Geiseln schreiben Briefe
Kasseler Bürger für Scheidemann„ in Schutzhaft"
Die Parlamentsfraktion der Deutschen Sozialdemokratie in der Tschechoslowa kei erhielt dieser Tage einen dicken Brief aus Kassel , dessen Absender ungenannt blieb. Zweifellos handelt es sich um irgend eine Hilfspolizei- oder SA.- Stelle, die den Brief zur Post gegeben hat. Der Umschlag enthielt sechs Briefe von Kasseler Bürgern, die sich zur Zeit in Schutzhaft befinden, an den Genossen Philipp Scheidemann . Alle Briefe sind vom 17. oder 18. Juli datiert und verraten durch ihr Aeußeres, wie durch ihren Inhalt völlige Gleichschaltung. Offenbar sind die Gefangenen, die sämtlich als Geiseln für Scheidemann festgesetzt worden sind, durch die bekannten Mittel veranlaßt worden, die Briefe niederzuschreiben. Die Versendung besorgte dann liebenswürdigerweise die Erpresserstelle selbst, die, weil sie den Aufenthaltsort Scheidemanns nicht kannte, die gesamte Sendung an die deutsch - sozialdemokratische Parlamentsfraktion in Prag adressierte.
Da schreibt beispielsweise ein Kasseler Großkaufmann: ,, Herrn Philipp Scheidemann .
Hierdurch muß ich Ihnen mitteilen, daß ich infolge Ihrer Aeußerungen über Deutsch land in ausländischen Zeitungen auf Grund meiner Bekanntschaft mit Ihnen in Schutz
,, Diese wahrhaft miserable..."
haft genommen bin. Außer der mir sehr unangenehmen Tatsache, mich in Schutzhaft zu befinden, ist dadurch auch mein Geschäft aufs Aeußerste geschädigt und steht vor dem Ruin. Ich muß Sie daher dringend bitten, in Zukunft jegliche Aeußerung politischer Art über Deutschland zu unterlassen. Hochachtungsvoll
Unterschrift."
Ein Rechtsanwalt schreibt:
flatterte die große rote Fahne und um sie herum die Fahnen der einzelnen Länder. Nur Deutschland war nicht vertreten. Wie sollte es auch im Zeichen des Hakenkreuzes dort vertreten sein, wo man in Freiheit und für den Sozialismus lebt! Es gibt heute keine sozialistische Veranstaltung in Europa , auf die seine des Faschismus
Ein Dritter schreibt: ,, Am Sonnabend, den 15. Juli d. J., bin nicht der Schrecken ich durch die Kriminalpolizei beim Polizei- schwarzen Schatten wirft. Unsere roten Falken präsidium in Kassel in Schutzhaft genom- in Deutschland aber werden die schönen ZeiEs wurde mir eröffnet, daß die In- ten praktischer Solidarität und sozialistischen haftnahme erfolgt sei, weil Sie in der Aus- Ferienaufbaus nicht vergessen. Sie werden den landspresse das Ansehen des deutschen Rei- Freiheitskampf des Proletariats führen, denn sie sind schon heute und bleiben es auch schädigende Artikel veröffentlicht im Hakenkreuz- Deutschland
men.
Heuer
-
Junge, begei
Vorwärts
Ich bestelle den Neuen Vorwärts" und erwarte regelmäßige Lieferung von nächster Nummer an.
ches haben." Auch dieser Bedauernswerte fleht sterte Sozialisten. ,, Wie die Polizeiverwaltung Kassel mir zum Schluß den Genossen Scheidemann mittellt, haben Sie in ausländischen Zeitun- an, in Zukunft keine Artikel mehr zu gen unrichtige Nachrichten über die Ver- schreiben, da er nicht wegen der Tätighältnisse in Deutschland verbreitet, die ge- keit eines anderen leiden möchte. In diedes eignet sind, das Ansehen deutschen ser Art und Weise geht es weiter. Ein Reiches und seiner Regierung, als auch die Oberstudiendirektor stellt sich sogar in Interessen der deutschen Nation zu gefähr- pathetischen Ausdrücken als ein zum Dritden. Obwohl ich niemals zu Ihnen persön- ten Reich Bekehrter vor. Ob er wirkliche Beziehungen unterhalten habe und Sie lich zur höheren Moral der Göring und auch persönlich nicht näher kenne, bin ich Heines bekehrt ist oder ob er seinen deshalb von der Geheimen Staatspolizei in Brief nur geschrieben hat, um nicht zu der Annahme, daß ich zu Ihrem Freundes- Tode geprügelt zu werden, läßt sich von und Bekanntenkreis gehöre, in Schutzhaft hier aus nicht entscheiden, höchstens nur muß man genommen worden. Da Sie in Ihrem Fxil ahnen. Mit Erstaunen aber muẞ die Verhältnisse in Deutschland nicht beur- fragen, was die Helden des Dritten Reitellen können... und ich auch keine Lust ches durch die Versendung solcher zu habe, unter Ihren privaten Ambitionen und Erpresserzwecken erpreẞter Briefe in Schreibereien zu leiden, ersuche ich Sie das Ausland erreichen zu können glauben. dringend, in Zukunft sich jeder Stellung- Wollen sie durch sie die Welt davon nahme zu den Verhältnissen in Deutschland überzeugen, daß es in Deutschland - zu enthalten." keine Greuel gibt?
