Redaktion und Verlag: Karlsbad , Haus„Graphla" Tel.<081 Preis der Einzelnummer 17" v 4 A C\ (Im Ausland kc 2.-) J\.C 1 oTfVJ Auslandspreise LinzeLnumm. ricrteljähr] Argentinien ... Pes. 0J0 Pes. ÄÄ) Belgien ..... Frs. 2.— Frs. 24.— Bulgarien .... Lew. 8.— Lew. 96.— Danzlg..... Guld. 0.30 Quid. 3.60 Deutschland ... Mk. 0.25 Mk. 3.- EsV nd..... E.Ki 0.22 E. Kr. 2.64 Finnland .... Fmk 4.- Fmk. 48.— Frankreich ... Frs. 1.50 Frs. 18.— Großbritannien .. d. 4.— sh. 4.— Holland ..... Old. 0.15 Gld. 1.80 Italien ...... Lir 1.10 Lir. 13.20 Jugoslawien ... Din. 4.50 Din. 54.— Lettland .... Lat 0.30 LaL 3.60 Nr. 24 Sonntag, 26. Not. 1933 Bczogiprel» Im Quartal 1/ v, o (Im Auiland K£ 24�) IV C iO." Aosl&ncUpreue Litauen.... Luxemburg ,. Norwegen.,. Oesterreich.. Pallstina... Polen ..... Portugal. ,, Rumänien .. Saargebiet.. Schweden ... Schweiz. ,. Spanien ... Ungarn .... USA ....•. Sozialdemokratisches Wochenblatt liiiiiünmffe mi„Docroarb Ein hessischer Bluterlaß: Wer den„Vorwärts" verbreitet, wird erschossen Am Dienstag vor dem 12. November wurde in Darmstadt folgendes amtlich bekannt gemacht: »Wie das Staatspresseamt mitteilt, wurden am Montagabend in Friedberg einige Exemplare des in Prag gedruckten »Neuen Vorwärts", herausgegeben von der im Ausland belindiichen SPD - Leitung, gefunden. Da vermutet wird, daß frühere Angehörige der SPD und KPD als Verbreiter in Frage kommen, wurde eine Krößere. Anzahl SPD - und KPD -Funktionäre— darunter auch eine Frau festgenommen und nach Osthofen 1 n d a s Konzentrationslager gebracht. Auch in Gießen sind ähnliche Drucksachen gefunden worden, die von der SPD herausgegeben worden sind. Die Bevölkerung Qnd besonders ehemalige Angehörige der SPD und KPD werden bei dieser Angelegenheit aufgefordert, beim Auftauchen derartiger Flugblätter oder, wenn solche finen mit der Post oder sonstwie zuge schickt werden, diese sofort bei der Po lizeibehörde zwecks Meidung schwerer Strafen abzuliefern. Die Polizeibehörden haben die Anweisung, gegen Flugblattver feiler der SPD und KPD mit den schärf- sten Maßnahmen, auch mit Schuß Waffe, vorzugehen." • Die Verhaftungen im ehemaligen Freistaat Hessen sind durch den presseamt- "chen Bericht selbst als G e i s e 1 v e r Haftungen gekennzeichnet. Die Polizei konnte der wirtclichen„Missetäter", die jkn„Vorwärts" verbreitet hatten, nicht habhaft werden— also verhaftete sie jvahllos und zum Zwecke der Abschrek kung ehemalige Funktionäre der Sozial demokratischen, sowie auch der Kommu- "istischen Partei Daß im Dritten Reich �vegen Verbreitung des„Vorwärts" sogar dich Kommunisten als Geiseln verhaftet werden, ist kennzeichnend für jenen pundsätzlichen Verzicht auf jede �ogik, der das Wesen des herrschenden Systems ausmacht. Bei all seinen Taten hegen Grauen und Gelächter eng neben- einand€r. Unschuldige werden für die Verbre- chen des„Neuen Vorwärts" durch Verlust 'hrer Freiheit für unbestimmte Zeit be- sfraft. Gegen die sozusagen„Schuldigen" aber wird ein generelles Todesur- ' e i 1 erlassen, das ohne weiteres Anklagend Prozeßverfahren sofort zu vollstrek- ken ist Die Polizeibehörden haben die Anweisung, gegen die Verbreitung der- n�Ser Druckschriften mit den schärfsten "aßnahmen, auch mit der Schußwaffe vorzugehen. . Verbreitung des„Neuen Vorwärts" Wkd in Hessen mit dem Erschießen be- ?|raft. Das wird fünf Tage vor dem 12. �vember amtlich bekanntgegeben! „Trotzdem stimmen 64.000 hessische Wähler gegen das Regime! • Hessen ist nicht Ostpreußen oder Pom- !llern. Es ist ein Land mit alter politischer Jn'fur. Wie Bayern , Württemberg und •~aden ist es ein bewußt und betont un- vr e u ß j s c h e s Land. Sinn für Freiheit fpört zu den Stammeseigentümlichkeiten; ln allen Bevölkerungsschichten gemetn- a,1ies Volksbewußtsein mildert die Schärfen zwischen Höheren und Niederen, zwischen Herrschern und Beherrschten. Das war einmal! Heute ist der„demokratische Süden" dem militaristischen Norden gleichgeschaltet, und das Darmstadt von 1933 ist nichts anderes als das Pots dam von 1733. Barbarische Gleichmacherei vereinigt alle Stämme der deutschen Nation auf demselben Niveau der Bestialität. Der politische Gegner ist nicht mehr der wir zahlreich aus allen Gegenden des Reiches erhalten, wissen sehr wenig von Freilassungen, desto mehr aber von Massenverhaftungen an allen Ecken und Enden, von Brutalitäten ohne Maß und Ziel. Die bürgerliche