Der Kassierer der Gangster Schachts Drohungen und die Wirkung im Ausland

Mit den Prophezeiungen muß man sich jetzt beeilen. Die Entwicklung geht so schnell, daß die Voraussagen sonst von den Tatsachen überholt werden. Vor kur­zem hatten wir an dieser Stelle bemerkt, daß die deutsche Unterschrift unter den neuen Zahlungsabkommen von geringem Wert erscheine; Hitler und Schacht hätten weder den Willen noch die Fähigkeit, die Verträge zu halten. Schneller als wir vor­aussehen konnten, hat sich Schacht be­eilt, unsere Auffassung zu bestätigen. In einer Rede auf der Leipziger Messe hat er angekündigt, daß die bisherige Devisen­bewirtschaftung eine Aenderung erfahren müsse. Die Reichsbank wird nicht wie bisher den deutschen Importeuren gleich­mäßig sein, wenn auch noch so geringes, bestimmtes Devisenkontingent zuweisen, sondern die Importeure müssen alle Ab­schlüsse über die Waren, die sie einführen wollen, der Reichsbank einreichen. Diese bestimmt, ob und in welchem Umfang sie den einzelnen Importeuren die Einfuhr­genehmigung bewilligt und die dafür not­wendigen Devisen zuteilt. Diese Devisen­zuteilung kann natürlich nur in dem Um­fang erfolgen, als die Reichsbank aus dem Export Devisen einnimmt Auf diese Weise soll das Passivum der Handelsbilanz auf jeden Fall zum Verschwinden. gebracht werden. Die neue Regelung, die allerdings im Wesentlichen nur den Zustand legalisiert, der sich bereits in den beiden letzten Mo­naten herausgebildet hatte, bedeutet nichts weniger als die Zwangsbewirtschaftnng der gesamten Einfuhr, ein faktisches Einfuhrmonopol. Es liegt jetzt völüg in der Hand der Reichs­bank, zu bestimmen, was und aus welchen Ländern eingeführt werden soll. Die Reichs­bank kann z. B. die Einfuhr von Tabak, Kaffee, Südfrüchten etc. beliebig drosseln, um größere Möglichkeiten für die Einfuhr von Rohstoffen für die Kriegsindustrie zu erhalten. Die Zölle oder Einfuhrkontin­gente, die Spanien , Italien , Brasilien oder andere Staaten gegen Zugeständnisse für die deutsche industrielle Ausfuhr bei dem Abschluß ihrer Handelsverträge erworben haben, verlieren jetzt ihren Sinn. Ebenso sind alle Staaten völlig der WUlkür der Reichsbank ausgeliefert, die souverän be­stimmt, ob gewisse Waren aus diesem oder jenem Lande eingeführt werden dürfen. Das ganze Handelsvertragssystem mit Deutschland wird mit einem Schlage ausgehöhlt, die Willkür greift unkontrollierbar in die ganzen bisherigen Welthandelsbeziehungen ein. Die Ankündigung Schachts hat überall Beunruhigung und Unwillen erweckt. Daß diese Gefühle nicht sofort noch viel lau­ter geäußert wurden, erklärt sich aus dem Umstand, daß die wichtigsten Handels­partner sich eben durch neue Zahlungs­abkommen gesichert glaubten. Da kam diezweiteRedeSchachts vor einer internationalen Agrarkonferenz in Bad Eilsen . In dieser Rede kündigt Schacht ganz unverhnllt den völligen Staatsbankrott an. Er erklärt, daß Deutschland nicht mehr zahlen könne, nicht mehr zahlen werde und ein Vollmoratorium für meh­rere Jahre fordere. Gleichzeitig müß­ten die Gläubiger sich dazu entschließen, Zinsen und Kapitalforderungen auf ein Maß zurückzuführen, das nach Ablauf des Moratoriums auf die Dauer getragen wer­den könne. Dann würde Deutschlands Wirtschaft sich erholen und damit auch eine Belebung des Welthandels eintreten. Deutschland könnte dann auch wieder neue Warenkredite erhalten, die es ihm gestat­ten, seine normale Kaufkraft auf dem Weltmarkt auszuüben. Nun muß man sich vergegenwärtigen, daß der brave Schacht diese Ankündigung völliger Zahlungseinstellung in demselben Moment erhebt, in dem die deutsche Re­gierung nach dem Zahlungsabkommen mit England und der Schweiz neue Verträge mit Schweden und Holland abschließt, in denen sie die Verpflichtung übernimmt, nicht nur die Zinszahlungen für die Dawes- und Young-Anleihe voll zu leisten, sondern auch die privaten Anleihen mit 41/« Prozent weiter zu verzinsen. Bevor

