Nr. 41 BEILAGE

Neuer Vorwärts

Alles muß in Scherben gehen"

Blutdurst, Roheit, Antisemitismus

25. März 1934

Landsknechte brauen: Blutdurst, Ro­heit, billige Sentimentalität. Antisemitismus. Die kleinen Jungen werden heranwachsen und werden ihren Traum von der krachenden Handgranate, die das Herz im Leibe lachen macht, ver­wirklichen wollen. Heute singen sie, mor­12 gen morden sie. Ein einziges dünnes Hit­Und der Kaufmann erzittert vor Angst und lerjugend- Liederbuch könnte der Welt vor Weh, dem Matrosen entsinket der begreiflich machen, was alle Nichtangriffs­Mut, wenn da steigt am schwankenden pakte mit Deutschland wert sind. Aber Mast empor unsre Fahne so rot wie Blut. die Welt wird nicht begreifen! Tiralala... Hoch lebe das brausende Meer,

deutsche Jugenderziehung von heute

Was die erwachsenen SA - Leute tun, Rosen blühn, wenn die HJ zieht nach weiß man so ungefähr. Sie exerzieren, Berlin ... kommandieren, terrorisieren Miẞliebige Diese Verbindung von Blutdurst und wil­und jubilieren an allen nationalsozialisti- den Rosen, von Gummiknüppel und Senti­schen Fest- und Gedenktagen, deren es in mentalität macht dem deutschen Volke so Deutschland jährlich ungefähr 370 gibt. leicht keines nach. Die Lieder ,, mit Ge­Von den jüngeren und jüngsten Jahrgän- fühl" sind überhaupt die schlimmsten. gen der braunen Armee, von den Hit- Wenn man sie liest, weht einen die ganze lerjungen, erfährt man zwar, daß sie schamlose Verlogenheit an, die miẞtönende vor lauter Dienst" nicht zu den Schul- Sentimentalität, zu der diese Jugend arbeiten kommen und daß die Mütter sich nebenbei erzogen wird: bitter über ihre Schnoddrigkeit und Roheit beklagen, aber sonst kümmert sich die Welt wenig um diese uniformierten Kin­der. Sie sind ja noch klein, sie richten noch keine Menschenschlächtereien an, mißhandeln noch keine Wehrlosen( nur gelegentlich jüdische Klassenkameraden), auch sind sie noch nicht zu den ausgebil­deten, kriegstüchtigen Soldaten des natio­nalsozialistischen Heeres zu zählen. Das alles kommt erst später. So vergißt sich's leicht, daß der Kinderdrill durchaus zur deutschen Aufrüstung gehört, vielleicht ihr gefährlichster Teil ist.

Vor uns liegt ein Hitlerjugend­Liederbuch, das den Zehn- und Zwölf­jährigen von ihren erwachsenen Anführern immer wieder warm empfohlen wird. Es trägt offiziellen Charakter, denn es ist im gleichen Verlage ,, für nationalsozialistische Volksliteratur" erschienen, in dem Hitler seine Reden veröffentlichte, in dem Bio­graphien von Göbbels , Göring , Schirach, Frick und anderen Häuptlingen herauska­

men.

Was singt der Nachwuchs des Dritten Reiches ? Oder zunächst einmal: was singt er nicht? Die heiteren Volks-, Spiel- und Kinderlieder sind verschwun­den. Unter den 48 Liedern des Heftes fin­det sich nicht ein einziges davon, nicht ein einziges, das harmlos- fröhlich wäre, nicht ein einziges, in dem nicht ge mordet, geraubt, gekämpft würde.

Die weitaus meisten Texte, die von den Kindern auswendig gelernt und gesungen werden, sind unglaublich verlogen und verkitscht. Und zwar gibt es dreierlei Kitsch: den blutigen, den romantischen und den sentimentalen. Am beliebtesten ist natürlich der erste; Krieg, Bürgerkrieg, Antisemitismus. So sieht das aus: Einst wird noch der Erdball erbeben, erzit­tern das Menschengeschlecht, wenn sich die Germanen erheben zum Kampfe für Freiheit und Recht...

Wenn wir zum Sturme gehen, mit mutge­schwellter Brust, muß alles in Scherben gehen, bei unsrer Kampfeslust... Wer will mit uns zum Kampfe ziehn, wenn Hitler kommandiert? Ja, da heißt es brav marschieren, der Hitler soll uns füh­ren. Legt an! Gebt Feuer! Und ladet schnell, weich keiner von der Stell!... Und wenn die Handgranate kracht, das Herz im Leibe lacht.

Ich habe Lust im weiten Feld zu streiten mit dem Feind, wohl als ein tapferer Kriegsheld, der's treu und redlich meint. Hier ..und die Hitlerjugend marschiert. wird nicht gefackelt, hier gibt es Dampf, und was wir wollen ist Freiheitskampt nach blutiger Melodie.

