Redaktion und Verlags Karlsbad , Haus„Graphia" Tel. IOM Preis der Einzelnommer TT' � A A f\ �Im Ausland Kd 2.-) i\-C X•4vJ
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f vwvw � Sozialdemokratisches Wochenblatt
Nr. IS Sonntag, 24. Sept. 1933 BengspreU Im Quartal 1/ X-f Q (Im iasland Ki 24�) JVC iO."
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Die Anklage gegen Torgler und Genossen lautet nicht nur auf Brandstiftung, sondern auch auf Hochverrat Hochverrat begeht man dadurch, daß man eine Verfassung gewaltsam umzustürzen versucht. Welche Verfassung hat Torgler umzustürzen versucht, und was ist aus dieser Verfassung seitdem geworden? Torgler wurde am* 28. Februar verhaftet, als er in das Polizeipräsidium gegangen war, um den Beamten die Unsinnigkeit der gegen ihn erhobenen Brandbeschuldigung klar zu machen. Seine umstürzlerische Tätigkeit kann sich also nur gegen d i e Verfassung gerichtet haben, die damals noch in Kraft war— und das •st die Verfassung von Weimar. Hitler war damals seit vier Wochen Reichskanzler. Er war dazu vom Reichspräsidenten — der nach den Vorschriften des Art 41 vom ganzen deut schen Volke gewählt war und der, wie Art 42 verlangt, die Verfassung beschworen hatte— auf Grund Art 53 derselben Verfassung zum Reichskanzler ernannt worden und hatte gleichfalls die Verfassung beschworen. Der Reichstag war nach Art 25 aufgelöst die Neuwahl war im Sinne desselben Verfassungsartikels Angeleitet Unter Berufung auf Art. 48 der Verfassung waren außerordentliche Maßnahmen, die angeblich dem Schutz der verfassungs- und gesetzmäßigen Ordnung dienen sollten, verfügt. Nachher wurde sogar auch noch wirklich ein Reichstag gewählt der bis zum 17. Mai funktionierte. Es kann also nicht der leiseste Zweifel daran bestehen, daß die Verfassung, ge- 8en die sich der gewaltsame Umsturzversuch Torglers gerichtet haben soll, die Verfassung des Deutschen Reiches vom fk August 1919 war, die Verfassung von Weimar. Weil Torgler diese Verfassung umzustürzen versuchte— die Brandstiftung im Reichstag soll ja nur ein Mittel dazu gewesen sein— darum steht Torgler jetzt vor dem Reichsgericht und darum hat Hitler für ihn und seine Mit- Jjeschuldigten in öffentlicher Rede den Tod am Galgen verlangt, Torgler soll gehängt werden, weil er versucht haben soll, was Hitler getan hat, weil er geplant haben soll, was H i t- lerausgeführt hat, weil er eine Verfassung zerstören wollte, die seitdem von Bitler und seinen Spießgesellen bis auf den 'stzten Rest vernichtet worden ist! * Am 15. September hat der preußische Ministerpräsident G ö r i n g, höchst feierlich auf einem Thronsessel Friedrich des Großen sitzend, den von ihm selbst erfundenen Preußischen Staatsrat eröffnet Die Sitzung wurde wieder geschlossen, ohne daß jemand anderer zu JVort gekommen wäre als Göring selbst Schweigend nahmen die preußischen Granden die Feststellung entgegen, daß ®ie nichts zu beschließen hätten, da die Autorität von oben komme und ganz oben wdren nicht, sie, sondern Er. Auch der Gewissenhafteste Erforscher des gegenwärtigen staatsrechtlichen Zustandes— �'ird keine andere Funktion der neuen Preußischen Staatsräte erblicken können ?'s die, an jedem Monatsersten 1000 Mark 111 Empfang zu nehmen, deren Genuß sie,
wie ihre Ernennung selbst, einzig und allein der Gnade des Selbstherrschers aller Preußen verdanken. Göring hat dem„korrupten Parlamentarismus", dem„furchtbaren System der Vergangenheit" die Grabrede gehalten. Es gibt keinen Reichstag und es gibt keinen Preußischen Landtag mehr!(Warum sollte da van der Lübbe den Sitzungssaal des Reichstages nicht anzünden, wenn man ihn doch nicht mehr brauchte?) Aber etwas von dem korrupten Parlamentarismus und dem furchtbaren System der Vergangenheit ist doch noch übrig geblieben. Das sind die Freifahrkarten und die 600 Mark Monatsdiäten der nationalsozialistischen und gleichgeschalteten Abgeordneten. Die furchtbare Zeit, in der man für das Geld auch etwas tun mußte, ist vorbei; heute bekommt man es für das Nichtstun und die vorschriftsmäßige Gesinnung. * Nachdem Hitler schon vor Wochen die Revolution für beendet erklärt hat, müßte man eigentlich annehmen, daß an die Stelle der alten durch Gewalt, Eid- und Treubruch umgestürzten Verfassung eine neue getreten sei. Daß dies nicht der Fall ist, hörten wir jetzt von Göring selbst. Der sprach am 15. September: Wir stehen heute an diesem Wendepunkt des Staatslebens. Die nationalsozialistische Staatsverfassung, die in diesem Staatsrat zum Ausdruck kommt, gilt heute nicht nur in Preußen, sie wird hinausstrahlen in das 'ganze Reich. Sie ist der erste Versuch, zu beweisen und zu zeigen, daß dieses System der Arbelt das richtige ist. Deshalb dürfen wir vom Wendepunkt des
