Nr. 31 BEILAGE

GE

Neuer Vorwärts

Wazu ein neues Programm?

weil sie erst wieder denken lernen muß und

14. Januar 1934

ganz großen politischen und sozialen Hochstaplern in braunem oder schwar­Von nozem Hemd. M Kad Kautsky

Was soll diesen Schwindlern und Quacksalbern gegenüber ein neues Programm, auch wenn es noch Genosse Anders bespricht in Num-[ einigermaßen anzudeuten. Er begrün-[ zufassen zum Kampf gegen Gedanken- so laut schreit? Sollen wir mit ihnen bei mer 28 des Neuen Vorwärts" meine det seine Forderung folgendermaßen: losigkeit, Faulheit, Leichtgläubigkeit der gedankenlosen Masse in Wettbe­jüngste Broschüre ,, Neue Programme". Wir brauchen ein neues Programm, weil der anderen. Was wir brauchen, ist werb treten? Diese Masse harrt in ihrer Ich komme dort zu dem Schlusse, daß die Jugend die alten nicht mehr kennt und ein forschendes, selbständig denkendes, Leichtgläubigkeit auf einen wundertä­unsere Partei kein neues Programm mühselig von vorn anfangen. Kautsky spricht neues Geschlecht, nicht ein neues Pro- tigen Erlöser. Sollen wir der hypnoti­braucht. Dagegen wendet sich Anders. von einer Bevölkerung, die gelernt hat, gramm. Sollen wir eines schaffen für sierenden Wirkung einzelner Menschen Ein neues Programm erscheint ihm selbst zu denken und zu handeln, was bei die Gedankenlosen, Faulen, Leichtgläu- dadurch begegnen, daß wir ihr eine dringend nötig. Warum? wir uns nichts vor! Die Millionenmasse, bigen, die sich nie um das alte ge- noch mehr hypnotisierende Wirkung denkender Arbeiter" und klassenbewußter kümmert haben? Ein solches fehlt uns eines neuen Programms entgegenstel­len? Diesem neuen Programm, das Eine der schlimmsten Wirkungen nicht auf den Verstand, sondern auf die

Bei Beantwortung dieser Frage müssen wir uns vor Augen halten, was ein Programm leisten soll. Jeder von uns hat seine besondere, persönliche Ueberzeugung in sozialen wie in allen anderen Dingen, die ihn intensiv be­schäftigen. Aber was ist der Einzelne für sich allein in einem Millionenstaat, und gar ein einzelner Proletarier!

Eine soziale Ueberzeugung kann nur Macht gewinnen, wenn sie nicht die eines Einzelnen ist, sondern die vieler anderer auch. Deren Zusammen­fassung zu einem großen Körper wird dann möglich, wenn die vielen einzel­nen Ueberzeugungen bei allen indivi­duellen Unterschieden doch in den wesentlichsten Punkten übereinstim­men. Die Formulierung dieser wesent­lichen Punkte bildet das Programm. Es ermöglicht den Aufbau einer macht­vollen Partei aus zahlreichen Personen, von denen jede für sich allein machtlos bliebe. Es verleiht jedem Mitglied die­ser Partei vermehrte Kraft und höheres Kraftbewußtsein. Und es bringt in das chaotische Durcheinander von Einzel­willen Einheitlichkeit des Handelns.

Jedes Programm einer Partei ent­hält eine Quintessenz ihrer Ziele und Forderungen, sowie der Argumente, mit denen diese begründet werden. Natür­sich ist ein Programm nie für die Ewigkeit gebaut. Es muß immer wie­der von neuem geprüft und neuauf­kommenden sozialen oder politischen Verhältnissen angepaßt werden. Ein Programm kann veralten, wenn die Ziele oder Forderungen, die es auf­stellt, überholt sind, entweder, weil sie erreicht wurden, oder weil die Erfah­rung zeigt, daß sie unerreichbar oder unzweckmäßig seien. Ein Programm kann aber auch dann veralten, wenn neue, soziale Erkenntnisse auftauchen, mit denen es nicht vereinbar ist, wenn wir also zu höherem Wissen vorge­schritten sind.

