err Schulz gestern und heute Ein politischer Sdmellverwandlungskiinstler Politisch�Erdbewegungen, wie die Fa- «chisierung Deutschlands haben neben all ihrer Tragik und ihren grauenhaften Begleiterscheinungen einen nützlichen Vorgang im Gefolge: die unbarmherzige Scheidung der Charaktere. Und so haben wir sie denn in den vergangenen Monaten aufmarschieren sehen, diese Reihen der Ueberläufer, der Verräter und Gesinnungsjongleure, die sich gleich- und umschalteten, die bis zur Selbstentman- nung gingen, um den neuen Herren wohlgefällig zu sein. Während Zehntausende von Gesinnungs- slolzen, die dem Martertod der SA. entgingen, hinter dem Stacheldraht der Konzentrationslager schmachten und eher Schritt für Schritt dem Untergang entgegengehen, ehe sie sich und ihrer Sache untreu werden, erscheint im Stuttgarter Engelhorn-Verlag das Buch eines Mannes, der früher einer der lautesten Rufer im marxistischen Lager gewesen ist und nun vor dem von ihm einst verachteten Anstreichergesellen aus Braunau Kotau macht. Em ehemaliger sozialdemokrati-\ sie wegzueskamotieren versucht scher Journalist, F. 0. H. Schulz aus Düsseldorf veröffentlicht ein Buch:„Untergang des Marxismus". Es ist selbstverständlich, daß der deutsche Faschismus es als einen besonderen Leckerbissen betrachtet, von einem ehemaligen Marxisten eine Widerlegung des Marxismus zu erhalten, und daß er in seiner Presse von dem Produkt des eigentlich schließen, wir wollen das jedoch Mannes mit den drei Buchstaben nicht| nicht tun, ohne noch einige Musterbei- wenig Aufsehen macht. Aber man hat| spiele von Gesinnungsakrobatik gegeben einen schlechten Griff getan, denn abge- zu haben, wie sie im„neuen" Deutschland diktierten Klassenkampf aufzunehmen, nnd als schlieBlich die deutsche Sozialdemokratie sich auf den Boden des Klassenkampfes stellte, ihn politisch und wirtschaftlich formte, erfüllten sie international, wie national(Von Schulz gesperrt! Die Red.) eine sittliche Pflicht erster Ordnung." „Es ist keine billige Phrase, sondern eine Tatsachenfeststellung erster Ordnung, wenn ein sozialistischer Theoretiker unserer Tage den sozialistischen Klassenkampf als eine sittliche Pflicht charakterisiert. Ais Bestandteil der deutschen Nation, als ihr wesentlichstes Element muß die deutsche Arbeiterklasse diesen Klassenkampf führen, wenn sie nicht will, daß eine kleine Herrenschichte im Besitz von Grund und Boden, im Besitz der Bergwerke, im Besitz der Banken und der Industrie, getrieben von schrankenloser Profitgier, die große besitzlose Masse der Nation zugrunde richtet. Damit ist der Klassenkampf des so zialistischen deutschen Proletariats eine nationale Aufgabe höchsten Ranges." „Wer den Fluch der gegenwärtig bestehenden Klassenscheidung nicht empfindet, wer— nur von einer Volksgemeinschaft redet, die nur durch den sozialistischen Klassenkampf gestört werde, der redet nicht im Interesse der Nation, dem muß die Maske vom Gesiebt gerissen werden____" Nachdem wir so Herrn Schulz selbst veranlaßt haben, sich„die Maske vom Gesicht zu reißen", könnten wir das Kapitel Bewegung eine solche Auferstehung wie im Sozialismus erlebt hat. Und daß diejenigen, die den gemeingefährlichen Versuch unternehmen, die deutsche Sozialdemokratie außerhalb der Landesgrenzen zu stellen, nicht mehr und nicht weniger als die moralische Expatriierung der Kant und Fichte, der Lessing , Herder , Goethe nnd vieler anderer Männer der rOBm» vollsten deutschen Geistesgeschichte besorgen!" Dieses Wechselspiel läßt sich beliebig fortsetzen. Es beweist, daß der tüchtige Verfasser mit seinem„Untergang des Marxismus" gar nichts bewiesen hat, es sei denn seine eigene Schande und außerdem vielleicht noch das eine, das der Schmock, der schreiben kann