Nr. 63 BEILAGE "IteteDörfs 26. August 1934 Der Krieg des Pontius Pilatus Ein Buch von Theodor Wolff Erfreut findet man in diesem starken Buch, das von der Entstehung des Welt­krieges handelt und bei Oprecht und Helb­as in Zürich erschienen ist, den berühm­ten Leitartikler des»Berliner Tageblatt« wieder. Glücklicherweise ist er ganz der aite geblieben. Man erkennt ihn in jeder Zeile, seine großen Vorzüge und seine kleinen Schwächen sind alle noch da! Selbstverständlich gibt er keine trockene Barstellung der Begebenheiten, jeden Win­kel schmückt er mit Blumen aus den Gär­ten der Weltliteratur, aus Goethe und Schiller , Shakespeare und Byron, Maupas­ sant und Kipling, Homer und Aeschylos . Einen besonderen Ehrenplatz hat er aber dem großen französischen Dichter A n a- tole France eingeräumt, denn die tiefe Weisheit seiner Erzählung vom Gastmahl des Pontius Pilatus hat ihn mächtig ge­packt. War es nicht immer so, daß kor- rekte, intelligente und kultivierte Groß­würdenträger, wie jener Pontius Pilatus einer war, das Verhängnis absichtslos her­beiführten oder untätig duldeten, weil sie die Bedeutung der heranbrausenden neuen Zeit nicht zu begreifen vermochten? Wie Baust, nachdem er den Hexentrank ge- schlürft, Helena in jedem Weibe sieht, so sieht Theodor Wolff , von Anatole Frances Zauber berührt, in jedem Staatsmann der ätzten Vorkriegszeit einen Pontius Pilatus . Zum Schluß, da die Menschheit den Pas- sionsweg des Weltkrieges antritt, stehen s'e gleichsam in Reihen da und waschen 'bre Hände in Unschuld. Eine geistreiche Idee gewiß, würdig, rinem Kunstwerk als Leitmotiv zu dienen; «in Kunstwerk ist das Buch auch gewor- den. Es ergibt sich aber, wie bei allen Werken, die im Grenzgebiet zwischen Poli­tik und schöner Literatur gewachsen sind, 'ü« Frage, ob nicht die Materie des ge- schichtlichen Tatsachenberichts unter der Fcrm, in die sie gezwungen wird, leidet. Selbstverständlich will Wolff diesen Scha- «n vermeiden, er will Geschichte schrei- ben; er hat nicht die Absicht, die Wahr­heit der Form zuliebe auch nur im gering­sten zu verbiegen. Die Aufgabe, die er sich damit gestellt hat, ist aber so schwer, daß auch einem Meister manches daran miß- "ögen kann. . Vor allem wird man, auch nach Wolffs «'gener Darstellung, der Wiener Diplo- �atie einen Sonderplatz anweisen müssen, «inen Platz ganz vorne auf der Anklage- änk. Sie hat nicht nur durch absichtliche orrnulierung eines auch nach ihrer An- «'«ht unannehmbaren Ultimatums die �ute ans Pulverfaß gelegt, sie hat auch 'h't Vorbedacht jeden Rettungsversuch V«r«itelt, in dem sie der Berliner Regie- �hig die überraschend günstige Antwort _«rbiens solange wie möglich vorenthielt. rotz allen Bemühens, Schatten und Licht «ichmäßig zu verteüen, fällt auf die «sition des alten Oesterreich kein einziger pbtatrahl. Pontius Pilatus wäre für den lafen Berchtold noch ein unverdienter �brenname. . Bie Entwicklung der Dinge in B e r- 1 n hat Theodor Wolff aus nächster Nähe t angesehen, sein Zeugnis über sie ist p.«1" besonders wertvoll und wohl in allen alnze'heiten richtig. Schließlich gibt es ja üch kaum noch eine Meinungsverschie- «iheit darüber, daß für Deutschlands «inschlittem in den Krieg die innere �inöglichkeit seines Regierungssystems p h die Unzulänglichkeit seiner führenden «'"sönlichkeiten entscheidend waren. Ob- 20bl das Buch jede Anspielung an spätere y61«n streng vermeidet, drängt sich der «rgleich zwischen damals und jetzt un- . erstehlich auf. Es ist unmöglich, j�1 c h t an die heutigen Zustände zu den- jj t1' wenn man liest, was Bethmann 0 U w e g eines Tages während des Krie- 8 Zu Theodor Wolff sagte: Hj�Wir haben ja In unserer Inneren und In jjj erer äußeren Politik In der Lüge gelebt. ren««hrelerlscher, Uberforscher, Q�0lnmistischer, schwatzhafter ein völliges Verkennen bei diesen Leuten, alle anderen Völker taugen nichts, nur wir.