflung oder aus Opportunismus kommen. Herr Hitler hat die totale Staatsmacht in der Hand. Diktator über alles ist er auch Diktator über die Philosophie. In Reichenhall , im Kreise seiner engsten Freunde, vor der Führerschaft der SA. feiert er sich drei Stunden lang in der ganzen Fülle seiner inflationierten Macht. „Die Revolution der nationalsozialistischen Bewegung hat die Bedeutung des Rassenproblems erkannt An Stelle der aus reinen ökonomischen Gesichtspunkten herausgebildeten bürgerlichen politischen Führerschicht muß wieder eine art- und blutmäßig bedingte Führerauslese aufgebaut werden. Die deutsche Revolution wird für Jahrhunderte das Gesicht der deutschen Zukunft prägen, wenn es ihr gelingt eine art- und blutmäßig bedingte Führerauslese heranzubilden." Im Fieberdelirium hat sich schon mancher zu Grunde gerichtet Ganze Völker sind alt geworden, zerfallen und untergegangen. Die Arbeiterklasse ist keine Phanl tasie, sie ist nicht aufgebaut auf Blut und Boden, und ihre Existenz hängt nicht vom Wechsel der Generationen ab. Die Arbeiterklasse entstand und entsteht immer wieder aus der harten Notwendigkeit geschichtlichen Werdens. In dem WirkKch- keitsgehalt, nicht in der Romantik von erträumten Ewigkeitswerten, liegt ihre Kraft und das Sieghafte ihrer Idee. Ganze Schichten des Proletariats können im Sumpf der bürgerlichen Zersetzung untergehen, doch immer von neuem treibt der Motor des Kapitalismus die proletarisierten Massen zur Organisation und zum Bewußtsein ihrer Klasse. Darum fürchtet und haßt Herr Hitler die marxistische Bewegung so sehr, und darum muß Herr Goebbels immer wieder von neuem betonen, daß der Marxismus noch lange nicht tot sei. Der Marxismus ist wirklich nicht tot Er lebt und ist wirksam im Werden unserer Zeit, und die Potentaten von heute zittern trotz all Ihrer Macht. Man hat die Presse verboten, man duldet keinen Widerspruch, man erträgt auch schon nicht mehr weder Zurückhaltung noch überlauten Beifall der all- zuvielen Nationalsozialisten. Das Mißtrauen lauert in allen Ecken. Der Kanzler und all die neuen Größen umgeben sich vor der Liebe des Volkes wie die Tyrannen und Despoten aller Zeiten, mit eiserner Gewalt. Wer die Hand in der Tasche hält, läuft Gefahr, in Schutzhaft genommen zu werden. Drei, die auf der Straße beisammen stehen, sind schon verdächtig, und selbst in den Blumensträußen, die„begeisterte" Mädchenherzen ihnen spenden, fürchten sie bequeme Gelegenheiten zu Attentaten. Wo aber bleibt der sieghafte Glaube, der das Gesicht der deutschen Zukunft prägen soll? * Es ist oberflächlich zu glauben, daß der Terror Hitlers die Entscheidung seines Sieges war. Der Terror Hitlers wurde nur möglich, weil die wirtschaftliche Anarchie stärker wurde als der Kampfwille der Arbeiterklasse, weil die Verzweiflung am Bestehenden größer wurde als der Glaube an den Sozialismus. Die Entwurzelten fanden nicht die Kraft, Wurzeln in dem neuen Lebensraum der sozialistischen Revolution zu schlagen. Darum schlugen sie leichte Luftwurzeln in dem Fetisch glauben der Vergangenheit. So wurden die proletarisierten Bürger Landsknechte der Großbourgeoisie, so lernten die geistigen Schichten„Heil Hitler " rufen, so gewann der gepfändete Bauer das Vertrauen zum unpfändbaren Rasseglauben, und so zerschlug dieser Heerbann von Großbourgeoisie, Feudalen, Kleinbürgern und Proletariat die Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei . Es ist nur eine Täuschung zu glauben, daß der Nationalsozialismus gesellschaftlich neu baue. Hitler entläßt Hugenberg, aber Schacht und der Direktor der Allianz, D r. Schmitt, garantieren den nationalsozialistischen Kapitalismus . Hitler organisiert, aber er organisiert nicht den Lebenswillen eänes aktiven Volkes, sondern er stellt dem organisierten