Keine Redite- aber mehr Lasten
„Ob wir schon im Augenblick zu einem materiell glücklichen Zustand kommen, ist nicht zu erheblich"... Reichsminister Dr. G ö b b e I s (Rede im Sportpalast vom 14. Sept.) Angeblich sind 2 Millionen Arbeitslose wieder in Beschäftigung, angeblich ist der Arbeitsmarkt nicht nur saisonmäßig entlastet, angeblich gibt es in Deutschland auch einen starken konjunkturellen Aufschwung, angeblich ist durch den Abschluß der nationalen Revolution das Vertrauen wieder hergestellt und die Unternehmungslust gestiegen. In Wirklichkeit aber graut es den Machthabern vor dem bevorstehenden Winter mit seinem neuen Steigen der Arbeitslosenziffern und der unvorstellbaren Not der aller Reserven beraubten, durch die Kürzung oder Streichung der Wohlfahrtsunterstützungen verelendeten Massen. In der Republik hatten die Arbeitslosen ein Recht auf Unterstützung und so gering diese Unterstützung war, so sehr sie seit der Zurückdrängung des sozialdemokratischen Einflusses gekürzt worden war, so war es doch gelungen, die Arbeitslosen vor dem Schlimmsten zu behüten. Und als der Winter kam, konnte eine Winterbeihilfe für Nahrung und Kleidung aus öffentlichen Mitteln gesichert werden. Die Hitler -Herrschaft hat nicht nur sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitslosen im großen Umfang die Unterstützung geraubt, sie hat nicht nur tausende von Arbeitslosen zu unterbezahlter Zwangsarbeit verurteilt, sie hat vor allem die bankrotten Kommunen zu immer weiteren Kürzungen der Unterstützungssätze gezwungen. Wir wissen nicht, ob die im Auslande verbreitete Schätzung von 800 Millionen, die an den Gesamtausgaben für die Arbeitslosen erspart worden seien, zutrifft. Daß es sich aber um einen Raub von hunderten Millionen an den Aermsten dei Armen handelt, das unterliegt keinem Zweifel. Das Schlimmste aber ist, daß das Hitler-Regime gar nicht imstande ist für die erhöhten Anforderungen der Wintersnot eine ordnungsgemäße finanzielle Vorsorge zu treffen. Anstatt öffentliche Mittel zur Verfügung zu stellen, auf die die Arbeitslosen rechtlichen Anspruch hätten, wird eine allgemeine Bettelei organisiert, deren zufälliger und unbestimmtei Ertrag den Arbeitslosen als Almosen der Nationalsozialisten geschenkt wird. An jedem ersten Sonntag soll, wie Göbbels auf der Tagung„Kampf gegen Hunger und Kälte" verkündete, in allen Häusern, in Gastwirtschaften und Hotels mittags nur ein Eintopfgericht zum Preis von 50 Pfennig pro Person verzehrt werden. Die dabei ersparten Gelder würden abgesammelt werden. Die Inhaber von Bank- und Postscheckkonten würden aufgefordert, monatlich einen bestimmten Betrag von ihrem Konto abbuchen zu lassen(was wahrscheinliQh zu einem raschen Verschwinden vieler dieser Konten in der nächsten Zeit führen wird). Dann wird eine SO-Pfennig-Brieflotterie eingeführt, und es werden Lebensmittelsammlungen auf dem Lande veranstaltet. Die Vergnügungsstätten sollen den Reinertrag eines Abends abliefern und den Armen möglichst viel Freikarten zur Verfügung stellen, offenbar um den Hunger leichter vergessen zu machen. Den Machthabern selber mag es wohl scheinen, daß diese ganze Bettelei trotz des Terrors, den die nationalsozialistischen Werber auf die nichtnationalsozialistische Bevölkerung ausüben werden, nicht gar zu erfolgreich sein wird. Darum verkündet Göbbels so ganz nebenbei eine Maßnahme, die in der Tat einen gewissen Erfolg versprechen kann: Mit den Angestellten- und Beamtenverbänden werden Verhandlungen zwecks gestaffelter Abzüge zugunsten des Wfnterhfffswerks aufgenommen. Mit anderen Worten: es wiederholt sich der Schwindel mit der „Hitler-Spende zur Förderung der nationalen Arbeit". Damals wurden die Arbeiter gezwungen 1 bis 5 Prozent ihres Arbeitslohnes„freiwillig1* abzuliefern. Der
