Nr. 44 BEILAGE
15. April 1954
Komintern , Wien nnd Berlin Diffamierimg des heldenmütigen Kampfes Verheprlichung des Yerzldits auf bewaffneten Widerstand
Mit Verspätung von einem Monat hat die Kommunistische Internationale in einem ellenlangen Aufruf Stellung zum österreichischen Aufstand genommen. Man weiß, was die kommunistische Presse zum Aufstand sagte: nicht nur die kleine kommunistische Presse, wie etwa in der Tschechoslowakei , sondern die kommunistische Weltpresse, die„Prawda" und die „Iswestija-. Sie haben die infamsten Verleumdungen von Dollfuß— Fey gegen die österreichische Sozialdemokratie, die Kriegs-Rundfunklügen der Kleriko-Faschi- sten für echte Wahrheit ausgegeben und in den Schlagzeilen gebracht. Der Aufruf der Kommunistischen Internationale erhebt diese Ausschreitungen der kommu nistischen Tagespresse zum System. Das wortreiche Dokument sagt nichts von der außenpolitischen Situation, die die Niederlage des Aufstandes bedingte, von dem faschistischen Staatenblock, der das österreichische Proletariat umzingelte und in dessen Dienste D o 1 1 f u ß und Fey handelten, mit keinem Wort wird d i e Blutschuld Mussolinis als Organisator des faschistischen Staatsstreiches in Oesterreich rewähnt Die einzige Ursache der Niederlage war nach diesem Aufruf der Kampfunwille und die Kampfunfähigkeit der. österreichischen Sozialdemokratie. Es fällt nicht schwer, die Gründe des konzentrierten Hasses, mit dem die Komintern und ihre Parteien in diesen tragischen Wochen die österreichische Sozialdemokratie verfolgten, aufzuklären. D i e österreichische Sozialdemokratie ist für den Bolschewismus politisch und moralisch unbezwingbar. Sie hat die Lebensfähigkeit und die Kampffähigkeit des nichtbolschewistischen revolutionären Sozialismus bewiesen. Sie ist zum Vortrupp der antifaschistischen proletarischen Revolution in Mitteleuropa geworden. Aber es sind nicht allein die politischen Konkurrenzgründe, die die Komintern zur Diffamierung der österreichischen Sozialdemokratie treiben, sondern auch die Stimme des bösen Gewissens. Denn auch die Kom munistische Internationale und die stärkste ihrer europäischen Parteien haben vor kurzem vor derselben Frage gestanden: welches soll das Verhalten der proletari
schen Partei in der gegenrevolutionären Situation angesichts des angreifenden Feindes sein? Die Komintern und die KPD haben darauf eine andere Antwort gegeben, als die österreichische Sozialdemokratie: sie haben auf den Widerstand verzichtet! Auf dem letzten Plenum des EKKI stand die deutsche Frage im Vordergrund. Kein Wunder, weil in Deutschland die stärkste Kommunistische Partei des Westens vernichtend geschlagen wurde. Die Kommunistische Internationale hat nun die kampflose Ergebung der KPD nicht nur gebilligt, sie hat darüber hinaus eine allgemeine Theorie der Kapitulation aufgestellt Man hat ausgiebig Lenin zitiert Wann ist nach Lenin der Sieg der Revolution möglich? Nur wenn die Staatsmaschine der Reaktion zersetzt wird und die Volksmassen unter der Führung des Proletariats in eine unwiderstehliche Bewegung gebracht werden. Nie kann dagegen eine Revolution gelingen, wenn der Kampf nur von der Avantgarde des Proletariats getragen wird:„Mit der Vorhut allein kann man nicht siegen." So ist die Kommunistische Internationale zur Erkenntnis gekommen, daß für den Sieg der Revolution eine revolutionäre Situation notwendig ist, und daß die proletarische Avantgarde allein den Sieg der Revolution nicht sicherstellen kann. Aus den richtigen Voraussetzungen werden indessen falsche und gefährliche Schlußfolgerungen gezogen: die Möglichkeit und die Notwendigkeit des aktiven Widerstandes in der gegenrevolutionären Situation wird schlechthin verneint, eine wahre Philosophie der Kapitulation wird aufgestellt.„E s wäre reinster Putschismus, den Kampf gegen die faschistischen Banden und die Reichswehraufzunehmen", erklärt der anerkannte Führer der Komintern M a n u- i 1 s k i.„Es wäre verbrecherische Verantwortungslosigkeit gewesen, zum Aufstand aufzufordern", versichert der deutsche Delegierte Richter. Wenn die österreichischen Schutzbündler nach den Weisungen der Komintern gehandelt hätten, hätten sie zu Hause bleiben müssen! So sehen also diese revolutionären kommunistischen Ankläger der österrei
