Nr. 30 BEILAGE

Neuer Vorwärts

Dichter im Kampf

Deutsche   Wahrheit in drei Büchern

Goethe  .

7. Januar 1934

haft nahezu zermalmt, der Jüngste von das deutsche   Volk, fiebernd sucht jeder einem braunen Schuldespoten in den Tod nach Erklärungen für die bessere Mehr­Schwer sind ihre getrieben, der große Chirurg vom Opera- heit dieser Nation. tionstisch hinweg aus dem Krankenhaus Menschen von deutscher   Sehnsucht, voll gejagt, die einen nach England, die ande- ,, von deutscher Musik, deutschen   Worten, ren in die Schweiz   versprengt. Der Dr. deutschen Gedanken, deutscher   Land­Gustav Oppenheim   geht mit falschem Paß schaft...". Aus ihnen allen, den Dichtern wieder nach Deutschland   zurück, die Hei- und ihren Gestalten, singt spricht, schreit mat läßt diesem Fünfziger keine Ruhe, die hoffnungslose, unglückliche, schmerz­rausch verfällt, sich vom Denken ab und ruft ihn; er will sehen- helfen, rettenhafte Liebe zum fieberkranken Vaterland. blindem Glauben an eine neue Volkwer- die Ereignisse haben diesen kultivierten Den Leser aber packt tiefe Scham: dung" zuwendet, der Geliebten den Rük- passiven Genießer zum Kämpfer gewan- daß ein Kulturvolk von pathologischen ken kehrt, in braune Gemeinheiten hinein delt. Er geht zurück, wandert ins Konzen- Demagogen so geködert, überrumpelt, ge­gerät, die bedrohte Verlassene schließlich trationslager, wird geschunden, erkennt schändet, verstümmelt, geplündert wer­zur Flucht bewegt, rettet und sich am zu spät die Sinnlosigkeit seines Opfers, den konnte, daß sich das vor aller Welt Ende glaubenslos, ernüchternt, angeeckelt, kommt als Ruine wieder heraus. Politik nennen darf und von den offiziösen Instanzen Europas   als politische Ange­legenheit gewertet wird. Bruno Brandy.

zerstört der Feme   ausliefert. Daneben der befreundete, völkische Komilitone, der

Um das alles ist ein Volk gruppiert, in

Die Rassen

Aus dem Drama Ferdinand Bruckners. Eine Stimme( nah:) Erinnere Dich, Siegelmann( unbeweglich ( unbeweglich im Bett.:

Die Stimme: Suche es in der Schrift,

man uns schlägt?