Arbeitgeber behielt diese Spende zugleich mit der Lohnsteuer ein und lieferte sie an das Finanzamt ab. Kein Lohnempfänger konnte sich dieser„Freiwilligkeit" entziehen, bei Gefahr der Entlassung, und während der Reichswirtschaftsminister und andere Reichsinstanzen immer wieder Verordnungen erließen, die vor Anwendung jedes Zwanges gegenüber den Unternehmern warnten, mußten die Arbeiter, Angestellten und Beamten diese Erhöhung der Lohnsteuer über sich ergehen lassen. Auch jetzt werden es wieder die Proletarier sein, die durch eine als freiwillige Spende getarnte Steuererhöhung gezwungen werden, die Hauptlast für die Winterhilfe zu übernehmen, während sich die Besitzenden mit einigen Bettelpfennigen loskamen werden. Göbbels aber deklamiert: „Was am 1. Mai zum ersten Male demonstrativ in Erscheinung trat, das werde hier in der Tat lebendig werden: Die Schranken, die Bürger und Proletarier von einander trennen, sind niederge- risse n." Hitler selbst aber preist die nationale Solidarität, wie dieser Gelbe sie versteht: „Wenn wir den Gedanken der nationalen Solidarität richtig auffassen, dann kann es nur ein Gedanke des Opferns sein." In der Tat es sind unerhörte Opfer, die von der Masse des deutschen Volkes verlangt werden! Aber verdammt einseitig sind diese Opfer, denn sie werden ausschließlich den Besitzlosen auferlegt um die Kapitalherrschaft der Krupp und Thyssen, um die politische Herrschaft der Hitler und Göring zu stärken und zu befestigen. Der ungeheure Tamtam, mit dem die Hitler und Göbbels diese Aktion eingeleitet haben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie ein Eingeständnis der völligen finanziellen Hilflosigkeit
Die Hitlerregierung hat der Arbeitslosigkeit den Krieg angesagt Eine ihrer ersten Kampfhandlungen war die Einrichtung der sogenannten Ehestandsbeihilfen. Davon hat sie der Welt die Abnahme der Arbeitslosigkeit um 600.000 bis 1,000.000 versprochen. Die Hitlerregierung pflegt sonst ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, aber diesmal schweigt sie sich über die Wirkung dieses Wundermittels zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aus. Die Ehestandsbeibilfe ist kein Geschenk, sondern ein Darlehen, das in Jahresraten von 12 Prozent, also innerhalb von 8 Jahren, zurückgezahlt sein muß. Die Gewährung des Darlehens ist an die Bedingung geknüpft, daß die Ehefrau vor der Verheiratung mindestens sechs Monate im Arbeitsverhältnis gestanden hat Es ist ja nicht anzunehmen, daß sich die weiblichen Heiratslustigen darum reißen, um eines Darlehens von 1000 Mark willen ihre Arbeitsstelle aufzugeben, ohne die geringste Spur einer Sicherheit daß der Ehemann, wenn er schon zur Zeit der Verheiratung Arbeit hat, nicht über kurz oder lang arbeitslos wird. Der sonst so großsprecherische Göbbels würde, wenn das Gesetz eine nennenswerte Wirkung gehabt hätte, nicht unterlassen haben, sie vernehmlich auszuposaunen. Die auffallende Schweigsamkeit über diesen Punkt allein läßt darauf schließen, daß die Ehestandsbeihilfe ein Versager ist. Ganz deutlich geht aber das Fiasko aus einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Verordnung hervor, durch die die Bedingungen, an die die Gewährung der Beihilfe geknüpft ist, fast völlig fallen gelassen werden.
