Neuer Vorwärts

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Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad  , Haus, Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Sabode# 9 kmmie hui

Nr. 54

SONNTAG, 24. Juni 1934

Aus dem Inhalt:

1. In der Zange des Staats­bankrotts

2. Der neue Dreibund

3. Karl Radek   über die Menschen­rechte

4. Die Blutnacht von Köpenick  

Die braune Hungerblockade

1

Die herrschenden Cliquen zittern

wu

Kaffeeblockade

Papen für die Miesmacher gegen Göbbels  

Der Sieg

dec Idee

Zum Jahrestag des Parteiverbots Am 23. Juni 1933 verbot Hitler   die Sozialdemokratische Partei  

Die Lage des deutschen   Volkes bekommt| halten zu wollen, ist ungefähr so, als ob man| Reichsfinanzminister kürzlich erst gerade in immer verzweifeltere Aehnlichkeit mit seiner einen Schnellzug durch eine Holzschranke ab- Hamburg  : Die Stetigkeit der Entwicklung Lage im Kriege. Das ist die Folge der national- bremsen wollte! Es ist ein Volksbetrug, verlangt auch auf finanzpolitischem Gebiet die sozialistischen   Politik! Das braune System ruft den jeder durchschaut. Mit dem Palliativ- Abstandnahme von dem Gedanken einer Deval­die gleichen Wirkungen hervor wie einst die mittelchen der Höchstpreise fängt es an die vation der Währung, und so müssen sich Hungerblockade der Entente. Es ist bereits Millionen- und Milliardenpreise kommen hin- die Exportkreise damit abfinden, ins Bewußtsein des Volkes gedrungen, daßterher!. daß eine solche Maßnahme der Exportförde­dieses System keinen Ausweg mehr rung" nach dem Willen des Führers nicht in Deutschlands   und alle ihre Neben­organisationen. Das Verbot war das vor­weiß Beweis dafür ist die in Deutschland  Frage kommen kann." läufige Schlußstück eines monatelangen Vernichtungs- und Raubfeldzuges gegen die stärkste deutsche   Arbeiterpartei. Seit dem 30. Januar 1933 waren der Terror und die Gewaltherrschaft der braunen Horden Schluß mit legalisiert. Jeder, der sich diesem Banden­regiment widersetzte, gefährdete sein Le­den ,, Arbeitsschlachten"! ben, und alles, was die deutsche   Arbeiter­Reichsfinanzminister Graf Schwerin von schaft in jahrzehntelanger mühsamer, aber Krosigk sprach in Leipzig  : stolzer Aufbauarbeit sich geschaffen hatte, In Zukunft werde es nur darauf ankommen, wurde vernichtet oder geraubt. Als das diesen klar vorgezeichneten Weg unbeirrbar

immer weiter um sich greifende Flucht in ,, Am 1. Juli d. J. wird voraussichtlich ein ( Deutsche Wochenschau.) die Sachwerte. Jeder, der nur noch ein Einfuhrlizenzsystem für Kaffee In Hamburg   sind 825 Kapitäne und paar Mark besitzt, befolgt die Parole: fort mit eingeführt werden. Zu dieser Maßnahme hat Schiffsoffiziere für große Fahrt stel­dem Geld, rette sich wer kann! Der kleine sich der Reichswirtschaftsminister aus Grün- lungslos! Mann kauft Schuhe, Stoff oder Wäsche, die den einer besseren Kontrolle und einer Steue­kleinen Fabrikanten Villen, Perserteppiche, rung der Kaffeeinfuhr genötigt ge­Luxuswaren und Juwelen mit einem gewissen sehen."( Der Deutsche Nr. 137.) Die Drosselung der Einfuhr mit Gewalt­maßnahmen beginnt!

Internationalen Marktwert, und die ganz Rei­chen haben ihre besondere Methoden, um ihr Geld sicher unterzubringen.

Ersatz!

Das seit der Inflation nicht mehr gehörte Wort fixen" ist wieder aktuell geworden! Unser Mitarbeiter Dr. Richard Kern hat garnspinnerei Stöhr& Co. A.-G., Leipzig  , durch Einschränkungen. Man werde zusätzliche an anderer Stelle dieses Blattes den Zustand den sächsischen Ministerpräsidenten von Kil- Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

,, Gelegentlich einer Besichtigung der Kamm- weiterzugehen, mit allen Notwendigkeiten und Parteiverbot kam, gab es seit Monaten

der heutigen deutschen   Wirtschaft linger, die am Donnerstag stattfand, haben die in der Form des vergangenen Jahres nicht längst ihrer Führung und ihrer legalen Le­

mehr einleiten.