rechts und schreiben kann links, keineswegs eine an die Rasse gebundene Erscheinung ist. Er kann auch blond sein und Schulz heißen! Georg Bernhards Buch IVotwendige Berichtigung einiger Irrtümer sehen von der Persönlichkeit des Verfassers, mit der sich nicht viel Staat machen läßt, ist das Buch ein glatter Versager. Und dann haben diejenigen, die sich möglich ist. Nachdem Herr Schulz nämlich in seinem neuesten Buch auf die klassische Philosophie und Kant zu sprechen gekom- Ihres neuen Pgs. schon freuten, noch ein men ist, sagt er von den„marxistisch besonderes Pech: Der Herr Schulz hat am Vorabend der„nationalen Revolution", in verseuchten" Arbeitern folgendes ,510 erfuhren nicht, daß der Marxismus als den ersten Märztagen dieses Jahres, un- Krisenerscheinung nur ein Abfall aus diesem vorsichtigerweise eine Schrift erscheinen| Reich der sittlichen Verpflichtung ist." lassen, in der er sich schon im voraus j»Der Marxismus will aus der Wüste der selbst widerlegt und von rechts nach links Spekulation menschliche Paradiesgärten ma- und von links nach rechts ins eigene Ge- i eben. Er hat keinen Kulturboden und kann sieht schlägt. Damals bewies er in einem infolgedessen auch keine Kultur erzeugen.' Büchlein:„Wer ist wahrhaft national?" genau das Gegenteil von dem, was er jetzt der Nazi-Welt beschert hat. „Niemals haben sich jüdische Prophetie und messianischer Weissagungsdrang grotesker offenbart als in diesem Musterzeugnis des Im März erschien die Schrift„Wer ist( historischen Materialismus." wahrhaft national?" und als Abschlußter- j In der Schrift„Wer ist wahrhaft natio- des vorliegenden Buches gibt der.nal?" heißt es dagegen: min Verfasser den Juli an. Berücksichtigt j„Marx und Engels haben sich nicht nur als man, daß 366 Druckseiten immerhin einige die Nachfahren, sondern auch als die Voll- Monate Arbeit beanspruchen, selbst wenn Strecker der großen deutschen sich der Verfasser nicht irt geistige Un- äeistesgeschichte gefühlt." kosten gestürzt hat, dann bleibt eine imponierend kurze Spanne für den politischen Kleiderwechsel. Nachdem der tüchtige Verfasser Ober Marxens Persönlichkeit die notwendigen Jauchenkübel entleert und ihn als menschlich minderwertig„entlarvt" hat, guillotiniert er das Kernstück des Marxismus, die Klassenkampftheorie folgendermaßen: „Das schwerste Hindernis der Auslöschung j des Marxismus als des politischen Wegweisers war die Klassenkampfideologie, die durch Jahrzehnte in die Köpfe der sozialisti schen Arbeitermassen hineingehämmert worden war und deren Beseitigung nur zu einem geringen Teil gelang. Diese Klassenkampf- ideoiogie ist schuld daran, daß in dem Augenblick, wo die Nation nach einer furchtbaren Prüfung ihren elementaren Selbsterhaltungs- wilien zu einem eisernen Block hätte zusammenschmieden müssen, die aus der V e r- s c h i e d e n a r t i g k e i t des Besitzes hervorgehenden Gegensätze wie unübersteig- liche Abgründe aufgerissen und zum Anlaß gegeneinander gemacht wurden." „Der Klassenkampf zum Grundsatz erhoben, kann überhaupt nur in der Haßstimmung enden." „... den geistigen Vertretern des Bürgertums und den nach sittlicher Reife im Gesellschaftlichen strebenden Arbeitern konnte nicht i verborgen bleiben, daß der Marxismus als' Klassenkampflehre auf die Massen seiner Anhänger einen in der Gesinnung häufig genug verrohenden Einfluß ausüben mußte." Das hat derselbe Mann geschrieben, der noch im März dieses Jahres in der erwähnten Schrift„Wer ist wahrhaft national?" folgendes ausführte: „Als Friedrich Engels und Karl Marx das Gesetz der privatkapitalistischen Geseilschafts- cntwicklung aufzeigten, als sie dem Proletariat die Augen für die Tatsache jener furchtbaren Klassenscheidung mit ihren noch furchtbareren Folgen