Welt ist müde geworden, von diesen Dingen zu reden oder zu hören. Sie nimmt sie bestenfalls mit höflichem Bedauern als unabänderliche Tatsachen hin. Gäbe es nicht das internatio- »Audi mit Schußwaffe vorzugehen« Volksgenosse, der gleichberechtigte Mitmensch, den man mit geistigen Waffen bekämpft, er ist Freiwild, das sich in Höhlen verkriechen muß, um leben zu können, und das man, wo es sich zeigt, mit wohlgezielten Schüssen erledigt « Die französische„Havas '-Agentur hat neulich dem Regime den Gefallen getan, von einer bevorstehenden„Amnestie" zu reden. Seitdem wird diese Phrase von der Weltpresse gedankenlos nachgebetet, Amnestie von wem, für wen, für was? Ist es eine„Amnestie", wenn eine Verbrecherbande von einigen zehntausend unschuldigen Menschen, die sie widerrechtlich gefangenhält, ein paar Hundert laufen läßt, um sie bei der nächsten Gelegenheit wieder zu holen? Und wen hat man überhaupt freigelassen? Die Berichte, die nale sozialistische Proletariat, so fände der Schrei der getretenen Kreatur bald kein Echo mehr. Mag es so sein— aber man widerstehe wenigstens der Versuchung, die Taten des Regimes gefällig zu verschönen, indem man von„Amnestie" redet! Amnestie heißt soviel wie Vergessen— aber was hätten die heutigen Machthaber Deutsch lands sonst zu vergessen als die Verbrechen, die sie s e 1 b e r begangen haben und die sie mit jedem Tage neu begehen!? Für diese Verbrechen darf es kein Vergessen geben und wird es keines geben! • Tod durch Erschießen für Verbreitung oppositioneller Druckschriften fünf Tage vor einer Volksabstimmung und Reichstagswahl— auch der Todfeind des heutigen Systems hätte das nicht erfinden können! Keine Phantasie reicht dazu aus. Es ist das System selbst, das seine Greuelnachrichten produziert. Und nur dort, wo es von E r- sc hießen, Erhängen und Köpfen spricht, gibt es sich, wie es ist, nur dort lügt es nicht, nur dort verstellt es sich nicht. Vor etwa zwei Jahren wurde die Welt durch jene„Boxheimer Dokumente" überrascht, in denen sich der Geist des Dritten Reiches offenbarte. Auch sie kamen aus Hessen . Damals leugnete man die Echtheit— man war ja damals so „legal" wie man heute„pazifistisch" ist— aber heute sind die Greuel, die in der „Privatarbeit des Dr. Best" angekündigt worden waren, durch die Wirklichkeit tausendfach überholt. Wie groß muß aber die Angst der Machthaber sein, welche entsetzliche Furcht müssen sie vor der Wahrheit haben, wenn sie sich gegen sie nicht anders zur Wehr zu setzen wissen, als durch die tückischen Waffen der legalisierten Meuchelmorde! „Ideen sind am Ende immer stärker als Kanonen", sagte schon Napoleon . Und so sind Zeitungen, die den Mut zur Wahrheit haben am Ende immer starker als alle Karabiner und alle Revolver der SA. Darum erst recht und trotz alledem: „V o rwärts"! Sadisenburg gegen Hitler Sensationelles Wahlergebnis in einem Konzentrationslager. Das Lager Sachsenburg hat unter den Konzentrationslagern des Dritten Reichs schon immer eine Sonderstellung eingenommen. Die Behandlung der Gefangenen war dort weniger brutal als in anderen Lagern. Menschenwürde und Menschenrecht der Gefangenen wurden dort nicht so barbarisch mit Füßen getreten wie sonst fast überall. So konnte sich auch das Unwahrscheinliche ereignen, daß es am 12. November in Sachsenburg eine richtig geheime Wahlhandlung gab, die von den Häftlingen kontrolliert wurde. Das Ergebnis war 516 Nein und 460 Ja. Zu diesen 460 Ja-Stimmen gehören offenbar die meisten Stimmen der Lagerwache, die eine Stärke von ungefähr 300 Mann hat. Die Belegschaft des Lagers zählte 750 Mann, wovon etwa 100 unter 20 Jahre alt, alsu nicht wahlberechtigt waren. Daß das Wahlergfebnis mit seiner klaren Mehrheit gegen Hitler wie ein Donnerschlag wirkte, versteht sich von selbst. Augenblicklich setzte ein strengeres Regime ein, ein Rauchverbot und ein Spielverbot waren die ersten Strafen, die über die Gefangenen verhängt wurden, weil sie es mit ihren Staatsbürgerrechten ernst genommen hatten. Heute ist ganz Deutschland ein Konzentrationslager. Aber ein Konzentrationslager nicht wie Sachsenburg, sondern wie Dachau und Börgermoor . Wie die Abstimmung ausgefallen wäre, wenn die Deut schen noch ein freies Volk wären, zeigt trotz alledem Sachsenburg.
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1 (26.11.1933) 24
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