Besteht heute einer dieser Gründe für ein Aufgeben unseres bisherigen Programmes? Es ist in seinem theore­tischen Teil nur eine Variation des Er­furter Programms von 1891, das auf dem Boden des Marxismus begründet ist. Gerade in dem Moment, in dem die Katastrophe für unsere Partei Deutschland eintrat, wollte sie ihr Bekenntnis zum Marxismus in macht­

in

den Deutschen doch der Fall ist". Machen

Proletarier", mit denen wir zu rechnen ge- noch. wohnt waren, gibt es nicht mehr... Und vol­lends die jungen Menschen! Diese Jugend hat

Akademischer Nachwuchs

100 0

201

B3.

Gedankenlosigkeit wirken soll, würde offenbar die Aufgabe einer Zauberfor­mel zufallen, deren bloßes Aussprechen schon dem Schwachen Kraft, dem Zag­haften Mut, dem Kurzsichtigen Weit­blick verleiht und so die Jugend rege­neriert.

Leider ist die dazu geeignete Zau­berformel noch nicht entdeckt und ich fürchte, daß das Suchen nach einer solchen nur ebenso eine Verschwen­dung von Zeit und Kraft bedeuten wird, wie ehedem das Suchen nach dem Stein der Weisen.

Gewiß, Anders hat ganz recht, wenn er zu dem Schluß kommt:

,, Der Faschismus hat die Beine in Bewe­gung gesetzt, unsere Aufgabe ist es, die Ges hirne in Bewegung zu setzen."

Diese Aufgabe lösen wir aber nicht da­durch, daß wir der gedankenlosen Ju­gend eine neue Formel vorsagen mit der Versicherung, daß sie uns ins Para­dies bringe. Würde das geglaubt, dann könnten wir damit bloß bewirken, daß in unserem Lager die Gedankenlosig­kelt ebenso allgemein wird, wie bei den Faschisten.

Ein Programm ist nichts als Schall und Rauch für jeden, dem es nicht der Ausdruck einer festgewurzelten, tief­begründeten Ueberzeugung ist, zu der er sich in angestrengter geistiger Ar­beit mühselig durchgedrungen hat. Nur als Ausdruck einer solchen Ueberzeu­gung vieler Tausender ist ein Programm eine lebendige Kraft. Das sozialistische Wollen in jedem von uns wird nicht durch unser Programm geschaffen, sondern dieses ist das Ergebnis des so­ zialistischen Wollens, der sozialisti­ schen Ueberzeugung in jedem von uns. Wie anders betrachte ich es als eine unserer wichtigsten Aufgaben, die ge­dankenlos gewordene Jugend wieder zum Denken zu bringen, d. h. zu einem Denken, aus dem eine festbegründete Ueberzeugung hervorgeht. Zu einer sol­chen führt das Denken nur dort, wo es nicht bloßes Spekulieren über erlittene Unbill und getäuschte Erwartungen ist, sondern WO es auf das Gewin­nen und die Verarbeitung vor Er­kenntnissen ausgeht. Aus sochem Den­ken sind unsere sozialistischen Ueber­in unseren Programmen hervorgegan­

vor

voller Kundgebung aller Welt dartun.» Meine ergebensten Empfehlungen an Herrn Papa. Sagen Sie zeugungen und deren Formulierungen Seit dem März 1933 ist sicher nichts ihm, Aufstieg an Hochschule ist Ihnen gewiß! a eingetreten, was uns über den Marxis­

gen.

