Nr. 40 BEILAGE

Heuer Vormärts

Wie Mütter haben es jetzt schwee!

Ein Frauenbrief aus Deutschland

5. März 1934.

Meine liebe Anna!

Endlich habe ich Gelegenheit, Dir einmal einen, feuerfesten" Brief zu schicken. Die mei­sten Auslandsschreiben werden ja geöffnet und streng kontrolliert. Glaubst Du, daß das nötig wäre, wenn wirklich 90 Prozent des Volkes hinter dem Führer ständen? Wer gar Familien­

angehörige im Ausland hat, kann sich vor liebe­voller Aufmerksamkeit nicht retten. Wie brutal ist diese Zensur! Vertrauliche Mitteilungen, die nur zwei Menschen angehen, werden von Un­bekannten gelesen, womöglich bespöttelt. Du wirst verstehen, warum ich Dir lieber seit Mo­naten gar nicht schrieb. Ich hätte Dir ja doch nicht schildern dürfen, wie es hier zugeht und was wir Schlimmes erlebt haben. Nicht mal im Inland wagt man die Wahrheit zu schreiben.

Daß mein Mann viele Wochen lang im Kon­zentrationslager war, weißt Du schon. Da durfte ich wohl ab und zu Briefe schicken. Aber was sollte drin stehen? Freunde durfte man nur sehr vorsichtig erwähnen, um nieman­den zu gefährden. Politisches war schon gar­nicht erlaubt. Also schrieb ich Worte der Liebe und des Trostes. Aber er erzählte mir, als ich ihn einmal besuchte, daß junge SA­Landsknechte die Briefe zensurierten und sich darüber lustig machten. Nun, meinetwegen, ich habe mich nicht darum gekümmert.

Meine Schreibmaschine haben sie mir

genommen

und ich muß daher mit der Hand schreiben, ob­wohl ich doch soviel schreiben will. Du weißt, wie gerne ich Maschine schrieb. Und wie lieb­ten wir unsere Bücher! Sie sind beschlagnahmt, oder treiben sich in Winkeln herum, um unge­sehen zu bleiben.

Jetzt bin ich gleich mittenhinein geraten in die Schilderung des Druckes, der auf uns la­stet. Noch nie wurde das Leben so bevormun­det und geknechtet wie jetzt. Mann und Jungen müssen sich auf der Straße herumtreiben, um zu ,, marschieren". Wir müssen flaggen auf Be­fehl, Heil rufen auf Befehl, den Lautsprecher anstellen und fremde Menschen zum Hören der Hitlerreden in die Wohnung lassen. Früher hieß es immer: ,, Die Roten wollen das Familienleben zerstören". Jetzt wird es wirklich zerstört.

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Ich schrieb Dir, daß mein Mann doch noch arbeitslos geworden ist. Wir hatten Hoffnung, daß er als Schwerkriegsbeschädigter im Amte bleiben würde. Wir haben doch durch die Verwundung reichlich Schweres fürs Vaterland zu tragen gehabt. Sie haben auch in der Wohl­fahrt, wo mein Mann angestellt war, viel zu tun, und es fehlt an eingearbeiteten Leuten, weil man die, die irgendwelche Aemter in der SPD. gehabt hatten, gleich hinausgeworfen hat. Wir fühlten uns schon gerettet, bis eines Tages plötzlich die große Aktion stieg: Verhaftung, Haussuchung, Konzentrations­

lager, Arbeitslosigkeit!

Große Dinge wurden gesucht, viel Harm­loses wurde weggenommen, nichts Belastendes wurde gefunden- aber einige Wochen Konzen­trationslager und Entlassungen blieben be­stehen. Wir waren eben Staatsfeinde.

18. März 1934

tragen wollen. Sie hat es sich aber anders über­legt. Eine hat sie deshalb Kommunistin ge­schimpft!" Du, Mutti, mit Erich muß ich mich so vorsehen. Er spricht ganz laut auf der Straße über Hitler , erzählt Witze. Ich habe solche Angst, daß es jemand hört. Aber mit ihm kann ich reden, er ist ehrlich. Heinz sagt auch mal was, aber ich glaube, der ist ein Spitzel". Du siehst, um die kindliche Unbefan­