Das Menschenpack fürchtet sich vor nichts mehr als dem Verstand, vor der Dummheit sollten sie sich fürchten, wenn sie begriffen, was fürchterlich ist. Noch stehen wir der deutschen   Kata­strophe zu nahe, als daß es leicht sein könnte, dieses Krankheitsbild Krankheitsbild unserer Zeit zu durchdringen und plastisch zu mei- unbegabte, aber gesinnungstüchtige SA.- einfachen Strichen zeichnet Feuchtwanger stern. Noch drängt sich uns das Unfaẞ- Studenten große Karriere machen sieht diese Chronik eines halben Jahres. Be­liche der barbarischen Verirrungen und und unter solchem Kommando die Männer kannte Typen aus allerjüngster Zeit er­Verbrechen des Hakenkreuzlertums am freier Wissenschaft mit auspfeifen muß, stehen vor uns. Da ist Anna, Gustav Op­Sichtbarsten hervor. Das Tun der Füh- bis er sich resigniert in Zynismus flüch- penheims Freundin, die ihn in der Schweiz  rer mag mit Begriffen wie Eitelkeit, Rach- tet. Denn man muß mit den Wölfen heu- besucht, aus der Heimat kommt, nichts sucht, Egoismus, Feigheit, Sadismus zu len, wenn man nicht zu den Lämmern ge- von ihr weiß, alle Greuel für Lügen hält. erklären sein, der breite Ausbruch irr- hören will. Dazwischen der stille jüdische Sie kommt aus dem Land der Lüge. Seit Nathan Siegelmann. sinniger Gemeinheit in dem Volk der Kant   Student, der plötzlich eine Welt feind- Monaten haben die besten Techniker der und Goethe bleibt ein niederschmetterndes licher Masken um sich sieht und zum Lüge mit den modernsten Mitteln Milliar- Nachttischlampe). Erlebnis auch für den, der um die sozio­Märtyrer seines Menschheitsglaubens den Lügen über das Land ausgestreut. logischen Wurzeln des Faschismus weiß. wird. Alle umher gewirbelt vom gleichen Anna hat diese Lügenluft eingeatmet, Tag und Du wirst alles verstehen. Drei Bücher deutscher   Autoren liegen vor, irrsinnigen Strudel, jeder wird auf einen um Tag, Stunde um Stunde..." Da sind Siegelmann( ruhig): Wenn ich wüßte, die das geistig- seelische Fieberbild Hit- anderen Strand geworfen. Das alles wird die zwei sachlichen Jungen, die mit dem daß man uns tötet: Ich hätte keine Angst. lerdeutschlands zu durchleuchten, zu er- mit Knappheit, ohne naheliegende grobe inneren Feuer des Aelteren nichts anzu- Aber ich glaube, daß deuten suchen: Heinrich Effekte durchgeführt. Die wichtigste fangen wissen und das lange Warten pre-( Pause.) Mann, Ferdinand Bruckner  , Lion Etappe der Entwicklung des Helden ist digen. Am Schlusse seines Daseins muß Feuchtwanger  . Um die Wahrheit zwar hinter die Kulissen verlegt und wird Dr. Oppenheim erkennen, daß er einen zu sagen, verzichteten sie auf die Fleisch- darum nicht zum tieferen Erlebnis. Aber Marathonlauf gemacht hatte, aber die heimen schlägt, falls es wahr ist, daß man töpfe des dritten Reiches, gingen sie ins der Schrecken antisemitistischen Wahn- Meldekapsel war noch leer", die neuen schlägt, und nachher kann man es leugnen. witzes wächst von Szene zu Szene. Die Parolen waren noch nicht da. beklemmende Umwelt ist so scharf ge- Feuchtwanger sucht nicht nach tiefe- die Dauer nicht geheim bleiben und von Leug­Heinrich Mann formt deutsche   Zeit- zeichnet, daß die starke reine Mensch- ren Erklärungen des wahnwitzigen Ge- nen ist schon gar keine Rede. Denk nach geschichte in Essays.( Der Haß. Queri- lichkeit des Stückes auf jeder Bühne wir- schehens, er will zeichnen, schildern, dar-( Pause.) Wenn man uns mit Ruten schlägt, er­ken muß. stellen. Dem Buche steht das obige leiden wir einen Schmerz. Fürchten wir diesen Schmerz?( Lächelt) Er geht ja vorüber. Aber Goethezitat voran: Der große Mitschul­wir sind geistig nicht mehr darauf eingerich­Der Roman Feuchtwangers( Die dige ist die menschliche Dummheit. den wir.( Pause.) Nur das. Die Stimme: Nur das? Siegelmann: Der Zusammenbruch der Während aus Heinrich Manns   politi- Erfahrung: Mensch, woran wir als an das Le­schen Betrachtungen das heiße Tempera- ben des Lebens glaubten.( Grübelt.) Man ment des empörten Schriftstellers glühend braucht sich nicht zum Tier machen zu lassen, hervorschlägt, ist das bei Bruckner und könnte sich aber hinstellen und das Tier spie­Feuchtwanger durch die Arbeit des Ge- len, damit sie zufrieden sind? Vielleicht rettet staltens gebändigt, sublimiert, in Men- man sich so. Wie kann ich aber Tier sagen, schen aufgegangen. Aber alle drei Bücher als ob es selbstverständlich wäre, daß ein haben ein großes Seelisches gemeinsam: Tier im körperlichen Schmerz nur den körper­die heiße Liebe zu Deutschland  . lichen Schmerz empfindet? Nicht einmal das

klären, zu

Exil.

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do- Verlag, Amsterdam  ). Er zeichnet die irrationale, vernunftwidrige Welle, die dem Jahrhundert des Rationalismus folgte,

Die Stimme: Denk nach. Siegelmann: Schon weil man im Ge­

Würde man uns aber töten, dann kann es auf

den Krieg mit vorbereitete, über ihn hin- Geschwister Oppenheim. Queri- Höchste Objektivität eines großen Dichtet, daß man uns mit Ruten schlägt. Das erlel­

ters.

aus spülte, der Republik   das Dasein sauer do- Verlag, Amsterdam  ) gibt einen breite­machte. Bis um 1940 werde sie rollen. ren Ausschnitt derselben Welt, die Schick­Der letzte Abschnitt jedes geistigen Zeit- salsgeschichte einer altberliner jüdischen alters ist der lauteste, darum war es in Familie. Wie tausend andere ihres Stam­den letzten Jahren der deutschen   Demo- mes werden die Oppenheims in wenigen kratie für die Vernunft so schwer, sich Wochen zerschlagen, verjagt, in alle Gehör zu schaffen. Der Irrationalismus Winde verstreut. Rasch wie eine Lawine hat sich mühelos durchgesetzt, aber die bricht all der Dreck und Wahnsinn des Vernunft siegt nie von selbst; das gibt es Dritten Reiches   über die alte Firma her­nicht ohne angespannteste Entschlossen- ein. Keiner außer der Zionistin hat heit neu anzufangen besonders ,,, wenn es vorher glauben wollen, alle müssen sie die Mächte des Niedergangs und Verfalls daran glauben. Der eine wird von Schutz- Keiner dieser Kämpfer im Exil beschuldigt steht fest. ihrerseits so tätig und so haẞerfüllt sind..." Warum konnten sie siegen? Weil die Demokratie zusah, während Hit­ ler   die Mächte des zerstörerischen, blin­den Hasses mobilisierte:

