Büiaqe xks Jkum Vomäcts 7h. 10
Thyssen bestiehlt das Reich Enteignung des Reidies durdi das Sdiwerkapital— Ist das„deutscher Sozialismus'*?
Der berühmte ständische Aufbau, den der Nationalsozialismus versprochen hat, ist verschoben— wohl auf den St. Nimmerleinstag. Das hindert aber nicht, daß unterdessen sehr weitgehende Aenderun- gen in den wirtschaftlichen Organisationen vorgenommen worden sind, die eine grundstürzende und dauernde A e n d e- rung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse bedeuten. Und diese Machtverschiebung ist sehr eindeutig. Völlig tot ist die Organisation der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Lahmgelegt sind auch die Organisationen des Mittelstandes. Unverändert in ihrem Aufbau, ungehindert in ihrem Wirken, aber unendlich gestärkt durch die Zerschlagung aller anderen Organisationen stehen die Verbände der Kapitalisten da, die jetzt unumschränkter als je in allen Wirtschaftsfragen über die totalitäre Staatsmacht verfügen. Und das zeigt seine Wirkungen nicht nur in den Fragen der öffentlichen Wirtschaftspolitik, sondern auch in den privaten Interes- senangelegenheiten der einzelnen mächtigen Kapitalistengruppen. Und wieder ist bezeichnend, daß Hitler , der „Sozialist", in wirtschaftlichen Fragen den Mann zum einflußreichsten und mächtigsten gemacht hat, der wegen seiner sozialpolitischen Rückständigkeit und kapitalistischen Engstirnigkeit im „alten System" als berüchtigt galt, den Thyssen. Der hat als Staatsrat, als Mitglied des Obersten Wirtschaftsrats, als Wirtschaftsführer von Rheinland-West falen aber nicht nur den entscheidenden Einfluß auf alle allgemein sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Fragen. Thyssen ist auch Privatmann und als solcher einer der Herren des Stahlvereins. Man weiß, daß unter Brüning der Finanz- minister Dietrich unter großen Opfern für das Reich die Majorität von Gelsenkir chen erworben hat und damit die Mehrheit über den Stahlverein. Die beherrschende Stellung, die das Reich durch die „kalte Sozialisierung" in der Montanindustrie überhaupt erlangt hatte, war der Schwerindustrie als unerträglicher Eingriff erschienen. Es war das nicht zuletzt der Grund, aus dem sich die Montanindustrie gegen Brüning wandte und den„Sozialisten" Hitler mit allen Mitteln unterstützte. Schon unter Papen verlangte Thyssen die Reprivatisierung, die Expropriation des Reichs— die entschädigungslose, denn über flüssiges Kapital zum Rückkauf verfügten die Herren ia nicht. Aber die Forderung scheiterte an dem Widerstand Schleichers, der
sich die Verfügung über die Grundlagen der Rüstungsindustrie nicht nehmen lassen wollte. Thyssen mußte also warten. Und er wartete nicht ohne Erfolg. Hitler , sein Hitler kam. Und jetzt kann das Geschäft gemacht werden — die entschädigungslose Expropriation des Reichs, der Sozialismus mit dem umgekehrten„Vorzeichen". Der von je überkapitalisierte Stahlverein bedarf dringend der Reorganisation. Bisher war sie immer verschoben worden. Jetzt— im Dritten Reich— ist die Zeit erfüllt. Der Stahlverein soll mit seinen ehemaligen Gründergesellschaften, Gelsenkirchen , Phönix und Zypen- Wissen fusioniert werden. Aufnehmende Gesellschaft soll Gelsenkirchen werden; bei Gelsenkirchen lag bisher die M e h r- h e i t über den Stahlverein. Das Reich hatte rund die Hälfte des Aktienkapitals von Gelsenkirchen , 125 Millionen Mark und damit zugleich die Herrschaft über den Stahlverein. Thyssens Plan besteht nun darin, das Kapital von Gelsenkirchen für die Aufnahme des Stahlvereins, des Phönix und Zypens auf etwa 500 Millionen festzusetzen. Der Majoritäts- und Herrschaftsanteil des Reichs wird so im Handumdrehen und ohne daß es die Stahlvereinsherren einen Pfennig kostet, in eine bedeutungslose Minorität verwandelt; die Reprivatisierung ist vollzogen, der beherrschende Einfluß Thys sens ist wiederhergestellt und dazu die