Staatslebens sprechen, dürfen davon reden, daß hier ein Grundstein nationalsozialistischer Staatsverfassung in Preußen und damit auch im Reiche gelegt wird. Denn wir sehen die letzte und größte Bedeutung des heutigen Tages darin, daß mit der Schaffung des neuen Staatsrates in Preußen der Grundstein zu einer wahrhaft nationalsozialistischen Staatsverfassung gelegt wird, daß insbesondere an Stelle des Staatsorgans, das aus dem durchaus undeutschen Boden des westlichen Parlamentarismus gewachsen war ein Führergremium gesetzt wird, welches urgermanischem und damit rein nationalsozialistischem Denken und Fühlen entspricht. Wir sind ferner des Glaubens, daß die Auswirkung dieses Ereignisses sich nicht allein auf Preußen beschränken, sondern weit darüber hinaus den Gang der Entwicklung beeinflussen wird überall da, wo nationalsozialistisch gedacht und regiert wird. Nachdem am 27. Februar das Parlament angezündet und so mit der Vernichtung des Parlamentarismus begonnen worden war, ist das Zerstörungswerk folgerichtig fortgesetzt worden— bis zum 15. September, an dem der preußische Ministerpräsident nach seinen eigenen Worten erst den„Grundstein zu einer wahrhaft nationalsozialistischen Staatsverfassung" legte, und zwar nicht nur für Preußen, sondern großmütiger Weise auch für das Reich... * Nun aber zurück nach Leipzig ! Der Oberreichsanwalt Werner hat schon so viele Hochverratsanklagen gegen Kommunisten vertreten, daß er sämtliche Schuldbeweise aus dem Schlafe hersagen kann. Und es ist ja zweifellos auch wahr
Der Despot träumt
— die Kommunisten selbst haben es nie bestritten— daß die Beseitigung der Verfassung von Weimar mit gewaltsamen Mitteln in der Richtung ihres Programms lag. Zwar haben sie nie einen ernsthaften Angriff unternommen, haben sie sich an Energie und Zielklarheit der verfassungsfeindlichen Absichten von den Nationalsozialisten hundertmal übertreffen lassen, zwar haben sie infolgedessen für ihre eigenen Absichten gar nichts erreicht und nur dem Faschismus den Sieg erleichtert — doch sind das Dinge, für die sie sich vor der Geschichte zu verantworten haben, aber nicht vor dem Reichsgericht in Leipzig . Denn die Verfassung, deren gewaltsamen Sturz sie naph der Anklage des Oberreichsanwalts geplant haben sollen, besteht nicht mehr. Alle Brandstiftungen, Morde, Festsetzungen von Geiseln und sonstigen Terrorakte, die geplant zu haben sie der Oberreichsanwalt bezichtigt, haben sie nicht mehr begehen können. Die Nationalsozialisten haben ihnen die Mühe abgenommen. S i e haben brandgestiftet, gemordet, Geiseln festgesetzt und grausamsten Terror ohne Maß und Ziel verübt. Wenn Torgler den Tod am Galgen verdient haben soll, weil er vielleicht daran dachte, später einmal das zu tun, was die Hitler , Göring , Göbbels , Röhm, Heines und Konsorten wirklich taten — welche Todesstrafe müßte dann erst für die Hitler, Göring , Göbbels , Röhm, Heines und Konsorten erfunden werden? Sie zu ersinnen, reicht selbst ihre eigene Henkerphantasie nicht aus! Ja, und was— was würden erst d i e Richter verdienen, die auf Befehl Hit lers , die Torgler , T a n e f f, D i m i- t r o w und Popow dem Henker ausliefern wollten? Mögen diese Richter wissen, daß hinter der Macht, die sie zu dem Verbrechen des Justizmordes verleiten will, eine andere steht, vor der sie sich noch einmal zu verantworten haben werden! Es kommt ein Tag des Gerichts auch über das Reichsgericht! Verurteilung oder Freispruch— am Ende des Brandstifterprozesses steht das Todesurteil über das System!
Tod und Zuditham! In Lübeck verurteilte ein sogenanntes Schwurgericht die Reichsbannerkameraden K a e h d i n g und F 1 c k zum Tode. Kaehding wurde in der Zeile erhängt aufgefunden. Selbstmord? In Bonn erhielten die Sozialdemokraten Klett und Sattler je 12 Jahre Zuchthaus, Schulz 11 Jahre Zuchtbaus, Dick 10 Jahre Zuchthaus , L e m m e r und Schröder je 8 Jahre Zuchthaus. Die Verurteilten hatten sich von den braunen Mördern nicht wehrlos abschlachten lassen wollen. Dafür wurden sie mit Tod und Zuchthaus bestraft, während die braunen Mörder nicht nur frei herumlaufen, sondern die fettesten Pfründen des Dritten Reiches erhalten. Die Namen der Richter, die solche Urteile fällen, dürfen nicht vergessen werden. Es kommt der Tag des Gerichts über sie!