Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus ,, Graphia"

Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 58

SONNTAG, 22. Juli 1984

Aus dem Inhalt:

Der Zusammenbruch der Retter

Das blutige Vorbild

Der Tod des Antispießburgers

Im Zickzack- Kurs dem Ab­grund zu!

Weltbund gegen Hitler- Deutschland

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Wiedererstehen der Entente

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Die innerpolitischen Kämpfe Hitler- zösisch- englischer Aufmachung serviert land mit diplomatischer Höflichkeit, indem Schuld und Sühne Deutschlands dürfen den Blick nicht ganz wird, ist ursprünglich in Rußland vor- man Deutschland einladet, an ihm teilzu­Den deutschen Richtern gewidmet! ablenken von dem Felde der Außenpolitik. geschlagen worden, um mit ihm die deutsch - nehmen! Denn dort vollziehen sich jetzt Dinge, die polnische Ostpolitik zu durchkreuzen und Man müßte Herrn Barthou , den Lei- Ein hervorragender deutscher Jurist im Endeffekt vielleicht noch wichtiger sind ihren Imperialismus zu demaskieren. In ter der französischen Außenpolitik, für schreibt uns: als die kinodramatischen Schießereien im Berlin und Warschau - in Berlin mehr als einen Hexenmeister halten, wenn man nicht Das juristische Studium gibt keine Ge­braunen Verbrecherkeller. Im Weltkrieg in Warschau wurden phantastische Plä- wüßte, wie viel Glück er bei seiner Arbeit währ für die Veredelung derer, die ihm hatte Deutschland einer zusammengeball- ne gesponnen, deren Ziele die Ukraine gehabt hat. Er hat eben das große Glück obliegen. Zu allen Zeiten haben schurki­ten militärischen, moralischen und wirt- und die baltischen Staaten wa- gehabt, gegen Deutschland spielen zu dür- sche Machthaber Subjekte gefunden, die schaftlichen Macht entgegengestanden, wie ren; nun schlugen die Russen Deutschland fen in einer Zeit, in der dieses unglückliche den hohen Namen des Richters besudelt sie noch nie gewesen war, und wie sie einen neuen Pakt vor, der den Bestand der Land wieder einmal einem seiner periodi- haben, indem sie sich dazu hergaben, die so hätte man glauben sollen nie wieder baltischen Staaten garantierte. Deutsch - schen Schwachsinnsanfälle unterlegen ist. Verbrechen ihrer Auftraggeber mit der sein würde. Nur der politische Schwach- land lehnte ihn kurzerhand ab. Jetzt er- Wenn Barthou gegen Hitler- Neurath- Ro- Form des Rechtes auszustatten. Man denke sinn, der in Deutschland endemisch ist, lebt es, daß Frankreich und England den senberg Außenpolitik macht, dann ist es an die Sternkammer des furchtbaren Jef­konnte jener Macht gegenüber einen ,, Sieg- russischen Vorschlag in leichtveränderter ungefähr so, wie wenn der Weltschach- freys aus der Zeit Jakobs II. von England, frieden" für möglich halten, in Wirklich- Form, aber mit unverändertem Hauptinhalt meister mit drei Dorftrotteln Schach spielt. die Demagogenverfolgung Kamptz, Schmalz keit war der Zusammenbruch vom ersten noch einmal vorlegen! Der vorläufig letzte Glücksfall für Herrn und Dambach. Diesen Männern reiht sich Tage an mit Sicherheit vorauszusehen, falls Nochmalige Ablehnung bedeutet Festi- Barthous Außenpolitik war der große Ka- ein großer Teil der Richter des Dritten es nicht kluger Politik gelang, einen Not­ausgang zu finden. An dieser aber hat es gung der neuen französisch- englisch- russi- meradenmord vom 30. Juni. Er hatte zur Reiches würdig an. In den Jahren der Republik war die gründlich gefehlt. Erst die Republik be- schen Zusammenarbeit. Annahme aber be- Folge, daß zur gleichen Stunde, zu der der gann aus den furchtbaren Erfahrungen des deutet eine diplomatische Kapitu- englische Botschafter in Form des Ost- Verleumdung demokratischer Würdenträ­Wilhelmismus Lehren zu ziehen. Ihr gelang lation ohne gleichen, eine Kapitu- locarnovorschlags der Berliner Regierung ger der Lieblingssport der Nazi. Jeder es, Deutschland allmählich aus der Isolie- lation überdies, die nicht einmal etwas nüt- das Wiederaufleben der Entente notifizier- sucht sich zu verschaffen, was ihm fehlt, rung zu befreien. ,, Nie wieder Entente ge- zen kann. Denn der Sinn der neuen Pakt- te, der amerikanische General Johnson von deshalb wollten die Göbbels , Rosen­,, halbtrunkenen Wilden" berg, Streicher und Genossen jenen gen Deutschland !" das war das Ziel ihrer bestrebungen ist ja eben der Zusammen- den Außenpolitik. schluß der Mächte gegen Hitler - Deutsch - sprach, die zurzeit Deutschland regierten. Männern die Ehre nehmen. Riefen die Ge­land, von dem man befürchtet, er würde Kaum haben sich die ,, Alliierten" wieder ge- schmähten den Richter an, so konnten sie mit der gleichen bestialischen Mordlust, die funden, so gibt auch schon der große etwas erleben. Das Verfahren wurde nach es jetzt im Inland betätigt, eines Tages ,,, Assoziierte" der Versailler Friedenskonfe- Möglichkeit verschleppt, den unsinnigsten auch über das Ausland herfallen. Man ka- renz seine Visitenkarte ab. Beweisanträgen des Buschuldigten wurde schiert den neuen Weltbund gegen Deutsch - Hitler tut Wunder! stattgegeben in der Hoffnung, daß viel­