125 Millionen des Reichs als Sanierungskapital annektiert. Es ist der unverschämteste Raubzug. den je eine Kapitalistenclique in neuerer Zeit in Europa geplant hat! Versteht man jetzt die wahre Natur der nationalsozialistischen Revolution? Begreift man, warum Hitler die Revolution für beendet erklärt hat? Versteht man aber auch, warum die Presse nicht nur in politischen, sondern auch in wirtschaftlichen Fragen in Deutschland so völlig geknebelt ist? Nichts bezeichnender als daß kein deutsches Blatt es wagen kann, diese freche kapitalistische Annek- tion von Gemeingut zu kritisieren, diesen Feldzug des Eigennutzes gegen den Gemeinnutzen auch nur deutlich zu beschreiben. Thyssen hat mit Hunderttausenden den Hitler subventioniert; das Geschäft hat sich gelohnt; er bekommt für jeden Tausender eine Million zurück. Fürwahr: das„Heil Hitler" kommt diesem Mann aus dem Herzen! Aber die Geschichte vollzieht sich im dialektischen Prozeß. Diese kapitalistische Expropriation ist nur ermöglicht' durch die politische Expropriation der deutschen Arbeiterklasse, durch den Raub ihrer po- litischen und organisatorischen Freiheit; mit der Wiedereroberung der Freiheit wird verbunden sein die entschädigungslose Enteignung der Expropriateure von heute als erster Schritt zum Aufbau der sozialiEtischen Gesellschaft. Dr. Richard Kern.
In asiatischen Despotien vollzieht sich das Regieren stets in den innersten Gemächern des Palastes, Und erst, wenn die Palatsrevolution vollendet ist, pflegen die Untertanen zu erfahren, was sich mittlerweile zugetragen hat Ganz läßt es sich aber doch nicht verhindern, daß Gerüchte entstehen, in denen ein Körnchen Wahrheit steckt, und daß das Geflüster der Sklaven aus den Gängen hinaus auf die Straße getragen wird. Es muß schon etwas sein an dem Gerücht von den Gegensätzen zwischen Hitler undGöring! Von den Spannungen an der Spitze der nationalsozialistischen Partei, die vielleicht eines Tages zu explosiven Lösungen führen könnten! Hat nicht vor einigen Wochen Göring als preußischer Ministerprä
sident vor aller Welt mit der Faust auf den Tisch geschlagen und vom Reich, d. h. von Hitler , ein neues Köpf- und Hänge-Gesetz gegen die Unzufriedenen im Lande verlangt? Und hat nicht ein langes peinliches Schweigen Hitlers auf dieses öffentliche Verlangen geantwortet? Wie wird sich die Eitelkeit des Mannes mit den 40 Uniformen— an einem Tage bei der Schlageterfeier allein hat er sich in sieben verschiedenen Monturen gezeigt— mit dieser öffentlichen Demütigung abfinden? Göring will, so heißt es jetzt allgemein, nach dem Tode Hindenburgs Hitler in das völlig entmachtete Reichspräsidium abschieben und sich selber zum Reichskanzler ernennen lassen. Hitler aber, so wird weiter ver
sichert, soll nicht so dumm sein, die Absicht nicht zu merken, und er soll keine Lust verspüren, die Rolle eines zweiten Hindenburg zu spielen. Hitler will Kanzler bleiben und an den Platz des Reichspräsidenten einen Hohenzollern als Reichsverweser setzen. Nimmt man dazu, daß zwischen Preußen und dem Reich, d. h. also, wieder zwischen Göring und Hitler , ein Streit über eine neue Prcsse-Ordon- n a n z ausgebrochen ist, über die Frage, wer verbieten darf, nur das Reich oder auch Preußen, so wird man finden, daß der Konfliktstoff stark angehäuft ist. Für den Staatsrechtler aber ist es ein Schauspiel für Götter: nach der glorreichen „Vereinheitlichung des Reiches", die im ersten Augenblick sogar manchem Gegner imponiert hat. die aber genau so Schwindel gewesen ist, wie alles, was diese Gaukle rregierung tut, bricht der alte Gegensatz zwischen dem Reich und seinem größten Gliedstaat mit einer Heftigkeit aus, wie man sie in den verruchten 14 Jahren zuvor niemals erlebt hat. Gründlich verkehrt wäre es, sich der Hoffnung hinzugeben, die nationalsozialistische Blutherrschaft werde eines Tages an ihren inneren Spannungen zugrundegehen und einfach zusammenkrachen. So bequem wird es uns ganz gewiß nicht gemacht werden. Aber je deutlicher sich zeigt, wie hohl und innerlich morsch dieses System ist, desto zuversichtlicher dürfen wir an seiner Beseitigung arbeiten, die unser Werk sein wird.
