Nr. 5 Redaktion und Verlag: Karlsbad , Haus„Graphia" Fernsprecher Nr. 1081. Herausgeber: Ernst Sattler, Karlsbad . Verantwortlicher Redakteur: Wenzel Horn. Karlsbad . Druck:„Graphia", Karlsbad . Sozialdemokratisches Wochenblatt SONNTAG 16. Juli 1933 Bezugspreis für die CSR.: Einzel-Nummer. Kc 1.40 Monatlich..„ 6.— Vierteljährlich.„ 18.— Bezugspreis für das Ausland Einzel-Nummer. Ke 2.— Monatlich...„ 8.— Vierteljährlich. 24.— zum srufunC Jischen ■gangs* . Toren Jschlie' m. Vier m daf Hohl- / a und Was vor einer Woche quälende Sorge war, Ist heute furchtbare Gewißheit: Jo hannes Stelling Ist tot, zu Tode ge- martert, von den Landsknechten Adoli Hitlers hingeschlachtet in einer Weise, wie man sonst kein Tier töten darf, ohne bestraft zu werden. Johannes Stelling war eine der untade- ligsten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Kein Stäubchen haftete an ihm, selbst die Verleumdung wagte sich an ihn nicht heran. Im politischen Kampf kannte er nur sachliche Meinungsverschiedenbei- fen, keinen persönlichen Haß. Stets war er bereit, auch dem politischen Gegner die Hand zu reichen. Aber die Burschen, die ihn zu Tode schlugen, verdienen den Ehrentitel politischer Gegner nicht. Es sind Entartete, die am Ersinnen raffinierter Grausamkeiten ihre Lust finden und sich an dem Todes. schrei ihrer Opfer berauschen. Sie haben ihn geholt wie das Raubtier sein Opfer holt. Stelling war krank, schwach, völlig wehrlos. Ihn zu ermorden war ganz ungefährlich. Bestien in Menschengestalt gibt es überall. In zivilisierten Ländern hält man sie in Gefängnissen und Irren anstalten . In Deutschland regieren sie. Verantwortlich für die grausame Ermordung Johannes Stellings und der Un- wzählten, die das gleiche Schicksal erlit- ten. ist Adolf Hitler . Er ist der Apostel der Bestialität, der intellektuelle Urheber der unzähligen furchtbaren Verbrechen, die zum Zweck der Konterrevo- JnUon begangen wurden und täglich neu begangen werden. Er hat das Wort gesprochen von den Köpfen, die rollen wer- üen, er hat, als er schon an der Macht war, in einer öffentlichen Versammlung unter heulendem Beifall seiner Anhänger arklärt, daß eigentlich Zehntausende von Marxisten totgeschlagen werden müßten. Er hat einen Manfred Kill Inger zum -andpfleger über Sachsen gesetzt, er hat den Fememörder Heines zum Polizeipräsidenten ernannt. Er hat den Mörder Erzbergers aus Ungarn nach Deutschland zurückgeholt, er hat an den Gräbern der Mörder Walter Rathenaus Kränze niederlegen lassen. Meuchelmord, Dynamitattentate, Brandstiftung, Raub, Diebstahl, Erpressung, begleiteten die Nationalsozialistische Partei auf ihrem Weg zur Macht Von Berlin werden die Revolver und Bomben dirigiert, die sich gegen den Bestand der deutschen Republik Oesterreich richten. Mörder regieren in Deutsch- I a n d! Wir Sozialdemokraten haben in Deutschland jahrzehntelang unsere politischen Kämpfe geführt, ohne einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen. Wir haben uns stets auf die Kraft der Idee, niemals auf die brutale Gewalt verlassen. Wir haben den individuellen Terror verworfen und selbst Mördern gegenüber Menschlichkeit walten lassen, indem wir die Todesstrafe bekämpften. Diese Haltung gereicht uns zur Ehre. Aber sie wurde uns zum Verderben. Während wir an das Gute und Edle im Menschen appellierten, riefen die anderen die niedrigsten Urt riebe wach. Während wir Menschen erzogen, dressierten die anderen ihre Bestien. Ein Apostel reiner Menschlichkeit fiel mit Jobannes Stelling. Bestien töteten ihn. Wir betrauern den Freund— und wir erheben Anklage, Anklage gegen Adolf Hitler und seine Morde r- sc hären: Es kommt der Tag des Gerichts« Die Regierung lügi! Wir wir erfahren, hat die Berliner Regierung ausländischen Berichterstattern auf Anfrage erklärt, Ihr sei von der Ermordung Stellings nichts bekannt. Stelling sei verschollen, vielleicht sei es ihm gelungen, ins Ausland zu entkommen. Die Berliner Regierung lügt mit frecher Stirne. Stelling ist von ihren Schergen ermordet worden. Sie weiß es! Ein Leben für das Volk Johannes Stelling , der mittwegs zwischen den 50 und 60 den braunen Mördern zum Opfer fiel, hatte im Augenblick seines Todes mehr als ein Menschenalter hingebungsvollster Arbeit für das Volk hinter sich. Als blutjunger Handlungsgehilfe in Hamburg hatte er sich der Arbeiterbewegung angeschlossen. Bald wurde er wegen seines ruhigen und bestimmten Auftretens und der überzeugenden Klarheit seiner Ausführungen an der Wasserkante in Oldenburg , Lübeck und Mecklenburg in den Versammlungen der Partei wie der Gewerkschaften einer der beliebtesten Redner. Ganz besonders nahm er sich der Organisierung der schwer organisierbaren ungelernten Arbeiter an. Die Entstehung des