Nr. 61 BEILAGE

Neuer Normärts

Harakiri eines Rebellen

Fackel und Krukenkreuz

der Ehre

12. August 1934

Von Alfred Kleinberg.

Kohn- Konrad

Im Fackelband Nr. 890-905 vollzieht| nur einer, der beim Begräbnis der Menschheit| sten' gebühre denen, die die Blutschuld so einschlittern lassen? Um solchen Beweg­Karl Kraus an sich ein Harakiri, das den Hut nicht abnimmt.< sinnloser Opferung auf sich geladen haben grund und solche Folgen in gehöriger Pro­noch viel peinlicher und schmerzlicher an­Man braucht an dem Gemälde nicht( nicht ohne den frevlen Wunsch, sie zu ver- portion zu finden, muß man für Größen­mutet als die Selbstpreisgabe Gerhart eben viel zu ändern, braucht bei den> Sym- mehren); und Arbeiterretter' seien die Be- verhältnisse blind geworden sein; man muß Hauptmanns vor dem Hakenkreuz. Haupt- bolen nur ans Kruken- statt ans Haken- schimpften, die die Arbeiter schließlich vor vor Haß gegen die Roten rot sehen, um mann bewies bloß, daß ein immerhin be- kreuz, bei den» Feuerwerken an die Pra- dem größeren Unheil bewahrt haben werden.< einen Mann, der ohne Not die stärkste hitlerfeindliche und Organisation die Und später einmal: deutender Dichter ein sehr fragwürdiger terfahrten der Wiener   aristokratischen Ge­steht > Weg damit! Es Charakter sein kann. Karl Kraus   aber spenster, bei den» geredeten und gedruck­der stärkste hitlerfeindliche Partei totschlägt, stellt die Wucht seines Wortes, die Schärfe ten Klischees<<, statt an Rasse und Blut an Menschheit im Wege. Es lügt zuviel und will als klugen Retter vor dem Hakenkreuz zu seines Witzes, das Pathos seiner Polemik, Katholiken!<,> Oesterreicher  !<<,> Vater- den andern zur Lüge nötigen. Sie wollen alles feiern; in Summe: man muß Besonnen­Kräfte, mit denen er gegen jeden falschen landstreue!<< zu denken und man hat das auf einmal. Sie haben nicht Krieg geführt heit, Wirklichkeits- und Ge­Schein und jeden unbegründeten Macht- ganze schwarzgelbe Oesterreich in einer und sie klagen sich gegenseitig des Verbre- rechtigkeitssinn in sich aus­anspruch siegreich rebelliert hat, Kraus   knappen Formel beisammen aber Karl chens an, die Kämpfer in solch hoffnungslose gelöscht haben, um sich bei so brüchi­also stellt sein ganzes, von Gerechtigkeits- Kraus will diese nahe Verwandtschaft, Situation hineinmanövriert zu haben; sie sind ger Basis zu so wütender Parteinahme, zu und Wahrheitsfanatismus gewecktes und diese Blutsbrüderschaft im Geiste der Un- überfallen worden und sie werfen einander solchen Argumenten, Hohn- und Lobeswor­gespeistes Genie in den Dienst des Doll- geistigkeit, der Phrase und des Zwanges vor, die Innere Stadt   nicht in die Luft ge- ten hinreißen zu lassen. Was wir da er­fuß Starhemberg Strafella- so wenig wahrhaben, daß er Dollfuß  , ohne sprengt zu haben. Sie haben Ekrasit und Hu- leben, ist das grausamste geistige Harakiri, Regimes. sich weltanschaulich mit ihm gleichzu- manität in Händen. Sie möchten zugleich das man sich vorstellen kann, und das Schon daß er, bis auf ein reichlich ver- schalten, trotzdem einen» Retter<<, die Demokraten und Kommunisten sein, weil es, sollte uns nicht erschüttern, Karl Kraus  ? spätetes, doch von echter Erschütterung Lage, die Dollfuẞ handeln ließ,» eine Not- wenn man schon lügt, auf den Unterschied eingegebenes Gedicht, zum> Aufbruch wehr ohne weltgeschichtliches Vorbild nicht ankommt. Sie sind Taktiker und tun der Hitlerei nichts zu sagen wußte, nennt und>> menschliche« oder» staatsbür- sich etwas auf ihre Fassungslosigkeit zugute.<< gegen- So hemmungslos und haẞbesessen diese wollte einigen seiner besten Anhänger gerliche Undankbarkeit< Dollfuß  nicht in den Sinn, und sie hatten guten über des» äußersten Abscheuse wert er- Scheltreden auch sein mögen und so wenig den, einen unbequemen Konkurrenten, einen Grund, sich zu empören. Denn wenn je­mand fünfunddreißig Jahre seines Lebens mit der Aufgabe identifizierte, reinigend dreinzufahren, wo immer Phrase, Lüge und Vergewaltigung ihre schmutzigen Orgien begehen; wenn ihm seine volle Stimmkraft erst zuwuchs, als die große Hure> Presse< und öffentliche Meinung das vierjährige Stahlbad der Völker ermöglichte; wenn er das tausendfältige Echo, das er fand, noch verhundertfachte, indem er zum geschrie­benen auch die Macht des gesprochenen Wortes hinzugesellte, so dürfen allerdings jene, die auf ihn hörten, sich von ihm ver­lassen wähnen, sobald er just in dem Augenblicke schweigt, WO sein ewiger Feind, die Gehirnvernebelung, sich an­schickt, in Gestalt des Dritten Reiches die deutsche Kultur, die deutsche Sprache und deutsche Bildung zu verwüsten. Das gut­menschliche Recht gerade des Meisters der Sprache, entsetzt zu verstummen, wenn sich

