Neuer Vorwärts

Gozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad  , Haus Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

no aug 20

Nr. 64 SONNTAG, 2. Sept. 1934

Aus dem Inhalt:

Die Wahrheit über den schwarzen Sonntag

Anarchie in der Wirtschaft Ludwig Frank   ein Kämpfer­

leben

Hänge- Peters als Symbol

Sozialdemokraten ins Zuchthaus!

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Hitlers Rachejustiz   am Werk

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zialisten.

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ließ ihn

Genosse Rudolf Küstermeier   ist ihr Teil dazu beitragen müßten, um| Nationalsozialismus aufgedeckt, mit Feuer| suchen und visitierte auch die Fußgänger. » Roten Vorstoß« am Montag in Berlin   zu zehn Jahren Zucht- Deutschland von der Nazi- Pest zu befreien. den Menschen nahegelegt, dem Sozia- Bei dem Mann vom haus verurteilt worden. Die Genossen Willi Es waren einige Leute dabei, die aus der lismus treu zu bleiben. wurde ein Paket illegale Literatur gefun­Strinz und Karl Zinn erhielten je Nazirevolution Abteilungskarto- Die Auflage des» Roten Vorstoß« den. Man arretierte den jungen Mann, sieben Jahre Zuchthaus, Genosse Willi theken gerettet hatten und sie wie einen wuchs schnell, und um ihn herum formte hielt ihn einige Tage gefangen, haussuchte Schwarz drei Jahre Zuchthaus  . Drei Schatz verborgen hielten: Adressen waren sich die Organisation der» Rote Stoß- in seiner Wohnung, notierte alles, was er weiteren Genossen wurden Gefängnisstra- das kostbarste Material, das die illegalen trupp«. Die Organisation wurde nach sagte, alles, was man auf Notizbüchern fen von eineinhalb bis drei Jahren aufdik- Arbeiter im Besitz hatten. Adressen, Mut einem erprobten illegalen System auf- und auf Papierfetzen fand und tiert. und Sparpfennige damit wurde nach der gebaut. Die Organisation hatte aber einen frei. Das Resultat des Verhörs war ge­Erst nach wochenlangem Spüren Die Anklage beschuldigte die genann- Nazirevolution die erste illegale Arbeit Fehler: es waren zuviel frühere Mitglieder ring. ten Genossen, eine Organisation, den Ro- durch die Genossen im Inland auf eigene untereinander bekannt. Im übrigen war kriegte man endlich heraus, wer einer der ten Stoßtrupp, gebildet, ferner ein hekto- Faust verrichtet, bevor die Propaganda der» Rote Stoßtruppe vorbildlich organi- Träger der Decknamen war; man brachte graphiertes Blatt, den Roten   Vorstoß, her- durch Hilfe von draußen den Umfang er- siert. Er wurde die Hoffnung vieler So- einen Spion in die Reihen des» Roten Stoß­ausgegeben und in 40.000 Exemplaren ver- reichte, den sie jetzt hat. trupps<, und an einem geeigneten Tag breitet zu haben. Die dazu nötigen Geld­Auch in Berlin   kamen aus ver- Monatelang hat die Gestapo   gesucht griff man zu. mittel sollen nach der Anklage Die Polizei z. b. V. arretierte in einer und dies schiedenen Gegenden der Stadt eine Anzahl und nichts gefunden als hier und da ein gilt als besonders erschwerend von dem findiger junger Menschen zusammen. Un- Exemplar vom» Roten Vorstoß«. Sie trat Nacht 73 Männer und Frauen, darunter Vorstand der Sozialdemokratischen Partei ter der Leitung eines besonders energi- hier ganz anders auf als gegen die Kom- eine Anzahl, die nur per Post den> Roten  in Prag   geliefert worden sein. schen Sozialisten, theoretisch geschult und munisten. Wer mit einer» Roten Fahne« Vorstoß« ins Haus bekommen. Unter den Das Urteil wurde vom Zweiten Senat praktisch geschickt, ging man ans Werk. angetroffen wurde, wurde ins Konzentra- Festgenommenen befand sich auch eine des sogenannten Volksgerichtes" gefällt, Man bearbeitete anfänglich nur die jünge- tionslager gebracht. Der> Rote Vorstoße Anzahl junger weiblicher Studenten. Einem man wollte erst aber war gefährlicher, darum wollte Teil der Bedrohten glückte es, zu flüchten. Verwendung zum Hohne genannt hat. Es eine Gruppe von Propagandi  - man nicht die Leser, aber die Führung. Alle Verhafteten wurden in das berüch­ist kein Urteil im Sinne der Rechtspflege sten schaffen, bevor man mit dem eigent- Man ließ die Leser laufen aber sie tigte Gestapogefängnis im Columbiahaus eines zivilisierten Staates. Es ist ein in den lichen Werk begann. Man fand in dem liefen nicht mehr allein. Ein gebracht. Sie bekamen zunächst 48 Stun­von Spürhund der Gestapo   bewachte ihre den nichts zu essen und zu trinken, dar­äußeren Formen eines Strafprozesses voll- unausschöpflichen Arbeiterreservoir zogener verbrecherischer Ge- Berlin   eine große Anzahl junger Menschen, Gänge, um am Ende den Verteilern der nach wurden sie mit Nilpferdpeit­von die bereit waren, die Gefahren waltakt gegen politische Gegner. Ge- Schriften auf die Spur zu kommen. Durch schen verprügelt und stundenlang Stückchenweise bekam die Ge­Hinter sieben neuen Märtyrern der Frei- fängnis, Mißhandlung und Konzentrations- Zufälle, über die sich die Gestapo   noch verhört. heit schließen sich die Tore des Zucht­lager auf sich zu nehmen, um die soziali- lange genug den Kopf zerbrach, miß- stapo, die durch ihren Spion über eine An­stischen Gedanken unter die Masse zu glückte das stets, bis endlich der berüch- zahl Dinge halb richtig, halb falsch unter­hauses und des Gefängnisses. Was war bringen. So begann ihre Arbeit. Die erste tigte» Zufall<, der in der illegalen Arbeit richtet war, Bekenntnisse heraus. Die das Verbrechen dieser tapferen aufrechten Nummer des» Roten Vorstoẞ< er- häufig eine verhängnisvolle Rolle spielt, halbtotgeprügelten Menschen? Sie haben die Wahrheit schien. Eine Unzahl von guten politischen der Polizei einen Faden in die Hand gab. und Frauen, die aus dem halben Wis­wissen, sie haben sie weiter tragen wollen, und wirtschaftlichen Informationen aus Bei einer Razzia in einem Arbeitervier- sen der Polizei schließen mußten, daß alles sie haben nicht zu Verrätern an ihrer Idee den Gefängnissen, den Konzentrations- tel Berlins   befand sich auch einer der Ver- verraten sei, ließen sich Geständnisse er­und ihren Kameraden werden wollen, son­dern sie sind freiheitliebende Menschen und un- teiler des» Roten Vorstoß« in einer Straße, pressen. Es bleibt aber für alle Zeit Trost lagern und Mitteilungen über die gute Sozialisten geblieben. Dafür gibt es im menschliche Behandlung in den SA- und die in dem Augenblick, in dem er sich auf und Stolz für den» Roten Vorstoẞ<<, daß Dritten Reich drei, sieben, zehn Jahre SS  - Kasernen enthielt diese illegale Zei- das Rad setzen, wollte, von Polizei abgerie- keiner der Mißhandelten seine Kameraden tung. Mit Elan wurden die Sünden des gelt wurde. Man wollte alle, Häuser durch- verraten hat.