Die Volksgemeinschaft wird auf besondere

Art gepflegt:

Auf dem Wedding und in Moabit , in Lich­ tenberg und in Neukölln , da weht ein Wind, der verteufelt zieht, da hörst du im Dunkeln es gelln, da lauert der Mord und die finstre Gier...

Wer ist eure Hoffnung bei Tag und bei Nacht, wer schützt euch vor Judas Scha­

es lebe die Seeräuberei.

-

Ja Stich und Hieb und ein Lieb muß etn Landsknecht haben... Ja, dies und das Suff und Fraẞ muß ein Landsknecht haben.

Hitlergruß im

Einsteinturm

Wie das Dritte Reich die Gelehrten verjagt.

Auch viele schlecht umgedichtete Arbei­Wir sind in der Lage, an einem bestimm­Als die goldne Abendsonne sandte ihren letz- terlieder finden sich. Hier nur ein beson- ten Fall dokumentarisch nachweisen zu kön­ten Schein, zog ein Regiment von Hitler ders bezeichnendes Beispiel:, Wann wir nen, wie das Dritte Reich es zuwege bringt, in ein kleines Städtchen ein... Und der schreiten Seit' an Seit'..." Das sangen daß die bekanntesten deutschen Wissenschaft­

Neustadt a. d. H. Der dreizehnjährige Sohn des Oberingenieurs Luchterhand be fuchte am Dienstag seinen Spielkameraden, den vierzehnjährigen Hein Pieper in dessen elterlicher Wohnung. Der junge Luchterhand zeigte ihn dabei eine Mauserpistole, die er mitgebracht hatte. Die Knaben stritten sich in spielerischer Art um den Besitz der Waffe, als fich plöglich 2 Schüsse lösten, von denen einer den jungen Pieper ins Herz traf. Auf dem Wege zum Krankenhaus starb der Knabe. Luchterhand flüchtete nach Gimmeldingen , wo er später in der Talmühle aufgefunden wurde. Die Mutter des getöteten Knaben be­findet sich zur Zeit im Krankenhaus, wo sie ciner Geburt entgegenficht.

Jn Treue feft

Deutsche Jugend von heute

Bild und Text sind der Fränk. Tageszeitung" vom 1. März entnommen. Wir fügen noch folgende Meldungen der schlesischen Presse, die gleichfalls alle aus dem März stam­men, hinzu:

Der neunjährige Schüler Sparmann aus Gogischdorf, der sich beim Hantieren mit dem Revolver seines Vaters eine Kugel durch die Brust gejagt hatte, ist im Gloggauer Stadt­krankenhaus seinen Verletzungen erlegen.

Dem sechsjährigen Sohn des Landwirts Alfred Hentschel in Görlitz geriet der geladene Revolver des bei Hentschel in Dienst stehenden Knechtes in die Hand. Ein Schuß löste sich und traf sein vierjähriges Schwesterchen in den Oberschenkel.

Am Montag gegen 16.30 Uhr erschoß sich in der elterlichen Wohnung in Ober- Walden­burg ein sieben Jahre alter Knabe beim Spielen mit einer 6- Millimeter- Pistole.

ler Deutschland verlassen und ihre Lehre im Ausland unter den größten Schwierigkeiten fortsetzten.

Als Vorstand des Einsteinsturms in Pots­ dam war Prof. Dr. E. Finlay Freundlich tätig und aus aller Welt kamen Gelehrte und Studenten dahin, um an dieser Forschungsan­stalt für Sonnenphysik zu arbeiten.

Am 5. Oktober 1933 ergeht nun von dem administrativen Leiter, dem Astronomen Lu­ dendorff , einem Bruder des Generals, fol­

gender

Umlauf:

Wie mir gemeldet wird, ist im Inneren Dienstbereich des Instituts für Sonnenphysik der deutsche Gruß noch nicht allge­mein üblich. Ich mache es allen Beamten, Angestellten und Lohnempfängern des Astro­physikalischen Observatoriums zur Pflicht, diesen Gruß, den bevorstehenden Vorschrif­ten entsprechend, auch dort grundsätzlich anzuwenden, und zwar auch im Verkehr mit Juden. Zuwiderhandlungen, von de­nen ich Kenntnis erhalte, werde ich unnach­sichtlich zur Meldung bringen. Ich mache darauf aufmerksam, daß ein wissenschaftli­cher Beamter des Geodätischen Instituts wegen anfänglicher Verweigerung des deut­ schen Grußes entlassen werden sollte. Gez. H. Ludendorff. Darauf schreibt Prof. Freundlich an Prof. Ludendorff :

Ich bitte um Mitteilung, von welcher Seite eine solche Meldung ergangen sein soll. Mei­nes Wissens hat kein Mitglied meines Insti­tuts die Ausführung einer dienstlichen An­weisung verweigert.