Zeitungen und natürlich die illegale Literatur.| legten die Kleinen wenig Wert, die Haupt- genheit ist es geschehen. Wenn man Werner Illegale Literatur, das ist eine Kostbarkeit. sache: marsch, marsch, und laut im Chor aber fragt: ,, Bist Du auch arisch?" dann wird Nur vorsichtig muß man sein und wieder vor- schreien. Eine Fahne hätte unsere kleine Liese er wütend. Er weiß nichts damit anzufangen, sichtig. Und wir Frauen müssen uns besonders auch in rot genommen. Aber daß das nicht mög- und hält das Ganze für eine Veralberei. schulen. Zur Schweigsamkeit, zur Vorsicht, lich war, begriff sie schon mit ihren 5 Jahren. zur Menschenkenntnis, aber auch zum Mut. Es kommt noch vor, daß Mütter aus Angst die illegale Arbeit ihrer erwachsenen Kinder hem­men. Es gibt aber auch andere Mütter und an­

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Eine Reklamefahne tats schließlich auch, aber ein Hakenkreuz muß man doch drauf malen.

Das tat sie nur kurze Zeit. Es kamen andere Spiele: Papa haben sie ins Lager gesperrt:

Darum lernen die Hohenzollernprinzen jetzt bellen.

Du kannst Dir vorstellen, daß es unter uns Frauen viel Unterhaltungsstoff und Kopfzerbre­chen gibt. Bei Frauen, die nicht zu uns gehören, ist schwer etwas zu erreichen. Man muß die

Aufklärung immer ohne direkte politische An­spielungen tun. Sie sehen zwar die Ungerechtig­keiten, die Lüge und das Geschäft, aber sie haben Angst. Wo Arbeitslose und Kranke zu Hause sind, da ist die Sache leichter. Die den lassen sich nichts vormachen. Auch in Kaufläden kann man manchmal ein Wort sagen. Alles ist ja teuerer geworden, jeder hat weniger Geld.

Wenn man darüber nicht einmal ohne Furcht reden darf, bringt es doch viele zum denken. Viele SA - Bräute sind auch nicht auf ihre Rech­nung gekommen. Eine Bekannte von mir möchte lieber wieder aus der NSDAP . austreten. Es werde dort viel geschoben". Es werden auch viele Arbeiterinnen entlassen.

Unsere guten Mütter, die immer sagten, ihren Jungens fehle das Militär, sie würden zu üppig! Heute werden sie mit ihren Jungen überhaupt nicht mehr fertig. Eine Bewegung, die die Frau herabsetzt, sie nur als Gebärerin, Köchin und Reinemachefrau gelten läßt, för­dert männliche Eitelkeit und Landknechtsgeist. Wie sollen da die Jungen der Mutter Achtung und Liebe entgegenbringen? Sie werden an­maßend und großmäulig wie die Führer.

Wir haben viel Kummer, Sorgen und Leid, wir haben aber auch unseren kritischen Sinn, unseren Glauben und unseren Humor nicht ver­loren. Die Entwicklung geht uns zwar zu lang­sam, viele werden kleinmütig, springen ab, las­sen sich täuschen. Wir trösten uns oft unter­einander aber wir verlieren den Glauben nicht. Unsere Zeit kommt!

In dieser felsenfesten Ueberzeugung grüßt Dich Deine...

Der unbeliebte

,, deutsche Gruß"

Das reizende kleine Händchen streikt...

Es klappt nicht mit dem Hitlergruẞ! So oft auch der verprügelte Untertan hand­greiflichen Unterricht in den neudeutschen Be­grüßungsformen bekommt, er will und will es nicht lernen! Und besonders die deutsche Frau! Wie kann man blond sein, blaue Augen haben, und doch so renitent sein wie ein untermenschlicher Marxist oder ein schwarzgelockter Hebräer( von der nicht hof­fähigen Sorte)?! Die, Bremer Zeitung" beschmockt diese betrübliche Tatsache in fol­gender Weise:

Das reizende kleine Händchen zum deutschen Gruß zu erheben, das bringt die deutsche Frau in den wenig­sten Fällen fertig und wie gut stände ihr dieser Gruß zu Gesicht. Ich kann mir gar kein entzückenderes Bild denken, als eine Frau mit der erhobenen Hand zum Gruß..."

