Nr. 32 BEILAGE TJctKröflimiMs 21. Januar 1934 Det Um eines neuen hmmms Eine Antwort an Karl Kantsky Von MAX K LI N 6 ER „Aufhebung der Arbeitslosigkeit, Einnahme der Hochburgen der groBen Ans* beuter, des großen Grundbesitzes, der Schwerindustrie, der Banken, das sind Maßregeln, an die ein Sozialdemokrat!- sches Regime sofort zn gehen hat" Dieser Satz steht gegen Ende der Broschüre von Karl Kautsky „Neue Programme". In dieser Broschüre kommt Genosse Kautsky zum Schluß, daß„unsere Partei kein neues Programm braucht". So sagt er selbst in aller Schärfe und Eindeutigkeit in seiner Polemik gegen den Genossen Ernst Anders . Der Satz, den wir oben zitiert haben, hat durchaus programmatischen Charakter. Er ist nicht neu. Genosse Kautsky hält es für e 1 n e S e I b s t- verständii-chkeit, daß wir beim Sturze des Hitlerregimes danach trachten werden, diese Forderung zu verwirklichen. Aber woher wissen die atomisierten, verwirrten, enttäuschten Massen, deren sozialistisches Bewußtsein die Diktatur zu zerschlagen droht, daß die sozialdemokratische Partei in ihrer jetzigen Gestalt entschlossen ist, diese revolutionäre sozialistische Forderung zu erfüllen, und was berechtigt den Genossen Kautsky zu der Annahme, daß die Sozialisten, die wirklich Sozialisten geblieben sind, unserer Partei zutrauen, daß sie den Willen zur Verwirklichung dieses programmatischen Satzes hat? UnsererPartei: wie und in welcher Gestalt erscheint heute unsere Partei den Sozialisten und Arbeitern? Genügt es denn, zu erklären: wir sind hoch da und wir sind die Alten? Wer ist noch da? Und sind wir wirklich die Alten? Haben wir nicht eine gewaltige äußere und innere Erschütterung erfahren? Sind nicht viele von uns abgefallen, ist nicht die gesamt überlieferte Organisation unserer Partei, zerschlagen, die Führer und die keistig-en Kräfte verhaftet oder räumlich zersprengt, das zählbare und wägbare Element der Partei fast völlig verschwunden? Was davon geblieben Ist, das Ist der Parteivorstand in Prag und d'e zur Propaganda gegen den Fa- achismus und für die Erhaltung der aozialistischen Idee mit ihm verbundenen Genossen. Wer weiß von den zer- �•'tterten Massen, von den Gruppen drinnen und draußen, was dieses Willenszen- "um ist und bedeutet, wie es denkt und wte es wirkt? Wer weiß, was darüber mnaus noch an geistigen Kräften unserer Lübbe Ist tot, der Kronzeuge zum Schwelgen gebracht. Die Wahrheit aber gibt keine Ruhe, löst sich das Rätsel um den Reichstagsbrand und seine Urheber. �er aber geht aus dem großen Rfozefi um den Reichstagsbrand gestäupt u. verurteilt hervor? JVozu brauchte die Regierung Hitler diesen Monstreprozefi? W2»* sind die wirklichen Brand- stifter? Ist eine Aufklärung noch J�öglich? Welche politische Wirkungen sind von ihr zu erwarten? Her Prozeß um den Reichstags- brand hinterläßt ungelöste Fra- �Cn. Die soeben erschienene chrift von Justinian :„Reichs- a!?sbrand" beschäftigt sich mit pesen Fragen und stützt ihre eststellungen auf unwiderleg- 'che Tatsachen. Bestellen Sie ylese Broschüre sofort bei der �er,agsanstall Oraphia, Karls- acL Kantstraße, oder bei Ihrem ttchhändler. Ihr Preis ist Kö7.-- Partei erhalten bt, wie de denken and wirken? Wir haben kürzlich in der Zeitschrift für Sozialismus den Satz von Schifrin gelesen: die Partei, das sind die Kaders der sozialdemokratischen Arbeiter in Deutsch land . Diese Kaden sind nicht vorhanden. sie müssen erst geschaffen werden. Die Sozialisten in Deutschland sind vereinzelt, und Ihre Vereinzelung wird noch drückender durch die auf sie einstürmenden Fragen und Zwetfel. Die Aufgabe heißt also: Verbindungen herstellen, Einheitlichkeit des Denkens und Handelns sichern, formleren was da Ist und was erfaßt ist Sie beißt unseren Glauben und unserem Anspruch als Partei Gestalt geben. Dazu ist notwendig, daß wir laut und vernehmlich sagen: wer wir sind, was wir tun, was wir wollen. In der Theorie, im rein Geistigen existiert nach wie vor weiter die unsichtbare Partei aller deutschen Sozialdemokraten, gebunden nicht durch Organisation, sondern die Idee, die die große Tradition des Marxismus aufrechterhalten und fortsetzen. Da gibt es im höchsten Sinne kein neues Programm, gibt es nur Variationen, Steigerungen der gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse. Aber es geht nicht an, daß wir ohne werteres die Theorie und die Bewegung, die Theorie und die Partei, die Theorie und diePolitikder Partei gleichstellen! Die klassische Lehre und die klassische Programmatik war durchaus in Ordnung. Aber jetzt geht es nicht um die klassische Programmatik, losgelöst von der praktischen Politik der Sozialdemokratie, sondern um Erneuerung der Politik, es geht um die Sammlung der Menschen, die die Idee in Deutschland tragen und lebendig erhalten sollen! Die Unerschütterlichkeft der groBen Tradition, die in den Ausführungen von Karl Kautsky hervortritt, ist imponierend. Unsere Partei braucht kein neues Programm— er will damit sagen, daß die Grundideen des Sozialismus lebendig sind, daß der Sozialismus