Monopolkapitalismus den entseelten Volkswillen, die kommandierte und regulierte Masse, als williges und billiges Ausbeutungsobjekt zur Verfügung. * Der Berliner Oberbürgermeister Dr. Sahm, einstmals von Marxisten gewählt, läßt vom Magistrat beschließen, daß auf einem Raum von 625 qm ein Denkmal von drei Stockwerken für die Arbeitsfront aus Stein und Bronze errichtet wird. Arbeiter, Bauer, Angestellter und Unternehmer reichen sich wie am berühmten 1. Mai als Allegorie des deutschen Sozialismus friedlich die Hände, Bronze und Stein sind geduldig, und Byzantiner haben immer Denkmäler gebaut. Aber die Arbeiterklasse stöhnt Die trotz aller statistischer Fälscherkunststücke vermehrte Arbeitslosigkeit ist eine Tatsache, wie der verringerte Lohn und die gesteigerten Preise. Der Druck der Tatsachen ist stärker als der Fetischglaube an Rasse, Blut und Boden. Die Tatsachen werden sprechen, und ihre Sprache wird den Druck bewußt machen, und das Bewußtsein wird sammeln, organisieren und neue Kraftzentren bilden. Dieser Prozeß hat schon begonnen. Der Nationalsozialismus zog aus, um den Marxismus auszurotten. Ein Trümmerfeld hat er geschaffen. Das Trümmerfeld ist gut umzäunt, und eine Million interessierter Zerstörer bewachen es. A b e r a u f dem Trümmerfeld liegen nicht die Arbeiterbewegung und der Marxismus , sondern der Liberalismus und die bürgerliche Gesellschaft. Die Großbourgeoisie hat ihre Anarchie bis zum Faschismus getrieben. Die Illusion einer liberalen Demokratie hat sie mit den Mordinstrumenten entmenschlichter Landsknechte restlos zerstört. Der militarisierte Ständestaat Hitlers ist keine Lösung der Anarchie in Wirtschaft und Gesellschaft. Die nationalsozia- iistische Gesellschaft ist der wirkliche Totengräber der bürgerlichen Kultur. Die Arbeiterklasse aber lebt and wird der Träger einer neuen sozialen und demokratischen Kultur der bewußt und aktiv gewordenen Proletariermassen. Im Kampfe gegen den Faschismus ist die sozialistische Bewegung zu stärkster Militanz erwacht. Der faschistische Staat ist nicht mehr ihr Staat; für sie gibt es keine Toleranz mehr in der bestehenden Gesellschaft; sie kämpft gegen den to- talenStaatfflrdietotaleRevo- 1 u t i o n! xx KonsumTereme als Futterkrippe. Alle Stellen sind mit Nazis zu besetzen. Der Führer der Deutschen Arbeitsfront , Ley, veröffentlicht eine Anordnung, daß innerhalb von 8 Tagen möglichst alle Stellen in den Konsumvereinen mit überzeugten Nationalsozialisten zu besetzen sind. Der äußeren Gleichschaltung der Konsumvereine, die am 6. Mal mit der Einsetzung eines Kommissars bei der GEG in Hamburg begann, folgt nun also auch die Innere: Die Besetzung der Posten mit Nazi-Bonzen. DerDrangandieFuttcrkrippeist auch mehr und mehr die e 1 n z 1 g e E r k 1 ä- rung für die zwiespältige Haltung der nationalsozialistischen Bewegung zu den Konsumvereinen. Die Mittelständler beharren auf der Erfüllung des Versprechens, daß im Dritten Reiche die Konsumvereine zerschlagen werden. Die Arbeiter und Angestell- t e n jedoch wehren sich gegen diese Zerschlagung. Dauernder Krieg im Nazilager ist die Folge. Aus der letzten Zeit liegen dafür einige bezeichnend« Kundgebungen vor. Der Nazikommissar Grahl, inzwischen hauptamtlicher Direktor der GEG, erläßt in Nummer 25 der„Konsumgenossenschaftlichen Rundschau" vom 24. Juni einen Aufruf„Meine Aufgabe", In dem er mit Berufung auf Hitler erklärt, „daß die Konsumgenossenschaften durch die nationalsozialistische Bewegung nicht aul- gelöst werden, sondern daß durch die neue Führung ilire wirtschaftliche Existenz jenen Eingriiien entzogen sei, die sowohl die Spargroschen der Arbeiter, als auch die sonstigen in ihm befindlichen Vermögenswerte bedroht haben würden. Daher dürfte die Existenz der Konsumgenossenschaften weder politisch