Das reizende kleine Händchen will nicht! _?

dere Frauen, die Ihre Angehörigen anspornen ,,,, Wenn ich ein Adler wäre, käme ich herunter- Kann man es ihm verdenken etwas zu tun. Das schlimmste ist:

man muß sich vor den eigenen Kindern in acht nehmen!

geflogen und fräße alle SA- Männer auf". ,, Wenn ich der liebe Gott wäre, setzte ich alle Hitler­leute nach Afrika , dort könnten sie tun, was

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SA - Mann Buddha

So wie jetzt hat noch nie die Uniform das Unser Führer ist bekanntlich ein großer Hundeliebhaber. Straßenbild beherrscht. Ein Zivilist gilt nichts mehr, eine Frau erst gar nichts. Jeder Mann, der was sein will, steckt sich in eine Uniform, trägt einen Dolch oder Revolver. Die Arbeiter werden in eine Affenjacke gesteckt, sie werden von uniformierten SA - Leuten zu Demonstratio­nen und Versammlungen geführt. Jetzt dürfen auch die braven Frauen wenigstens eine Klet­terweste anziehen. Man fühlt sich im Krieg. So ein Dreikäsehoch kann leicht den Vater ins sie wollen, und wir würden unsere rote Fahne Es ist ernst gemeint, und gerade deshalb so Aber die Front ist im Land, die nicht unifor- Konzentrationslager bringen, wenn er ohne böse wieder heraushängen und ich würde ins Kinder­was die nazioffizielle mierten Proleten sind der Feind. Du kannst Absicht häusliche Gespräche ausplaudert. Es freunde- Zeltlager gehen". Liese kriegt Wut und unsagbar komisch, Dir vorstellen, wie von diesem Feind" die ist sehr schwer, gegen das Gift, das jetzt von schimpft mit drastischen Worten auf unseren Braune Post" schreibt: braune Uniform gehabt wird. Sie sieht ja den Lehrern und Jugendführern in die kind- Herrn Führer. Wir versuchen allerlei, um die außerdem scheußlich aus. liche Seele geträufelt wird, wirksame Gegen- Fünfjährige auf andere, kindlichere Gedanken zu Krieg ist auch sonst in unserem armen schö- gifte zu finden, ohne die gebotene Vorsicht zu bringen. Obs aber glückt? Werner war schon nen Land. Belagerungszustand. Man flüstert vergessen. Die Kinder sind schlau, sie beobach- bei den Nestfalken. Er hat natürlich auch eine seine Meinung nur noch. Sitzt man mal im ten, fragen uns aus, politisieren jetzt furchtbar richtige Wut auf den, der ihm diese Freude ge­Kaffeehaus oder Restaurant, um unter Men- gern. Die Kleinen spielen ja die Großen in Ihren nommen hat. Er muß Hell Hitler in der Schule schen zu sein oder Zeitungen zu lesen, so flü- Spielen, und was ihre kindliche Phantasie am sagen, das SA- Lied singen und beten. Seine man schon dem schlappen" Heiligen seine stert man auch. Die Zeitungen liest man, ohne meisten beschäftigt, Aeußerlichkeiten, ahmen sie Falken- und Kinderfreundebücher holt er immer unheroische Haltung ausgetrieben haben! Hätte eine Muskel im Gesicht zu bewegen. Seit die mit Feuereifer nach. Und Aeußerlichkeiten gibt einmal hervor. Mit gruseliger Spannung und diese Roßkur nicht genügt, so würden sich Volkshäuser geraubt wurden, gibt es keinen es jetzt reichlich. Einen Helm aufsetzen, einen Renommiersucht steckt er sie weg: Wenn hier zwanglos diverse Konzentrationslager in den Fleck mehr, wo sich der Arbeiter wohlfühlt. Säbel in die Hand, eine Fahne und im Marsch- mal die Polizei kommt, nimmt sie mir alles Dienst der guten Sache gestellt haben. Die Zeitungen liest man, wie in den Kriegs- schritt mit Gegröhl herumziehen, das gefiel weg". Will man mal hören, was sich so Kinder SA- Mann Buddha! Das wird geschrie­jahren die offiziellen Heeresberichte. Man glaubt am Anfang nicht nur unseren großen SA- Kin- unterhalten, was sie denken, was sie vergessen ben, gedruckt und als kühne Offenbarung aus­ihnen nicht. Wir lesen zwischen den Zeilen, dern, es gefiel noch mehr den Kleinen. Unsere und was sie gelernt haben, dann gehts los: geschrien, ohne von der eigenen Lächerlichkeit fragen uns gegenseitig: wie meinst Du, ist das Höfe dröhnten nur so vom Marschtritt, Kriegs- ,, Meine Freundin Ruth wollte sich Zöpfe wach- erschlagen zu werden! auszulegen? Sehr gesucht sind ausländische und Siegesgeschrel. Auf den richtigen Text len lassen, weil sie in der Klasse alle welche

,, Buddha hat das Leben verneint! Hätte der alte Buddha Gelegenheit ge­habt, in die SA einzutreten, so wäre er bestimmt anderen Sinnes gewor­den!"

Na also! In Hitlers zackiger SA würde

Deutschland im Jahre 1934!