tBeiCage des Heuen Vocwäcts Tic. 9 Kritik nnd Selbstkritik Lehren der deutschen Katastrophe DerKampf", die Wiener sozialdemokratische Monatsschrift, hat aus Anlaß der bevor­stehenden Pariser Konferenz der Sozialistischen Arbeiter-Internationale ein Doppelheft heraus­gebracht, das sich mit dem voraussichtlichen Hauptthema der Konferenz, mit der deutschen Katastrophe beschäftigt. Otto Bauer schreibt über denDeutschen Faschismus und die Internationale", Emil Vandervelde über die nächsten Aussichten der S.A.I., Friedrich Stampfer liefert einenBeitrag zur Selbstkritik", Germanicus beschäftigt sich mit der Außenpolitik Deutschlands . Es folgen Artikel von Karl Kautjky,Die blutige Revolution", Theodor DanDie kleinbürgerliche Rebellion und das Proletariat" und Max Ad lerWandlung der Arbeiterklasse". Wir geben aus dem inhaltsreichen Heft einiges des Interessantesten wieder. Otto Bauer : Man liebt es, die Niederlage der deut­ schen Sozialdemokratie aus den Fehlern, die sie begangen halbe, zu erklären. Daß ver­hängnisvolle Fehler begangen worden sind, unterliegt keinem Zweifel Aber wer ein Weltereignis, wie den Sieg des Faschismus in dem größten und wirtschaftlich vorgeschrit­tensten Industriestaat Europas nicht anders als aus den Fehlern zu erklären weiß, die E b e r t und Scheidemann, Hermann Müller und Wels begangen hätten, der überschätzt sehr unmarxistisch die Macht führender Personen über die Geschichte. Er verschließt sich selbst damit den Weg zu tie­ferer Erkenntnis der deutschen Gegenrevolu­tion und der Lehren, die aus ihr zu ziehen sind." Von diesen Sätzen ausgehend beschäftigt sich Otto Bauer mit den objektiven Ursachen der deutschen Niederlage. Im Weltkrieg, so führt er aus, siegte die bürgerliche Demo­kratie Englands, Frankreichs und Amerikas . Ihrem Druck muß sich die sozialdemokra­tische Regierung, die das Erbe des Kaiser­reiches übernommen hatte, beugen. Diktatur der Arbeiterklasse 1918 hätte Einmarsrh der fremden Armeen und Zertrümmerung des Reiches bedeutet Die Sozialdemokratie wagte es nicht, Kohle und Stahl zu s.ozia- 1 i s i e r e n, weil sie der französische Impe­rialismus dann zu Reparationzswecken weg­nehmen konnte. Sie wagte nicht, den Groß­grundbesitz zu enteignen, um nicht die Hungersnot noch zu vermehren. Die große französische Revolution und die große russische Revolution haben sich in großen Nationalkriegen befestigt und stabilisiert Die deutsche Revolution mußte Versailles hinneh­men. Trotzdem behauptete sich die Re­ publik , bis 1929 die Weltkrise des Kapitalis­mus kam. Damals war Hermann Müller Reichskanzler, Otto Braun Ministerpräsident. Sozialdemokraten standen an der Spitze, aber die Wirtschalt war kapitalistisch. So erschienen die Sozialdemokraten In brei­ten Massen als verantwortlich für das Elend, das der Kapitalismus über sie verhängte." An dieser tragischen Lage", sagt Otto Bauer wörtlich weiter,Ist die deutsche So­zialdemokratie und mit ihr die deutsche Re­publik zugrunde gegangen. Der Sozialismus kann sich in der Regierung nicht behaupten, wenn er nicht die Wirtschaft zu sozialisieren vermag: das Proletariat kann nicht dauernd eine kapitalistische Gesellschaft beherrschen. Die Freiheit im Innern ist nicht zu behaupten, wenn sie die Frei­heit nach außen nicht zu erringen vermag; die Demokratie Ist un­trennbar verbunden mit der na­tionalen Unabhängigkel t." Otto Bauer beschäftigt sich weiter mit dem Wesen des Faschismus.Aus den Klassenkämpfen der Bourgeoisie gegen das Proletariat Ist eine despotische, beide Klas­sen als rechtlose Untertanen beherrschende Staatsgewalt hervorgegangen. Aber indem diese Staatsgewalt das Kapita) gegen die Ar­beiter schützt, gewinnt es seine Unterstützung. Die deutsche Bourgcosiie, die niemals selber regiert hät, hat sich letzt dem Faschismus unterworfen, wie früher den Hohenzollern . In der Zwischenzeit aber hat der Staat eine ungeheure Macht über das Wirtschaftsleben gewonnen, über Preise und Löhne, über Ver­kaufsbedingungen und Arbeitsbedingungen. So ist eine Staatsmacht entstanden, die noch viel furchtbarer drückt als der politische Ab­solutismus früherer Zeiten. «Das ganze deutsche Volk versinkt so In einen Zustand unerträglicher Staatssklaverei. Wenn es sich ge­gen sie erheben wird, wird es sich gegen sie erheben mit