die Unterschrift unter diese Verträge trocken geworden ist, fordert Schacht die Nichterfüllung: die vollständige Zahlungs­unterbrechung. Man sieht, der Schüler übertrifft bereits den Meister. Wenn Hitler einen Vertrag abschließt, so behält er sich den Vertragsbruch stillschweigend vor; Schacht aber proklamiert den Ver­tragsbruch ganz offen Deutscher Gentleman oder Gangster! Noch ein Anderes hat Schacht dem Hitler abgeguckt. Wie dieser unaufhör­lich seine Friedensliebe beteuert wenn Friedensreden sie begleiten, dann fließt die Kriegsarbeit munter fort so spricht Schacht jedesmal, wenn er einen neuen Raubzug plant, von Vertragstreue und kaufmännischer Ehre. Oh, Deutschland erkennt seine Unterschrift unter die pri­vaten Schulden an! Irgendwann wird es sie bestimmt bezahlen. Aber augenblick­lich kann das arme Deutschland nicht und also müssen die privaten Gläubiger zu­nächst mal dran glauben. Deutschland ist ja ganz unverschuldet in diese Notlage gekommen; schuld ist das böse Ausland, das nicht genug deutsche Waren kauft, schuld sind die Reparationen. Schacht wärmt den alten Schwindel wieder auf, daß alle deutschen Anleihen und Kredite zu Reparationszahlungen verwandt worden sind, obwohl diese Kredite mindestens dreimal so hoch sind als die Reparations­zahlungen waren. In Wirklichkeit haben Hapag und Lloyd die Kredite zum Wieder­aufbau der Handelsflotte, die Schwerindu­strie zur Wiedererrichtung und Rationali­sierung ihrer Werke, Siemens zum Ausbau seines Konzems und zur Wiederherstellung seiner Exportorganisation benutzt usw. Schacht braucht aber diese Legende, daß die Privatschulden nichts anderes sind als politische Reparationsschulden, um seiner wahren Absicht, die von jeher die Expro­priation der ausländischen Privatgläubiger zu Gunsten der Hitlerdiktatur war, ein moralisches Mäntelchen umzuhängen, ohne das ein deutscher Gangster nun einmal nicht vor die Oeffentlichkeit tritt. Und noch ein Drittes hat Schacht von Hitler gelernt. Wie Hitler die fieberhafte Aufrüstung und die vergiftende Kriegs­hetze mit den angeblichen Angriffs- und Veraichtungsabsichten des bösen Auslan­des zu motivieren sucht, so will Schacht die Folgen der miserablen und gewissen­losen Finanzwirtschaft der Diktatur auf das Ausland abwälzen. Die Diktatur sucht nach einem neuen Prügelknaben. So lange die Nationalsozialisten in Opposition wa­ren, so lange war es das»marxistische System«, das an allen Uebeln schuld war. Jetzt, wo sie an der Macht und in der Verantwortung sind, wo ihr eigenes System vor dem Bankrott steht, soll es das böse Ausland sein, das an dem rasch fort­schreitenden Verfall die Verantwortung trägt. Schuld ist nicht die Diktatur, die Milliarden Notenbankkredite in die Wirt­schaft hineinpumpt, eine künstliche Bin­nenkonjunktur schafft, die öffentlichen Gelder für Kriegsrüstungen vergeudet, für Autostraßen, für die Mästung eines riesi­gen Parteiapparats. Schuld ist nicht die Diktatur, die mit ihrem Autarkiewahn, ihrer demagogischen Agrarpolitik die Han­delsbeziehungen zum Ausland fortschrei­tend vernichtet, sondern schuld ist dieses böse Ausland, das nicht einsehen will, daß es die Kosten für die Rüstungen und die Aufrechterhaltung der Diktatur bezahlen soll. Dem deutschen Volke muß eben der Glaube beigebracht werden, daß nicht die Gewissenlosigkeit, Unwissenheit und Un­fähigkeit seiner Machthaber, sondern die »Verschwörung der Feinde« die Schuld an der wachsenden Verelendung trägt. Schacht begleitet in seiner bekannten Weise seine Ankündigungen mit allerhand Drohungen. Wenn das Ausland nicht deut­ sche Ordre pariere, dann, ja dann werde Deutschland immer mehr aus dem Welt­handel ausscheiden, werde es sich selbst versorgen und seine bisherigen Rohstoff­lieferanten könnten sehen, wo sie dann blieben. Wenn Hitler von der deutschen Technik spricht, die schon für Ersatz sor­gen werde, so spricht aus ihm seine ab­grundtiefe Ignoranz. Schacht schwindelt bewußt; er weiß zu genau, welche neue große Ka­pitalinvestitionen notwendig wären, um

