AB OKTOBER t_ SOZIALISTISCHE RCVOLL HOA! Monatsschrilt für die Probleme des Sozialismus

Selbstkritik als Ausgangspunkt

Von Rolf Reventlow. Genosse Stampfer hat imKampf" einen Beitrag zur Selbstkritik ver­öffentlicht, der als Ausgangspunkt der Diskussion um die Neuorientierung der sozialistischen Bewegung auf deutschem Boden dankenswerte Anregungen bietet aber auch zur Erwiderung herausfordert Eine möglichst lebendige Diskussion zu diesem Thema ist ja zudem in erster Linie für die numerisch bedeutende deutsche Emigration, in zweiter Linie für die in der Heimat verbliebenen Genossen see­lisch und geistiges Bedürfnis, soll nicht unter dem Eindruck des gegenrevolutio­nären Triumphes Resignation und Indif­ferenz um sich greifen, Vorweg: Genosse Stampfer verlangt von Jenen Genossen Wahrscheinfichkeits- beweise, die schon vordem oppositionell zur taktischen Ausrichtung der Partei standen, dafür, daß es anders gekommen wäre, hätte man es eben nach Meinung jener anders gemacht Dies scheint mir abseits der Erfordernisse einer Diskussion zu liegen, wie sie jetzt erforderlich ist Wie überhaupt der Abschnitt deutscher Geschichte von Weimar bis Potsdam schwerlich unter dem Gesichtswinkel be­trachtet werden kann, daß diese oder jene Stellungnahme mit soundsoviel Pro­zent Wahrscheinlichkeit zu diesem oder einem anderen Ergebnis führen konnte. Eine bessere Methode des Rückblicks dürfte es sein, das festzustellen, was un­zweideutig feststellbar i s t, nämlich erstens die Niederlage der deutschen Ar­beiterklasse und zweitens die Art ihrer Niederlage. Letzleres ist, mag auch die Erörterung weniger sympathisch sein, von besonderer Bedeutung, denn aus der wei­chenden Taktik in den letzten Entschei­dungen vom 20. Juli bis zu der verhäng­nisvollen Reichstagsabstimmungen resul­tiert die tiefe Depression, die den Auftakt zu neuer Aktion hemmt und mehr noch in Zukunft hemmen wird. Warum aber konnte die Partei seelisch und geistig nicht in die Offensive übergehen, die mög­licherweise nicht die meines Erach­tens viele Jahre schon weit unterschätz. ten Kräfte der Gegenrevolution zum Stehen gebracht, bestimmt aber histo­rische Fakten geschaffen hätte, aus denen der Geist der Rebellion uns weit stärker entgegenströmen würde, als es jetzt der Fall ist Genosse Stampfer beginnt in seinem Rückblick richtigerweise mit den Kriegskrediten, aus der sich seiner An­sicht nach vieles weitere zwangsläu­fig ergab; so beispielsweise, daß man nach Aufgabe der absoluten Intransigenz gegenüber dem Staat, den Versuch der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien machen mußte. Ja, warum denn eigentlich? Warum bedingt eine nicht absolute Intransigenz dem Staat gegenüber die Verpflich­tung derZusammenarbeit" mit bürger­lichen Parteien? Und ist nicht überhaupt, denken wir so die vielerlei Koalitionsdis­kussionen vergangener Jahre zurück, der Begriff der Zwangsläufigkeit in unseren Reihen als bequemes Auskunftsmittel bei unbequemen Erörterungen viel zu leicht­hin und viel zu oft gebraucht worden? Die politische Demokratie als erweiterte Rechtsordnung des deutschen Staates war unzweifelhaft ein Fortschritt für die Ar­beiterklasse, sofern sie sich ihrer im In­teresse ihrer Politik als Klasse bediente. Mußten wir wirklich alle Suppen des kai­serlichen Regimes auslöffeln, mußten wirklich unter unserer Verantwortung Offiziere des alten Regimes dieOrd­nung" in wohl nicht immer bedenkenfreier Weise herstellen, mußten wir unbedingt immer in der vordersten Linie der poli­tischen Verantwortlichkeit stehen? Man kann, stellt man diese Fragen, die Stel­lung einer sozialistischen Partei zur bürgerlichen Demokratie auch anders umreißen, man kann sich vorstellen, daß die Rolle der Opposition für mindestens ebenso wichtig angesehen wird, als die Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien, daß man, gerade wenn man die Demokratie als politische Methode ver­