Gez. Dr. E. Finlay Freundlich.

Auf diesen Brief erhielt Prof. Freundlich folgende Antwort:

Herrn

Potsdam, den 7. Oktober 1933.

Hauptobservator Prof. Dr. Freundlich. Auf Ihre Anfrage, auf wessen Meldung hin mein Zirkular betr. deutschen Gruß in Um­lauf gesetzt wurde, erwidere ich, daß ich keinem Beamten des Observatoriums Re­chenschaft über meine Maßnahmen als Direk­tor schuldig bin. Der Beschwerdeweg steht Ihnen offen.

Ich teile Ihnen ferner mit, daß von seiten des Direktors des Geodätischen Instituts vor­gestern eine Beschwerde über Sie wegen Nichterwiderung des deutschen Grußes gegenüber einer Per­son aus seinem Institut eingelaufen ist. Auf Ersuchen von Herrn Professor Vahlen habe ich diesem gestern bei einem Besuch im Ministerium diese Beschwerde übergeben. Die Angelegenheit wird also vom Ministe­rium direkt weiter behandelt werden. Gez. H. Ludendorff. Die ministerielle Erledigung bestand darin,

sen wurde, weil er sich zu der Affenkomödie

Mutter in der Ferne sandten sie den letz- rote Falken und Jungsozialisten auf ihren ten Gruß, daß ihr Sohn mit Stolz gefal- Wanderfahrten, in ihren Zeltlagern. Seit­len, durch das Herz ging ihm der Schuß.. her hat sich das Lied blutig gewandelt. Es zog ein Hitlerman hinaus, er ließ sein Die sozialistische Jugend sang: Birken- daß Professor Freundlich entlas­Mütterlein zu Haus. Und als die Tren- grün und Saatengrün, wie mit bittender nungsstunde kam, er traurig von ihr Ab- Gebärde, daß der Mensch ihr Eigen werde, nicht hergegeben hat, jenen Gruß mitzumachen, schied nahm. Sie aber leise zu ihm hält die alte Mutter Erde ihm die vollen den die italienischen Faschisten eingeführt ha­spricht: Hitlergardist, tu deine Pflicht!" Hände hin..." Die Hitler- Jugend singt: ben, um als rechtmäßige Nachfolger des welt­Unsere Herzen sind aus Stahl, unser Wille beherrschenden Alten Rom aufzutreten, und ist aus Eisen, wo es gilt, den Mann zu den die braunen Agenten des Schwarzhemdes weisen, wie die rost 'gen Klingen gleißen als, deutschen Gruß" übernahmen, obwohl die bei dem ersten Morgenstrahl. alten Deutschen von den Römern unterjocht hochstreckt, ist nicht mehr geeignet, dem Ein­wurden. Wer grüßend nicht die rechte Hand steinturm in Potsdam und der darin betrie­benen wissenschaftlichen Forschung über die steinturm in Potsdam und der darin betrie­Bewegung der Gestirne vorzustehen.

Wedding , Moabit , Lichtenberg , Neukölln Sich in romantischen Träumen zu wiegen, sind Arbeiterviertel. Antisemitismus ver- ist das Vorrecht jeder Jugend. Interes­steht sich von selbst: sant ist nur, welche Art Romantik" sich die Hitlerjugend aussucht." Kriegs-, Lands­knechts- und allenfalls noch Seeräuber­romantik. Damit ist das Repertoire er- Die sozialistische Jugend sang zum Schluß: ,, Mit uns zieht die neue Zeit." Die Hit­lerjugend singt: Mit uns zieht das Dritte Reich ", denn daß es keine neue Zeit ist. die da zieht, spüren wohl sogar die brau­nen Versschmiede!

ren?...

Viele Jahre zogen dahin, geknechtet das Volk| und betrogen; Verräter und Juden hatten Gewinn, sie fordern Opfer Legionen... Deutschland erwache! Juda den Tod! Volk ans Gewehr!

Nach Berlin da wollen wir hinein, der Jude soll unsre Kräfte spüren. Am Wege wilde

schöpft.

er schlägt die Trommel gut, der Knab' weiß nichts von Liebe, weiß nicht wie Scheiden tut. Trum trum. Er trommelte schon man­chen in Blut und in sein Grab, und den­noch liebt ein jeder den frohen Trom­melknab, Trum trum.

Voran der Trommelbube,

Ueberhaupt Sonnenphysik und Einsteinturm wie lange noch? Einstein, der Erfinder In dem schmalen Liederheft sind alle der berüchtigsten Relativitätstheorie" hieß es Bestandteile beisammen, aus denen die schon einmal im ,, Berliner Lokalanzeiger". Und Erzieher im nationalen Geiste" ihre wie sagte doch der Braunschweiger Nazimint­