öffneten, als sie die Arbeiterklasse verpflichteten, den ihr vom Privatkapitalismus „Unsere Aufgabe ist es— dem Volke zu zeigen, daß auch der marxistische Sozialismus edelstes deutsches Gedankengut birgt, daß der Ideenreichtum der klassischen deutschen Philosophie in keiner Das Buch Georg Bernhards„Die deutsche Tragödie. Der Selbstmord einer Re publik " ist soeben im Prager Orbis-Verlag erschienen. Es wird gewiß zahlreiche Leser finden, denn es schildert mit großer Lebendigkeit Ereignisse, did die ganze Welt in Atem halten und sie zu kritischer Auseinandersetzung zwingen. Bernhard hat die Dinge, von denen er spricht, zumeist aus nächster Nähe mit angesehen und als aktiver Politiker und Journalist sogleich zu ihnen Stellung genommen. Das ist für seine zusammenfassende Arbeit zum Teil nützlich geworden, zum anderen Teil aber auch schädlich, da sich Bernhard leider nicht überall die Zeit genommen hat, die notwendig war, um allzu rasch gefaßte Meinungen zu überprüfen. Das ist um so bedauerlicher, als die gute Absicht Bernhards, objektiv zu urteilen und auch der Sozialdemokratischen Partei Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, unverkennbar ist. Bernhard beschäftigt sich u. a. mit der ersten Sitzung des Hitler-Reichstages, in der die sozialdemokratische Fraktion durch Wels die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes aussprach und verkündete. Bernhard findet dieses Verhalten in Anbetracht der Lage„noch mutig"— und in der Tat stellt es in der Geschichte der Opposition gegen Hitler einen Lichtpunkt dar. Dennoch ist er mit der Sozialdemokratie nicht zufrieden. Hitler , so führt er aus, habe bei der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes an einer scheinbaren Verfassungsmäßigkeit das stärkste Interesse gehabt, dje Sozialdemokratie aber hätte seinen Plan zerschlagen könpen, wenn sie der Sitzung ferngeblieben wäre. die Sozialdemokraten wegblieben, war die Zweidrittelpräsenz noch geblieben. Also ist der Vorwurf, den Bernhard in diesem Punkte gegen die Sozialdemokratie erhebt, unbegründet. Auch das Fernbleiben der fünf Staatsparteiler hätte nichts geändert, es war schon notwendig, daß sich das Zentrum mit anschloß. Wie aber das Zentrum damals stand, erhellt aus der Tatsache, daß einer der angesehensten Zentrumspolitiker während der einstündigen Unterbrechung der Sitzung im Zimmer des sozialdemokratischen Fraktionsvorstandes erschien und, Tränen im Auge und am ganzen Körper zitternd, an Otto Wels eine förmliche Beschwörung richtete, er möchte doch auf die Abgabe der Erklärung verzichten. Erfolge dieser Verzicht nicht, so werde kein Sozialdemokrat das Krollgebäude lebend verlassen.. Ueber die Frage, ob es nicht richtig gewesen wäre, dem Staatsstreich vom 20. Juli 1932 mit Waffengewalt zu begegnen, kann man verschiedener Meinung sein. Aber- wenn Bernhard berichtet, Hirtsief er und Klepper hätten das Zuschlagen verlangt und Severing habe sich geweigert, so ist das objektiv unrichtig. Und wenn Bernhard von einer„Kapitulation im Vollbesitz aller Machtmittel" spricht, so muß man wirklich darüber staunen, daß ein Mann wie Bernhard die Dinge so auf den Kopf stellen kann. Die Machtmittel waren am 20. Juli mit erdrückendem Uebergewicht in der Hand der Gegner. Denn dieser verfügte über die Reichswehr und ihre schweren Waffen, denen die Polizei, selbst wenn sie standhielt, nichts gleichwertiges entgegenzusetzen hatte. Die Polizei war aber durch Verhängung des Belagerungszustandes dem militärischen Be- Das ist ein Irrtum Bernhards. Ganz abge- fehlshaber unterstellt, der zweifellos jeden sehen von der Frage, ob es Hitler wirklich so erschüttert hätte, wenn ihm der Schein der Legalität fünf Minuten früher verloren gegangen wäre, bedurfte