auch nur für die im Laboratorium schon gelösten Versuche die nötige Produktion zu schaffen. Er weiß, daß, selbst wenn die Kapitalaufbringung möglich wäre, der Ersatz schlechter und teurer wäre und die daraus hergestellten Waren von vorne­herein für den Export nicht mehr in Be­tracht kämen. Aber die Drohung ist auch sonst unsinnig. Im Jahre 1929 betrugen Ein- und Ausfuhr je 13'/« Milliarden Rm. Weltkrise und Wirtschaftspolitik der Dik­tatur haben bewirkt, daß im Jahre 1934 der Monatsdurchschnitt der Einfuhr 380,5, der der Ausfuhr 344 Millionen beträgt. Da die restlichen fünf Monate eine Ein­schränkung auf beiden Seiten bringen wer­den, so wird die Gesamteinfuhr des Jahres 1934 jedenfalls unter 41/» Milliarden und die Ausfuhr etwas unter 4 Milliarden blei­ben. In dem ungefähren Umfang der Aus­fuhr wird Schacht unter allen Umständen die Einfuhr zu erhalten trachten, denn schon das bisherige Maß der Drosselung bedroht Deutschland mit schrumpfender Wirtschaftstätigkeit und erneuter Arbeits­losigkeit. Der Welthandel aber wird lange nicht in demselben Umfange leiden, als die deutsche Nachfrage sich verringert. Denn was Deutschland an Export ver­liert, wächst seinen Konkurrenten zu. Und die Einbuße, die durch die Verendung des deutschen Marktes herbeigeführt wird, ist heute nicht mehr so bedeutsam. Deut­ sche Drohungen haben ebensoviel an Kurs­wert eingebüßt wie deutsches Liebes- werben... Der Rede Schachts in Eilsen antwortete ein Entrüstungssturm im Auslande. Am stärksten ist die Empörung in England, wo bisher Schacht in manchen Kreisen noch einen Rest von Ansehen genoß und Deutschland eine Art von mitleidiger Sympathie. Nicht das Ausland, sondern die Fi­nanzwirtschaft der Gangster sind schuld an dem deutschen Elend, schreiben die»Financial News«, eines der angesehensten Organe der Lon doner City. Und die»Times« urteilt mcht minder hart. Kaltblütiger ist man in Paris . Der»Paris Midi« nennt Schachts Rede einen»verzweifelten Bluff«, einen letzten Versuch, sich dem inneren Zusam­menbruch durch einen äußeren Bankrott zu entziehen. Gleiche Stimmen kommen aus allen anderen Teilen der Welt. Schacht ist es gelungen, auch die letzte Spur von Vertrauen, den letzten Rest von Hilfs bereitschaft endgültig zu zerstören. Fragt man aber nach dem Zweck des Getöses, so findet man nicht leicht eine Antwort. Daß Schacht den Bankrott will, daß er die Gläubiger zu expropriieren be absichtigt, ist ja seit langem keine Frage mehr. Schon für den Juli hatte ja die Reichsbank ein zunächst auf sechs Monate befristetes Moratorium verkündet. Es lag ja nicht an Schachts Willen, daß sie es nicht durchführen konnte und sich den meisten Staaten gegenüber zur Fortsetzung der Zinszahlungen verpflichten mußte. Denn die Anderen hatten die Macht, ihre Interessen zu verfechten. Sie brauchten ja nur die Zahlungen für die deutsche Ausfuhr in ihren Ländern zu beschlag­nahmen und sie für die Begleichung der Warenschulden und Zinszahlungen zu ver­wenden. An dieser Situation hat sich nichts geändert und deshalb ist nicht ein­zusehen, wie Schacht seine Drohung ver­wirklichen will. Er hat den Abwehrwillen des Auslandes nur gestärkt, ohne Deutschlands Situation auch nur im geringsten zu bessern. Hinter den großen Worten verbirgt sich bloß Ohnmacht und Ratlosigkeit, verbirgt sich die Großspre­cherei eines aus dem Gleichgewicht ge­ratenen Gehirns. Schacht ist immer we­niger nationalökonomisch zu verstehen, er muß immer mehr psychiatrisch erklärt werden. Deutschland wird zahlen müssen. Die Abwälzung der Kosten der Diktatur auf die Gläubiger wird eine Utopie bleiben und sehr bald werden wir, damit auch nichts an dem Kriegselend fehle, das die Hitler und Schacht über das deutsche Volk heraufgeführt haben, nur noch die eine Parole hören: Durchhalten!