Von den mühsam errungenen Erfolgen Hermann Müllers, Rathenaus und Stresemanns hat Neurath noch lange Zeit profitiert. Trotz allen Heraus­forderungen schien es, als sei der Mecha­nismus des alten Bündnissystems ein für allemal zerstört und es sei unmöglich, ihn gegen Hitler- Deutschland in Gang zu brin­gen. Frankreich hatte in seiner Rüstungs­politik England zum offenen Gegner, Ita­ lien lag anscheinend von vornherein auf der anderen Seite, und der polnische Bun­desgenosse vollzog mit dem Warschau­Berliner Freundschaftsvertrag eine Demon­stration gegen Paris . Infolgedessen begann man auch in Jugoslawien nachdenklich zu werden; die Frage des Anschlusses Oester­ reichs an Deutschland , die damals im Vor­dergrund stand, schien in Belgrad nicht so wichtig und keinesfalls die Knochen eines jugoslawischen Soldaten wert. Frankreichs Situation war alles eher als angenehm.

Die Wahrheit spricht sich herum

In Deutschland

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Die Regierung sagt: Maul halten!

liche Ruhe und Sicherheit gefärdet. Das| ministeriums für Volksaufklärung und Pro­Polizeipräsidium wird mit diesen Gerüchte- paganda" hält es für nötig, mitzuteilen, daß machern entsprechend verfahren." ,, dringend von der Abfassung und Absendung anonymer Hetzschreiben gewarnt

raunt und wispert es, Gerüchte gehen von Mund zu Mund, kom­men nicht zum Schweigen, und die Regie­Und die Mordfahndungsstellen werden es rung wundert sich. Es ist doch eigentlich in Zukunft schwer haben, denn niemand wird gar nichts geschehen, nicht wahr? Ein paar Dutzend, vielleicht ein paar hundert Menschen Weiß man denn, ob der jeweilige Mord ein wagen, ihnen mit Auskünften zu dienen. sind erschossen worden, die genaue Zahl scheint noch nicht einmal den Exekutoren Und wenn es ein amtlicher war, gewöhnlicher Mord oder ein amtlicher war? was kann einem alles geschehen, wenn man sich hin­einmengt? Hände weg von aufgefundenen Leichen!

selbst bekannt zu sein. Ist das etwa ein

Wie hat sich das alles seitdem geändert! Grund, sich aufzuregen? Es leben in Deutsch­Die Erfolge, die die französi- land Tausende, die seit dem 30. Juni einen sche Außenpolitik in wenigen oder den anderen Verwandten, Freund oder Monaten errungen hat, erschei- Bekannten vermissen und es nicht wagen, nen fast wie ein Wunder. Der Nachforschungen nach seinem Verbleib anzu­Triumphreise Barthous in die Hauptstädte stellen. Ist das ein Grund, sich zu beunru­der Kleinen Entente folgt die dramatische higen? Ueberraschung der wieder auferstandenen

Die Regierung findet: nein! Die Regie­

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französisch- russischen rung findet: wenn das Volk seit dem 30. Ju­Freundschaft. Eine Steigerung des ni nicht zur Ruhe kommt, so sind nur die Effekts scheint kaum mehr möglich, den- dreimal verfluchten Miesmacher daran schuld, noch erfolgt sie: Frankreich gewinnt Eng- denn unter normalen Umständen findet land für die Hauptlinie der neu- die Regierung gehen ein paar hundert Er­en französisch- russischen Ost- schießungen mehr oder weniger die Bevöl­europa- Politik, und nun kann auch kerung garnichts an. Und weil die Regierung Italien nicht anders als grundsätzlich zu- dieser Ansicht ist, und weil sie deshalb und aus zustimmen. Die Welt gruppiert sich um anderen Gründen es nicht für nötig hält und Frankreich , als tragikomisches Gegenstück nicht für gut befindet, endlich die Namen| erscheinen Hitler- Deutschland und Pilsuds- der Getöteten zu nennen, müssen die Polizei-| ki- Polen in zärtlicher Verschlingung

durch Drohungen

Das Leipziger Polizeipräsidi­um gibt bekannt:

Städte endlich allein! Eine diplomatische Possen- und Nester mit ganzer Kraft versuchen, das situation, die natürlich längst verschwun- unterirdische Gemurmel den sein wird, wenn der Vorhang wieder zum Schweigen zu bringen. aufgeht! Polen ist ja noch immer Frank­ reichs Verbündeter. Es hat sich die auf­dringlich angebotene Hilfe Deutschlands gefallen lassen, um seine Stellung zu stär­ken, es wird sich für einen billigen Preis zur rechten Stunde wieder daran erinnern, daß es Frankreichs treuester Alliierter ist. de ist eine Folge der deutsch - polnischen Die außenpolitische Situation der Stun­Extratour. Der Ostpakt, der jetzt in fran-|

Der Leiter

der Staatspolizei

Frankfurt a. M. gibt bekannt:

wird.

,, Glaube niemand, daß es bei Anwen­dung modernster kriminalistischer Metho­den nicht möglich sei, auch raffiniertest vorgehende anonyme Briefschreiber zu er­mitteln."

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Man sieht: im totalen Staat herrscht ein totaler Wirrwar. Die Regierung weiß nicht, wer alles erschossen worden ist und wieviele Privatrachen um den 30. Juni herum ausge­,, Verschiedene Vorfälle haben gezeigt, daß tragen wurden, darum schweigt sie. Die Be­von staatsfeindlicher Seite Bestrebungen völkerung weiß manches darum muß sie im Gange sind, durch Gerüchte, zum Teil der unsinnigsten Art, Unruhe in die Be- schweigen. völkerung hineinzutragen. Ich warne noch einmal vor Verbreitung derartiger Gerüch­te und werde rücksichtslos und mit aller Schärfe gegen derartige staatsfeindliche Elemente vorgehen

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Es herrscht soviel Ruhe und Ordnung in Hitlers Gangsterland, daß man sich gar nicht die Mühe nimmt, die Toten zu zählen es werden demnächst ohnehin mehr wer­Wer sich wundert, wird erschossen!

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den.

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amt­

gez. Beckerle, Polizeipräsident." In der ,, Oberlausitzer Tagespost" liches Nachrichtenorgan der gesamten Ober­ lausitz und bewegungsamtliches Organ der NSDAP , Gau Schlesien, steht zu tung:

lesen:

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Gangsterfrei.

Fette Ueberschriften in einer Berliner Zei­

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Ber­

,, Kriminalpolizei an der Arbeit ,, Jede Sicherungsmaßnahme, die aus lin ist gangsterfrei!" staatspolitischen Gründen getroffen wer­Gangsterfrei aber nur bis auf die Wil­den mußte und die für die meisten der Be­troffenen keinerlei Ehrenkränkung, sondern helmstraße! eben lediglich eine Sicherungsmaßnahme

bedeutet, ist für die Schwatzhaftigkeit jener Allgemeine Luftwehrpflicht

Der Ortsgruppenführer

Lemler

Menschen Anlaß zu einem Greuelmär­chen. Wenn der Führer die Zeit für ge­des kommen hält, dann wird das deutsche Reichsluftschutzbundes, Ortsgruppe Fürth , Volk erfahren, wer der strafenden Gerech- stellt öffentlich fest, daß einzelne Personen, ,, Weiterhin werden von einzelnen Quer­tigkeit zum Opfer gefallen ist. Dummköpfe treibern Beunruhigung und Besorgnis in und Schwatzhafte aber haben gefälligst die er zur Mitarbeit aufgefordert hatte, den die Bevölkerung hineingetragen. Immer den Mund zu halten." Dienst verweigert hätten mit der Begrün­wieder tauchen an allen Ecken und Enden gesetzliche So nebenbei erschossen zu werden, ist also dung, es bestände für sie keine Grüchte auf, daß in Leipzig Männer in hervorgehobener Stellung verhaftet oder im Dritten Reich keinerlei Ehrenkränkung, Pflicht. Dazu bemerkt er: ,, Ich betrachte gar( oder gar! d. Red.) erschossen worden was den Angehörigen zum Troste gereichen jede derartige unbedingte Weigerung als sein sollen... Das Polizeipräsidium steht wird. Vergehen wider Volk und Staat und werde der Ge­auf dem Standpunkt, daß jeder, Die ,, Landesstelle Schlesien des Reichs- I diesbezüglich einschreiten." rüchte erfindet oder verbreitet, die öffent­