noch gescbäitlich In Frage gestellt sein." Beruft Grahl sich auf Hitler , so wendet sich der„Reichsstand des Deutschen Handels1* an Görin g. „Die Konsumgenossenschaften, so heißt es in einer Eingabe, sind eine volkswirtschaftlich falsche Einrichtung. Es müsse an dem Ziel der planmäßigen und schrittweisen Umgestaltung der Konsumvereine im Sinne des neuen nationalsozialistischen Wirtschaftsaufbaues festgehalten werden." Noch deutlicher äußert sich der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes, Gau Bayern. Er verlangt, daß der K a m p f gegen die Konsumvereine mit unverminderter Schärfe weitergeführt wird. Einstweilen dürfte wohl L e y, den die Sorge um das Gardefutterkrippenjäger- bataillon leitet, bei Hitler stärkeren Einfluß haben als die rebbellierendcn in ihren Hoffnungen getäuschten Mittelständler. Werden die ehemals so leistungsfähigen deutschen Konsumgenossenschaften aber der Herrschaft unfähiger Nazibonzen ausgeliefert, dann besteht über ihr Schicksal wohl kaum ein Zweifel. Abzuwenden ist diese schwere materielle und moralische Schädigung der Genossenschaltsbewegung nur dann, wenn ihre bisherigen Funktionäre und Mitglieder sich nicht freiwillig gleichschalten, auf der Erfüllung ihrer Rechte uns der Pflichten der Konsumvereine bestehen und deshalb mit den übrigen aktiven Kräften der deutschen Arbeiterbewegung den Kampf zum Sturze Hitlers betreiben. Frankreidi fühlt sidi stark Ergebnis nationalsozialistischer Außenpolitik. Allzuviel Grütze scheinen die Zensoren des Dritten Reichs ihren Untertanen nicht zuzutrauen, sonst hätten sie das folgende Pariser Telegramm, das sich in verschiedenen Blätter der gleichgeschalteten Presse findet, nicht durchgelassen: Wie außerordentlich sicher und stark Frankreich sich in der allgemeinen politischen Lage augenblicklich fühlt, beweist der Umstand, daß man in Paris heute gar nicht erst versucht, ernsthaft die Beweggründe zu verteidigen, die Frankreich zur Vertagung der Abrüstungskonferenz geführt haben. Man ist heute in Paris überzeugt, England sehr fest an der Stange zu halten, nicht zuletzt durch die ausschlaggebende Rolle, die Frankreich in allen Schicksalsfragen der Londoner Konferenz zukommt. Es ist un- der Londoner Konferenz zukommt. „Der Erbfeind" wird also mit jedem Tag, den Gott Adolf Hitler regieren läßt, nicht schwächer sondern stärker— und der deutsche Spießbürger liest das, ohne sich darüber Gedanken zu machen? Komisch! Die neudeutsche Statistik aber wetet nach, daß die Warenausfuhr erheblich steigt und die Minister reiben steh vergnügt die Hände. Herr Goebbels hat kflrzUch In einer Rede festgestellt, es sei der Sittlichkeit dienlicher, wenn die Frau auf Berufsarbeit verzichte und im Hause wirke.—„Im Haus" Ist leicht gesagt, es fragt sich nur In wessen Haus, denn es gibt in Deutschland weit mehr heiratsfähige Frauen als Männer, von der Heiratsunlust römisch Infizierter SA-Leute ganz zu schwelgen. Trotzdem begann man die Frauen sacht nnd still aus Betrieben, Kontoren, Aerntern zu drängen, die Arbeitslosigkeit der Frau nahm zu. Gleichzeitig teilt die Kriminalpolizei mit daß die Prostitution in Deutschland trotz verschärfter Kontrolle eine ansteigende Kurve aufweise. Den sittlichen Emencrern wird das freilich ziemlich gleichgültig sein, denn sie haben von den Frauen nie viel gehalten. Die deutschen Viehzüchter und Butterhändler sahen seit langem mit scheelem Blick auf die Margarinefabrikanten. Diente doch jene neumodische Erfindung,„Margarine" genannt den schlechtbezahhcn Arbeitern und den Arbeitslosen als Brotaufstrich, Ihnen Gelegenheit gebend. die teure Kuhbutter aus purer Bosheit und Bauernfeindlichkeit zu boykottieren. Die Minister des Dritten Reiches beschlossen, ihren Freunden, den Viehzüchtern und Butter- händlern zu