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So schafft man Grenzzwischenfälle

Die Fränkische Tageszeitung" des berüchtigten Julius Streicher   brachte am 21. De­,, Noch niemals hatte man ein Volk zember dieses Bild nebst dem darunter stehenden Text. Man kann hier an einem Schulbei­haẞerfüllt gesehen gegen seine eigenen spiel studieren, wie Grenzzwischenfälle geschaffen werden. So spielen Lausejungen mit dem Leute, die Kleinen, Schwachen Frieden und dafür werden sie von der Regierungspresse schmunzelnd belobt! und Armen, gleichzeitig aber auch gegen die Vereinzelten, die für es den­ken und aus Gerechtigkeitssinn Seiten der Unterdrückten stehen.... Der Marxismus  , der jene Men­schenart zum Schäumen brachte, war nichts geringeres als der soziale Gedanke selbst."

auf

Dieses Volk hat der faschistischen Lockung lange widerstanden, bis es durch| Krise, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit

erlag. Heute ist Hitler   ein unfreiwilliger Wegbereiter kommender blutiger kommu­nistischer Umwälzungen. Das ungefähr ist Manns Erklärung der deutschen   Kata­strophe. Man kann über manche seiner politischen Auffassungen streiten, manche Zwangslage der Sozialdemokratie ist zu sehr aus der Ferne gesehen und mit feuil­letonistischer Freiheit behandelt, hinter den verschiedenen Komödianten der re­aktionären Bühne treten die wirtschaft­lichen Machtfaktoren zu sehr in den Hin­tergrund, aber dafür sind die Profile der neudeutschen Abenteurer und ihre gei­stige Ratlosigkeit umso schärfer gezeich-| net. Es ist das tapfere Buch eines un­wandelbaren Kämpfers der Freiheit.

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Der Dramatiker Ferdinand Bruck­ ner   stellt den Rassenwahn in den Mittelpunkt eines straff durchgeführten Schauspiels.( Die Rassen. Verlag Op­

recht und Helping, Zürich  ). Junge Men-|

Unsere Pimpfen sind frech

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schen im hakenkreuzlerischen Strudel. An der österreichischen   Grenze hielt die HJ. eine Kundgebung ab und demonstrierte gegen das Typen deutscher   Universitäten zwischen Uniformverbot, das Dollfuß gegen die Kameraden jenseits der Brücke erlassen hat. Die März und April; der tüchtige Student, der Hitlerjugend   marschierte in Dreierreihen bis an die österreichischen Grenzbohlen heran eine Jüdin liebt, der dem braunen Massen- I

etwa in der Mitte der Brücke- um dann jedesmal wieder umzuwenden.

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Die Stimme( stärker): Du hast keine Zeit, Dich zu verlieren, Siegelmann. Siegelmann: Ich habe keine Zeit, mich zu verlieren.

( Heftiges Klingeln und Klopfen draußen.) Siegelman( stärker): Ich habe keine Zeit zu nichts.

Die Stimme( stärker): Denk nach, Sie­gelmann.

Siegelmann( Ausbruch): Was soll ich denn jetzt denken?

Die Stimme( drohend): Gerade jetzt mußt Du denken. Wozu hättest Du es sonst. Ein Anführer( draußen): Aufgemacht. Polizei.

Die Stimme: Wem sonst, wenn nicht Dir ist es gegeben, die Tat im Denken zu voll­bringen.

Siegelmann: Wem sonst?

( Die Wohnungstür wird geöffnet. Schritte. Stimmen. Der Name Siegelmann wird genannt.) Siegelmann( horcht): Wem sonst? Aber jetzt werde ich wissen, ob man uns schlägt, oder nicht. Wem sonst, wenn nicht mir, ist es gegeben, das zu wissen. ( Die Tür wird aufgestoßen. Ein Student als Anführer und sechs andere. Sie tragen un­gleiche Windjacken.) Anführer( ruhig): Nathan Siegelmann? Siegelmann:( kann kaum nicken). Anführer:( setzt sich an den Tisch): Kannst Dich inzwischen anziehen.( Sucht in seiner Mappe.)

( Ein Mann hebt Siegelmann an den Schultern aus dem Bett.)

Anführer( liest herunter): Ist seit Jah­ren zersetzender Tätigkeit innerhalb der deut­ schen   Studentenschaft überführt.( Die Kleider werden Siegelmann hingeworfen). Hat es ver­standen, durch Vorspiegelung freundschaftli­cher Gefühle, zugleich im Bund mit jüdischen Professoren, den Drang der ihm vertrauenden Reinrassigen nach der Kultur zu unterbinden und so ihr Fortkommen zu erschweren, be­ziehungsweise sogar zu verhindern, wie etwa durch höhnische Verweigerung von zu leihen­den Büchern. Hat besonders in der letzten