Wettrennen der Prinzen
Die Presselakalen des Dritten Reiches fühSage mir, wer Dich lobt und ich will Dir ren ein bejammernswertes Dasein. Sie dürfen sagen, wer Du bist. Der deutsche Exkronprinz nur auf Juden, Nichthitlerianer( unter dem hat sich im„, Evening Standard" für das neue Sammelbegriff„, Marxisten" zu rubrizieren), auf Deutschland in die Heldenbrust geworfen. Die Dollfuß und ganz gelegentlich ein bißchen auf Weltgeschichte könne, so meint der Ausreißer, Frankreich schimpfen, alle andern Dinge und kein anderes Beispiel einer Revolution liefern, Personen auf der Welt sind für sie tabu. Aber die ,, so frei von Blutvergießen und UngesetzIhnen, den allergehorsamsten Zeitungsmachern, lichkeiten" sei, wie die hakenkreuzlerische. Daß
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Verflucht!
Der gleichgeschaltete Dichter Rudolf Bin
ein Wettkegeln oder eine Kabarettnummer. Hängen, Erschießen, Enthaupten, mittelalterliche Strafen, an Unschuldigen eines freien Wortes wegen vollzogen, finden bei den sogenannten höheren Rechtsbeamten ,, allgemeinen Anklang"! Was kann man da von den kleinen braunen Schüftchen anderes erwarten, als ding hat in einer Polemik gegen Romain Roldaß sie in SA- Kasernen und Konzentrations- land, der verbanntes deutsches Geistesgut zu lagern an wehrlosen Opfern ihren Blutrausch verteidigen wagte, den Satz ausgespien: ,, Goethe, den Sie( Romain Rolland ) auch hier als einen der großen Weltbürger anführen. ist so verflucht deutsch , wie Goering oder Goebbels oder Goering oder der SA - Mann Müller oder ich".
austoben?
darf jeder halbwegs Gleichgeschaltete dutzend- Hunderte viehisch erschlagen, Tausende in Kon- Internationale
weise Fußtritte versetzen.
zentrationslager gesperrt, gefoltert und geschla
Da blitzt und donnert es z. B. In der August- gen wurden, daß Männer, wie Stelling in nicht
nummer einer von Will Vesper herausgegebenen Literaturzeitschrift:
,, Wann wird die wahrhaft miserable, von allen Göttern verlassene deutsche Presse endlich lernen, den Worten unsrer Wortgewaltigen, unsrer Dichter und Denker, wirklich den Widerhall im Volk und in der Welt zu geben, der zum Helle aller nötig ist?! Die Welt würde über Deutschland längst besser Bescheid wissen, wenn die Presse nicht in
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wiederzuerkennenderweise zu Tode geschunden, Frauen mißhandelt wurden das alles ist diesem prinzlichen Helden der Etappe nichts. Die Hohenzollernprinzen veranstalten seit um die Gunst der längerem ein Wettrennen neuen Herren. In ihren Vorzimmern stehen sie sozusagen als Pagenstaffage. Die Monarchie könnte plötzlich fällig werden! Wer am meisten schwelfwedelt, hat die meisten Chancen.
allen Dingen, die den Gelst angehen und die Allgemeiner Anklang
auf das Ausland wirken können, fast ohne Ausnahme so Jämerlich versagte."
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Es ist jetzt gerade ein Jahr her, da zogen Müller oder Binding? Wenn Tote sich wehren 700 deutsche Kinder über den Rhein und bauten könnten, würde aus der Fürstengruft zu Weizusammen mit Belgiern, Franzosen und Schwel- mar ein„ ,, Nein!" empordonnern, das selbst die zern die„ Internationale Kinderrepublik Soli- wattierten Wände der neudeutschen Dichterdarität" in der Nähe von Paris auf. Für die akademie erzittern ließe. Franzosen war es gleichzeitig die erste Kinderrepublik überhaupt. Jetzt gibt es in Frankreich Brückner friẞt Polen eine organisierte Kinderfreundebewegung von mehr als 1000 Kindern und 100 Helfern. Das ist nicht nur eine Frage der Zahl, sondern auch
und Tschechen Heilmuth Brückner, der sogenannte Oberpräsident von Schlesien , rühmte sich neulich
in einer Versammlungsrede, eine Propagandareise nach Polen gemacht zu haben. Ueber das
Im Reichsjustizministerium kamen unlängst eine Qualitätsleistung, denn diese Franzosen die Justizminister der deutschen Länder zu- sind ausgezeichnet ausgerüstet und vertraut Schicksal Oberschlesiens werde das deutsche So! da hat die„ ganz miserable, von allen sammen nicht um über Recht oder Unrecht mit der Lebensart und den Grundsätzen der soVolk allein entscheiden. Dann werde aber auch Göttern verlassene deutsche Presse" wiedermal zu beraten. Beraten wird in Deutschland nicht zialistischen Falkenbewegung. Auch die zweite internationale Kinder- der Tag anbrechen, an dem der Tschechenstaat ordentlich eins auf's Fell bekommen. Uns will's mehr, nur parlert, und ein Recht gibt es nicht allerdings dünken, daß hier der Esel die Hiebe mehr, die Justizminister" sind nur noch Sach- republik ist noch von deutschen Helfern mit in Trümmer ginge. Die Breslauer„ Neuesten bezieht, die sein Herr yerdient. Was bleibt den walter blutigen Unrechts, traurige Puppen, die vorbereitet worden. Aber außer einigen Emi- Nachrichten" wurden zur Strafe für die Verarmen Tintenkleckserchen anders übrig, als in mit den Köpfen zu nicken haben, wenn Herr granten und Emigrantenkindern gibt es hier öffentlichung eines wahrheitsgetreuen Berichallen Dingen ,,, die den Geist angehen", zu ver. Goering sich in sadistischen Krämpfen windet. keine deutschen Falken, denn das Dritte Reich tes über diesen gefährlichen Redeschwulst für
sagen? Sie dürfen noch nicht anders. Wer heut in Deutschland nicht auf Geist verzichtet, dem kann es leicht geschehen, daß er ihn aufgeben muß- und all die Blätterchen vom Miesbacher Anzeiger bis zur Krappitzer Lokalzeitung möchten doch so gern leben bleiben.
