Von Brüning bis Hitler

Unter dem Titel ,, Selbstmord einer zutage tretende Vertrauensseligkeit, die schon, hat, nun auch nicht mit der notwendigen Lei-] eine dritte Front zusammenbringen, die mit Demokratie" ist im Graphia- Verlag eine in der Frage der sogenannten, schwarzen denschaft zu verteidigen vermochte, kam in Ausnahme der dünen kapitalistischen Schichten Schrift von Otto Friedrich erschie- Reichswehr  " sich so betrüblich zeigte, als ein dem Verhalten des deutschen   Proletariats auch und der Kommunisten, von links nach rechts nen, die die Entwicklung Deutschlands   schwerer Fehler erwiesen. Die rechtzeitige jene alles unter dem Stahlhelm mit, schwarzrot­von der Demokratie zum Faschismus Verhängung eines preußischen Ausnahmezu- seelische Lähmung der Erwerbslosen goldener Kokarde vereinen sollte. Herr von kritisch beleuchtet. Wir entnehmen hier standes hätte nicht nur die juristische Begrün- zum Ausdruck, die entgegen allen früheren Schleicher sprach von Sozialisierung, aber es die folgenden Ausführungen: dung eines militärischen Ausnahmezustandes, Vermutungen über eine revolutionäre Kraft verstand jeder, daß er darunter nur die Ver­Als Brünings Experiment fehlge­der die preußische Polizei automatisch ihrer der Arbeitslosigkeit, die verdienstlichen Unter- staatlichung der Waffenschmiede zum Zwecke schlagen war und die Septemberwahlen des Selbständigkeit beraubte, außerordentlich er- suchungen des Wiener Sozialpsychologen La- der bequemeren Aufrüstung meinte. So fand Jahres 1930 den ersten Erdrutsch zugunsten schwert, sondern sie hätte auch die Möglich- zarsfeld bei der Arbeitslosengemeinde Marien- er in der sozialistischen   und christlichen Ar­der Nationalsozialisten gebracht hatten, be- keit gegeben, durch Einbeziehung des Reichs- thal erst unlängst festgestellt hat. Auch soll beiterschaft wenig Gegenliebe und auch das gann die Periode der Tolerierungspolitik, über banners in die Schutzpolizei und einen Aufruf nicht verkannt werden, daß hier die Schatten- Experiment, unter Führung von Gregor Stras­seiten der Tolerierungspolitik zum Vorschein ser, den proletarischen Flügel der Nationalso­deren Richtigkeit die Meinungen innerhalb der Sozialdemokratie wohl noch auf kamen. Aehnlich der Burgfriedenszeit des zialisten zu gewinnen, scheiterte. Schleicher lange Zeit hinaus auseinandergehen werden. An und für zu ergreifen. Ein Kampf hätte dann vielleicht Krieges sowie der Zentralarbeitsgemeinschafts- hatte eben gar nicht begriffen, daß es im sich wird man zugeben müssen, daß Hitler  , mit einer Niederlage enden müssen, aber es periode der ersten Nachkriegszeit hatte sie Wesen des Nazionalsozialismus als einer Re­der schon 1930 die Alleinmacht erstrebte und ist mehr als zweifelhaft, daß es zu einem sol- das Proletariat des spontanen Aktionswillens bellion des Mittelstandes lag, einer wirklichen niemals bereit war, zu annehmbaren Bedin- chen Kampfe gekommen wäre und Beispiele entwöhnt. Alles das zusammen schuf jene At- sozialistischen Einheitsfront auszuweichen und gungen in eine Koalition mit anderen Parteien in anderen Ländern zeigen, daß ein rechtzeitig mosphäre des Lerne leiden ohne zu handeln, die Verbindung mit den traditionell herrschen­zu gehen, damals bereits beim Bürgertum und und energisch bekundeter Abwehrwille die am ehesten erklärlich macht, warum im den Schichten in Deutschland   aufrechtzuerhal­

der Gewerkschaften zum Generalstreik

die letzte große Chance des Widerstandes

das

bei der Bürokratie, die unter dem frischen Ein- beste Mittel gegen verfassungswidrige Experi- Grunde in der Führung und in der Gefolgschaft ten. Gerade diesen Kreisen war aber die so­druck der Wahlen standen, ebensowenig Wi- mente ist. Zu einem solchen Willen aber fehlte der sozialdemokratischen Partei und vor allem zialistische Drapierung der Schleicherschen Re­derstand gefunden hätte wie er ihn zuletzt bei dem starken deutschen   Legalitätsdenken, das der freien Gewerkschaften die gleiche, nur den verdächtig, und, als nun gar unter der Papen und Hugenberg   nicht fand. Ferner wird sich gelegentlich bei der deutschen   Sozialde- durch einige recht ungeschickte Oppositionelle sonst ziemlich inhaltslosen Aera des General­mokratie leider bis zum Legalitätswahn steigern konnte, jeder wirkliche revoulutionäre Impuls.