absurde

Redensarten in versteinernde

Wirklichkeit umsetzen, hat seine Grenze: daß es Pflicht aller Geistigen ist, gegen den triumphierenden Ungeist mit den ihnen

Züge.

0

19. August 1934

NEIN

NEIG

NEG

NE

>> Fort mit euch! Ihr habt kein Stimmrecht!<<

wüßte: warum das> kleinere Uebel des Sie und ihresgleichen begannen den Dollfußputsches notwendig war und ob

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In Deutschland   ist es große Mode gewor­Nachbarn, den man nicht ausstehen kann, > Juden­einen persönlichen Gegner, als stämmlinge zu verdächtigen. Landauf, land­ab beriechen die Rasseschnüffler jeden Eck­stein der Familienchronik, die Suche nach der Großmutter hat sich vom Gesellschaftsspiel zur Landplage entwickelt. Jetzt mehren sich die öffentlichen Ehrenrettungen und Immer mehr Leute sehen sich genötigt, sich selbst oder ihre Freunde vom Verdacht einer anrüchtigen Abstammung zu reinigen.

Wilhelm Stapel  , ein reichsdeutscher Wort­führer im Kirchenstreit, schreibt z. B. in sei­ner Zeitschrift» Deutsches Volkstum<:

> Manchmal genügt ein Name, der auch um Miß­als jüdischer Name vorkommt, trauen entstehen zu lassen. Aber nicht ein­Imal der Name Cohn ist immer ein Zeichen für das Judentum seines Trägers. Kohne und Cohn kommen, als Abänderung des Na­mens Conrad in Norddeutschland als echte deutsche   Familiennamen vor... Mag man einen Menschen nicht leiden, so genügen schwarze, krause Haare oder eine dina­rische Nase, um das Mißtrauen hervorzu­rufen. Wer nicht fest in der Rassenkunde ist, verwechselt leicht dinarische und jü­dische Nasen... Es gibt sogar Fälle, in denen jüdisches Aussehen völlig unerklär­lich ist.<

Nach dieser Feststellung, die ihm das Pro­

Ernst von Wildenbruchs Groß­mutter war Henriette Fromme, die Geliebte des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen  . Sie wird, weil der Name Fromme auch als Judenname vorkommt, als Jüdin bezeichnet. Aus der Ahnentafel berühmter Deutscher in der Leipziger Centrale für Personen- und Familiengeschichte geht un­widerleglich hervor, daß... Uebrigens sind Wildenbruchs. Werke so unjüdisch wie mög­

lich.