Deutschen T T a n s p o r t a r b e i t e r v e r b a n d e s, aus dem später die Riesenorganisation des Gesamtverbandes emponvuehs, ist mit sein Werk. Stelling hatte zunächst als gelegentlicher Berichterstatter des„Hamburger Echo" eine höchst kümmerliche Existenz, bis ihn die Lübecker Genossen zum leitenden Redakteur ihres Blattes beriefen. Zugleich wirkte er als Bevollmächtigter und Beiratsmitglied des Transportarbeiterverbandes, als Reichstagskandidat für das Fürstentum Birkenfeld und als Lü becker Bürgerschaftsmitglied mit unermüdlichem Eifer. Ueberall erschlossen sich ihm die Herzen der Arbeiter. Sie erkannten in ihm einen wahren Idealisten, der in sich selbst die' aufstrebende Arbeiterklasse verkörperte. Lernend und lehrend, kämpfend und schlichtend, ging er seinen Weg, der Arbeitstag hatte für ihn keine Grenze, und so kam es, daß er im Jahre 1920 auf dem Parteitag in Kassel in den Parteivorstand berufen wurde. Nach einem halben Jahre jedoch schon traten die Mecklenburger Genossen an den Partei; vorstand heran;„Ihr müßt uns den Hannes wiedergeben, wir brauchen ihn, er 9Hannes9 du bist nicht tot!6 Berlin . 13. Juli(Eig. Bericht.) Die Einäscherung des ermordeten sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Johannes Stelling fand am Dienstag um Vc6 Uhr im Krematorium in Berlin statt. Als der Sarg mit der Leiche Stellings zur Verbrennung in die Gruft gesenkt wurde, rief jemand von der Galerie: „Hannes, Du bist nicht tot!" Darauf erhoben sich die übrigen zahlreichen Teilnehmer und streckten den rechten Arm mit geballter Faust in die Höhe und riefen: „Freiheit!" Die Polizei schritt nicht ein. Die Zahl der Teilnehmer an der Beerdigung war überaus groß. Die Räume des Krematoriums und der Zugang waren dicht gefüllt. Die Nachricht von der schändlichen Ermordung des hochangesehenen und beliebten Arbeiterführers ist dank der behördlichen Maßnahmen nur langsam in die Massen durchgesickert. Um so größer ist jetzt die Erregung. Die Szene im Krematorium ist Stadtgespräch. muß bei uns Ministerpräsident werden". So übernahm Stelling in den schwersten Zeiten des Aufbaues und des Zusammenbruchs durch die Inflation die Regierung von Mecklenburg . Er gewann sich in seiner rastlosen Tätigkeit als Ministerpräsident nicht nur das Vertrauen aller Republikaner, sondern auch die Achtung konservativer Gegner. Später kehrte er in den Parteivorstand wieder zurück. Und wie er jedem einzelnen Menschen ein Freund war, so schlug sein Herz auch für das ganze Volk, für die großen Ideale der Freiheit für die Republik . Jahrelang stand er an der Spitze der Reichsbanner-Organisation von Groß- Berlin. Wenn man bedenkt, daß Stelling außen- dem zu den führenden Kommunalpot- Ii ti kern der Partii: gehörte,' für de« Parteivorstand die' B e a m t e n o r g a n i- s a t i o n e n betreute, daß er darüber' hinaus, kleines und großes miteinander verbindend, jahrlang auch Mitglied der Exekutive der Sozialistisc he n Arbeiter-Internationale war, so fragt man sich heute erstaunt, woher dieser schwerkranke Mann zu alledem die Kraft genommen haben mag. Sic könnt« nur dem reinen sittlichen Wollen eines •kämpfenden Sozialisten entspringen. So wird Johannes' Stelling , der. grausam Hingemordete, als eine. der edelsten Gestalten der deutschen Arbeiterbewegung in die Unsterblichkeit der Geschichte eingehen. Versiegelte Särge Aus der Hölle von Dachau ... i In Dachau , dem berüchtigten Konzentrationslager bei München , wird gefoltert und geschunden, gehenkt und, erschossen, wie vielleicht(nirgends sonst in Deutschland . So wurde auch der 30jährige Rechtsanwalt; O. Strauß„auf»der Flucht erschossen."'! Man criuhr aus unwidersprochenen Zeitungsnachrichten, die Leiche wäre den Eltern in v e r- siegeltcm Sarg übergeben worden..Die Eltern haben sich verpflichten müssen, über die Todesumstände ihres Sohnes zu schweigen. Das Gleiche ereignete sich mit dem jugendlichen Funktionär der Eisernen Front, dem Wilhelm A r o n(Justizratssohn, 22 Jahre alt, Referendar). Er wurde bestialisch ermordet. In einem verlöteten Zinksarg erhielten die unglücklichen Eltern die Ueberreste der Leiche zurück, mußten ebenfalls die Zusicherung geben, daß sie den Toten nicht sehen wollten. Aron wurde in seinem Heimatsort Bamberg begraben. Er war Jude. Dem Begräbnis wohnten viele angesehene Kathollken bei. Der dortige Rabbiner hielt eine ergreifende Totenpredigt und das Blatt der Bayrischen Volkspartei, das„Bamberger Volksblatt" brachte einige Stellen dieser Predigt. Es wurde sofort verboten. Die Münchener Zeitungen haben bis jetzt 41(einundvierzig) Tote, d. h. Ermordete aus dem Konzentrationslager Dachau gemeldet.
Ausgabe
1 (16.7.1933) 5
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