man zugeben müssen, daßẞ

der Einheitswille der Arbeiterschaft damals geringer war als später, man wird auch eine Politik nicht schon deswegen falsch

die Aussichten des Kampfes von vorn­herein gering

So wurde diese letzte große Chance des heißen können, weil sie dem jahrelangen Widerstandes versäumt. Man muß sich, wie Sturm der wirtschaftlichen, politischen und gesagt, darüber im klaren sein, daß seelischen Krise des deutschen   Volkes nicht standhalten konnte. Aber man wird doch fest­stellen müssen, daß jedenfalls die Art, wie die Tolerierungspolitik betrieben wurde, sich als unzureichend erwiesen hat. ,, Tolerieren, aber nicht toleriert werden", sagte ein bereits im Sommer

1931 erfchienener Artikel im Ber­ liner  

Funktionärblatt. Aber trotzdem glitt man immer mehr von der Politik des Tolerierens in die Politik des Toleriert werdens hinüber, bis dann

die Preußenwahlen im Frühjahr 1932 das immer wachsende Ansteigen der National­sozialisten aufs neue dokumentierten. Durch

den Wahlausfall wurde die preußische Position,

waren. Vor allem wäre es kaum möglich ge­wesen, die Kommunisten daran zu hin­

,, Sozialfaschismus  " bis zum letzten Tage ge­brandmarkt hatten, unter Einsatz des Lebens

stellen würden, war weder zu erwarten, noch und der materiellen Existenz zur Verfügung

bekämpfte Linie, verfolgt werden konnte.

Freilich darf nicht vergessen werden, daß selbst das Echo eines kräftigeren Abwehr­willens der Arbeiterschaft in den sogenannten republikanischen Parteien denkbar gering war. Wenn man von gelegentlichen Aeußerun­gen der christlichen Gewerkschaften, den ra­dikalen bürgerlichen Intellektuellen ohne Mas­senanhang und von den Kundgebungen kleine­rer Verbände und Konventikel absieht, so hatte der Nationalsozialismus mit seiner stür­menden und kämpferischen Kraft weite Kreise der kritiklosen Jugend erfaßt und wurde vor allem zu einer Art

Religion des proletarischen Mittelstandes, insbesondere auch im Paradiesglauben jener

Kanzlers im Reichstag  

die Frage der unter dem Namen Osthilfe­ Skandal   bekannt gewordenen großagrari­rischen Subventionspolitik begann, die Oeffentlichkeit zu beschäftigen, kam Schleicher   in die schwerste Bedrängnis. Die Industrie hatte, um einem preußischen So­zialismus" zu entgehen, das kleinere Uebel der Hitlerfreundschaft vorgezogen, und, nachdem zwischen Papen und Hitler   eine Aussöhnung sich nun auch die großagrarischen Kreise auf erfolgt war, setzte der Ansturm ein, an dem das lebhafteste beteiligten. Als dann die Gefahr bestand, daß auch