Wenn.!? Angesichts des unbestreitbaren und allge­mein fühlbarem wirtschaftlichen Niedergangs in Deutschland ist Göbbels Propaganda auf eine neue Ablenkungsmethode verfallen; Man dürfe nicht einfach fragen, was sei, sondern: wie viel schlimmer es geworden wäre, wenn Hitler nicht zur Macht gelangt wäre. Damit ist man beim Unbeweisbarem: Al­lerdings liegt die Antwort nahe, daß es schlimmer kaum hätte kommen können, wahrscheinlich aber weniger schlimm gekom­men wäre. Doch bleiben wir in derWenn"- Betrachtung und nehmen wir einmal an: Es wäre eine der früheren Regierung am Huder geblieben, hätte aber genau die glei­chen wirtschaftlichen Maßnahmen ergriffen, zu denen jetzt Hitler sich gezwungen sieht Wir fragen: Hätte dann die nationalsozia­listische Presse auch diese Maßnahmen als höchste Weisheit und wirtschaftliche Groß­taten bejubelt? Oder: was hätte Göbbels Ab­griff" wohl geschrieben: Wenn eine frühere Regierung den De­visendienst der Reichsbank bis auf einen mikroskopischen Rest verwirtschaftet hätte? Wenn unter einer früheren Regierung die notwendigsten Rohstoffe infolge Devisen­mangels, nicht hätten eingeführt werden können? Wenn unter einer früheren Regierung das Ausland wegen Nichtbezahlung deutscher Zinsen und Warenschulden zu einem Zwangs­clearing gegen Deutschland geschritten wäre? Wenn eine frühere Regierung die schwe­bende Schuld in einem Jahr um vier Milliar­den Mark vermehrt hätte? Wenn eine frühere Regierung alle Ar­beiter unter 25 Jahren rücksichtslos von ihren Arbeltsplätzen entfernt hätte? Wenn unter einer früheren Regierung binnen achtzehn Monaten der Durchschnitts­lohn des deutschen Arbeiters um 25 bis 30 Prozent gesunken wäre? Wenn eine frühere Regierung die Sozial­renten brutal gekürzt, die Unterstützungen zum größten Teil gestrichen hätte? Wenn unter einer früheren Regierung die Verarmimg des Mittelstandes, der Klein­bauern usw. so rasch zugenommen hätte, wie in den achtzehn Monaten Hitlers? Usw. usw. Wir sind felsenfest überzeugt: Wäre all das, was unter Hitler wirtschaftlich einge­treten ist, unter irgend einer früheren Re* gierung geschehen, die Hakenkreuzpresse würde sich vor edler Entrüstung Uber solche Schand- und Mißwirtschaft Uberschlagen, würde Uber die unfähigen Bankrotteure getobt und sie unweigerlich als Henker und Verräter des deutschen Volkes bezeichnet haben. Wenn.,. Und deshalb ist es sehr ge­fährlich für die Nazipropaganda, mit diesem wenn" zu operieren. Es prallt auf sie zurück!. J. C.

Judenhetze. In verschiedenen Gegenden Deutschlands , beispielsweise zwischen Magde­ burg und Braunschweig , sind neuerdings in zahlreichen Dörfern auffallende rote Plakate angeklebt mit verschiedenen Aufschriften," B.»Wer vom Juden frißt, stirbt daran. Die Juden sind unser Unglück. Der Jude boykot­tiert deutsche Waren, denkt daran.« Tragischer Tod. Der frühere Sekretär des Buchdruckervereins in Magdeburg , Pietschner, 62 Jahre alt, erlitt infolge Beschimpfung i10 Buchdruckerverbandshaus in Magdeburg einen Herzschlag. An seiner Beerdigung nah­men Uber 700 sozialdemokratische Partei­genossen teil.

Dr. Richard Kern.

Im Augustheft(Nr. 11) derZeitschrift für Sozialismus"(Verlagsanstalt Graphic, Karlsbad ), werden die Probleme der deut­ schen Krise, die nach dem 30. Juni in ein akutes Stadium getreten sind, eingehend und zusammenfassend untersucht. In einer länge­ren Abhandlung legt Rieh. Kern die drei Wurzeln der Krise bloß: die Krise der Wirt­schaft, die Krise der Außenpolitik, die Er­schütterung der Massenbasis der Diktatur. In dem Artikel von A. S c h i f r i n Der Riß In der Diktatur" wird namentlich der letzte Punkt nochmals ein­gehend untersucht. Den Abschluß bildet ein Aufsatz von M. SeydewitzHitlers Kon­terrevolution", In dem die Aufgaben der revo­lutionären Arbeiterbewegung in der gegen* wärtigen Situation umrissen werden. Für di® Beurteilung der Aufgaben und Aussichten der deutschen revolutionären Entwicklung liefern die drei einander ergänzenden Aufsätze unge­mein reichhaltiges Material. DieZeltschrift für Sozialismus", die wis­senschaftliche Monatsschrift der deutsche® Sozialdemokratie, die in der Verlagsanstal' Graphia, Karlsbad (CSR ) erscheint, Ist durch jede größere Buchhandlung oder durch di* Post zu beziehen.