England gegen Hakenkreuz Das Parlament in schärfster Verurteilung des Hitlerismus einig. Am 5. Juli debattierte das englische Parlament über auswärtige Politik V. Sch., London , Mitte Juli. Vor drei Wochen stellte ich hier fest, daß die Stimmung, die sich in den ersten Wochen des Hitler-KegimeS in England gebildet hatte, nicht wie ein Strohfeuer abbrennen, sondern anhalten und sich verschärfen würde. Daran wird auch keine Propaganda des Dr. Goebbels etwas ändern können, besonders wenn sie so blöde ist, wie die Sondernummer, die der gleichgeschalteteS i m p 1 i c i s s i m u s" soeben in vier Sprachen herausgegeben hat, die der Weltwirtschaftskonferenz gewidmet ist und die unter den Delegier­ten und Pressevertretern verteilt wurde. Indessen, so dankbar die Welt auch dafür ist, wenn das. Dritte Reich ab und zu für Erheiterung sorgt, so ist sie kei­neswegs geneigt, es als eine komische Angelegenheit zu betrachten. Das hat die außenpolitische Debatte im Unterhaus am vergangenen Mittwoch abermals bewiesen. Das Budget des Aus­wärtigen Amtes stand zur Beratung und, . obwohl es an Diskussionsstoff nicht fehlte, drehte sich die Debatte zum aller­größten Teil um die Zustände in Deutschland und ihre Rückwirkun­gen auf den Frieden der Welt. Es war der alte Georges Lans- b u r y, der allseitig verehrte 73jährige Führer der Arbeiterfraktion, der die De­batte im Namen der Opposition eröffnete und dessen Anklagerede, von tiefster Menschlichkeit erfüllt, den Weg zu den Herzen aller Zuhörer fand. Der frühere konservative Außenmini­ster Sir Austen Chamberlain , dessen stark verblaßtes Prestige wieder völlig hergestellt ist, seitdem er in der ersten großen Deutschland -Debatte am 14. April zum Sprachrohr der Entrüstung des gesamten englischen Volkes über das Hitler-Regime wurde, wiederholte in noch schärferen Worten als drei Mo­nate zuvor seine Anklagen gegen diese dauernde Bedrohung des Friedens und der Zivilisation, als die man hier das Dritte Reich empfindet. . Das junge liberale Mitglied Dr. B e r- n a y s, der kürzlich in Deutschland weil­te und sogar unter Führung des Feme­mörders Heines(dessen blutbefleckte Ver­gangenheit er allergings zu seinem Ent­setzen erst nach seiner Rückkehr erfuhr) das Breslauer Konzentrationslager besu­chen durfte, ließ als Gesamteindruck sei­ner Reise durchblicken, daß der heutige Geist, mit dem die deutsche Jugend er­füllt werde, unvermeidlich zu einem neu­en Krieg führen müsse. Ein Londoner liberaler Abgeordneter, Mr. Janner, der das berühmte Londo­ ner Judenviertel Whitechapel vertritt, trug erschütterndes Material über die sy­stematische wirtsdhaftsliche Aushunge­rung der deutschen Juden vor. Uebrigens lügt die Berliner Presse, wenn sie diese Debatte damit zu erklären versucht, daß hauptsächlich Juden daran teilgenommen hätten. Der liberale Janner war der ein­zige Jude, der in diesen acht Stunden gesprochen hat. Und der Außenminister selber, S i r John Simon, zeigte in seiner Ant­wort, was er sich aus dem offiziellen Pro­test der Reichsregierung gegen seine letzte Unterhausrede vom 14. April macht und betonte, daß die Debattemit vollem Recht" sich zum großen Teil um die sehr ernste Lage gedreht hätte, die die gegen­wärtigen Zustände in Deutschland für den Frieden in Europa geschaffen haben. Aus­drücklich unterstrich er, daß er bei der Behandlung der Minderheiten in Deutsch­ land keineswegs nur die jüdische Minderheit im Auge habe. Ob der stolze Reichskanzler einen neu­en Protest für den Papierkorb des eng­lischen Außenministers unterschreiben wird? Es scheint nicht denn bisher ist nur eine verlegene Witz-Schimpferei er­folgt, und dabei wird es wohl bleiben. * Zum Schluß sprach unter allgemeiner gro­ßer Spannung der Außenminister John Simon: Vieles in der Debatte sagte er bezog sich mit Recht auf die jetzt so überaus ernste Lage in Europa , die gegenwärtige Haltung und den Zustand