helfen. Sie trieben die Margarinepreise durch Zoll und Beimiscbungszwang zu so phantastischer Höhe empor, daß die regeren Geldbeutel ausgehungerter Proletarier alsbald auf der Strecke blieben. Seither stippen deutsche Arbeiter, deutsche Arbeltslose, deutsche Volksschulkinder das trockene Brot in trockenes Salz und spülen es mit Kornkaffee herunter. Der Butterkonsum blieb zwar weiter so niedrig wie zuvor, aber die Viehzüchter und Buttcr- händler sind an den Margarfnefabrikanten blutig gerächt. Als die SA in Konzentrationslagern und braunen Kasernen immer sadistischer wütete, als immer mehr mißhandelte Menschen in Scharen starben oder„auf der Flucht erschossen wurden", als die Schreie der Gefolterten immer lauter durch die Welt gellten, die Presse des zivilisierten Auslands zu erregten Protesten stachelnd, beschlossen die Minister des Dritter Reiches, es müsse endlich etwas geschehen, um das deutsche Gemüt zu vertiefen. Sie setzten sich also zusammen, berieten mit rauchenden Köpfen und erließen schließlich— ein verschärftes Tierschutzgesetz, das Tierquälern strengste Bestrafung verheißt Seither sollen sich Sadisten und Quäler in Deutschland dafür hüten, Hunde, Katzen, Kaninchen oder Frösche zu mißhandeln, sie dürfen sich dafür an Menschen halten, Ein Zwölflahriger schreibt: In der neuen Schule kann der Fleißigste faul werden. Zum guten Zeugnis gehört nicht viel. Wenn Setzt ein Junge kommt, der nicht nur Stroh im Kopf hat, und nur mit einem halben Ohr hört, was der Lehrer vorpaukt, so kann er der beste Schüler sein. Zu können braucht man nichts. Im Diktat wird fast jedes Wort vorgekaut. Es ist also klar, daß ich die besten Arbeiten geschrieben habe. Gestern, also am Montag, ist der Klassenlehrer gekommen. Er hat erzählt, daß Religion sehr lehrreich sei, und er wolle keinen Menschen bekehren. Der Lehrer gefällt mir nicht, denn er nimmt den Stock sehr in Anspruch. Unser Rektor hat uns einen Vortrag gehalten. Er hat gesagt, daß jetzt endlich die 14 Jahre vorbei seien, in denen die Lehrer nicht schlagen durften. Es sei endlich die Zeit gekommen, in der mal wieder Zucht und Ordnung In das Volk kommt. In der Schlageter-Feier stand ein Junge aus meiner Klasse am Schluß auf und brachte auf Adolf Hitler ein Hoch aus. Wir bemühen uns. daß ich in eine andere Schule komme." Was Ist deutsdb? Ein Spaßvogel verfaßte darüber folgende Sentenz: Das Makenkrenz ist indisch, die Maas ist französich, der Bell dänisch, die Memel litauisch, die Etsch italienisch, der Hitlergruß römisch, Hitlers Mutter tschechisch oder jüdisch, seine Stirnlocke korsisch, sein Schnurrbart jüdisch, sein Vierjahresplan russisch, sein Benehmen aber barbarisch! Was ist denn eigentlich am Dritten Reich deutsch ? Antwort: Die große Schnauze. Für diese Schlußfolgerung haben die Minister Hitlers und er selbst den unumstößlichen Beweis erbracht! Dora Fuchs und die lieben Kollegen. In der„Schlesischen Aerztezeitung" iindet sich folgende Anzeige: Tägliche Verkommnisse in meiner Praxis veranlassen mich zu der öffentlichen Erklärung, daß ich rein arischer Abstammung bin. und daß ich hinfort jeden Kollegen, der das Gegenteil behauptet, wegen bewußter wirtschaftlicher Schädigung gerichtl. zur Verantwortung ziehe. Dr. med. Dora Fuchs, Hautärztin, Breslau , Tauentzienstraße 27. Briefkasten Ein deutscher Jude. Wenn Sie nicht den Mut haben, Ihren Namen zu nennen, können Sie von uns nicht verlangen, Ihre Polemik gegen den„Neuen Vorwärts'" zu veröffentlichen. Als Hitler -Anhänger laufen Sie doch keine Gefahr, Repressalien zu erdulden, wie andere Juden, die sich gegen das Schandregiment auflehnen. Also bitte: Maske herunter! Wir glauben nämlich nicht, daß Sie ein„deut scher Jude" sind.
Ausgabe
1 (9.7.1933) 4
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