ficht, die Opposition nicht anderthalb Jahrzehnte nur denen überläßt, die den Parlamentarismus prinzipiell bekämpften. Nun wird Genosse Stampfer die Wahr­scheinlichkeitsberechnung verlangen, oder zumindest auf Bayern verweisen, wo ja die Sozialdemokratie seit 1920 auch dieser Staatsstreich war kein erfreuliches Kapitel unserer Parteigeschichte an keiner Verantwortung beteiligt war und trotzdem nicht etwa im Siegeslauf der Wahlkämpfe das gesamte, das alte und das neue Proletariat für sich gewann. Zugegeben: doch ist natürlich die deutsche Politik, trotz mancher bayri­schen Sonderheit(auch innerparteilich) als Gesamtheit aufzufassen und zu bewer­ten. Es soll auch keineswegs behauptet werden die sogenannte Linke verfiel mitunter in diesen Fehler als sei Op­positionspolitik prinzipiell vorteilhaft für die Entwicklung der Partei und mit ihr schon das Problem der Taktik, der prin­zipiellen Stellungnahme sowie der Tages­politik gelöst. Das wäre reichlich simpli- zistisch. Wohl aber müssen wir heute sagen, daß ein wesentlicher Teil des Uebels, daß unsere Wählerzahl seit 1928 im Ergebnis ständig abwärts ging in jener Verdunklung des Bewußtseins des grundsätzlich anders sein als die Bür­gerlichen, liegt, die auch Stampfer fest­stellt. Niemals konnte die KPD . mit ihrer keineswegs guten Organisation und ihrer noch schlechteren Politik zu ihren Erfol­gen kommen, wenn nicht Millionen Pro­letarier ohne Irgendwie mit der kommu­ nistischen Politik verbunden zu sein, ja ohne die kommunistische Presse zu lesen, nicht einfach aus dem Streben eines stär­ker akzentuierten Ausdrucks der Arbei­terschaft im politischen Geschehen Deutschlands heraus kommunistisch ge­wählt hätten. Wir sprachen und schrie­ben vom deutschen Volk, von Volks- freiheit, von Volk sinteressen, wir inter­pretierten in bürgerliche Parteien ein demokratisches, ja sogar ein soziales Bewußtsein hinein, das sie nie besessen haben, wir sind auch Genosse Stamp­fer deutet das an ein wenig, oder auch sehr verbürgerlicht So haben wir uns auch nie um den Zentrumsarbeiter be­kümmert, sondern gemeint, er sei sozu­sagen ein proletarisches Element des klas­sengemeinschaftlichen Katholizismus, während das Oberhaupt der Kirche sich in seiner Enzyklika quadragesimo anno unzweideutig zum Ständefaschismus be­kannte. Ist es da eigentlich so verwun­derlich, wenn die Demokratie zum Tanz- boden der antidemokratischen Kräfte wurde, wenn zwischen sozialistischer Auf­fassung und der allezeit erduldeten Zwangsläufigkeit" des Mißbrauchs der Partei für bürgerlich klassenmäßig be­

