Vcäfuft und die Äuddmmaim Die europälsdie Presse der Hängediristen Von einem österreichischen Sozialdemokraten. Ss Ist eine nicht zn übersehende, sehr hezeichnende Tatsache, daß das Wiener Blntregime von allen europäischen Diktaturen die beste internationale Presse hat Gewiß, gerade die moralisch angesehensten Blätter der Welt haben ihren Ekel vor den Schuldigen am österreichischen Arbeitermord deutlich ausgedrückt, aber die Masse der internationalen Zeitungen, vor allem die sogenannte„jüdische Presse", versucht ihren Frieden mit dem ..christlichen" österreichischen System zu machen. Die Haltung des„Präger Tagblatts", die Haltung des„Pariser Tageblatts" und des„Neuen Tagebuchs" sind charakteristisch; auf sie mag als bezeichnende Beispiele hingewiesen sein, daneben noch andere Blätter zu nennen, ist überflüssig. Wie die wirklich demokratische Presse eines wirklich demokratischen Volkes auf die Wiener Ereignisse reagiert zeigt die nahezu einhellig ablehnende tapfere Haltung der tschechischen Zeitungen, die damit ihre Feuerprobe bestanden haben. Die Haltung der sogenannten„jüdischen" Presse ist symptomatisch; sie hat ihre Ursachen und Gründe. Der wichtigste Grund, der die politische Anschauung dieser merkwürdigen Demokraten bestimmt ist die Angst vor dem Pogrom. Aus dieser Angst erklärt sich die unwürdige Haltung der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien , die in ihrer Gemeindevertretung die Mandate der„Werktätigen Juden" und der *Poalezionisten" annullierte, ehe das die Regierung noch von ihr verlangt hatte. Nun scheint das eine sicher zu sein: in dem kleinen Oesterreich, das von allen möglichen internationalen Beziehungen nnd Gunstbezeigungen abhängig ist wird ein offenerPogrom nicht stattfinden. Der geheime Pogrom findet längst statt. Der junge jüdische Arzt, der seine Spi- . talspraxis zu absolvieren hat, der jüdische Student, der sich auf der hakenkreuzleri- schen Universität behaupten soll, der jüdische Versicherungsagent, die wissen ein Lied davon zu singen. Der jüdische Großindustrielle oder Finanzmann bleibt allerdings ungeschoren. Das liegt durchaus im Sinne des Systems, hinter dem keine Massen stehen und das klarer als irgendeine Diktatur in Europa eine Klassendiktatur Ist. in der die reichen Juden eben hinzunehmen gewillt sind, was man den armen Juden antut, wenn man nur die Bankkonti Wit Ausnahme der Arbeiterbank unberührt läßt Ansonsten aber, also mit Ausnahme des offenen Pogroms, geschieht im Oesterteich der Dollfuß und Fey genau dasselbe �'ie im Dritten Reich Adolf Hitlers. Die �Velt hat sich über die Bücherverbrennun- «en vom 10. Mai 1933 mit Recht aufgeregt; mit Recht fanden die Intellektuellen aller Kulturländer, daß dieses Prunkstück des Nazitums den Rang und die Würde der deutschen Kultur und Ehre schände. Die Regierung des österreichischen Bundeskanzlers tut genau dasselbe. Sie hat allerdings aus dem Echo Hitlerdeutschlands und von den geschickteren Methoden des italienischen Faschismus gelernt; sie vermeidet daher die Oeffentlichkeit, sie macht aus ihren Verfolgungen und Gemeinheiten kein Schaustück, sie tut alles still und geheim ab. Im Jahre 1933 ver- liehen die Wiener Arbeiterbibliotheken drei Millionen, die Arbeiterbibliotheken der Bundesländer eine Million Bände. Diese riesige Arbeiterbibliothek, Physiker und geistiger Besitz, ist glatt gestohlen worden. Eine• kurze Mitteilung �sagt, daß die Bibliotheken wieder eröff- "et werden sollen, nachdem man sie von der„marxistischen " Literatur gereinigt hat. Und marxistisch ist im Oesterreich von heute alles, was in irgendeiner Beziehung in die Beschränktheit der heute regierenden Herren nicht paßt. Mit bau- e nischlauer Geschicklichkeit vermied es Dollfuß , in die Erklärung über die Arbeiferbibliotheken auch nur das kleinste antisemitische Schlagwort über jüdische Lite- mten, jüdische Zersetzung, Asphaltlitera- fur etc. aufzunehmen. Wir fragen also: War die Entrüstung der sogenannten Jüdischen Presse" echt, sie über die Mißhandlung der geistigen Freiheit im Dritten Reich schrie? Wenn diese Entrüstung echt war, dann ist diese Presse verpflichtet, nun, da im Namen eines blödsinnigen Antimarxismus in Oesterreich dasselbe geschieht, was in Hitlers Reich hn Namen des Antisemitismus geschehen ist, ihren Mut zusammenzunehmen und laut und deutlich zur österreichischen Literaturveriolgung das Notwendige zu sagen. Oder gilt für diese Vorkämpfer der Demokratie das Recht und die geistige Freiheit nichts mehr, nun, da es scheinbar nicht gegen die Juden, sondern nur gegen den Marxismus geht? Oder ist im österreichischen Fall, da die Klassen Scheidung nicht wie im Dritten Reich durch Antisemitismus vernebelt ist, der Klasseninstinkt und die Klassensolidarität der bürgerlichen Zeitungen stärker als ihre angebliche Gerechtigkeitsliebe und Demokratie? Mit Recht hat das Berufsbeamtengesetz des Dritten Reiches die Empörung aller anständigen Menschen der Welt hervorgerufen. Aber was Hitler auf dem Gebiet des Beamtenwesens tat und tut, das macht Dollfuß genau so. Wieder ohne Prachtentfaltung, wieder schön still und geheim, wieder ohne irgendein Gesetz und ohne das Recht zu bemühen. Sämtliche Direktoren und Oberlehrer der Wiener Schulen und mancher Bundesländer wurden über Nacht auf die Straße geschmissen, weil sie einer Partei angehört und eine Gesinnung betätigt hatten, die bis zum 12. Feber 1934 durchaus erlaubt war und der mit allen Fasern ihrer Seele weit mehr Menschen anhingen und anhängen als den Regierungsparteien. Oder: man stellte in Oesterreich an Beamte die Frage: Wollen Sie in die„Vaterländische Front " eintreten? Für Menschen, die dort nicht eingeschrieben sind, haben wir keinen Platz!" Lehnte nun der Beamte den Kauf seiner Gesinnung ab, wurde ihm mitgeteilt, daß er, da er„fr e i.w illig"' seines Dienstes entsagt habe, keinerlei Ansprüche mehr aus seinem Dienstverhältnis habe. Das geschah auch Menschen mit gesetzlich garantierter Pensionsberechtigung und ohne daß man sjch bei diesem Vorgehen auf irgendeinen Paragraphen stützte, einfach mit dem Recht der Gewalt. Natürlich ist es schwerer, diese österreichischen Gemeinheiten in Erfahrung zu bringen als die deutschen ; darin besteht die besondere Geschicklichkeit des Dollfuß . Frage: Ist die Brotlosmacbung von Menschen weniger gemein, wenn sie sich gegen Marxisten richtet als gegen Juden? War die Entrüstung im reichsdeutschen Fall echt, dann haben wir ein Recht darauf, sie heute im österreichischen Fall zu vermissen. Oder: Mit Recht empörte man sich über die Tatsache, daß man im Dritten Reich Verwandte für einen Verwandten büßen ließ, der den Machthabern Hitlers uner reichbar geworden ist. Auch davor schreckt Dollfuß nicht zurück. In österreichischen Gefängnissen sitzen Leute. deren einziges Verbrechen darin besteht, mit irgendeinem führenden Sozialdemokraten verwandt zu sein. Andere wieder haben ihrer Verwandtschaft wegen ihre Arbeit verloren. Dollfuß macht durchaus dasselbe wie Hitler; er tarnt nur geschickter, er versteht nur, schweigsamer zu sein — aber sonst genau dasselbe. Hinrichtungen, Prügelungen auf der Polizei, überfüllte Gefängnisse, Konzentrationslager, geknebelte Presse, schließlich der bevorstehende Prozeß gegen den sozialdemokratischen Partei vorstand, der im Verdacht steht, den Schutz der Verfassung geplant zu haben: das sind die Tatsachen aus dem„christlichen, ständischen und deutschen " Oesterreich. In einem Punkt allein unterscheiden