hS/emktMm im deitUn Reitk MiäU SfitkiU Xadi träge zur sozialpolitlsdien Bilanz der braunen Herrschaft Das Dritte Reich scheut eine ehr liehe Bilanz. Seine Finanzwirtschaft ist unkontrolliert, seine Statistik zurechtgeschustert. Wir sehen uns deshalb veranlaßt, noch einige Nachträge zur Jahresbilanz bekanntgeben. Anfang 1933 wurden in Deutschland 20,832.000 Arbeiter und Angestellte gezählt. Zieht man davon 300.000 Kranke ab, so gab es im Januar 1933 20,532.000 arbeitsfähige Arberter und Angestellte. Nach der Krankenkassenstatistik befanden sich am 25. Mai 1933 13,170.000 Mitglieder in Arbeit, am 25. Juni 13,185.000, am 25. September 13,403.000. Nach der amtlichen Arbeitslosenstatistik wurden am 15. September 4,828.000 Arbeitslose gezählt. Die beiden letzten Ziffern ergeben zusammen 18.231.000 verfügbare Arbeitskräfte, die von der Zahl der 20,532.000 Arbeitsfähigen abzuziehen sind. In der Differenzzahl von 2.3 Millionen liegt jene un- sichtbar gewordene Arbeitslosigkeit, die in der neuen amtlichen Reichsstatistik wegretouchiert worden ist. Es sind hier noch nicht mitgerechnet Angehörige des Mittelstandes und Hunderttausende von Marxisten. Pazifisten, Juden und Personen, die von der staatlichen sozialen Hilfe ausgeschlossen sind, also auch in der Statistik nicht erscheinen. Die Unstimmigkeiten der Statistik zeigen sich auch in der folgenden Gegenüberstellung: während bei den Krankenkassen im September 1933 13,403.000 Mitglieder gezählt wurden, hatte die Reichsarbeitslosenversicherung nur 9,800.000. Diese große Differenz ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß das Reich für die im Freiwilligen Arbeitsdienst Beschäftigten Beiträge zur Kranken- aber nicht zur Arbeitslosenversicherung gezahlt. Ob man Exerzieren, Felddienstübungen der Sturm- truppler, Stahlhelmler und sonst im Freiwilligen Arbeitsdienst„beschäftigten" Personen als eine wirtschaftliche Beschäftigung ansehen kann, ist eine Frage. Vorläufig wird mit diesen Künsten die Zahl der Erwerbslosen vollkommen um einige Millionen gefälscht. Arbeltswechsel. Zur Finanzierung der Arbeitsbeschaffung hat die Hitler-Regierung Wechsel ausgestellt, die in der Zeit vom 1. April 1934 bis zum 1. April 1938 eingelöst werden sollen. Bis jetzt sind nicht weniger als 1.3 Milliarden Arbeitsbeschaffungswechsel ausgestellt worden und obwohl einige Großbanken diese Wechsel nicht mehr aufnehmen können, ist der umlaufende Betrag weiter auf 2.7 Milliarden Mark erhöht worden. Ein weiterer Milliardenbetrag ist die Finanzierung der Reichs-Auto-Bahn bestimmt. Aufnahmestelle für diese Wechselflut kann schließlich nur die Reichsbank sein und Dr. Friedrichs schreibt im „Bankarchiv"; ..Deutschland würde im Fortgang dieser Finanzierungsmethode bald mit einer Erhöhung seines Kotenumlaufs zu rechnen haben." Die„Fraitkfurter Zeitung" redet einstweilen den Privatbanken noch gut zu, von sich aus einige Hunderte Millionen Mark Arbeitsbeschaffungswechsel aufzunehmen, aber„Der deutsche Volkswirt" erklärt im Einverständnis mit dem„Bankarchiv", daß nur noch die Reichsbank als Finanzierungsquelle übrig bleibt. Eigentlich wird unter den Sachverständigen nur noch darum diskutiert, w i e man dem Volke die Wahrheit sagen soll. Denn in Wirklichkeit diskutieren die deutschen Finanzfachleute heute schon über eine Inflation. Der Reichsarbeltsminlsfer„bedauert". In der Holzindustrie und im Tischlergewerbe des Wirtschaftsgebietes Westfalen war seit dem 1. Januar 1933 ein tarifloser Zustand eingetreten. Die Zustände waren so unhaltbar geworden, daß sich der„Treuhänder der Arbeit" entschließen mußte, von sich aus eine Lohn- regelung anzuordnen. Er