So sprach der greise Präsident••• Auf einer Massenkundgebung wurde kürzlich eine Botschaft des greisen Präsidenten der Republik verlesen. Darin hieß es: Wir werden Nachdruck darauf legen, daß das Christentum im Geist seines Begründers die Religion wirksamer Liebe zum Nächsten ist. In der Zeit der Uebergänge und der Unfertigkeit auf allen Gebieten werden unsere Kirchen auf die Sittlichkeit größeres Gewicht legen und übertriebenes Parteiwesen verhindern; es darf niemand, der sich zum Christentum meldet, Haß verkünden. Und wenn gerade jetzt außerhalb unserer Grenzen gefordert wird, daß die Kirchen Kampfkirchen werden, darf es in der Republik keinen einzigen Geistlichen geben, der das Christentum und seine Mission so auffaßt. Die Zeit erfordert den Zusammenschluß ehrbarer Menschen und solcher Menschen, die sich zu gemeinsamer Arbeit zur Republik und Demokratie, allerdings zu einer tatsächlichen Demokratie, bekennen, d. I. zu Taten politischer und sozialer Gerechtigkeit. Unnötig zu sagen, daß dieser Präsident nicht Hindenburg heißt. Er heißt M a s a r y k.
Die Ahnfrau Er spukt bei der deutschen Straßenbahn. Weh dir, daß du ein Enkel bist! Goethe. In einer mitteldeutschen Stadt fuhrwerkt e'n rrambahntührer herum, mit dem es ein Un- s'ück geben wird, wenn nicht ein Wunder ge- ■Khieht. Es ist mein Vetter Oskar. Vor kurzem "at seine Direktion folgendes verkünden lassen: -Jeder unserer Beamten ist verpflichtet, Zeugnis nichtiüdischer Abstammung, erstrek- kend auf Großeltern und ihre Namen, von Ortsbehörde beizubringen, und hat selbiges binnen zwei Wochen zu geschehen." Oskar freut sich, daß er seinen Vater kennt, '1uch der Name des Großvaters ist Ihm geläu- ''ß. Alle heißen Lauterbach. Gut deutscher Na- rne> wie man zugeben wird. Aber die Großmutter, was die für eine Geborene ist— wer vpn uns hat das im Kopfe? Hilft ihm alle» "i-hts, er muß eine Tagereise in sein Heimats- a!t sausen, muß die behördliche Beglaubigung e'nholen. Oer Bürgermeister schlägt im Kirchenbuch �ach. Da steht: Karoline Lauterbach, geborene r|edemann, ev. luth. Der Bürgermeister schaut Durchdringend auf Oskar, dann füllt er die Be- �'"tigung aus.„Wollen Sie bitte dazu bemer- en> daß meine Voreltern nichtjüdisch sind", meint Oskar. Der Bürgermeister legt das bschblatt drüber:„Bei der Friedemannschen an" ich das nicht." Jarauf Oskar;„Aber es steht doch dort— Vangelisch-luthcrisch..."