sich die zwei „Führer", der kleinere von den beiden vermeidet den offenen Antisemitismus, er kann nicht anders, er muß vorsichtig sein. Wir fragen die Demokratie der Welt: Ist diese Vorsicht des österreichischen Bundeskanzlers so entscheidend für das Urteil und die Gedanken Europas , daß sie alle Gemeinheiten des heutigen österreichischen Regimes aufzuwiegen vermag? Wird die Verletzung der Menschenrechte, der persönlichen Freiheit der Geistesfreihelt und des Selbstbestim- mungsrechtes, wird der standgerichtliche Mord und die Justizschande von Oester reich mit duldendem Schweigen aufgenommen werden, weil der an allen diesen Verbrechen schuldige österreichische Bun deskanzler so vorsichtig ist. sich nicht offen zu Antisemitismus zu bekennen? Es wäre wichtig, auf diese Frage eine Antwort zu bekommen. Die Leldienfledderer Die„Rundschau", das Organ der Komin lern für Westeuropa, widmet den Wiener Kämpfern die folgenden Zeilen: „Aus dem Blute der Opfer des österreichischen Februaraufstandes versucht bereits jetzt schon die II. internationale politisches Kapital zu schlagen. Die SPOe versucht den Anschein zu erwecken, als ob sie die Initiatorin und Fflhrerin der WdenmQtlgen Kämpfe gewesen sei. Es soll eine Legende entstehen von der kflhnen revolutionären Sozialdemokratie Oesterreichs , die das stark geschädigte Ansehen der II. Internationale heben soll. Die Schande der SPD , so lautet die Legende, sei durch die rautigen Kämpfe der SPOe gesühnt worden. Es darf der II. Internationale nicht gelingen. diese Legende den Massen aufzuschwatzen. Es wäre dies eine Verunglimpfung der heldenhaften Kämpfer, eine Schändung des Andenkens der gefallenen Opfer. Es Ist eine geschichtliche Lüge, daß der Austromar- z Ismus„in Schönheit gestorben" ist I n Schande hat er gelebt, in Schande Ist er gestorben... Dit kleine Kommunistische Partei hat versucht den Kampf auf eine höhere Stufe zu heben. Ueberail, wo Kämpfe entbrannt waren, standen Kommunisten Seite an Seite mit den sozialdemokratischen Arbeitern. An vielen Orten waren die Kommunisten Initiatoren und Organisatoren des Kampfes, an anderen führten sie, nachdem die SP-FQhrung die Losung der Kapitulation ausgegeben hafte, die Arbeiterschaft von neuem in den Kampf. Die Februarkämpfe waren ein Beweis für den Heldenmut und die revolutionäre Begeisterung der Kommunisten... Aus diesen Lehren wird die österreichische Arbeiterklasse Konsequenzen ziehen müssen. Die traurigen Maulhelden des Austromarxls- mus haben die österreichische Arbeiterschaft durch ihre verräterische Politik in den Faschismus geführt. Ihre politische Konzeption hat im Endeffekt ihren eigenen politischen Tod gebracht Der Austromarxismus, diese raffi- derte Verfälschung des Marxismus, ist politisch tot Sein Wirken hat das Eindringen des wahren revolutionären Marxismus in das Denken der österreichischen Arbeiterklasse verhindert Noch im Sterben hat er die Niederlage des Febrnaraufstandes verursacht Nunmehr ist der Weg für den Sieg des Marxismus-Leninismus frei- Bs gilt nun, den MasseneinfluB der Sozialdemokratie zu brechen. Die Sozialdemokratie bleibt auch weiterhin die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie, auch wenn die Arbeiter mit Kanonen beschossen werden." Sind das nicht Bnndcsgenossen der Fey und Dollfuß , suchen sfe nicht ans der Wiener Niederlage Kapital für ihren Apparat zu schla- gen? »Hodbverrat« Wo bleiben die Prozesse? Die Dolifnß, Fey und Starheni- b e r g haben großmäulig angekündigt daß sie die Führer der österreichischen sozialdemokratischen Partei wegen Hochverrats prozessieren lassen wollen. Nur zu! Wir glauben allerdings nicht, daß die Wiener Kanonenchristen den Mut haben werden, sich vor der Weltöffentlichkeit die