beantragte bei dem Reichsarbeifsminister für die neue Lohnregelung die Allgemeinverbindlich- keit. Dieser Antrag des Treuhänders der Arbeit wurde jedoch vom Reichsarbeitsminister mit dem folgenden Bescheid abgelehnt: „Der tariflose Zustand hat in ländlichen sowie kleineren Betrieben zu weitgehendem Absinken der Löhne geführt. Dieses Absinken, das zum Teil das sozial erträgliche Maß zweifellos weit überschreitet, ist an sich außerordentlich zu bedauern. Es muß aber als. Tatsache hingenommen werde n." Der Herr Reichsarbeitsminister bedauert das Absinken der Löhne über das sozial erträgliche Maß hinaus, aber in der Jahresschau nationaler Arbeit muß so etwas als Tatsache hingenommen werden! Müdigkeit an der Arbeitsfront. Unter den früheren bürgerlichen Gewerkschaften von Deutschland gehörte der Deutsch nationale Handlungsgehilfen-Verband zu den willigsten Pionieren des Nationalsozialismus. Dennoch wurde auch im DHV., der jetzt unter Wegfall jeder Hugenberg-Tra- dition nur noch Deutscher Handlungsgehilfenverband heißt, die Verbandsleitung gereinigt und mit echten Nazis besetzt, aber unter 4er neuen Leitung beginnt der praktische Anschauungsunterricht des Hitler-Regimes allmählich zu wirken. Die Kaufmannsgehilfen hatten sich den deutschen Sozialismus etwas anders vorgestellt. Das folgende Originalrundschreiben des DHV. zeigt ein recht bedenkliches Abflauen der Begeisterung, und ist mit dem Freudengeheul bei den fast täglichen Feiern und Festen der Nazis nur schwer in Einklang zu bringen. „Es hat sich bisher im Kreise unserer Verbandsmitglieder eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Verbandsleben und eine Lässigkeit in der Erfüllung der Pflichten gezeigt, die nicht zu überbieten sind. Die beiden letzten Pflicjitversammfiingen zeigen Besucherzahlen auf. die einfach beschämend sind... „Noch betrübender ist es, wenn man hören muß, wie Mitglieder unseres Verbandes unter sich und zu anderen über ihre eigene Organisation in einer Weise sprechen, die ganz ungerechtfertigt, g e- wissenlos und niederträchtig ist. Bedauerlicherweise werden mir solche Aeußerun'gen selbst von solchen Mitgliedern gemeldet, die eingeschriebene Mitglieder der NSDAP , und gar d e r S A. s i n d. Ein solches Verhalten ist einfach unbegreiflich. Es ist meine Pflicht, in Zukunft derartigen Aeußerungen nachzugehen. „Beruiskameraden! So geht es nicht w e 1 1 e f. Es scheint mir, als ob noch zu viele nicht begriffen haben, was die Arbeitsfront und damit der DHV. bedeuten. Es ist unmöglich, Nationalsozialist zu sein und der Notwendigkeit der weltanschaulichen und beruflichen Schulung auszuweichen. Besinnt Euch auf Eure Pflicht! Wenn wir auch aus der regen Anteilnahme der Mitglieder neue Kraft zum Arbeiten schöpfen, so kennen wir keinen persönlichen Ehrgeiz. Unser Grundsatz ist, Euch und dem Volksganzen zu dienen. Wenn ich schon von mir sprechen darf, so muß ich sagen, daß die niederschmetternde Erkenntnis des Zustandes in unserem Kreise mich schon vor die Frage gestellt hätte, mein Amt zur Verfügung zu stellen, wenn mich nicht das Bewußtsein der Verantwortung zwänge, auf dem Posten auszuharren, auf den ich gestellt bin. Noch kann und will ich die Hoffnung nicht aufgeben. Wenn ich sie bei den älteren Berufskameraden endgültig aufgeben müßte, so rechne ich auch auf Euch, DHV -Jugen d." Wenn schon die Treuesten der Treuen vor Ablauf des ersten Jahres„gewissenlos und niederträchtig" geworden sind, so wäre es wohl angebracht gewesen, wenn Adolf Hitler den begleitenden Text zu seiner Jahresbilanz etwas bescheidener gehalten hätte! Fürsorge für Harxistenklnder Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung trifft große Vorbereitungen, um die Jugendlichen, die zum 1. April aus den Schulen entlassen werden, in das Berufsleben einzugliedern. Es soll, wie es scheint, Lehrlings- züchterei im größten Stil betrieben werden und man will mit einem scheinbar sozialen Zweck die massenhafte Gewinnung billiger Arbeitskräfte verbinden, für die dann ebenso viel ältere entlassen werden können. Abgesehen von der Unterbringung in Lehrstellen erwartet man, wie von der zuständigen Stelle berichtet wird, auch vom A r- beitsdienst eine gewisse Entlastung des Angebots von Jugendlichen, ferner auch durch das Land jähr, das in Preußen bereits grundsätzlich beschlossen ist. Dieses Landjahr wird dann folgenderweise näher erklärt: „Es werden im wesentlichen die Kinder aus den Großstädten und industrierelcben Bezirken in das Landjahr kommen, darunter namentlich solche Kinder, die nachweislich In der Vergangenheit eln�ltig marxistisch beeinflußt worden sind, wie das Insbesondere In den weltlichen Schulen geschah. Hier könnte das Landjahr eine nationale Erziehung nachholen." Auf solche Weise wird das Wort Hitlers : „Wir werden ihnen die Kinder nehmen!" zur Wahrheit gemacht. Den Schülern weltlicher Schulen, den Kindern marxistischer Eltern soll auf dem Lande die richtige nationale Gesinnung eingeprügelt werden! Die»heutfgen Anforderungen«... Kardinal Bertram in Berlin hat an die Behörden eine dringende Mahnung gerichtet. „auf das religiöse Innenleben und die Heiligung des Sonntags mehr Rücksicht zu nehme n." Auch die Leiter von Versammlungen, Wehrsport- und Arbeitslagern müsse er um das gleiche ersuchen. „Unter den heutigen Anforderungen", so formuliert der Kardinal seine Anklage diplomatisch und schamhaft, müßten alle religiösen Dinge den größten Schaden nehmen. Dieser aufsehenerregende Kampfruf des Kardinals, der im Berliner katholischen Kirchenblatt veröffentlicht worden ist, hat in Ber lin größtes Aufsehen erregt. Die Fesikrawatte Die Reichszeug meisterei der NS DAP. hat soeben zur„Ankurbelung der Wirtschaft" die Herausgabe einer F e s t k r a- watte„Kraft durch Freude " beschlossen als Teil des obligatorischen Festanzuges in fünffacher Ausführung herauskommen soll und deren Tragen Pflicht für alle Mitglieder der„deutschen Ar beitsfront " sein wird. Der Frontkomplex In„Wild und Hund" Nr. 9 vom 2. März liest man einen Artikel, der die pompöse Uebcrschrift trägt:„De u t s c h-L a n g h a a r strebt zur Front!" Wer ist dieses martialische„Deutsch-Langhaar" und an welchem nordischen Kriegsschauplatz„strebt" es gegen den jeweiligen Erbfeind zur Front? Diese Langhaarigen sind kein neuerwachter Kannibalenstarara aus dem Geschlecht der Hitler und Göbbels , sondern nur eine Hunderasse. Heißt nicht die Schlußfolgerung: sogar die. Hunde drängen in Deutschland zum Krieg? Der Dreivlertel-Apiep In der Münchener Medizinischen Wochenschrift" Ist in der Nr. 7 vom 2. März das folgende Inserat zu lesen: „Junger Chirurg, zweiundeinhalbjähriger Ausbildung, la-Zeugnisse, auch selbstständige Arbeiten gewöhnt, dreiviertel Arier, sucht Stellung an Privatkrankenhaus bei bescheidenen Ansprüchen." Der junge Chirurg, der nicht sein Wissen und seine Ausbildung, sondern seine nordische Rassenmehrhedt In den Mittelpunkt seines Angebots stellen muß, Ist ein Charakteristikum der aligemeinen Barbarisierung des verhitlerten Deutschland . Das Blendmittel Kapitalismus, gemildert durch Schutzhaft. Vom früheren Rußland galt der Satz; dort herrsche der Despotismus, gemildert durch Meuchelmord. In der Tat ist von den Zaren des 19. und 18. Jahrhunderts nur der kleinste Teil eines natürlichen