Die Berliner   City verödet In der Berliner   Innenstadt wird es leerer und leerer. An den großen Geschäftshäusern hängen Vermietungsplakate. In den Haupt­geschäftsstraßen und Warenhäusern, in denen sich sonst Menschenmengen drängten, ist der Verkehr gewaltig zurückgegangen. Die Ab­

keine sozialdemokratische Presse mehr, waren die Organisationen der Partei bensmöglichkeiten beraubt, hatte sich die Diktatur des Eigentums der Partei im Werte von mehr als 40 Millionen Reichs­mark bemächtigt und nun sollte das Par­teiverbot nach dem Willen der Machthaber dieses Zerstörungswerk krönen und den Schlußstrich unter die Geschichte der größten sozialdemokratischen Partei der

Welt setzen.

eingehend analysiert. Vorstandsmitglieder Stöhr und Cramer dem Es graust den herrschenden Cliquen vor Ministerpräsidenten die Ergebnisse der Ver­ den   Folgen. Herr von Papen, einer der suche vorgeführt, die mit der zusätzlichen gewissenlosesten Verderber des deutschen   Vol- Verwendung von Vistra" zu reiner kes, ruft plötzlich nach Menschlichkeit, Wolle erzielt worden sind." Freiheit, Gerechtigkeit, nach der Hamburg   unter Blockade Wahrung des Rechts der Persönlich­keit! Davon war keine Rede, als sie noch Der Wirtschaftsberater des Stellvertreters festen Boden unter den Füßen zu haben glaub- des Führers, Pg. Albert Pietzsch  , und sein In vier Jahrzehnten hatte sich die deut­ten! Die feinen Leute haben mit Ruhe gesehen, Hamburg  . Der Zweck des Besuches war, durch hat dem Kundigen gesagt, daß der Autoverkehr sche Sozialdemokratie auf den Boden ten! Die feinen Leute haben mit Ruhe gesehen, Stellvertreter. Pg. von Obwurzer, besuchten schaffung der automatischen Verkehrsregelung wie ihre Hausknechte die Arbeiter, den Geist, das Recht und die Freiheit zerrissen, gefoltert, Rücksprache mit dem Reichsstatthalter und stark gesunken ist. Jetzt ist es soweit, daß in eines Rechtsstaates zu einer mächtigen Gauleiter Kaufmann, dem regierenden Bürger- Berlin   Reklame zum Besuch der Innenstadt und einflußreichen Massenbewegung ent­gemordet, geschändet haben. Jetzt fühlen sie den Boden unter ihren Füßen wanken, und nun meister Krogmann und maßgebenden Hambur  - gemacht wird! Die Berliner   Straßen- wickeln können. In ihren Reihen wirkten werden sie ethisch! ger   Wirtschaftskreisen sowie durch eigenen bahnwagen tragen große Reklameschilder: Männer und Frauen, die die Entwicklung Augenschein von der gegenwärtigen Lage Jeder Berliner täglich einmal in der Innen- der deutschen   Arbeiterbewegung aus eige­Hamburgs ein klares Bild zu gewinnen. stadt!" Das ist nicht die Folge einer Verlage- ner Erinnerung verfolgen konnten von den Die aus der Devisenknappheit rung, einer neuen Citybildung. Dort, am Tagen der Geheimorganisationen unter sich zwangsläufig für das ganze Reich ent- Reichskanzlerplatz, wo Herr Göbbels seine dem Bismarckschen Sozialistengesetz bis wickelten Verhältnisse haben zuerst in Luxuswohnung hat, wo einst eine neue City zu dem Tage, an dem die deutsche Sozial­Hamburg ihren Rückschlag gefun- entstehen sollte, ist heute verödete Kleinstadt   demokratie am Ende des grauenvollen ( Der Deutsche.) in großstädtischen Bauformen. Diese Not- Völkermordens die Staatsgewalt über­ Einen weiteren Schaden hatte Hamburg   reklame ist durch den unaufhaltsamen nahm. In ihren Reihen standen die Jungen, natürlich durch die Geldentwertung in Geschäftsrückgang erzwungen. Aber die zur Partei kamen, als sie auf der Höhe Als Hugenberg großen überseeischen Ländern und alle Reklame bringt den Berlinern nicht mehr ihrer Macht entscheidende politische Ver­vor einem Jahr seinen politischen Hinauswurf als natürliche Folge durch den hohen Geld in die Taschen und den Geschäften keine antwortung trug. In ihren Reihen vereinig­vor Augen hatte, rief er nach dem Rechtsstaat Stand und die Festigkeit der deutschen Mark  . Kunden. Die braune Blockade ist mit Reklame- ten sich bis zu den Sturmtagen des Jahres und pochte auf den Bündnischarakter der neuen Und in diesem Zusammenhang betonte der künsten nicht zu besiegen!