« Mit der gleichen'Gewissenhaftigkeit wie durch die Hofburg in Wien , das Königliche Schloß in Berlin , die Ministerien des Ball­hausplatzes und der Wilhelmstraße geleitet uns Th. Wolff durch die entsprechenden Räume in Petersburg , Paris und London . Nikolaus, Poincare , Grey und an­dere werden zum Gegenstand eindring­licher Seelenanalysen. Man wandelt fast ständig auf den sogenannten»Höhen der Menschheit« und erblickt nur selten durch einen Riß der Wolken die Welt, die tief unten liegt. Der Gedanke reizt: es könnte einmal ein Gegenstück zu diesem Buch geschrieben werden, ein Buch, in dem nur die Massenkräfte gezeigt werden, die da­mals um Krieg und Frieden rangen. Immerhin, manchmal läßt uns Th. Wolff auch in die Parlamente von London , Paris und Berlin blicken. Wir sind mit ihm in dem weinroten Sitzungssaal des Palais Bourbon : »Einer jedenfalls war da, der sich nicht einschüchtern ließ, nicht die Klarheit des Blickes verlor, an den Zwang des Fatums nicht glaubte, immer wieder mit der Turm­glocke die Schläfer weckte, immer wieder, zu denen oben und zu denen unten, seine War- nungen rief. Der abtrünnige Patrizier Call- 1 a u x mußte, den Prozeß der Gattin erwar­tend und vorbereitend, beiseitestehen, aber noch blieb Jaurfts. Am 7. Juli 1914 stieg er zum letzten Male in der Deputierten­kammer die Stufen zur Rednertribüne hinauf. Er erklärte, warum er und seine Freunde die Kredite für die Reise des Präsidenten Poin- carS nach Rußland ablehnten:»Für diese fernen Entrevuen, bei denen im Namen Frankreichs Verpflichtungen eingegangen werden, die es nicht kennt« Genau ein Jahr vorher hatte er in der Kammer darauf hin­gewiesen, daß die Leute der nationalistisch- klerikalen Liga unablässig bemüht wären, z u seiner Ermordung aufzureizen, ihm mit der Rache der wahren Patrioten zu drohen.»In Ihren Zeitungen, in Ihren Arti­keln«, sagte er den Parteien der»Renais­sance« deren wütendste Gestalten aus der andern Renaissance die Methoden der Borgia übernahmen,»bei denen, die Sie unter­stützen, gibt es gegen uns einen fort­währenden Aufruf zum Mord. Das Blatt»La Liberty« schreibt seelenruhig o, Sie werden applaudieren, meine Herren!, daß ich mich sicherlich gefreut habe, den Tod von sechzig französischen Soldaten in Marok­ ko mitteilen zu können, denn nun wären der deutschen Armee sechzig Franzosen weniger entgegenzustellen. Nach Spalten voll Ver­leumdungen fügen Ihre Blätter, von mir und meinen Freunden sprechend, hinzu: Dieser Exekution wird sich am Tage der Mobil­machung eine andere, vollständigere, hinzuge­sellen«... Im Kampfe um die dreijährige Dienstzeit war Paul Adam von literarischer Höhe hinuntergestiegen und hatte die Geg­ner des Gesetzes»Bundesgenossen des Fein­des« genannt.»Und Herr Paul Adam «, sagte Jaurfes,»setzt hinzu, daß all diese Männer am ersten Tage der Kriegserklärung fallen würden, von dem gerechten Zorn der Patrio­ten getroffen, denn sie hätten sich zu Kom­plicen der Invasion gemacht«...Als Jaurös diese Aufforderungen zum Mord '«Ist War in unser Volk gebracht r e n. Es ist ja eine Aufgeblasenheit, »Josef, es geht bergab!« zitierte, schrie man auf einigen Bänken rechts:»Ja, ja!