der Gutsbesitz des Reichspräsidenten  , Gut Neudeck,

dern, einen ausbrechenden Konflikt für ihre eigenen damals ganz undurchführbaren Ziele auszunützen. Daß sie sich einem Kampfe für das Kabinett Braun und Severing  , gegen das sie noch ein Jahr zuvor den Volksentscheid in Eintracht mit Nationalsozialisten und Stahl­helm herbeizuführen suchten, und das sie als Angestelltenschichten, die durch die techni- und im Zusammenhang damit die eigenartige schen Umwälzungen der Nachkriegszeit zwar Steuerschiebung, durch die das Gut auf den zahlenmäßig eine weit stärkere Entwicklung Sohn des Reichspräsidenten   übertragen worden zu- war, mehr als ihm lieb sein konnte, Gegen­genommen hatten als die Arbeiterschaft, gleich aber auch von den Stillegungen der stand der öffentlichen Diskussion wurden, be­Krise besonders stark getroffen würden, zu- gann Hindenburg   oder vielmehr der Kreis, der zu verlangen. Ein Beweis dafür, wie falsch mal, da die menschenersparende Rationali- hinter seinem breiten Rücken die potilischen ernstlich gefährdet. Sie war zwar zu erhalten, die Situation damals in kommunistischen   Krei- sierung, die zuerst nur den Arbeiter ergriffen Geschäfte besorgte, von Schleicher, der nie­wenn man bereit war, sie mit Zähnen und hatte, nun auch in den Büros ihren Einzug mals sich großer Beliebtheit am neudeutschen Klauen zu verteidigen. Das geschah nicht, daß die Bekanntgabe der Absetzung des Ka- hielt. Es traf zu, was Gregor Strasser   im Hofe erfreut hatte, sich abzukehren. sondern es erfolgte eine Politik des Nach- binetts am Abend des gleichen Tages in einer Reichstag einmal verkündet hatte, daß nahezu Hatte der Januar noch Hitler   nach seinen gebens und Ausweichens, die als Schwäche kommunistischen. Wahlversammlung in Kassel   95 Prozent des deutschen   Volkes von einer Wahlverlusten in der Defensive gesehen, so Beifallsstürme auslöste! Aber es muß auch of- antikapitalistischen Sehnsucht erfüllt waren, begann, nach einem propagandistisch ge­fen zugegeben werden, daß der übrige Teil der aber es traf weiter zu, daß mehr als 50 Pro- schickt ausgenutzten Wahlerfolg Hitlers   in zent davon entweder wie die Deutschnatio- Lippe, sein Stern neu zu glänzen.

mit deren Aufrechterhaltung man immer wie­der die Tolerierungspolitik begründet hatte.

gedeutet wurde.

Die Absichten des Herrn v. Papen waren bereits vor dem 20. Juni gerüchtweise bekannt geworden.

von dem einfachen kommunistischen   Wähler

sen beurteilt wurde, mag die Tatsache sein,

nachdem

deutschen   Arbeiterschaft, zwar soweit er or­nalen einer Art ständischen Romantik folgten, ganisationstreu war, irgendeiner Parole von Als dann Herr von Schleicher die Auf­lösungsorder für den Reichstag verlangte, Severing  . als preußischer Innenminister, ver- obenher harrte, und deren Ausbleiben mit Bit- die auch in katholischen Kreisen populär war, oder jenem Sozialismus huldigten, dessen Un­handelte mit dem Reichsinnenminister Herrn terkeit empfand, daß aber die Masse der In­wurde sie ihm nicht gewährt. wahrheiten schon Marx unter dem Namen Und dann am 30. Januar wurde das Kabinett von Gayl und vertraute dessen Zusage, daß vor differenten an jenem Tage nach Hause ging, ,, deutscher oder wahrer Sozialismus" Hitler- Papen- Hugenberg den Neuwahlen keinesfalls die damals be- als ob sich nichts Entscheidendes ereignet gebildet, stehende Idee eines Reichskommissars aktuell hätte. Um Straßen und Plätze mit dem ele- im kommunistischen   Manifest angeprangert noch am vorhergehenden Tage die Chancen hat. Man predigte die klassenkampffreie Volks- eines Zusammenleimens der alten Harzburger werden würde. Ja, am Tage vor der ent- mentaren Ausbruch der Volksleidenschaft zu scheidenden Besprechung wurde über deren füllen, dazu war das deutsche Proletariat durch gemeinschaft und suchte die weitesten Kreise Front nicht mehr sehr günstig gestanden hat­Gegenstand der Pressechef des Preußischen In- Krieg, Revolution, Inflation und die entsetz- des Volkes mit einer Propaganda zu durch- ten. Eingeweihte wollten wissen, daß die leider nenministeriums auf seine telefonische Anfrage liche Bürde der jahrelangen Prise bereits zu dringen, die, je schlimmer die wirtschaftliche falsche Nachricht, Schleicher   habe Papen   und hin sogar von der Reichskanzlei falsch in- geschwächt. Ganz abgesehen davon, daß sich Krise des Hochkapitalismus sich auswirkte, den Obersten von Hindenburg  , die einen formiert. Immerhin hat sich die damals bei hier zeigte, daß an das, was man nicht ur- um so stärker im Volke Fuß faßte. Severing und auch in führenden Parteikreisen sprünglich in schweren Kämpfen erworben

Nr.2

Redaktion vad Verlag: Karlsbad  . Haus Graphia Ferierechte Kr. 1081,

Herausgeber: Ernst Settler. Karlsbad   Verantwortlicher Redakteur: Wenzel Horn Karlsbad

Druck: Graphia. Karlsbad  .