Deutschlands , seine Wirkungen auf die Abrüstungskonferenz, ihre Aussichten usw. Das war allgemeiner Miß­mut unter Hinweis auf die Lage, besonders auf die Lage, in der sich gewisse Minderheiten in Deutschland befinden. Er sei überzeugt, daß das was gesagt worden ist, nicht vorgebracht wur­de aus dem Geist einer engen Kritik oder Sek- fiererei heraus. Es war der wirkliche Ausdruck einer Aul- lehnung des britischen Volkes in seiner Gesamtheit, das von den Ereignissen in seinen Prinzipien der Toleranz getroffen worden ist.. In unserem Land, fuhr der Minister fort, war in den vergangenen Jahren die öffentliche Meinung keineswegs blind für die Ansprüche des großen Deutschen Volkes und für eine sympathische Betrachtung seiner Lage nach dem Krieg. Die Tragik liegt darin, daß die jetzigen Ereignisse so viel dazu beigetragen haben, die Sympathie für Deutschland zu mindern. (Zustimmung.) ///-�� Die verratene Ostgrenze Der Danziger Naziführer gibt die Stadt und den Korridor preis. Es gibt keine Partei, die außenpolitisch je soviel Nachgiebigkeit und so unbegrenz­te Wandlungsfähigkeit gezeigt hätte, wie die NSDAP . Daneben erscheint nachträg­lich die ehemalige Volkspartei, die Erbin der alten-liberalen Fraktion Drehscheibe, geradezu von Zement. Auf den Verrat an Südtirol , auf die Preisgabe Elsaß -Lothrin­ gens und den Verzicht auf Widerruf der sogenannten Schuldlüge, folgt jetzt die A n- erkennung des polnischen Kor­ridors. Noch im Februar erklärten Nazi­agitatoren weitaufgeri&senen Maules die Polen alsErbfeinde", solange Danzig und der Korridor nicht wieder zu Deutschland gehörten. Diese Maulaufreißerei war ein­mal. Am 3. Juli stattete der nationalsozia­listische Präsident des Danziger Senats Dr. R a u s c h n i n g mit seinem Nazistabe der polnischen Regierung in Warschau einen Besuch ab, bat in zwei offiziösen Re­den um Verständnis für die nationalsozia­listische Umwälzung, trug den Polen die Freundschaft Hitlerdeutschlands an und sagte: Der Warschauer Besuch solle gleichsam eine allgemeine Vorbereitung der Atmosphä­re für die Verhandlungen sein, die nach einem Gegenbesuch der polnischen Regie­rungsvertreter in Danzig in kürzester Zeit aufgenommen werden würden, um dadurch eine neue Epoche in den Bezie­hungen zwischen Danzig und Polen einzuleiten. Bei ernstem Willen beider Parteien, und wenn beide Teile vom Boden der bestehenden Vcrträgeausbereit seien, gegenseitig die Rechte und Pllich- ten zum gemeinsamen Besten zu achten, sei die Möglichkeit zur baldigen Ver­ständigung vorhanden. Diebestehenden Verträge" trennen Danzig durch den Korridor von Deutsch­ land . Die Danziger Nazis unterstehen dem Führer Hitler , Rauschning sprach also im Namen des deutschen Kanzlers, der mit­hin auf die Wiedervereinigung der beiden deutschen Gebiete mit dem Mutterland verzichtet. So freigebig hat seit 1918 kein deutscher Minister deutsches Land ver­schenkt! Pose den Wiedereinzug in das andere Deutsch­ land mitmachen wollen. Ebenso wie jene, die vierzehn Jahre lang in der deutschen Republik nicht das nationalistische Unkraut mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben, sondern alles in Grund und Bodenregierten". Es ist, anläßlich der SPD. -Aktion in Prag , das Grundthema er­örtert worden: Hat ein Führer, auch wenn er im Diktatur-Land zu Kreuze kriechen muß, bei den Geführten zu bleiben oder dari er, aus Selbsterhaltungstrieb und um der Sache willen, sich in Sicherheit bringen? Welch' Thema für künftige Doktoranden moderner Ge­schichte! Wir nicht so verschnörkelte Menschen sagen; Wo derFührer" eine Wirkungsmöglich- lichkeit ausnützen kann, hat er zu sein! Lenin hat im Exil gelebt, hat sich in den reifenden Wochen vor der Oktober-Revolution versteckt gehalten: War er deshalb ein Deserteur? * Sie aber werden alle mit unverwüstlicher preußischer Pünktlichkeit zur Stelle sein, wenn man wiederumlernen" muß. Bei Lloyds