dingte politische Handlungen eine Diver­genz aufbrach, der nur noch die Organi­sationstreue der Mitglieder, nicht jedoch die der Wähler standhielt, die vor allem den Weg verbaute, werbend über den erfaßten Kreis hinaus, der Vermehrung der proletarischen Existenzen entspre­chend wirksam zu werden, proletarisches Bewußtsein zu erwecken und in den Dienst proletarischer Politik zu stellen? Mit anderen Worten, das Ergebnis der Geschichtsperiode Weimar bis Potsdam hat die Vorstellung der mehr oder minder betonten volksgemeinschaftlichen Bindung ad absurdum geführt Wir kehren zum kommunistischen Manifest, zur Erkenntnis zurück, daß die Geschichte unserer Zeit in immer stärkerem Maße und allen phra­seologischen Umkleidungen unserer Geg ner zum Trotz eine Geschichte der Klas­senkämpfe ist, daß wir also Klassen Politik treiben müssen, das wir uns von der Verdunklung unseres Klassenbe wnßtseins durch allzulange und allzuenge Bindungen an eine bürgerliche Politik, die in dieser Form ja nunmehr nur noch der Geschichte angehört, ebenso befreien müssen, wie den Proletarier aus seiner vielfachen Differenziertheit des Empfin­dens als qualifizierter, als ungelernter, als arbeitsloser Arbeiter. Warum konnten wir nicht verhindern, daß die Demokratie zur Waffe der Antidemokraten wurde, daß erstmals in Deutschland der sonst nur als gewalttätige Minderheit auftretende Fa schismus einen entscheidenden Erfolg mit dem Stimmzettel errang? Weil wir uns in der bekannten Selbstzufrieden­heit des Arbeiters, der zeitenweise eine gute Stellung mit auskömmlichem Lohn innehat, selbst darüber täuschten, daß das Merkmal des proletarischen Schicksals die Instabilität ist, daß dieses proletarische Schicksal ja die weltumspannende Ge­meinsamkeit des proletarischen Menschen begründet, aus der heraus wir neu zum Internationalismus des Geistes und der Tat kommen müssen. Wenn wir in diesem Sinne, die not­wendige Neuorientierung des deutschen Sozialismus geistig zu umreißen. Taktik und Ziel der proletarischen Revolution in Deutschland zur aufrüttelnden Parole an alle Unterdrückten und Mißhandelten, an alle Ausgebeuteten und vom Kapitalismus zum Abfallhaufen der Ware Arbeitskraft Geworfenen zu münzen trachten, dann gilt es nicht, nun etwa dogmatische Pa­rolen der Intransigenz in allen politischen Lebenslagen zu formen, wohl aber die ge­sinnungsmäßige Kompromißlosigkeit des international orientierten, von der Arbei- terklasse ausgehenden und in ihr beruhen. den Bekenntnisses zum Sozialismus ober­sten Leitsatz unseres neu beginnenden Kampfes werden zu lassen.

Einigkeit als Endpunkt

Von Friedrich Stampfer . Die Polemik des Genossen Rolf R e- v e n 1 1 o v wendet sich zunächst gegen eine Stelle meines Artikels imKampf", die imNeuen Vorwärts" nicht wieder­gegeben war. Die Stelle lautet: ,Au£ alle Fälle wäre eine systematische und gründliche Untersuchung viel nützlicher als es eine sich In Einzelheiten verlierende systemlose Kritik sein könnte. Eine solche Untersuchung wird dann auch nicht unkri­tisch sein dürfen, manchen Kritikern gegen­über, die jetzt versichern, sie hätten es schon immer gesagt und nun hätten die Er­eignisse gezeigt daß sie recht gehabt hät­ten. Ehe man den Urteil dieser Kritiker zu­stimmt, wird man von ihnen zum mindesten den Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür ver­langen müssen, daß es anders gekommen wäre, wenn man ihre Ratschläge befolgt hätte." Wie man sieht, handelt es sich nicht um eine Bemerkung gegen die Kritiker überhaupt, und es wird von diesen Kritikern nicht verlangt, daß sie den Wahrscheinlichkeitsbeweis für die Rich­tigkeit ihrer Vorschläge führen müßten,

sondern es ist vonmanchen Kriti­kern" die Rede, die dann näher gekenn­zeichnet werden als diejenigen,die jetzt versichern, sie hätten es schon immer ge­sagt und, nun hätten die Ereignisse ge­zeigt, daß sie recht gehabt hätten." Damit sollte nicht mehr gesagt sein als dies: Rechthaberei und ewige Wie­derkehr zu dem schon immer Gesagten steht weder der alten Führung an, noch auch ihren Kritikern. Selbstkritik heißt nun einmal, daß man sich selber kriti­siert und nicht die anderen. Ich glaube. daß die alten Führer der sozialistischen Arbeiterbewegung. Sozialdemokraten und Kommunisten, Partei- und Gewerkschafts­führer, allen Anlaß zu schärfster Selbst­kritik haben. Ich glaube aber, daß diese Pflicht zur Selbstkritik auch für diejeni­gen besteht, die in der Vergangenheit Kritik geübt haben. Also nicht nur Selbstkritik der Führung, sondern auch Selbstkritik der Kritik! Ich glaube auch nicht, daß eine wirk­lich in die Tiefe gehende Kritik bei den Problemen der Koalitionspolitik halt ma­chen kann. Die Problematik liegt tiefer,