Neuer

Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt,

SONNTAG

28. Juni 1933

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Staatsstreich planten, verhaften lassen wollen, Innerhalb der intellektuellen Schichten war nicht nur dazu beitrug, daß Papen und   Hitler es der sogenannte Tat" kreis um die Wirt- schnell handelseinig wurden, sondern daß vor schaftsliteraten Ferdinand   Fried und Hans allem auch der Reichspräsident unter Zehrer, der mit der Forderung nach einer dem Eindruck dieser Möglichkeiten es für ge­mitteleuropäischen Autarkie eine Art preußi- raten hielt, dem Bündnis seine Zustimmung zu schen Sozialismus propagierte mit dem man geben. Die Kreise um   Hindenburg mochten da­in gleicher Weise einer bolschewistischen Ent- bei glauben, daß es Herrn von Papen gelingen wicklung vorbeugen und zugleich das von allen werde, auf Grund bestimmter Zusicherungen Seiten zusammengetragene Gedankengut des   Hitlers die Vizekanzlerschaft in eine Art Mit­Nationalsozialismus veredeln wollte. Diesen kanzlerschaft und geistige Führung zu Gedankengängen, die auch in der dem Tat"-wandeln. Die Kreise um   Hindenburg sollten kreis zur Verfügung gestellten Täglichen sich täuschen, ebenso wie die Deutschnatio­Rundschau" verkündigt wurden, stand in der nalen und der Stahlhelm, die denen nicht glau­letzten Periode seiner politischen Tätigkeit

Herr von Schleicher

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ben wollten, die ihnen die Schwäche ihrer zu­künftigen Rolle voraussagten!

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nahe. Schleicher, der seinem eigenartigen Am betrüblichsten hatte das Spiel für Herrn Namen alle Ehre gemacht hatte durch die von Schleicher geendet. Er wiederholte damals Art, wie er es verstand, hinter den Kulissen den Fehler, den die preußischen Minister vor das Kabinett Müller zu stürzen, Brüning in dem 20, Juli gemacht hatten: statt zuzupacken Sie den Sattel zu heben, Brüning zu stürzen, Papen und das in letzter Stunde bei restloser Klar- an in den Vordergrund zu stellen, um dann auch legung der Situation mögliche Bündnis zwi­Papen zu beseitigen, wurde durch den Gang schen Arbeiterschaft und Armee gegen die na­der Ereignisse gezwungen, selbst auf die Bühne tionalsozialistische Diktatur herbeizuführen, des politischen Geschehens zu treten. Bei die- resignierte er und trat ab, ser Gelegenheit zeigte es sich erst, wie sehr ein Mann, der als Intrigant im Hintergrunde geschickt die gesamten Schnüre zu ziehen wußte, versagen kann, wenn er selbst aus der Rolle des Kritikers in die des Handelnden ge­drängt wird.

Schleichers Ehrgeiz war es ohne Zweifel,  Deutschland wieder zu einem militär­politisch aktiven Staat zu machen und für diesen Zweck ebenso die breite Be­

ein Bürogeneral, der keine Schlacht ge­wagt hatte!

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Mit der Ernennung   Hitlers; zum Kanzler und vor allem mit der Berufung Goerings zum kommissarischen preußischen Innenminister begann jene kurze Uebergangs­aera, die in wenigen Wochen bis zu den Toren des ,, Dritten   Reiches" führen sollte.

Wiener Germanen.

wegung des Nationalsozialismus einzuspannen Der Wiener PEN- Klub nahm eine Entschlie- Mar wie auch die ihm durch die Gewichtigkeit Bung gegen die Bücherverbrennungen an. Vier Er ihrer Organisation imponierenden Gewerk- nationalsozialistische Mitglieder erklärten dar Lan schaften. Nur so ist es zu erklären, daß auf ihren Austritt. Sie heißen Robert Hohl Schleicher der Illusion huldigte, man könne Mirka eluschits baum, Conte   Corti, Franz   Spunda und