des Regimes darstellt. Selbst die dringendsten Pflichten des Staates können nicht mehr erfüllt werden. Und das obwohl das Regiment selbst vor der Weitererhebung der unsozialsten und verhaßtesten Steuerarten, die die Nationalsozialisten in der Opposition aufs wildeste bekämpft haben, nicht zurückschrecken. So hat das Reichskabinett beschlossen, die B ü r g e r s t e u- e r, die berüchtigte„Negersteuer" für das Kalenderjahr 1934 zu verlängern. Zugleich ist die Steuer auf einen weiteren Personenkreis ausgedehnt, so daß in Zukunft nicht nur wie bisher die bisherigen Besitzer des Wahlrechts, sondern auch Minderjährige(!) mit eigenem Einkommen, die Angehörigen der Reichswehr und Personen, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind(!), steuerpflichtig sind. Diese unsoziale Kopfsteuer ist seinerzeit von der bürgerlichen Reaktion unter dem Vorwande durchgesetzt worden, daß auch die besitzlosen Gemeindeangehörigen zu den Gemeindelasten direkt herangezogen werden müßten, um das„Verantwortungsgefühl" zu steigern. Die Gewerbe- und Grundsteuern sollten nicht erhöht werden dürfen ohne gleichzeitige Erhöhung der Bürgersteuem. Dadurch hoffte man die Besitzenden vor Steuererhöhungen in den Gemeinden zu sichern und die kulturellen und sozialen Ausgaben niedrig halten zu können. Unter dem nationalsozialistischen Regime ist das Wahlrecht völlig bedeutungslos, der Einfluß der Arbeiter auf die Gemeindeverwaltung völlig ausgeschaltet worden. Aber die Steuer wird verlängert. Die Rechte werden beseitigt, die Pflichten werden verschärft. Es ist schon so, wie Herr Göbbels sagt: den Nationalsozialisten ist ein materiell glücklicher Zustand der Massen nicht erheblich. Dr. Richard Kern.
Nach dem Gesetz mußte die Ehefrau in der Zeit vom 1. Juni 1931 bis 31. Mai 1933 sechs Monate in Arbeit gestanden haben. Jetzt können die sechs Monate Arbeitsverhältnis zwischen dem 1. Juli 1928 und 31. Mai 1933 liegen. Es braucht aber nicht einmal ein richtiges Arbeitsverhältnis zu sein, es genügt, wenn die Ehefrau bei ihren Verwandten in aufsteigender Linie gearbeitet hat. Im Gesetz wird diese Art der Beschäftigung nicht als Arbeitsverhältnis angesehen. Aber auch diese Bedingung muß nicht unbedingt erfüllt sein, denn der Reichsfinanzminister kann Jetzt Ehestandsdarlehen ausnahmsweise auch dann zubilligen, wenn nicht alle Voraussetzungen des Gesetzes gegeben sind. Neuerdings gehen auch Privatbetriebe dazu über, die Ehelust durch Geldzuwendung anzureizen. Der R e e m t s m a-Konzern, der einen großen Teil der Zigarettenindustrie beherrscht, hat sich völlig gleichgeschaltet, und von ihm wird behauptet, daß er zu einem der besten Geldgeber für die SA gehörte. Er hat vor einigen Wochen die Mitteilung durch die Presse gehen lassen, daß er in Ergänzung einer Maßnahme der Reichsregierung solchen weiblichen Arbeiterinnen einen Zuschuß gewährt, die sich bereit erklären, bis zum Jahresende zu heirate und den Betrieb zu verlassen, um den Arbeitsplatz für eine männliche Arbeitskraft freizumachen. Der Reemtsma-Konzern hat für diesen Zweck rund eine viertel Million Mark zur Verfügung gestellt und zahlt jedem Mädchen, das auf diese Weise in den Hafen der Ehe einfah
ren will, eine einmalige Unterstützung von 600 Mark. Es sind im ganzen 450 Meldungen eingegangen, was für diesen großen Konzern, der überwiegend weibliche Arbeitskräfte beschäftigt, nicht gerade viel ist Eine große Anzahl der Bewerberinnen stellt überdies gewisse Bedingungen, z. B. daß der spätere Ehemann die Stelle bekommt oder daß das Arbeitsverhältnis des Mädchens bis Ende des Jahres oder doch wenigstens bis Weihnachten fortgeführt wird. Ob die Direktion des Reemtsma-Konzems auf
Emigranten, deutschen Flüchtlingen bietet sich Beteiligung an gutem Unternehmen der Auto-und Maschinenbranche in der ÖSR. Zuschriften erbeten unter:„Tüchtiger Fachmann" an diese Zeitung
solche Bedingungen eingeht, ist nicht bekannt. Dagegen wird als sicher gemeldet, daß sie nicht alle der 450 auf diese Weise freiwerdenden Stellen mit Männern besetzen will, sondern nur die Hälfte. Die Wohltätigkeit des Reemtsma-Konzems stellt sich also als die raffinierte Bemäntelung eines Belegschaftsabbaues dar. Der Jahreslohn von 250 Arbeiterinnen dürfte ungefähr eine Viertelmillion Mark ausmachen. Der einmaligen Ausgabe von 250.000 Mark steht gegenüber, daß der Belegschaftsabbau eine dauernde Lohnersparnis ermöglicht— von der Reklaraewirkung gar nicht zu reden! Die„Wohltat" erweist sich also als ein gutes Geschäft.