dem Schrei nach Freiheit." Kann, so fragt Otto Bauer weiter, die D i k- tatur des Proletariats die Parole im Kampf gegen den deutschen Faschismus sein? Bei diesem Wort denkt jeder an Rußland . Würden die deutschen Sozialdemokraten die Diktatur des Proletariats als Kampfziel ver­künden, so würden breite Massen denken, dies bedeute nur den Terror der G. P. U. statt des Terrors der SA. Es gilt aber die Mit­telklassen gegen den Faschismus zu mobi­lisieren. Die Kampfparole der Dik­tatur würde die Arbeiter isolie­ren und die deutschen Mittelklassen beim Faschismus halten. Der Kampf gegen die despotische Staatsgewalt wird nicht anders zu führen sein als ein Kampf um die Demo­kratie, die nur als sozialistische Demokratie wahr und dauerhaft sein kann. Der Faschis­mus muß entwaffnet werden, das Kommando des Großkapitals und der Junker über die Ar­beitsstätten und den Boden muß beseitigt wer­den, dann aber muß unsere revolutionäre Macht die freie demokratische Selbstbestim­mung des deutschen Volkes verwirklichen ein wahrhaftes Reich des Rech­tes: für Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen, was Men­schenantlitz trägt." Zu diesem Zweck müssen alle Kräfte des Proletariats zusammengefaßt werden. Aber auch die Mittelklassen gilt es zum gemein­samen Kampf zu gewinnen. Was ergibt sich daraus für unsere grundsätzliche Stellung ge- Als höchst gefährlich bezeichnet Otto Bauer den Gedanken eines Präventivkrieges gegen Hitler-Deutschland. Ein solcher Krieg würde von kapitalistischen Regierungen geführt werden, denen sich der Sozialismus niemals als Organ der Kriegsfüh­rung zur Verfügung stellen darf. Er muß in unversöhnlicher Feindschaft gegen den Krieg verharren. In einem Schlußkapitel beschäftigt sich Otto Bauer mit der Internationale und ihrem Ver­hältnis zu Deutschland . Viele, sagt er, lieben jetzt die deutsche Sozialdemokratie zu schmä­hen, und dabei werden selbst von Wortfüh­rern ausländischer Arbeiterorganisationen Worte gebraucht, in denen der Deutschenhaß der Kriegszeit neu aufflammt. Gewiß hat die deutsche Sozialdemokratie schwere Fehler begangen, aber die entscheidenden Ursachen der Niederlage liegen in den Tatsachen von 1918, im Gewaltfrieden von Versailles und der Weltwirtschaftskrise. Die Tardleus haben am wenigsten ein Recht, sich als Ankläger aufzu­spielen. Gewiß, geschlagene Generale sind nicht geeignete Führer im neuen großen Kampf. Die illegale,. die revolutionäre Arbeit erfordert andere Führer als die, die zu der legalen Arbeit der deut­ schen Sozialdemokratie berufen gewesen sind. Aber dieses neue Führergeschlecht wird erst aus der illegalen Arbeit in Deutschland selbst erstehen müssen. Die Aufgabe der alten Füh- Du hast doch irgendwo In der Welt einen Deutschen als Freund oder besitzt im Ausland Verwandte und Bekannte, die gern etwas über Deutschland erfahren möch­ten. Bitte teile uns deren Adressen mit, damit wir ihnen den.J/euen Vor­wärts" anbieten und einige Probeexemplare zuschicken können. An den Verlag desNeuen Vorwärts?', KARLSBAD . HAUSGRAPHIA" Ich nenne folgende Adressen von mir bekannten Deutschen , denen derNeue Vorwärts" zuzuschicken ist. genüber dem Bolschewismus? Der Bolsche­wismus, antwortet Bauer, hat immer grund­sätzlich anerkannt, daß seine Diktatur nur eine vorübergehende Staatsform ist. Lenin hat das Absterben der Gewaltherrschaft ver­heißen, was freilich Verheißung einer fernen Zukunft geblieben ist. Rußland kann nicht von heute auf morgen die Demokratie einfüh­ren, ohne der weißen Gegenrevolution zum Sieg zu verhelfen. Aber die Kommu­nisten müssen dort, wo sie herr­schen, den Beweis erbringen, daß auch ihr Ziel die Freiheit ist, und daß sie bereit sind, die Diktatur abzubauen, soweit das ohne Gefährdung der sozialisti­ schen Resultate der Revolution geschehen kann, an deren Erhaltung auch wir Sozial­demokraten das stärkste Interesse haben. Auf diese Welse, meint Otto Bauer , könnte Sow­jetrußland der Arbeiterklasse Europas im Kampf gegen den Faschismus den größten Dienst erweisen und die geistige Einheitsfront des Proletariats ermöglichen. rer in der Emigration muß es bis dahin blei­ben, die illegale Arbeit in Deutschland zu för­dern, solange, bis sie ihre Mission in die Hände der neuen, aus der illegalen Arbeit auf deutschem Boden hervorgegangenen