in London kann man schon heute Wetten auflegen. daß es wie 1918 sein wird-- wenn nicht bei­zeiten Dämme gegen diese Schlammflut vorbe­reitet werden! ihr von der Barbarei wahrhaft Vertriebenen, geht an diese Arbeit! Seid nicht so phantasielos. Euch mit Hilfe von Statistiken und arithmetischen Exempeln auszurechnen, daß Hitlers Reich bald zusammenbrechen müsse! Bringt endlich die Phantasie auf. Euch von Ziffern zu emanzipieren! Ihr könnt nur Vorar­beit leisten für den Fall, daß der Fall Hitlers sich aus dem Gesetz, nach dem er angetreten, ergibt. Aber diese Vorarbeit könnt Ihr sehr gründlich verrichten; Bildet einen(verzeiht das preußisch harte Wort) Generalstäb, der Um­schau halten kann nach den Menschen, die dann wirken sollen, wenn das. Nachher kommt! Und wenn Ihr schon mit deutscher Gründ­lichkeit Euch betätigen wollt, dann i ü h r t ge­nau Buch über alle Abgewirtschaf­teten und über alle Gesinnungs­jongleure, die mit artistischer Gewandtheit auf jedem Boden der Tatsachen immer wieder auf die Füße fallen! Lernt vom Todfeind, der sich jahrelang aufden" Tag mit einer Schwar­zen Liste vorbereitet hat. Hütet Euch davor, auf den Humanitätsleim zu kriechen! Schenkt ihnen nichts, auch wenn sie sich ebenfalls als Rückversicherung für die Zukunft hinter allerlei Pseudonymen und sonstigen Drapierun­gen verkrochen haben! Wer von Hitler gefres­sen hat, muß daran zugrunde gehen! Seid aber auch nicht»u nüchtern und zu zimperlich, aus den für unsere Sache Gefolterten und Gemor­deten die Helden unserer Tage zu machen! Ver­schmäht nicht den Kult, der in diesen dafür doppelt empfänglichen Zeiten unentbehrlich ist. Die Verbrecher, in deren Fäusten sich heute Deutschland windet, haben den Zuhälter Horst Wessel zum heldischen Symbol erklärt. Und Ihr? Habt Ihr schon die Namen reinster Kämp­fer für freies Menschentum, die gemordet wurden oder in Kerkern dahinsiechen, in Eure Herzen eingehämmert als Racheschwur? Jawohl, predigt und nährt aller­orts den einzigen und gesunden Haß gegen alle und gegen alles ringsherum, was in dieser Zeit an sich und den anderen Verrat geübt hat! Faselt nicht von Demokratie, die nicht mitzuhaßen, sondern mitzulieben da sei; sondern setzt schon heute hart und unverrückbar als ersten Paragraphen des neuen Staatsgrund­gesetzes einer neuen Republik fest: W i r w e r- den Euch nichts vergessen! Theodor Glocke, der langjährige Vcrlags- direktor desVorwärts" ist anfangs der ver­gangenen Woche gestorben. Einer der Treu­esten und Besten ist mit ihm hingegangen. Als sich am vergangenen Donnerstag im Krema­torium in Berlin eine stattliche Zahl von Ge­nossen zusammenfand, um Theodor Glocke die letzte Ehre zu erweisen, da gedachte man des jungen Holzarbeiters, der in der Zeit des Sozialistengesetzes seinen Mann ge­standen hatte. Auch damals war eine Leichen­feier für Sozialdemokraten die einzig erlaubte Form der Zusammenkunft. Genosse Glocke hatte denVorwärts" fast auf seinem ganzen Wege vom Fall des Sozialistengesetzes bis kaum ein Jahr vor seiner Unterdrückung be­gleitet und betreut-. Wir handeln im Geiste Theodor Glockes, wenn wir den Kampf auf­nehmen und die Auferstehung vorbereiten. Immer daran denken- \idit« vergessen! Von einem Republikaner Es ist immerhin denkbar, daß dennoch eines eines Tages im Lande der neuen Romantik das Wunder geschieht: daß Hitlers Kartenhaus auf deutschem Grunde zusammenbricht! Was bliebe dann übrig? Mit welchem Menschen könnte man sich an die Arbeit begeben, den Trümmerhaufen aufzuräumen? Man könnte sagen, es sei müßiges Geschwätz, schon heute, da noch das Mitgliedsbuch der NSDAP , die alleingültige Freifahrtskarte ins Dritte Reich» der Herrlichkeit ist, eine solche Frage auszuwerfen. Denn bis zum wirklichen Erwachen Deutschlands werde noch so man­cher aus der heutigen Grundstellung aufrechter Haltung um die Ecke gehen. Wer, so-wird man weiter flöten, könnte überhaupt