wie Hitler   sein Gericht

Zuchthaus  !

zur besonderen

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diese Vor­

Drei, sieben, zehn Jahre stellung wäre ganz unerträglich, lebte in uns nicht der zuversichtliche Glaube an einen nicht mehr fernen Tag, an dem die Revolution die Kerkertore sprengen und Gericht über die wirklichen Verbre­cher halten wird. Dann wird das Volk die Helden ehren, die für seine Befreiung den Zuchthauskittel getragen haben!

Zur Vorgeschichte

Es war einige Monate nach dem Staats­

ren Sozialdemokraten

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Männer

Die Wahrheit über den 19. August

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Prügel für Nein- Stimmen Kein Wahlgeheimnis mehr­-Schamlose Dennoch Verdoppelung der Nein zugegeben Fälschung überall

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Die Wahrheit über den 19. August| Adolf Hitlers   am 19. August emporgestie­streich der Nazis, im Sommer 1933. Die dringt nur langsam durch. Die Berichter- gen ist. Sozialdemokratie hatte ihre bitterste Ent­der Tagespresse hat versagt. Das

täuschung überwunden und begann sich wieder zu rühren.

brauchbar

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Kurz nach der Nazi­

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Die ungültigen und die Nein- Stimmen im Verhältnis zu den Ja- Stimmen bringen als

Nur wer diese Ungeheuerlichkeiten prozentualen Anteil der Opposition im ganzen ist kein Vorwurf, sie mußte versagen. kennt, wird begreifen, wie groß die Nie- Reich 13 Prozent, in ganz Sachsen   14.4 Pro­Die ausländischen Korrespondenten, die es derlage des Hitlerregimes ist, zent, im Wahlkreis Leipzig   20.5 Prozent, im in Deutschland   noch gibt, arbeiten nicht die sich trotz alledem in einer amtlich zu­

Wahlkreis Chemnitz  - Zwickau   13.6 Prozent, im Wahlkreis Dresden  - Bautzen   11.5 Prozent.

mit 6.2 Prozent, Dipoldiswalde mit 7.9 Pro­zent usw. Die tatsächlich vorhandene äußerst scharfe Miẞstimmung der bäuer­lichen Bevölkerung hat sich infolge des ungeheueren Wahlterrors im Stimmen­ergebnis nirgends ausgewirkt.

