Nr. 54 BEILAGE

Neuer Vormirts

24. Juni 1934

Die Blutnacht von Köpenick  

So brach vor einem Jahre der ,, totale Staat" an!

Arbeiter­

und Ver­

,, Freiheit"!

Hitler  , Thyssen, Krupp und Stinnes

Sozialismus in den deutschen   Schulen und sogar in erster Linie

-

ein schen

Gesamtunterricht"

( Verlag

Nach einer Pause von einer Stunde Konzentrationslagern. Die Wie ein Lauffeuer eilte am 22. Juni nicht als Feind gekommen, unterbrach 1933 die Nachricht durch ganz Berlin  , ihn eine helle Stimme: ,, Er ist gemor-| fand in demselben Raum die Einäsche- schaft hat ihre Märtyrer und Mitkämp­daß am vorhergehenden Tage und in det worden!" Verwirrt haspelte der rung des Genossen Paul van fer nicht vergessen. Sie umgibt sie mit Liebe der Nacht zahlreiche sozialdemokrati- Redner die letzten Sätze seiner An- Essen statt. Alle Teilnehmer der unerschütterlicher sche Funktionäre in Köpenick   verhaftet sprache herunter. Der Sarg sank in die ersten Feier waren wieder erschie- ehrung. Sie fühlt sich eins mit denen, und gefoltert worden waren, daß ihre Tiefe Da trat ein junger Genosse vor nen. Auch ein Polizeikommando war die in den Kerkern schmachten, und sie Häuser von der SA gestürmt wurden und streckte die Hand empor. Und mit anwesend und eine Anzahl von Spitzeln erweist dem Andenken der Gefallenen und daß der Gewerkschaftsekretär einem Ruck entlud sich die Spannung: drängte sich durch die Reihen der ihre Sympathie durch Demonstrationen, Schmaus, dessen Sohn sich beim Ein- Hunderte geballte Fäuste erhoben sich Trauergäste. Dennoch wiederholte sich die immer häufiger aus allen Teilen des gemeldet dringen der SA in die Wohnung Wider- und die Rufe ,, Freiheit" und Rache für dieselbe Demonstration wie bei der Ein- Reiches Heute werden. stand geleistet hatte, von den SA- Ban- Stelling" hallten durch den Raum. äscherung Stellings: Als der Sarg van herrscht noch Nacht über Deutschland  . diten zum Selbstmord getrieben worden Es war eine Demonstration von un­Essens in die Tiefe sank, flogen wieder Aber im Dunkel ballt sich die revolu­war. Eine ungeheure Aufregung be­mächtigte sich der gesamten Arbeiter geheurer Eindringlichkeit, die allen Be- Hunderte von Fäusten in die Höhe und tionäre Energie der sozialistischen   Ar­Hunderte schweigender Eide wurden beiterklasse zusammen, formieren sich bevölkerung, zumal stündlich neue Ein- teiligten unvergeßlich geblieben ist. So­geschworen. die Reihen der Kämpfer, die dem Rufe zelheiten über die fürchterlichen Vor- fort wurden alle Türen des Kremato­folgen, der aus den Gräbern der Er­gänge in Köpenick   bekannt wurden. In riums geschlossen und erst nach zehn Ein Jahr ist seit der Blutnacht in mordeten und aus den Kerkern der Ge­Köpenick selbst herrschte Kriegszu- Minuten, nachdem die Wache ihre Wei- Köpenick verflossen. Unzählige Opfer fangenen schallt: stand. Niemand war seines Lebens sungen vom Polizeipräsidium eingeholt sind gefallen, Tausende und aber Tau-| sicher, die Sturmtruppen der SA  , ge- hatte, wieder geöffnet. sende schmachten in den Kerkern und führt von berüchtigten Mördern und Schlägern, benahmen sich so, als ob die ,, Nacht der langen Messer" verkündet worden wäre. Die Panik wurde noch dadurch gesteigert, daß am selben Tage die Sozialdemokratische Partei   wegen ,, hoch- und landesverräterischer Unter­nehmungen Es ist dem Deutschen   erlaubt, an Gott zu, ist auch gegen Deutschland   und seine rechtmäßige Regierung" verboten zweifeln die Verdächtigung christlicher kapitalistischer Staat. Die Kinder wis- Ferdinand Schöningh  , Paderborn  ). Jeder Ar­und eine Reihe ihrer Führer verhaftet Gottesmänner" gehört sogar zum