gerechtes Ur­teil fällen über diejenigen, die anders sprechen mußten, als es in der Stahlkammer ihrer Ge­sinnung aussah! * So verteidigt man sie schon jetzt und so werden sie sich selbst verteidigen: Wenn der Tag wieder kommen wird, an dem jenesLand voll Lust und Leben" kein Zuchthaus mehr ist! Dann werden sie alle, alle in unwandelbarer Treue den Boden der Tatsachen wieder einmal erreichen: das ganze Geschmeiß wird sich an die Befreier von Hitler mit der gleichen Vehe­menz heranwerfen, mit der es jetzt dienatio­nale Erhebung" mitgemacht hat. Wie werden die Barthcl, Benns, Sinsheimers. die großen und kleinen Götter im Tempel des Wo- tan-Kult, aus ihren Füllfedern Ströme neuen Geistes vergießen; aus demnationalen Um­bruch". Das Brechen wird keine Ende nehmen ... Und sämtliche deutschen Professoren wer­den, wie gehabt, die akademische Würde wah­ren, indem sie durch flammende Aufrufe und zündende Ansprachen die Reinigung Deutsch­ lands von dernationalen Schmach der Dik­tatur eines landfremden und undeutschen Man- nes" fordern und im übrigen das neue Regime ihrer stets loyalen Mitarbeit versichern werden. Die deutschen Richter, Gipfel unantastbaren Ge­wissens, werden in einervon hohem sittlichen Ernst getragenen Entschließung" den Aller­höchsten Richter als Zeugen dafür anrufen, daß sie nie und nimmer, auch nicht unter dem Zwange einer undeutschen Diktatur, das Recht parteiisch gebeugt und- gegen die ewiggültigen Gesetze der Gerechtigkeit verstoßen hätten. Jedes Verbrechen, aueh wenn es sichnatio­nal" verbrämt habe,»sei von ihnen streng ge­ahndet worden, sie hätten keinem anderen Be­fehl als dem ihres Gewissens gehorcht. Und am Abend dieses Tages wird nach dem Pausen-GlockenspielUeb' immer Treu' und Redhchkcit" der hochverehrte Herr Reichs­ präsident von Hindenburg über alle deut­ schen Sender aus Neudeck einManifest an das neuerwachte Deutschland " verkünden:D:e Treue ist das Mark der Ehre..." » Jawohl, deutsche Menschen außerhalb des braunen Kerker-Gemäuers, so wird es sein und nicht anders: Wenn nicht schon jetzt dem vor­gebeugt wird! Brüllt allen, die für charakter­lose Halunken auch nur ein Wörtchen der Ent­schuldigung sagen, in die Ohren:Es ist nicht wahr, daß sie es tun mußten!" Sie haben es nur getan, weil sie verlumpt wa­ren, weil sie das Einkommen höher bewerteten als die Gesinnung, weil sie dienstbeflissene Kreaturen des Zeilenhonorars sind! Plötzlich entdeckten sie ihre Pflichten alsFamilien­väter", plötzlich fielen ihnen die Schuppen von den Augen, daß siebisher geirrt", plötzlich stellte sich bei ihnen diesittliche Notwendig­keit" ein, im Interesse der Allgemeinheit sich derMitarbeit am neuen Werden" nicht ver­sagen zu dürfen! Welch ein Kunststück, welch eine heroische Haltung: Einer Gesinnung so­lange anzuhängen, wie man mit ihr gute Ge- schätte machen kann! Doch welch eine Zumu­tung, für die Ueberzeugung das Opfer der Stellungs- und Einkommenslosigkeit bringen zu sollen! Das, Edelste der Nation, ist das Privi­leg der Proleten, der einfachen Klassenkämpfer, die sich für ihre Gesinnung hinschlachten, fol­tern oder einsperren lassen durften, die millio­nenweise schon seit Jahren stempeln gehen und hungern. Das kann man doch nicht von einem deutschen Professor, Richter, Dichter oder Zeitungsschreiber verlangen! Denn sie haben ja ein verbrieftes Anrecht darauf, daß es ihnen immer besser gehen muß als den Proleten. Man freut sich uneingeschränkt jedes Men­schen, dem es gelungen ist und noch gelingt, aus Hitler Masscnkorrektions-Anstalt zu ent­schlüpfen. Aber seht Euch diese Emigranten an, diese Auch-Emigranten! Wieviele von ihnen sind nicht aus Gesinnuugstreue, sondern aus Mammon-Anhänglichkeit über die rettenden Grenzen gekommen. Und wieviele hätten drüben gerne in einer jüdischen Sektion der NSDAP . mitgetan, wenn ihre Nase es ihnen gestattet hätte. Aber sie alle werden auch in Märtyrer-