Todes gestorben. Aber man kann trotzdem nicht behaupten, daß die Aussicht auf ein blutiges Ende den Despotismus der meisten Zaren gemildert- hätte. Im Gegenteil, ewige Angst und ständiges Mißtrauen vergrößerten ihn nur. Vom heutigen Deutschland kann man sagen; in ihm herrscht der Kapitalismus, gemildert durch Schutzhaft. Ab und zu wird nämlich pompös in den Naziblättern verkündet, daß ein unsozialer Betriebsleiter in Schutzhaft genommen worden sei. Und der „dumme Kerl" im Betriebe soll sich natürlich freuen, wie schneidig der nationale„Sozialismus" gegen die Kapitalisten losgehe. In Wirklichkeit ändern zwei oder drei solche Fälle im Monat(mehr sind es nicht) au den ausbeuterischen Tendenzen des Kapitalismus noch viel weniger als die Ermordung von Zaren durch Palastrevolutionen am Wesen des russischen Despotismus geändert hat. Man muß zudem einmal genau betrachten, aus welchen Gründen Schutzhaft gegen Unternehmer verhängt wird. Man liest z. B. im„Völkischen Beobachter": Zu einer Kundgebung gegen den Betriebsleiter der Ziegelei Blumenthal in Liebschütz bei Neusalz kam es am Sonntag nachmittag. Es war bekannt geworden, daß die Ziegelei ihre Arbeiter unter Tarif bezahlte. Aus diesem Grunde wollte der Ortsbetriebs- zellenleiter der NSBO. und Arbeitsfront Pg . M o s i g mit dem Betriebsleiter verhandeln. Dieser wurde jedoch gegen den Vertreter der Arbeitsfront tätlich und beleidigte ihn aufs schwerste. Die NSBO. veranstaltete aus diesem Grunde einen Protestumzug durch Neusalz zum Rathaus, wo Ortsgruppenleiter Beigeordneter Hanke zu der Arbeiterschaft sprach. Der Betriebsleiter Gens wurde auf Veranlassung des Landrats in S c h u t z h a f t genommen. Also nicht etwa ist dieser Betriebsleiter in Schutzhaft genommen worden, weil er unter Tarif arbeiten ließ, sondern weil er den zu ihm entsandten Vertreter der „Arbeitsfront " beleidigt und tätlich mißhandelt hat(Woraus man übrigens schon sehen kann, wie die beutigen Unternehmer mit ihren braungelben Kulis glauben umspringen zu können.) Hätte der Betriebsleiter Gens den Pg. M o s i g hübsch auf einen Stuhl gebeten, ihm eine Zigarre offeriert und im übrigen ihm mit bedauernden Achselzucken auseinandergesetzt, daß er beim besten Willen keine höheren Löhne bezahlen könne — es wäre Herrn Gens bestimmt kein Härchen gekrümmt worden. Das wissen auch die übrigen Betriebsleiter im Reich. Und daher wird die EinkastelunS ihres Standesgenossen(auf wie lange übrigens?) die anderen höchstens davon abhalten. ihre Betriebsstellenleiter der NSBO. einfach mit Fußtritten hinauszuwerfen, wenn diese einmal vorstellig werden. Keinen aber wird der Fall Gens abschrecken, die Löhne der Arbeiter nach Kräften hcrabzudrücken. Die„Milderung" des Kapitalismus durch Schutzhaft gegen unsoziale Unternehmer's' genau so ein Reklameschauspiel für die Dummen wie alles andere im Dritten Reiche auch! Reditsgüiepsdiu� Professor Dr. F. Oetker, Würzburg . schreibt in einer Abhandlung;„Gedanken zur Reform des deutschen Strafrechts und Strafprozeßrechts": „Die Tötung eines Verbrechers kann durch Rechtsgüterschutz gerechtfertig' sein, nie wäre es Lebensentwertung 10 Form der Verstümmelung. Schon deshalb nicht, weil darin eine naturwidrige Schmälerun. g det' Arbeitskraft— das Wortirawei- testen Sinne genommen— läg®- Einer Körperstrafe durch Züchtigung unter Vermeidung von Uebermaß stände dieser Grund nicht entgegen." Mißhandlungen sowie das Abschlagen v'00 Köpfen sind statthaft, das Abhacken von Händen hat aus industrietechnischen Zweckmäßig" keltsgründen tunlichst zu unterbieten.
Ausgabe
2 (11.3.1934) 39
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