mus hinaus eine höhere Erkenntnis ge- seit dem Kriege in wachsendem Maße das der Unwissenheit und Gedankenlosig- Diese Ueberzeugungen und Pro­bracht hätte. Was aber die Ziele und Denken verlernt und jeden Tag unter faschi keit eines großen Teils der heutigen gramme sind das Ergebnis der Geistes­Forderungen betrifft, die wir im März stischer Herrschaft verlernt sie es weiter." Jugend ist ihre Haltlosigkeit. Von arbeit der ganzen Kulturwelt durch 1933 noch anstrebten, so ist von ihnen Es ist ein erschreckendes Bild, das jedem Augenblickseindruck wird sie mehrere Jahrhunderte hindurch, seit der seitdem sicher kein einziger Punkt er- Anders hier zeichnet. Ich hoffe, es aufs tiefste bewegt und fortgerissen; ersten englischen Revolution der Mitte füllt worden, hat sich aber zum Glück ist übertrieben und zu schwarz gemalt. heute begeistert sie sich für jede Sei- des 17. Jahrhunderts. Sie sind beson­auch kein einziger als unerfüllbar oder Jedoch ganz aus der Luft gegriffen, ist fenblase, um morgen zynisch an der ders das Ergebnis der Geistesarbeit der unzweckmäßig erwiesen. Was soll es leider nicht. Die Verwüstungen, die Menschheit zu zweifeln. Todesmutig neueren Sozialisten seit mehr als hun­also ein neues Programm? der Weltkrieg und seine wahnsinnigen stürmt sie gegen einen Feind, auf den dert Jahren, einer Geistesarbeit, die im Wenn Anders trotzdem ein solches Folgen, Autarkiebestrebungen und sie gehetzt wird, um bei dem ersten Marxismus gipfelt, der auch schon bald fordert, so tut er es deshalb, weil er Wirtschaftskriege der Staaten, Infla- Widerstand von panischem Schrecken 90 Jahre alt wird. Auf dieser Arbeit auseinanderzulaufen. Das beruht ihm eine ganz andere Aufgabe stellt, tionen und Krisen usw. in nicht weni- erfaßt unsere felsenfeste Ueber­als die hier dargelegte. Unser Pro- gen Gemütern, namentlich der jüngeren schlimmste aber ist wohl ihre unend- zeugung von dem unaufhaltsamen Fort­gramm soll nicht einen Gradmesser Generation hervorgerufen haben, sind liche Leichtgläubigkeit. In dieser Be- schreiten der Arbeiterklasse und ihrer bilden, der es erlaubt, die Höhe sozialer tatsächlich grauenhaft. Ich mache mir ziehung kann es unsere Zeit mit frühe- schließlichen Beherrschung des Staates. Erkenntnis anzuzeigen, zu der sich die in dieser Beziehung durchaus nichts ren Zeiten allgemeiner Auflösung und Sie kann nicht erschüttert werden durch Sozialdemokratie durch intensivste vor, habe vielmehr des öfteren auf Verzweiflung sehr wohl aufnehmen, et- die Ereignisse einiger weniger Jahre in geistige Arbeit seit dem Auftauchen diesen Umstand als eine Hauptursache wa mit denen des Urchristentums oder einigen Staaten. Jener Jugend von heu­des Marxismus durchgerungen. Wenn des Aufstiegs des Nationalsozialismus der Religionskriege der Reformations- te, die nichts kennt, als ihre beschränk­ich Anders recht verstanden habe, soll und des Niedergangs unserer Partei epoche. Seit langem blühte nicht mehr ten persönlichen Erfahrungen, haben es vielmehr eine gellende Alarmtrom- hingewiesen. Aber zum Glück gibt es so sehr das Handwerk der Spekulatio- wir vor allem den Weg zu einer solchen und wohlbegründeten Ueberzeugung zu er­pete sein, die die Schläfer erweckt und doch in der heranwachsenden Gene- nen auf die Leichtgläubigkeit stumpfsinnig gewordenes Ge- ration immer noch Elemente genug, die Dummheit wie heute. Es nimmt die ver- schließen. Das ist es, was getan wer­schlecht antreibt, sich die Augen zu das Denken nicht verlernt haben. Sonst schiedensten Formen an, von den den muß, sollen wir wieder eine kampf­reiben, um zu sehen, was es gibt. So könnten wir uns begraben lassen samt kleinsten Kautions- fähige Jugend gewinnen, die im Stande fasse ich die Anders'sche Forderung allen Programmen, neuen wie alten. schwindlern an, die noch nie so viel ist, nicht nur den Nationalsozialismus auf. Er hat allerdings keinen Versuch Der Jugend gegenüber geht unsere Auf- Leichtgläubige fanden, bis zu den an- zu überwinden, sondern auch auf seinen gemacht, die Fassung des neuen Pro- gabe vor allem dahin, die geistige Elite spruchsvolleren Astrologen, Hellsehern Trümmern dauernd eine höhere soziale gramms, das er fordert, auch nur unter den jüngeren Leuten zusammen- und Goldmachern, und schließlich den und politische Ordnung zu begründen,

ein

Heirats- und