Walter Flex  ' Mutter soll eine Jü­din gewesen sein. Warum? Weil sie Mar­garete Pollack heißt... Der Sachver­ständige für Rassenforschung beim Reichs­ministerium des Innern hat den Fall Flex nachgeprüft und die rein arische Abkunft der Mutter ist durchaus festgestellt.

gemäßen Mitteln zu zeugen. Diesen kate- klärt. Weil der Bundeskanzler in Oester- zu dem Bilde des geretteten Daseinsfrie­gorischen Imperativ widerlegt weder der reich die Aufrichtung der Hitlerbarbarei dens, wie Kraus   es sieht, der auf jedem Spott gegen eine Anti- Hitler- Kampfgemein- mit ihren Stehsärgen, ihren Prangern und lastende Gewissenszwang, die nazistische pagandaministerium und schaft, der sich Kraus nicht einreihen las- sadistischen Massenmorden verhindert habe, Verseuchung aller Behörden, die Frei- danken werden, geht Stapel zu einigen mehr sen will, noch widerlegen ihn die ernst- ist Kraus bereit, ihm die Beseitigung der sprüche hakenkreuzlerischer Schwerver- persönlichen Entjudungen über, haften Gründe, die> der Verlag der Fackel< Verfassung, die Ausrottung der Parteien, brecher, die uniformierten Heimwehrapa- und seine Plädoyers sind so bezeichnend für in neckischer oder neckisch sein sollender das Bombardement der Gemeindehäuser chen als Ordnungshüter und die unaufhör- den neudeutschen Unfug, daß sie wenigstens Verkleidung vorbringt: daß Kraus  , um und sogar die Standrechtgalgen-> un- lichen Attentate bis hinauf zum Dollfuß  - auszugsweise zitiert werden sollen: seine Anklage gegen Hitler   zu formulieren, selige Zutat der Kriegstat< zu verzei- mord auch stimmen wollen wir ließen bisher Ungenannte hätte nennen und so hen, und auch an den Herren Fey und sie unbesehen passieren, wenn Kraus   nur gefährden müssen und daß seine Satire Starhemberg   entdeckt er sympathische eine Frage einleuchtend zu beantworten wirkungslos verpufft wäre, weil gegen das Unsagbare Worte ohnmächtig seien. Ja, liegt denn nicht genug Furchtbares so ein- Feldzug gegen die Sozialdemokraten nicht nicht Christlichsoziale und Sozialdemokra­deutig zutage, daß es kein Hitler und kein etwa, weil ihnen die Ausrottung des Mar- ten vereint die Hitlerbarbarei viel leich­Göbbels ableugnen oder an den endgültig xismus durch Hitler   den notwendigen Mut ter und sicherer hätten verhindern kön­zu Tode Gemarteten noch rächen kann? dazu machte; sie handelten nicht als Be- nen? Daß die Sozialdemokraten bereit und gehörte nicht auch eines Karl Kraus  auftragte jenes alt- österreichischen Adels-, waren, die Demokratie mit gesetzlichen vernichtender Hohn in den Pestkordon, den Soldaten- und Pfaffenklüngels, dem Kraus   Mitteln gegen die Hakenkreuzseuche zu Abscheu, Haß und Verachtung um das >> Letzte Tage der Menschheit<< seinerzeit schützen, haben sie bewiesen, als sie in Dritte Reich so dicht zu ziehen vermoch- das Grablied gesungen haben, und nicht allen Landtagen der Aberkennung der Ha­ten, daß wir dessen Ende schon als voll- vielleicht im innigen Verein mit Mussolini  , kenkreuzmandate zustimmten sie wä­zogene Tatsache sehen zu können glauben?