keiner Revision, keiner Anpassung, keiner Vermischung mit Modeideen, geschweige denn mit wesensfremden Elementen bedarf. Er will sagen, daß es Immer Sozialisten geben wird, daß die Bewegung des sozialdemokratischen Denkens immer da sein wird. Aber wir wollen nicht nur die Tradition als geistige Strömung fortsetzen, sondern als praktisch wirkender, nach Macht strebender Verband, als politische Partei, und dazu gehört, daß wir sagen. wer und was wir heute sind. Die Namen, die wir tragen, stammen aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands , deren organisatorisches Geschick abgeschlossen ist und deren neuer Körper erst erstehen soll! Keiner von uns hat sich neuen Erkenntnissen und Notwendigkeiten entziehen können, und wer dies nicht vermochte, der hat sich weit von uns entfernt Zu diesen neuen Erkenntnissen gehört daß die Abkehr vom Reformismus eine objektive Notwendigkeit geworden ist daß die deutsche Sozialdemokratie hinfort nur Lebensrecht hat als eine revolutionäre Partei, daß der Kampf gegen den Faschismus revolutionäre Mittel und Zielsetzungen erfordert. Das alles paßt nicht zu dem Bilde, das die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und ihre Politik vor dem faschistischen Staatsstreich in Deutsch land geboten hat Die Beschränkungen auf die einfache Erklärung, daß wir gewillt sind, die Kontinuität der Sozialdemokratischen Partei aufrecht zu erhalten, müßte deshalb den Eindruck hervorrufen, als sollte auch die Kontinuität der bisherigen organisatorischen Grundsätze, die Kontinuität der Legalität und des Reformismus aufrechterhalten bleiben. Wir müssen deshalb die Wa n d I u n g klar und weithin sichtbar zum Ausdruck bringen, wir müssen vor allen Sozialisten und allen Arbeitern die Leitgedanken unserer Politik klarlegen. Wir müssen zeigen wie wir den Kampf gegen den Faschismus zu führen gedenken, welcher Mittel wir uns bedienen wollen, welche Ziele wir uns setzen, wie wir die Macht organisieren, sichern und anwenden wollen. Wir müssen zeigen, welche Stellung wir angesichts der Kriegsgefahr und gegenüber der neuen kriegerischen Politik des Hitlerregimes einnehmen. Es geht dabei um Politik, nicht um Theorie. I Was wir zu allen diesen Punkten zu sagen haben, sind keine Selbstverständlichkeiten. Es bedeutet in manchen Punkten wesentliche Abkehr von der bisherigen Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands . Und über all dies sollten wir nicht nach programmati- sehen Formulierungen trachten? Wir sollten nicht danach streben, einen gemeinsamen Ausdruck für das zu finden, was heute viele Tausende bewegt, die wir sammeln müssen, sollten nicht danach trachten, den zweifelnden und Fragenden klare Antworten zu geben? Das würde bedeuten, daß wir die Genossen allein lassen würden, die unter dem Druck der Diktatur drinnen mit sich und der Frage ringen; wohin nun des Wegs? Sollen wir diesen Genossen sagen; Nehmt das Erfurter Programm, das Gör- iitzer Programm, das Heidelberger Programm? Das werden sie vielleicht ohnehin tun— wenn sie es noch haben!— aber diese Programme sagen ihnen nichts über die brennenden aktuellen Fragen! Die Sammlung der Gruppen, die Erzeugung eines gemeinschaftlichen Kampfwillens, die Bildung eines neuen Körpers der Partei wird erfolgen auf den großen allgemeinen Grundsätzen des Marxismus — aber auch auf der Ausprägung der politischen Lehren und Erkenntnisse, die aus mindestens zwanzig Jahren sozialdemokratischer politischer Wirksamkeit, aus der gegenwärtigen Situation in Deutschland und der Welt gezogen werden müssen. Sollen wir denn schweigend handeln? Der Entschluß, in die Emigration zu gelten, in der Emigration und in der illegalen Arbeit in Deutschland zu wirken, beruht auf der Erkenntnis neuer objektiver Notwendigkeiten. Es ist unsere Pflicht, diese objektiven Notwendigkeiten festzustellen, sie ins Bewußtsein der Sozialisten und der Arbeiter zu bringen, die sie noch nicht erkannt haben. Eine geschlossene Fassung dieser Erkenntnisse— das sollte unsere Partei nicht brauchen? Wir wollen nicht um W o r t e streiten. Wahrscheinlich ist Genosse Kautsky m vielen Punkten mit uns einverstanden, und nieint nur, eine solche Zusammenfassung sei kein Programm, weil in seinem Erinnerungsbild ein sozialdemokratisches Programm etwas anderes ist als die Zusammenfassung der Leitgedanken des Wirkens einer Partei. Ich möchte einen solchen Unterschied zwischen Programm und Programm nicht machen. Wenn eine Partei in neuer Gestalt mit veränderter Aufgabe und in veränderter Situation und mit einer neuen Taktik vor die Oeffent- lichkeit tritt, als eine neue politische Ausprägung der großen Idee, und die Leitgedanken ihrer Politik öffentlich darlegt so JlustyaäeH 193U „Die Regierung hat ein neues Arbeftsgesetr beschlossen"(Hell HUIer!).„Was drin | steht braucht ihr nicht zu wissen!"(Hei) Hitler!).„So, und nun könnt Ihr wieder oachhause gehen!"(Hell Hitler!)
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2 (21.1.1934) 32
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