chischen Sozialdemokratie aus: sie verlangen für sich das Recht auf kampflose Ergebung, sie verlangen aber von der österreichischen Sozialdemokratie nicht nur den Kampf, sondern auch den Sieg gegen den militärisch überlegenen Gegner. i Manuilski hat die Lage der KPD vor der Katastrophe folgendermaßen beschrieben:„Die Partei stützte sich auf einen Teil des durch die Sozialdemokratie gespaltenen Proletariats, einen Teil, der obendrein von der Bauernschaft und dem städtischen Kleinbürgertum isoliert war, der über keinerlei bewaffnete Kräfte verfügte." Das also war die KPD vor dem Zusammenbruch nach dem Urteil dieses Führers; politisch und militärisch völlig hilflos, unfähig, die Mehrheit des Proletariats zu erobern und zu führen, unfähig in die Massen des Mittelstandes einzudringen, dazu noch wehrlos. Aber dieses vernichtende Urteil ist gar nicht einmal als Kritik gemeint. Es wurde ruhig und kritiklos hingenommen. Niemand hat der Partei ihre erschütternde Wehrlosig- keit vorgeworfen.„Die Partei hat ihre Pflicht bis zum Ende getan", erklärte Pieck. Noch mehr; man hat ihr Verhalten als mustergültig und beispielgebend für sämtliche Parteien der Komintern hingestellt. Jetzt begreift man die kommuni stischen Wutausbrüche gegen die österreichische Sozialdemokratie: die Komintern kann der revolutionären, Sozialdemokratie Oesterreichs ihre Wehrhaftigkeit nicht verzeihen, die sich so sehr von der Wehrlosigkeit der KPD abhebt Vermutlich begriffen die Führer der KPD und der Komintern selber nicht, was sie durch ihre Beweisführung erreichen: sie liefern dadurch Argumente für die Rehabilitierung der deutschen Sozialdemokratie. Denn, wenn die KPD richtig, realistisch, ja sogar revolutionär gehandelt hat, dann hat die österreichische Sozialdemokratie, die das Gegenteil davon machte, die die Schlacht lieferte, um in der jetzigen Sprache der Komintern in der Ausdrucksweise von Manuilski und Richter zu sprechen,„putschistisch" und„verbrecherisch unverantwortlich" gehandelt. Dann hat aber der deutsche Reformismus, der ebenso wie die KPD gehandelt hat, das Recht, auch seine Kapitulation für das
zweckmäßige und revolutionäre Handeln auszugeben. Aber solche Argumente werden in der deutschen Sozialdemokratie nicht gebraucht und nicht geduldet Kein Führer der alten Sozialdemokratie würde es heute wagen, sich hinter der komintern - schen Amnestie zu verstecken. Wenn Friedrich Stampfer vor einigen Monaten im„Kampf" schrieb;„Wir haben es versäumt aus der Masse unserer Anhänger wirkliche Soldaten der Revolution gegen den Faschismus heranzubilden," so ist es keine Rechtfertigung, sondern eine bittere Selbstanklage. Eine Partei, die ihre kampflose Niederlage als eine politische Katastrophe empfindet, die mit rücksichtsloser Kritik ihre eigene Vergangenheit durchleuchtet und von vorne beginnt, kann auferstehen. Eine Partei, die sich für ihre Kapitulation noch Auszeichnungen verleiht muß sterben. Indessen scheint es selbst der Komintern einzuleuchten, daß man mit solchen Rechtfertigungen nicht weit kommt. Darum wird erklärt, daß die deutsche Arbeiterklasse überhaupt keine Niederlage erlitten hat. Pieck erklärte, daß die faschistische Diktatur in Deutschland gegen eine unbesiegte Arbeiterklasse aufgerichtet wurde, die nur vorübergehend zurückwich. Andere verkünden, daß die neue revolutionäre Welle schon wieder da sei, daß das Proletariat bereits zum Angriff übergegangen sei. Und wenn der revolutionäre Angriff schon da ist, dann selbstverständlich unter der Führung der heroischen kommunistischen Partei. Und nun kommt das Unglaublichste: es wird behauptet, daß das Blutbad der faschistischen Diktatur die KPD gar nicht geschwächt hat, daß die Partei in der Illegalität kaum weniger Mitglieder hat als vor wenigen Jahren in der Legalität. Danach soll die KPD gegenwärtig über 100.000 Mitglieder zählen, wobei immer neue Scharen zur Partei kommen, sie wüchse ununterbrochen. So Pieck, so Manuilski . Zwar versichern sämtliche Kenner der illegalen Arbeit in Deutschland , daß die KPD nur noch über einige tausend Mann verfügt, die mitarbeiten— was tuts? Klappern gehört zum Handwerk. Klappern verhindert vor allem das N a c h d e n k e n, das die Komintern in ihrer gegenwärtigen Lage am allerwenigsten verträgt!
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