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,, Die Welt würde über Deutschland längst besser Bescheid wissen, wenn die Presse..." behauptet jene streitbare Zeitschrift. Nun, die Welt weiß viel zu gut Bescheld, weiß besser Bescheid, als die trunkenen Hitlerbarden vom Schlage Will Vespers. Was aber weiß Deutsch land , was wissen die deutschen Zeitungsleser von der Welt? Nichts, gar nichts, denn die Blätter müssen die Weltmeinung über das Dritte Reich verschweigen oder umlügen, wenn die sie nicht verboten werden wollen. Daß deutsche Presse ,, wahrhaft miserabel und von allen Göttern verlassen ist", stimmt haargenau. Schuld daran tragen aber die regierenden Zensoren, denn eine unfreie, geknebelte, knechtselige Lakelenpresse kann Ihre kulturellen Aufgaben nicht erfüllen, muß miserabel sein. Ist das für gleichgeschaltete Gehirne wirklich so schwer zu begreifen? Scheint so, denn Will Vesper fordert am Schluß seiner donnernden Philippika:
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,, Man muß dringend verlangen, daß das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda die gesamte deutsche Presse endlich in eine ernste und strenge Zucht nimmt.. In noch strengere Zucht? Dann müssen die Blätter im Lande der Dichter und Denker weiß erscheinen. Blütenweiß! Und das wäre allerdings für den deutschen Geist noch am gesündesten.
Und also geschah es. Die gleichgeschaltete erlaubt ihnen nicht, mit den Arbeiterkindern drei Tage verboten. Presse meldet triumphierend: anderer Länder zusammenzukommen. Dabei ist
,, In der eigentlichen Ministerkonferenz es so herrlich hier an schönsten Stellen der fand der Gesetzentwurf der preußischen Re- belgischen Nordseeküste! Es gibt 270 Franzosen gierung( ,, zur Sicherung des Rechtsfriedens") in diesem Lager, und dazu Belgier und Holmit einigen aus den Kreisen der Länderver- länder, Schweizer und Oesterreicher und rote treter ergangenen Anregungen allgemeinen Falken aus der Tschechoslowakei . Anklang..." Am 2. August wurde die Kinderrepublik erFand ,, allgemeinen Anklang". wie öffnet, mitten in den Dünen. Auf einem Hügel
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Thomas& Francis
Häuser- und Güteragenten, 42, Grove Road, South Woodford London , E. 18.
Der berühmte englische Schriftsteller H. G. Wells hat ein Buch über das kommende Jahrhundert geschrieben und von da aus einen Blick zurück auf unsere Zeit geworfen. Da nennt er Adolf Hitler eine der unwahrscheinlichsten Erscheinungen der ganzen Weltgeschichte". Hit ler habe sich wohl Mussolini zum Vorbild genommen, aber geistig tief unter ihm gestanden, und vom Faschismus nur das allerschlechteste entlehnt. Das war", schreibt H. G. Wells, eine traurige und erbärmliche Zeit. Es war eine Geisteskrankheit eines großen Volkes."
G. B. Shaw gegen
Rassenschwindel
In einem Brief an den„ Rassenforscher" Dr. Franz Haiser, den englische Blätter veröffentlichen, hat sich der wandelbare Komödiendichter zur Abwechslung über die Nazis gründlich lustig gemacht. An nordische Rasse glaubt er höchstens bel Drahthaarterriers, aber nicht bel Menschen. Die meisten Hänse und Fritze mit Blau- Augen und Flachshaar stammten von Hetitern und Philistern ab und kämen also nicht vom Norden, sondern vom Toten Meer . Was die Bücher des Dr. Haiser betrefte, so kenne et ihre litel and hätte davon genug. Keine Macht der Erde könne ihn zwingen, sie zu lesen.