A

Auffallend hoch ist die Zahl der Neinstim­

men dagegen in den Lausitzer Ortschaften

Revolution hatte man sich still verhalten, keinen Versuch der Organisierung unter­nommen, da man nicht wußte, über welche nur unter ständiger Gefahr, sie bringen gestandenen Verdoppelung der Opposition Ausgesprochen schlecht ist das Ergebnis in Machtmittel der Gegner verfügte und man noch mehr die Deutschen   in Gefahr, die ausdrückt. Wie wäre das Ergebnis erst ge­auch noch nicht wußte, wie weit man sich mit ihnen sehen lassen. Die ausländi- wesen, wenn die verfemte, verfolgte, aller vorwiegend agrarischen Gebieten, wie Freiberg  gehen konnte. Die alten Führer waren schen Korrespondenten sitzen in Berlin   und materiellen Mittel beraubte Opposition nur oftmals für die illegale Arbeit nicht können nichts erfahren, was sich in Tau- einen einzigen Tag offen zum Volke hätte danach die der Oeffentlichkeit bekannt sie waren auch zu sehr in senden von deutschen   Orten, in Hundert- sprechen dürfen und wenn Stimmen ehrlich gezählt worden wären! und die tausenden von Wahllokalen begeben hat. jüngeren hatten sich mit dem Gedanken, Wer sie unterrichten wollte, riskierte, we-| Aus den Berichten, die seit einigen Ta­daß sie nunmehr die Bewegung leiten müß- gen angeblichen Landesverrats festgenom- gen immer zahlreicher bei uns eintreffen, ten, noch nicht vertraut gemacht. An men und auf der Flucht erschossen zu seien ein paar Stichproben wiedergegeben: vielen Stellen Deutschlands   entstanden nun werden. Sachsen  : Stadt und Land kleine Gruppen aus alten treuen Partei­genossen, mutigen Reichsbannerkamera- schreitet die Wahrheit die scharfbewachten Eine Betrachtung des Abstimmungsergebnis- 16.9 Prozent und im Wahlkreis Dresden  - Bautzen  den, Mitgliedern der SAI, die versuchten, Grenzen des Dritten Reiches  . Kein Außen- ses Schirgiswalde   mit 31.5 Prozent Nein- und Kontakt miteinander zu halten und über stehender kann sich eine Vorstellung da- zeigt, daß die Zentren des Widerstandes ge­ungültigen Stimmen. die Politik des Tages miteinander zu spre- von machen, wie es heute überhaupt noch gen Hitler die Orte mit stark katholi­Schirgiswalde war die einzige Stadt Sachsens  , chen. Aus ihren Reihen kamen die jungen möglich ist, aus den verschiedenen Teilen schem Einschlag und die alten sozialde die vor dem braunen Staatsstreich einen Zen­aktiven Führer hervor, die System in die Deutschlands   wahrheitsgemäße Berichte mokratischen Hochburgen trumsmann zum Bürgermeister hatte. illegalen Verbindungen brachten. zu erlangen. Dennoch ist es möglich. Und Der Wahlkreis Dresden  - Bautzen  , der gegen­Von der Wasserkante Es waren zumeist junge Leute von un- so beginnt sich jetzt allmählich das Bild über den Wahlkreisen Chemnitz  - Zwickau   und Das für Hitler katastrophale Ergebnis der gefähr 20 bis 35 Jahren, die alle schon in zu gestalten von jener Summe des frech- Leipzig   den stärksten agrarischen Einschlag der Partei- und Gewerkschaftsbewegung sten Volksbetrugs, der nacktesten Verge- in Sachsen   hat, liegt mit dem prozentualen Abstimmung in Hamburg   ist schon bekannt. der Oppositionsstimmen unter dem Der Wahlkreis Hamburg  , wo Hitler   seine hatten, echte sozialistische waltigung und der schamlosesten Fäl-| Anteil die Reichsführerschaft Durchschnitt des Reiches und Sachsens  . große Agitationsrede gehalten hat, marschiert

Erfahrung

Nur langsam und auf Umwegen über­

Kämpfer, von der Idee besessen, daß sie schung, aus der

sind.

mit katholischer Bevölkerung: Kirschau  bei Bautzen   15.1 Prozent, Ostritz   bei Zittau