guten Ton sen noch nichts von den scheinsozialistischen beitsbogen kostet zehn Pfennige, mehrere Bo­wurde. Die blutigen Vorgänge in Köpe- aber ein noch so leiser Zweifel an der Phrasen, mit denen Hitlers   Bewegung groß gen bilden jedesmal eine Reihe". Unter den nick erschienen als die Einleitung eines Göttlichkeit sämtlicher Führer" ist schlimmer geworden ist, wissen noch nichts von dem ver- Reihen findet sich eine, die den Titel trägt: verschärften Terrorfeldzuges, der gegen als Gotteslästerung, ist ,, Verrat an der deut- sprochenen Kampf gegen die Bank- Der Führergedanke", und diese Reihe die Partei im ganzen Reiche eröffnet schen Volksseele" und zieh bei Bekanntwerden und Börsenfürsten", von der verheiße- umfaßt folgende Bogen: wurde. unweigerlich das Fegefeuer des Konzentra- nen ,, Brechung der Zinsknecht­schaft", von der stürmisch geforderten Ueber die Opfer der Köpenicker   tionslagers nach sich. Blutnacht wußte man zunächst nur Während man die erwachsenen Menschen ,, Enteignung der Großbetriebe". zur Anbetung Während also draußen, in den Betrieben, am wenig. Erst nach und nach wurde be- durch Druck und Schrecken kannt, daß über zwanzig Personen nach zwingt, sollen die bildsamen Seelen der Jugend Folterungen getötet auf andere Weise für den Führergedanken ge­worden waren, darunter das Mitglied wonnen werden. Da die Kinder um sich her des Parteivorstandes Genosse Stel- die Macht der Tyrannis spüren, da sie sehr ling und der Reichsbannerführer Ge- bald erfahren, was allen Widerspenstigen Tosse Paul van Essen. Eine Reihe droht, ist es nicht schwer, den Glaubenssatz in anderer Personen, darunter auch eine ihre Hirne zu hämmern: der Führer ist all­Frau und ein neunzehnjähriges Mäd- mächtig, allwissend und unfehlbar; ist es nicht chen, wurden im Gerichtsgefängnis auf schwer, ihnen jene abergläubige Furcht vor In den deutschen   Volks- und Berufs- Schu­das Unmenschlichste geprügelt und dem Zweifel einzuimpien, die der Kirche jahr­später entlassen. Ueber die Folterungen, hunderteláng so gute Dienste tat. An die Stelle len sollen nicht nur Soldaten erzogen werden die unter Leitung bekannter SA- Sturm- der Gottesfurcht ist die Führer- es ist nicht alle Tage Kriegsondern auch Arbeiter, und zwar Arbeiter, wie der Un­führer am 21. und 22. Juni im Gerichts- furcht getreten. Schein gefängnis vorgenommen worden waren, ,, Der Führer" ist nicht in jedem Fall iden- ternehmer sie braucht, Arbeiter, die sich wil­wurden grauenhafte Einzelheiten be­tisch mit Adolf Hitler  , der Führer ist ein lig ausbeuten lassen und nicht zu muk­kannt. Man hat die Ermordeten buch- Sammelbegriff geworden, und Aufgabe ken sagen. Was liegt näher als der Versuch, die stäblich zu Tode gemartert und später der Erzieher ist es, all jene Größen in diesen Führerfurcht in den Dienst dieser Erziehung ihre Leichen in die benachbarten Seen Sammelbegriff einzufügen, die der neue Staat zu stellen? Und das geschieht, wie sich gleich und Flüsse versenkt. Erst nach ein bis als unfehlbar geachtet wissen will. Daß die In- zeigen wird, in eindeutigster Weise. zwei Monaten wurden die Leichen, die haber politischer Aemter vom Kanzler bis hin­in Säcke eingebunden und mit Steinen ab zum kleinsten Amtswalter dazu gehören, tes, in allen Lehrerzeitungen angepriesenes die Absicht noch deutlicher. Den Hymnen auf beschwert waren, gefunden. Sie waren ist selbstverständlich. Aber das deutsche Reich Lehrmittel des Dritten Reiches   sind Schö- die Ruhrindustriellen sind die Worte Hitlers  So entsetzlich zugerichtet, daß man die ist nicht nur ein nationalsozialistischer", és ning hs Arbeitsbogen für den de ut- vorangesetzt:

unmenschlichen

Personen der Ermordeten nur mit Mühe feststellen konnte. Von den mehr als zwanzig Ermordeten sind elf Namen be­kannt. Es waren dies: Richard Aßmann,| Paul van Essen, Erich Janitzki, R. Krahl, Paul Pohl, Karl Pockert, Anton Schmaus, Hans Schmaus, Josef Spitzer, Paul Spitzer und Johannes Stelling  . Die Namen der übrigen Opfer, darunter zwei SA  - Leute, die offenbar der Feme   zum Opfer gefallen waren, sind unbekannt

geblieben.

*

Mitte Juni erschien in der ,, Vossi­schen Zeitung" eine kurze Anzeige, daß am folgenden Tage die Einäscherung von Johannes Stelling   im Kre­matorium Gerichtsstraße stattfinden würde. Nichts weiter. Dennoch wußte ganz Berlin  , worum es sich handelte.| Zur festgesetzten Stunde war das Kre­matorium so überfüllt, daß zahlreiche| Personen in den Gängen Aufstellung| nehmen mußten. Ein großer roter Blu-| menstrauß der Sozialdemokratischen

Partei schmückte den Sarg, in dem die

geschändeten

sterblichen Ueberreste

des Genossen Stelling lagen. Viele Frauen traten an den Sarg und legten kleine Sträuße roter Blumen nieder. Da dem früheren Mitglied des Parteivor­standes Hildenbrand verboten worden war, die Grabrede zu halten, hielt ein Vertreter des Feuerbestattungsvereins eine kalt gefühllose Berufsansprache. Als er sagte, der Tod sei zu Stelling'

B

Rundfunk, in Arbeiterversammlungen, die so­zialistische Phrase in vorsichtiger Form weiter gepflegt wird,

Bogen 1: Hitler  : Mein Kampf. Für die Schule bearbeitet. Bogen 2, 3 und 4: ,, Bahn­brecher der Ruhrindustrie"( I. Dinnendahl: Thyssen, II. Krupp: Harkort, III. Matthias Stinnes: Hugo Stinnes  . Und damit ist die Reihe zu Ende! Unmittelbar neben Adolf Hitler   gestellt, ge­winnen die ,, Bahnbrecher der Ruhrin­darf der Nationalsozialismus in den Schulen dustrie" in den Kinderhirnen den gleichen die Maske fallen lassen, darf er sich als das Glorienschein, der den Kanzler selber umgibt, zeigen, was er in Wahrheit ist: als Hüter sie werden unfehlbar, allmächtig und unantast­der kapitalistischen   Wirtschaftsform, als Be­bar, sie werden zu Gegenständen der schützer des Industriekapitals, als Garant" Führerfurcht. Für den Lehrer ist es nun ein Leichtes, die Erben und Nachfolger der Be­triebsgründer in den Führerkreis mit einzube­ziehen, und da heute in Deutschland   nicht nur Fritz Thyssen  , der die, nationale Erhebung"

des Profits.

Ein beliebtes, an vielen Schulen eingeführ­

Judas Rache

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Sieg des Davidsterns über Hakenkreuz und Liktorenbündel

aus guten Gründen bezahlt hat, sondern auch jeder kleine Klosettpapier- und Schuhwichs­fabrikant sich ,, Betriebsführer" nennen darf,

werden die Kinder bald begreifen müssen, daß ein Aufbegehren gegen den Unternehmer und künftigen Arbeitgeber gelinder Hochverrat ist.

Ein Blick auf die Arbeitsbogen selbst macht

,, Auf kargem Boden wächst das festeste Holz. Die Schwierigkeiten des Industriege­bietes an der Ruhr haben eben deswegen so kernige und starke Führergestalten gezeitigt. Wo dir die Frucht in den Mund wächst, da gedeihen keine Männer der Tat. Freue dich darum deiner kargen Heimat und deines armen Vaterhauses!"

,, Freue dich deines armen Vater­hauses, Arbeiterkind", so wird der Lehrer folgerichtig fortsetzen ,,, vielleicht wirst du einmal ein Thyssen oder Stinnes   werden. Danach strebe, statt wie die roten Untermen­schen um die Befreiung deiner Klasse kämp­fen."

Und nun dürfen die Kinder im Arbeits­bogen lesen, wie der kleine Franz Dinnen­ dahl   die Schweine hütete und dabei am Bach eine Wasserkunst baute, in der schon seine ganze, großartige Erfindungsgabe zutage trat; wie der kleine Matthias Stinnes sich auf dem Kahlenberg   von der munteren Schar Mühlheimer Jungen trennte und, sinnend auf die von Kohlennachen belebte Ruhr starrte" ( natürlich künftige Pläne wälzend); wie der junge Alfred Krupp  , Inhaber der Firma ,,, sich schlaflos auf nächtlichem Lager wälzte, weil er nicht wußte, den Wochenlohn zu beschaffen, drängende Schulner zu befriedigen oder hin­reichend ausgebildete Arbeitskräfte zu erlan­gen"; wie Franz Dinnendahl   meist gegen 9 oder 10 Uhr erst von der Arbeit heimkam und morgens 5 Uhr schon wieder an der Werkbank stand".

Und was für Kerle waren die Ruhrführer überhaupt! Seitenlang werden ihre Verdienste