Anklage gegen ihre Verbrechen Ins Gesicht schleudern zn lassen. Dieser Hochverratsprozeß würde stärker wirken, als alle Kanonen und Haubitzen des Fey zusammengenommen! Also her mit dem Prozeß I Hitler nnd Görlng haben seit langem einen Hochverratsprozeß gegen die Zentrale der KPD. angekündigt. Der Prozeß Thälmann und Genossen steht auf der Tagesordnung — aber er wird nicht stattfinden! Die deutschen Faschisten haben von dem einen Dimitroff genug. Der Prozeß ist ohne Angabe von Gründen abgesagt worden. Aber den deutschen Faschisten muß man auf die Finger sehen! Sie haben vier kommunistische Spitzenfunktionäre auf dem Verwaltungswege ermordet. Sind die Angeklagten des angekündigten und abgesagten Prozesses überhaupt noch prozeßfähig? t Her auch mit diesem Prozeß! Wir wollen sehen, ob die Angeklagten noch leben!....... r Die verfolgte Mensdil idskeit! Wer nicht bestialisiert ist, fliegt! Der Hauptausschuß der Leipzi ger Stadtverordnetenversammlung hat In seiner Sitzung vom 27. Februar beschlossen, den Oberstudiendirektor Behrendts und die Lehrerin Vorwerk, beide Vollblutaricr, mit sofortiger Wirkung ihrer Aemter zu entheben. Die Lehrerin hatte einer Schülerin untersagt, in der Klasse ein widerwärtiges Pamphlet des verstorbenen Nazi-„Dichfers" Dietrich Eckart aufzusagen, in dem in beispielloser Weise die Juden geschmäht werden. Die Lehrerin hatte dieses Verbot mit Rücksicht auf die Gefühle von zwei jüdischen Schülerinnen ausgesprochen, die sie nicht in dieser rohen Weise vor der ganzen Klasse beschimpfen lassen wollte. Nun schrieb der Vater des Mädchens einen Beschwerdebrief an den Direktor der Schule, den jetzt suspendierten Oberstudiendirektor Behrendts und verlangte die Bestrafung der „v e r J u d e t e n" Lehrerin. Der Direktor erklärte sich jedoch mit der Lehrerin solidarisch und teilte dem Vater mit, daß sie menschlich und pädagogisch gesehen, richtig gehandelt habe. Nun kam die Sache vor die Stadtverordnetenversammlung. In der Begründung der Suspendierung wird davon gesprochen, daß in einem nationalsozialistischen Staat eine solche Handlungsweise und eine solche Gefühlsduselei auf keinen Fall geduldet werden könne! Es lebe die hundertprozentige Bestialität! Die Pistole Die„Nationalsozialistische Partei-Korrespondenz" teilt mit:„Anschließend an die Veröffentlichung der Vorschriften über das Tragen des neuen Dienstanzuges der politischen Leiter der NSDAP , wird nunmehr bekanntgegeben, daß der Führer diesen politischen Leitern bis einschließlich Ortsgruppenleitern das Recht verliehen hat, zum Dienstanzug eine Pistole zu tra- g e n." Sieg Hell, Viktoria! Soeben kommt eine neue Auflage des ofli- ziellen Liederbuches der SA noch feucht aus der Presse. Da steht auf Seite 11 als Nr. 16 dieses zackige„Sturmlied 22/111/140": SA-Sturm rweiundzwanzig marschiert ins Morgenrot, Wir fürchten nicht den Teufel und fürchten nicht den Tod! Die Ostmark zu befreien, Sieg Heil, Viktoria! Wolln wir das Leben weihen! Sieg Heil, Viktoria! Wir werden nimmer rasten, SA-Kamera- deo. schwört, Bis daß die deutsche O&tmark dem Deutschen Reich gehört. Von den verdaramtenPoIen, Sieg Hell,fViktorial Wolln wir sie wieder holen, Sieg Heil. Viktoria! So steht Sturm zweiundzwanzig zum Freiheitskampf bereit Gebt uns die Marschbefehle, mit Gott ! frischauf zum Streit! Für Ostland kämpft und Danzig , Sieg Heil, Viktoria! SA-Sturm zweiundzwanzig, Sieg Heil, Viktoria! Inzwischen ist bekanntlich der deutsch - polnische Freundschaftsbund geschlossen worden, und nun sieht die Eroberung des Korridors doch wieder ganz anders aus— iiach dem Pariser„RIRE ", nämlich so;
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2 (11.3.1934) 39
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