Der Bürgermeister blickt wesenlos ins Weite. Er ist ein Märzgewinnler, die Hitlerwelle schwemmte ihn ins Amt Er weiß, was er dem Hakenkreuz schuldig ist„Haben Sie eine Ahnung, mein Lieber," legt er die Feder zur Seite,„geborene Friedemann... merken Sie was? Ich kenne Juden namens Friedmann. Das eee"— er dehnts wie Gummi—„haben sie bei ihrer Großmutter reingepolkt... Und die Getauften sind die Schlimmsten! Bringen Sie den Vater bei von der Friedemannschen, ich flnd'n nich..." Oskar steht da, wie mit einer Hand voll Fliegen. Macht man sie auf, sind sie fort. Die nächsten Tage fährt Oskar auf seiner Trambahn wie ein Betrunkener. Er prasselt durch die Weichen, daß sich die Schaffner bekreuzigen. Der Geist der Ahnfrau verfolgt ihn. „Friedemann", denkt er,„warum gerade Friedemann?" Er hat im Kirchenbuch nach dem Vater der Großmutter geforscht aber der war nicht aufzufinden. Vielleicht ein uneheliches Kind jüdischer Abstammung, denn ein Unglück kommt selten allein! Die Direktion aber besteht auf ihrem Schein. Der Dezernent ist ein Obernazi und will avancieren. Da kann er sich, wie jeder zugeben wird, keine jüdische Großmutter in den Pelz setzen lassen. Wenn Oskar abends seinen Führerstand verläßt weiß er kaum noch, welche Strecke er gefahren ist Wenn er am nächsten Morgen wieder draufklettert, ist ihm zum Umfallen. Will er nachts einschlafen, erscheint ihm die Fricdemannsche drohend im Traume, bald mit
grader, bald mit krummer Nase— wupp ist er munter. Er schließt die Augen wieder und denkt nach altem Schlafrezept an wogende Kornfelder. Kaum hat er das Bild komplett da wächst aus den Aehren ein geschnörkeltes Etwas hervor. Es ist der Arierparagraph— und aus seinen Haken wird die krumme Nase der Ahnfrau. Mit einem Schreck fährt er empor. Seinen Wagen dirigiert er tagsüber im Halbschlaf wie ein Verrückter. Immer hat ihn die Großmutter beim Wickel. Kein Auto, kein Verkehrshindernis ist vor ihm sicher. Ab und zu muß er so plötzlich bremsen, daß die Fahrgäste durcheinanderfliegen und die Schaffner fluchen. Die können gut reden und kritisieren, die haben ihre Großmutter beieinander. Nur manchmal begegnet er Kollegen mit ähnlich irrem Blick und fahrigem Wesen. Was ist es bei denen?— sinnt er. Auch bei denen die Großmutter? Oder der Großvater? Man redet darüber nicht, überall machen Denunzianten lange Ohren. Es geht um die Stellung. Um sich herum hört er tüchtige Streber mit den germanischen Namen ihrer Ahnen protzen. Grün vor Neid möchte man werden! Vor vierzehn Tagen traf ich ihn. Die Uniform hing ihm schlotternd am Leibe; er hat in wenigen Wochen zwanzig Pfund abgenommen. An den Schläfen dieses Dreißigers graute das Haar. Als er auf seinen Führerstand kletterte, reichte er mir eine fiebrige Hand und sagte: „Mensch, vergiften könnt' ich sie alle und meine Großmutter dazu..." Weh dir, Oskar, daß du ein Enkel bist! Er führ selbstverständlich los, ehe der
Schaffner das Signal gegeben hatte. Zwei alte Frauen hingen halb auf dem Trittbrett. Ein Wunder, daß nichts passierte. Und so prasseln wahrscheinlich Tausende, vom Arierparagraphen verfolgt, vom Geist ihrer Ahnfrau geschreckt, durch Deutschlands Weichen. Wenn ich daran denke, daß auch Lokomotivführer nachts wegen der Oma nicht schlafen, gruselt's mich. Auf einer Strecke nach Berlin wurde jüngst ein Haltesignal Oberfahren. Der Lokomotivführer hat sicher Oskars Krankheit. Jedoch das alles muß wohl so sein. Es muß verschiedene Völker geben, solche und solche. Jedes Volk muß sein Wesen nach eigenen Gesetzen und Paragraphen vollenden. Mögen sich die andern um Kunst und Wissenschaft und alle Welträtsel kümmern— die neuen Deutschen haben andere Sorgen. Wir leben zwar im Zeitalter der technischen Wunder, wir überfliegen Europa in wenigen Stunden, der ganze Erdteil wird eine Familie, die Welt wird klein vor lauter Entwicklung ringsum und unaufhaltbar international, demnächst wird jeder sein Weltentelefon in der Tasche haben— aber wichtiger als all das ist es für Deutsche , die Papiere der Großmutter in Ordnung zu haben. An diesem Wesen soll die Welt genesen... Und der Schluß der Geschichte? Sie hat noch keinen. Ueber das Ende werde ich euch noch berichten. Aber wenn ihr von einem Trambahn-Unglück in meiner Heimat hört— das ist Oskar. Gregor.