Herr von Papen will nicht mit Göbbels   die Miesmacher niederwerfen, er will sie loslassen,

um

der ungeheueren Spannung gegen das System Ventile zu öffnen! Er denkt daran, wie einst am Ende des Krieges der Kessel platzte. Er und seinesgleichen wollen nicht mit den Hitler, Göbbels   und Co. in die Luft gehen, deshalb wollen sie beizeiten zurück zum Schein des Rechtsstaates.

Alles kommt wieder!

Herrschaft. Die Woge ging über ihn hinweg. Jetzt ebbt sie zurück, und nun wiederholt Pa­Den die Parolen Hugenbergs von Ende April 1933! Der Machtkampf der alten gegen die neue Reaktion wird auf veränderter Grundlage aufs neue aufgenommen! Papen   spricht im Rundfunk gegen Göbbels  , Göbbels   verbietet die Verbreitung der Rede von Papen. Papen   fühlt hinter sich den Druck wachsender Verzweif­lung im Volke, den Druck verzweifelnder In­dustrieller, Kapitalisten und Händler, Göbbels  weiß, daß die Lockerung ihm und seinesglei­

chen den Kopf kostet.

Auf dem Untergrund der durch die braune Hungerblockade geschaffenen Not beginnen die Vorspiele kommender Machtkämpfe!

and Höchstpreise

Der Polizeipräsident als die für Berlin   zu­ständige Preisüberwachungsstelle teilt mit:

,, Preissteigerungen haben zu unterbleiben! Das ist der klare, eindeutige Wille der Reichsregierung, der, in Verordnungen und Erlassen genügend zum Ausdruck gebracht, von allen Volksgenossen befolgt werden muß. Jeder weiß aus Erfahrung, daß Höchstpreise notwendig zu Schwarzverkäufen und Schwarz­Dreisen führen! Eine auf der Inflation be­ruhende Preissteigerung mit Höchstpreisen auf-|

-

den."

Jeder Berliner   täglich...

einmal in der Innenstadt!

Ein Zeichen des Wirtschaftsverfalls

wirbt um Käufer

Berliner   Straßenbahn

1933 Millionen von Männern und Frauen, die mit dem Einsatz ihrer ganzen Persön­lichkeit und unter Hintanstellung aller per­sönlichen Interessen der Partei dienten, weil sie in ihr die Vollstreckerin ihres po­litischen Willens und die Trägerin ihrer sozialistischen Ideale sahen.

Wir alle, die wir in der deutschen   So­zialdemokratie Schulter an Schulter gear­beitet und gekämpft hatten, die wir der Partei die Treue hielten in guten und bö­sen Tagen, die wir für diese Partei immer wieder zusammenstanden gegen eine Welt von Feinden in der festen Ueberzeugung. daß sie allein das Volk in eine hellere und glücklichere Zukunft führen könne, wir alle haben mit Schmerz und Trauer den erschütternden Niedergang erlebt, haben mit Haß und Wut dem Zerstörungswerk der braunen Diktatoren zusehen müssen und haben uns mit Bitterkeit und Leiden­schaft selbst mit Vorwürfen überhäuft, weil wir nicht glauben konnten, daß eine so stolze Bewegung keine Möglichkeit ge­habt haben sollte, diesen Zusammenbruch zu verhüten.

Es ist uns in diesen Monaten nichts er­spart geblieben. Aber welche Gefühle uns auch immer bewegten, ob Haß gegen die Räuber oder verbitterte Selbstanklage, ob