SA gegen Bettler In einem Runderlaß verfügt Göring : „Erfahrungsgemäß wird das Fhiblikum häufig von bettelnden Personen getäuscht. In vielen Fällen sind Bettler nicht nur jeder Unterstützung unwürdig, sondern häufig haben sie ein nicht unbeträchtliches Einkommen. Das Fhiblikura ist daher darauf hinzuweisen, daß die Unterstützung von einzelnen Straßenbettlern nicht angebracht ist, sondern daß es sich statt dessen empfiehlt, die Beträge und Gaben, die bisher Bettlern verabreicht wurden, den anerkannten Einrichtungen der öffentlichen oder privaten Wohlfahrtspflege zu überweisen. Deshalb sind nach Fühlungnahme mit der zuständigen Leitung der SA. und SS. Maßnahmen zu einer wirkungsvollen Bekämpfung des Bettelwesens vorzubereiten, damit das Winterhüfswerk einen vollen Erfolg erzielen kann." Die SA. und SS. werden also in der nächsten Zeit damit beschäftigt sein, den Bettlern ihre Pfennige abzujagen— eine würdige Aufgabe, die diesen Leuten gestellt ist.
Ihr„Sozialismus66! Die„Deutsche Bergwerkzeitung", das berüchtigste Unternehmerblatt Deutsch lands , schreibt:„Es war das Wort Soziallsmus, das weite Kreise des Bürgertums, namentüch auch der U n- ternehmerschaft und der Intellektuellen, veranlaßte, der Bewegung Adolf Hitlers gegenüber längere Zeit eine abwartende und zögernde Haltung einzunehmen... Heute hat sich längst herausgestellt, daß hier ein großes Mißverständnis obwaltete. Mehr als die nationalsoziaüstische Werbung haben die Taten der neuen Regierung die Einsicht geweckt, daß der Sozialismus des Dritten Reiches das gerade Gegenteil von dem ist, was der Marxismus als Soziaiismus bezeichnet..."
Engelbert Graf ermordet? Von einem deutschen Sozialisten, der aus dem Konzentrationslager Oranienburg flüchten und sich über die französische Grenze retten konnte, erfährt das Züricher„Volksrecht", daß vor kurzem der im gleichen Konzentrationslager eingekerkert gewesene frühere Reichstagsabgeordnete Georg Engelbert Graf von Nazi ermordet worden ist Die Mörder haben auch in diesem Falle versucht, ihre scheußliche Bluttat mit einer Lüge zu decken, indem sie vorgaben, Graf sei an Herzschwäche gestorben. Tatsächlich ist aber Genosse Graf von seinen Kerkermeistern auf grausame Art ums Leben gebracht worden. * Eine Bestätigung dieser Nachricht steht noch aus. Wir hoffen immer noch, daß sie sich nicht bewahrheitet.
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Ehestandshilfe Ein öffentlicher Versager und ein privates Geschäft