nämlich darin, daß wir uns nicht auf die Aufgabe beschränken konnten, gegen die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu kämpfen, sondern, daß wir zu gleicher Zeit auch für die Lebensmöglichkeiten der Arbeiterklasse innerhalb der noch bestehenden kapitalistischen Wirtschafts­ordnung kämpfen mußten. Dieses Pro­blem hat für die Kommunisten genau so gut bestanden wie für uns, und sie sind genau ebenso nur von der anderen Seite her an ihm gescheitert. An die praktischen Tagesbedürfnisse des Prole­tariats anzuknüpfen war auch für sie die Parole. Nur daß sie es mit dieser An­knüpfung nie sonderlich ernst nahmen, daß sie in Wirklichkeit gar keine Anstren­gungen machten, die Position des Arbei­ters in Staat und im Betrieb zu verbes­sern, sondern alles Gewicht auf die er­strebte revolutionäre Vernichtung der ka- pltalistisdien Gesellschaft legten. Diese. wenn man so sagen will ideale, von den realen Arbeiterinteressen abstrahierende Zielsetzung hat niemals eine so starke Anziehungskraft auf die Arbeiterklasse ausgeübt, daß sie die Mehrheit in ihren Bann hätte ziehen können. Die große Mehrheit forderte die Berücksichtigung ihrer unmittelbaren Interessen durch eine praktische, auf nahe Erfolge gerichtete Arbeiterpolitik. Eine solche Arbeiterpolitik hat nun die Sozialdemokratie getrieben. Und ich glaube, eine ernsthafte und gerechte Kritik wird zugeben müssen, daß sie das viele Jahre hindurch nicht ohne Erfolg getan hat. Ist der deutsche Arbeiter heute politisch geknechteter als in der Kaiser-* zeit, so muß zugegeben werden daß er in der Weimarer Republik freier war als er es jemals zuvor oder danach gewesen ist Ebenso war das Tarifwesen in Ver­bindung mit der Arbeitslosenversicherung zweifellos das sinnvollste System prak­tischen Arbeiterschutzes, das jemals in­nerhalb der kapitalistischen Gesellschaft bestanden hat War es notwendig, daß in der vergan­genen Zeit für die Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse mit ernsthafter Ab­sicht auf Erfolg gekämpft wurde, dann mußte man auch die Mittel wollen, ohne die der Zweck nicht zu erreichen war. Im einzelnen mögen"dabei noch so viel Fehler begangen worden sein, im großen und ganzen konnte es die Sozial­demokratie nicht ablehnen, mit bürger­lichen Parteien zusammen eine freiheit­liche Verfassung zu schaffen, für ein mo­dernes Arbeitsrecht zu sorgen, die Sozial­versicherung auszubauen usw. Durchaus recht muß ich dem Genos­sen Reventlow darin geben, daß diese Po­litik mit schweren Schattenseiten und Ge­fahren verbunden war.Die Verdunk­lung des Bewußtseins des grundsätzlich Andersseins" den Bürgerlichen gegenüber hat in der Tat die Sozialdemokratie ge­schwächt und die im Endeffekt nur dem Faschismus zugutekommenden Kräfte der KPD. gestärkt. Ich glaube aber nicht, daß dieseVerbürgerlichung" eine not­wendige Folge der unvermeidlichen Koa- ntionspolitik war, sondern ich sehe den Grund einmal in einer ideologischen Un­klarheit. zum andern in der Schwerfällig­keit und geringen Manövrierfähigkeit des aus Gewerkschaft, Angestellten­verbänden usw. umständlich zusammenr gesetzten alten Apparats. Die ideologische Unklarheit Ist, wie mir scheint, von zwei Seiten zugleich ge­fordert worden; sowohl von den Genos­sen, die über der praktischen Tagesarbeit die letzten Ziele der Partei vergaßen, als fi vo" Jenen anderen, die In jedem tak­tischen Zusammengehen mit bürgerlichen Gruppen einen Verrat an den sozialisti­ schen Grundsätze, witterten. Die geringe Manövrierfähigkeit des Apparats erwies sich aber, als monatelang zwischen der Partei, den Gewerkschaften und Ange­stelltenverbänden Ober ein gemeinsa­mes sozialistisches Aktions- Programm hin und her verhandelt wurde. Längst hatte sich klar gezeigt, daß die sozialpolitischen Errungenschaften nicht mehr unversehrt zp halten waren. weil der Grund, auf dem dieses Gebäude Sr"» u{er?0den der kapitalistischen Wirtschaft selbst, wankte. Man hat den