der Reichstag zur Erledigung eines verfassungsändernden Gesetzes einer Zweidrittelmehrheit, nicht, wie Bernhard annimmt, einer Dreiviertelmehrheit. Gewählt waren 647 Abgeordnete, davon 81 Kommunisten, die man gar nicht mehr in den Reichstag hineinließ, und 120 Sozialdemokraten, zusammen 201— das ist zusammen noch nicht ein Drittel. Auch wenn MAX KLINGERc. »elkkHeUtk DEUTSCHLANDS WEG INS CHAOS Dies Buch ist die erste umfassende Darstellung der Entstehung des„Dritten Reiches ". Es schildert auf knappem Raum— 104 Seiten—: wie Schleicher von dem Dreibund Großgrundbesitz, Schwerindustrie und NSDAP gestürzt wurde, daß die„Erhebung der Nation in Wahrheit ein Kampf um die Rettung des Privateigentums war", daß ein Kampf Reichswehr kontra Reichswehr dicht bevorstand, daß Hugcnberg die Nazis führen wollte, aber der Genasführte wurde,"...• das System Göring : Fesselung des alten Staatsapparates und systematische Entfesselung des SA -Terrors, die Folterstätten der SA und SS, die Methoden der Judenbekämpfung. die Siegesfeste der Gegenrevolution, das Ende des Rechtsstaates, die Haltung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. So formt sich aus den 12 Kapiteln dieses Buches das Bild des großen„Zuchthauses Deutschland ", das die Schrift von Klinger in seiner ganzen Ensetzlichkeit enthüllt. Das Buch erscheint in etwa zehn Tagen! Wir erwarten Ihre Vorbestellung.— Preis K5 12.—, direkt an den Verlag„Graphia", Karlsbad , Kantstraße..... Widerstand als Meuterei betrachtet und behandelt hätte. Unter diesen Umständen war der Uebergang mindestens eines Teiles der Polizei zur Reichswehr als sicher vorauszusehen. Dazu kommt, daß die Preußenregierung bei den Wahlen am 24. April schon geschlagen worden war und über keine Mehrheit mehr verfügte, während Hindenburg mit absoluter Mehrheit zum Reichspräsidenten gewählt war. Merkwürdigerweise nimmt Bernhard Hindenburg persönlich in Schutz, er scheint zu glauben, daß der alte Mann für seine Taten nicht mehr recht verantwortlich zu machen sei. Das könnte nur gelten, wenn der Verfall der geistigen Kräfte vollständig wäre. Aber so weit war es am 20. Juli 1932, jenem Tag, mit dem das große Epos der deutschen Treue beginnt, gewiß noch nichtl Auf der anderen Seite hatten die Kommunisten die hoffnungslose Lage der Preußenregierung mit herbeigeführt. Sie hatten nicht nur in unzähligen Abstimmungen mit den Nationalsozialisten und Deutschnationalen gegen Braun-Severijg gestimmt, sie hatten auch zutn Schluß jenen Beschluß mit herbeigeführt, der die preußischen Minister zur Enthaltung von jeder Amtstätigkeit zu zwingen versuchte. obwohl die Verfassung sie verpflichtete, die Geschäfte fortzuführen, bis eine neue Regierung zustandegekommen war. Papen hätte sich zu allem anderen auch noch darauf berufen können, daß er nur einen Beschluß de» Landtags ausführe, in dem er die Minister ge* waltsam aus den Aemtern entfernte. Man kann trotzdem der Meinung sein, e» wäre besser gewesen, mit offenen Augen i® die militärische Niederlage hineinzugehen, auf den Versuch der Verteidigung zu verzieb* ten. Aber diesen Verzicht als eine„KapituU' tion im Vollbesitz aller Machtml'* tcl" zu bezeichnen, das heißt doch die T»'* sachen völlig auf den Kopf stellen. Natürlich ist mit dieser notwendigen gegnung über Bernhards Buch noch kein Gesamturteil gefällt Aber eben weil es nebe® Falschem und Flüchtigem auch viel Wertvolle» enthält und sicher viele Leser finden wlr�« schien es mir wichtig, zunächst diese unvermeidlichen Richtigstellungen vorzubrlnge®« Vielleicht ergibt sich Gelegenheit, noch«W mal in anderem Zusammenhang auf das Intel " essante Buch zurückzukommen. F. SC
Ausgabe
1 (3.12.1933) 25
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