| Aber sei dem wie immer: heute endlich dessen spät genug und sehr oberflächlich ren, was nach dieser Probe außer Zweifel zivilisierter westlicher< Faschismus   nun- steht, unter den entsprechenden Garantien hören wir ihn, heute verdanken wir mehr die Umgangsformen des österreichi- auch für eine Verfassungsreform und für Kraus das folgende verzweifelt wahre Porträt des Hitlerschen Unwesens: schen Lebensraumes bestimmt. Sondern ein Ermächtigungsgesetz an eine verläßlich indem sie das Gesetz brachen und den Ver- verfassungstreue Regierung zu haben ge­Trotzdem aber hätten Verhand­> Diese grundstürzende Veränderung, von zweiflungskampf provozierten, wollten sie wesen. ist, da sie doch von gestern auf heute die und Arbeitern der auch der Außenstehende noch benommen nur sich und den anderen, auch den Juden lungen, hätte ein Abwehrbündnis mit ihnen die sozialpolitischen unmöglich sein sollen, weil man denke, brauchbarsten Knechte zivilisatorischen Be- Dinge«, sagt Kraus,» dürften bei Faulha- weil dadurch, wie Karl Kraus   auf S. 194 triebs in Feueranbeter und Bekenner eines ber, Innitzer und Mercier in besserer Ob- in denkwürdiger Uebereinstimmung mit Blutmythos verwandelt hat, daß sie schier hut sein als bei Hilferding  , Bauer und Otto Bauer   feststellt, die Christlichsozialen| nicht wiederzuerkennen sind; diese Umwäl- Blume, ein würdiges, vor barbarischen ein paar Mandate an die Nazis zung, von Ideen bewirkt, so einfach wie das Ausschreitungen behütetes Dasein bewah- eingebüßt hätten? Und deshalb, Ei des Kolumbus, bevor er Amerika   entdeckte ren, und darum waren die Schutzbündler, wegen des heiligen Mandatsbesitzes einer wird sie gar von einem Verbrauch an Sym- die solche Fürsorge abzuwehren versuch- Partei, die Ablehnung jedes Verständi­bolen, Fahnen und Feuerwerkskörpern geför- ten, bedauernswerte Verführte, sind Otto gungsversuches, die Sprengung des Par­dert, wie ihn die Entwicklung noch nicht ge- Bauer, Julius Deutsch und die anderen laments, die Lahmlegung der Verfassung, kannt und nicht geahnt hat, ferner von einer sozialdemokratischen Bonzen Narren, Lüg- der Zweifrontenkrieg nach rechts und der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem Hypertrophie der geredeten und gedruckten ner, Feiglinge, kurz, unheilbar dumme links? Deshalb der provokatorische Ab- bösen Nachbarn gefällt, ihn als Judenstämm­Klischees, der der Aether und die Papierfabri- Lumpen zur zehnten Potenz. Oder um bau der politischen Rechte, das schrittweise ling auszuklingeln, und so ein dinarischer ken bis an die Grenze, der Leistungsfähigkeit Kraus selbst sprechen zu lassen: vorbereitete Bürgerkriegsmassaker, die Einschlag in den Gesichtszügen ist im Drit­genügen: so geht sie wie eine epidemische Ge->> Hoffentlich wird man einmal zu der Ein- aberwitzige Beleidigung und Entmündigung ten Reiche gefährlicher als ein kleiner Mord. sich gelangen, die Bezeichnung, Arbeitermör- der Arbeitermassen, die, der Regierung Hitlers   geeintes Volk, vor Edelmut strotzend, Odem hat, widerstehen könnte und vor der der', mit der die Radaupresse herumschmeißt planvoll gewonnen, Oesterreich nie und bietet in seinem privaten Dasein einen erhe­sich der Abgewandte taktlos vorkommt wie wie mit der Ideotie von den Kanonenchri- nimmer in sein heutiges Unheil hätten hin- benden Anblick.

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Dem Göttinger Theologie- Professor Emanuel Hirsch   wird jüdische Ab­stammung angehängt. Grund: der Name und dinarischer Einschlag in den Gesichts­zügen. Der Name Hirsch braucht nicht auf den Judennamen Hersch zurückzugehen, es gibt auch deutsche   Hirsche.» Zum Hirsch< ist ebenso wie> Zum Löwen«,» Zum Och­sen<,> Zum Kaiser  < ein guter alter Haus­

name...

Der Frankfurter   Professor der Sozio­logie, Heinz Marr  , soll von jüdischen Vorfahren abstammen. Hier liegt eine ganz besonders üble Verleumdung vor... weil es sich um einen Racheakt der Gegner han­delt. Die Stammbäume liegen nach allen Richtungen vor und schließen jeden jüdi­schen Einschlag aus.

Also das sind wirklich Sorgen! Es kann