« Er antwortete unter dem stürmischen Beifall der Republikaner :»Wenn Ich manchmal versucht sein könnte, meinen eigenen Wert und die Dienste, die ich in einem Leben voll Hingebung und Kampf mei­ner Partei und der Republik leisten konnte, an der Heftigkeit des Hasses zu messen, den ich der Reaktion einflöße, so würde ich ohne Zweifel in die Sünde des Hochmuts ver­fallen...« So hörte er, während sein Gesicht in der Leidenschaft des Zornes und der Men­schenliebe sich rotglühend erhitzte, nicht auf, anzuklagen und seine Volksgenossen anzu­flehen. Mit seinen breiten Schultern, mit seiner ganzen starken Gestalt und der in der Verzweiflung grandiosen Wucht seiner Kämp- fematur stemmte er sich gegen die Tür, an der das Scheusal des Krieges rüttelte, und so stand er, in dieser Tragödie der unbeug­samste Verteidiger der Mensch­heitsideale, bis zuletzt.« Schon um dieser Zeilen wülen hätte das Buch verdient, geschrieben zu werden! Es ist jedoch gewiß keine Herabsetzung sei­nes Verfassers, wenn man von ihm sagt, er stehe dem mild ironisierenden, alles menschlich verstehenden Geist eines Ana­ tole France näher als dem pathetischen Temperament eines Jean Jaures . Dieses bewundert er gewissermaßen nur aus der Feme , wie ja auch Anatole France zu den Freunden und Bewunderem des großen Sozialisten gehört hat: Jaures fiel auf Vorposten, das Geschoß eines Idioten zerschmetterte sein kostbares Gehirn. Meuchelmörder machen Geschichte heute noch! Theodor Wolff läßt in einem resig­nierten Schlußwort den Gedanken an­klingen, daß alles Bemühen, die Menschen zu bessern und zu bekehren, vergeblich sei. Scheint ihm der Sieg der Vilains über die Jaures endgültig? Welchen Zweck hätte es dann noch, Bücher zu schreiben, wie das seine eins ist! Oder dürfen wir in seiner Resignation die pädagogische Absicht ver­muten, Widerspruch herauszufordern? Jaures war nicht nur ein Träger höch­ster Kultur, sondern auch ihr unermüd­licher Kämpfer. Lebte er noch, so wäre sein Wort nicht Harfenklang, sondern Schwertschlag. Und Theodor Wolff gibt es für ihn nur noch eine Vergangenheit, der er versonnen nachblickt, nicht auch eine Zukunft, für die er kämpft? Friedrich Stampfer . Barladbs Schicksal Barlachs Magdeburger Gefallenen­denkmal wird nunmehr aus dem Magde­ burger Dom entfernt und dem Berliner Na­tionalmuseum überwiesen. Dem völkischen Mob war das Denkmal zu menschlich, zu frie­densfreundlich. In der Demokratie liefen sie gegen das Kunstwerk vergeblich Sturm, jetzt haben sie gesiegt. Aber vorher wurde Bar­lachs Name noch schnell für Hitlers »Volks­abstimmung« auf der KUnstlerliste mit ge­schändet... Die pazifistischen, sozialistischen Dramen des Achtundsechzigjährigen dürfen nicht aufgeführt werden, seine Plastiken ver­stauben in Museen, aber ganz ohne Namen und Könner, nur mit den Jobsten kann das Dritte Reich nun mal nicht auskommen, dar­um wird der Mann der»Asphaltkunst« ge­duldet. Er und die Hitlerel haben sich zu einem Kompromiß gefunden, das für beide Teile reichlich peinlich bleibt. Dafür kann sich Barlach mit dem Bewußtsein trösten, daß demnächst bei Minden das Schlageter- denkmal eines Stümpers eingeweiht wird. Wenn menschliche Totenmäler verschwinden müssen, so sollen dafür wenigstens Standbil­der von Kameraden- Verrätern und Zuhältern erstehen. Das nennt sich Volksbühne! Aus der Ber­ liner Presse:»Die Volksbühne lud an allen Säulen für ihr Abonnement ein. Das Plakat war musterhaft für das Führerprinzip: es nannte nur den neuen Führer der Volks­bühne, den Intendanten Graf Solms, wäh­rend kein einziger Schauspieler auf den Pla­katen in die Erscheinung trat.«