Führer wird übergeben können." Emil Vandervelde: Der Vorsitzende der Sozialistischen Arbei­ter-Internationale gibt einen raschen Ueber- blick über die Lage der sozialistischen Par­teien in der ganzen Welt. Zur Zeit des Wie­ner Kongresses 1931 war Labour in England an der Macht, die deutsche Sozialdemokratie ist vernichtet, die englische Arbeiterpartei geschwächt. Aber die französische Soziali­stenpartei macht trotz ernster innerer Gegen­sätze unaufhörliche Fortschritte, die spanische stützt sich auf Millionen von Organisierten, was auch auf Südamerika stark zurückwirkt In Schweden , Dänemark , Holland , Belgien und der Schweiz hat der Sozialismus seine starke Position gehalten und ausgebaut. In Deutsch­ land aber ist der Faschismus siegreich.Die Bemühungen einiger unserer Parteigenossen, Duldung zu erreichen, schlössen mit einem kläglichen Mißerfolg." Die bürgerlichen Par­teien in der Welt hätten freilich kein Recht, sich als Kritiker aufzuspielen, da ja auch die bürgerlichen Parteien Deutschlands vernich­tet worden sind. Der totale Staat Hitlers führt zu denselben Konsequenzen wie jener Stalins oder Mussolinis. In zwei Dritteln Europas gibt es nur mehr eine Partei an der Macht, für die anderen nur Gefängnis, Deportation oder Exil. Wenn es freilieh keine andere Wahl gäbe als zwischen der Diktatur Stalins und einemwei­ßen" Regime, wären wir trotzdem für die russische Revolution. Am Steigen der nationalistischen Welle trägt Deutschland nicht allein Schuld. Die Internationale hat 1922 in Frankfurt , 1923 in Hamburg die Ueber- elnstimmung der Sozialisten zustandegebracht für Revision von Versailles , Räumung des be­setzten Gebietes, Gleichheit der Abrüstung und Beschränkung der Kriegsschulden auf Wiedergutmachung direkter Schäden."Es stünde heute besser um die Welt, wenn man sie gehört hätte. Wenn aber die Gegner glauben, der Rückschlag, den der Sozialismus jetzt erleidet, sei endgültig, so folgen sie einer Illusion. Im Jahre 1848 brach die Revolutioi). zusammen. Die 1864 gegründete Erste Inter­ nationale spaltete sich und löste sich nach der Niederlage der Kommune auf. Als Ma'rx 1883 starb, gab es in Europa eine einzige sozialistische Partei, die deutsche Sozialdemokratie, und auch diese lebte unter dem Sozialistengesetz illegal. Erst 1889 begann der Wiederaufstieg. In fast allen Ländern organisierten sich die Sozjialisten nach deutschem Vorbild. Aber schon seit 1903 stand die Kriegsgefahr im Vordergrund aller Erwägungen. In diesem Zusammenhang zitiert Vandervelde folgende ergreifende Prophezeiung von Jean Jauräs: Aus einem Europäischen Krieg kann die Re­volution hervorgehen, und die herrschenden Klassen mögen gut tun, daran zu denken. Aber es können auch für lange Perioden Krisen der Konterrevolution und wütender Reaktion ent­stehen. Krisen des Nationalismus, der erstik- kenden Diktatur, des furchtbaren Militarismus, eine lange Kette rückschrittlicher Gewalt­tätigkeit und niedrigen-Hasses der Unter­drückung und der Knechtschaft." Dieser Zustand wird nicht ewig dauern, aber er kann lange dauern. Inzwischen stellt sich gebieterisch für die Internationale die Frage der Revision ihrer Strategie und Tak­tik. Der.große Kampf zwischen Internatio­nalismus und Nationalismus hat begonnen. Wenn der zweite die Ueberhand erhält, wer­den noch mehr Diktaturen entstehen. Krieg, Katastrophe des Kapitalismus, Revolution über Blut und Trümmern werden dann die Folgen sein. Der Sieg des Internationalismus dagegen kann Zusammenstöße und Gewalt­tätigkeiten auf ein Minimum reduzieren. Friedrich Stampfer : findet den Wunsch nach einer gründlichen Untersuchung der Ursachen des deutschen Zusammenbruchs durchaus begründet. Auf Empfindlichkeit einzelner Personen darf keine Rücksicht genommen werden. Das Schick­sal eines Einzelnen spielt keine Rolle. Eine systematische und gründliche Untersuchung ist nützlicher als eine system­lose sich In Einzelheiten verlierende Kritik. Sicher aber wird man die Ursache der Kata­strophe nicht darin suchen dürfen, daß nicht genug Selbstkritik geübt worden ist. In keiner Sektion der Internationale ist mehr und freiere Selbstkritik geübt worden wie In der Deutschen Sozialdemokratie. Vielleicht war auch die Selbstkritik schon das Symptom einer Schwäche, die aber dann nicht durch