Nr. 66 BEILAGE

Neuer Vorwärts

16. September 1934

Grenzen der Gewalt

Putschromantik oder Massenbewegung?

Strategie im Bürgerkrieg

Taktik und

Die Siege des Faschismus in verschie- ,, Sollte es richtig sein, daß die>> kampflose| kam. Alle Zeichen weisen heute daraufhin, gegen die Demokratie. Das gegenwärtig denen europäischen Ländern haben das Unterwerfung der der deutschen Arbeiter- wie sehr in Deutschland jetzt schon das einzig Mögliche ist wohl auch hier die vom Weltkriege gezüchtete Gewaltden- klasse<> beschämend und verhängnisvoll schlimmste Stadium geistiger Lähmung der Orientierung nach den jeweiligen politisch­ken mächtig gefördert, haben manche war, so mußte das für die große Mehrheit der Arbeiterschaft überwunden ist. Im übrigen sozialen, ökonomisch- historischen Voraus­Verwirrung auch in den Reihen der sozia- österreichischen Arbeiterklasse nicht bezweifelt der Verfasser, daß die öster- setzungen. Das Proletariat muß sich in listischen Arbeitermassen bewirkt. Wenn minder gelten als für die deutsche . Denn die reichische Erhebung eine Warnung für die den faschistischen Ländern sowohl auf gewaltige Parteien, wie die deutsche So- überwiegende Mehrheit der Arbeiter Oester- Reaktion der Welt sei. Sobald sich die den Kampf für Rückeroberung der>> all­zialdemokratie, von einer Bande aben- reichs hat dem» ungleichen Verzweiflungs- Reaktion stark genug fühlte, habe sie gemeinen Menschenrechte<< einrichten, wie teuernder kapitalistischer Prätorianer zu kampf ihrer Brüder zugesehen, ohne einen sich seit jeher bemüht, eine gewaltsame darauf, daß es eines Tages genötigt sein Boden geworfen, ohne Revolutionskampf Finger zu rühren. Auseinandersetzung mit dem Proletariat kann, die sozialistischen Forderungen aufgerieben werden können welchen Diese Tatsache steht fest. Das soll keine zu provozieren, da bisher jede Niederlage durch vorübergehende Diktatur zu ver­Sinn hat es dann noch, in langwieriger Anklage oder Herunterreißung der öster- des Proletariats im Bürgerkrieg die ganze wirklichen. Alle überspitzten Formulierun­Arbeit große Organisationen aufzubauen, reichischen Arbeiterschaft bedeuten. Es soll Klasse auf lange Zeit hinaus kampfunfähig gen nach der einen oder anderen Seite Wahlen durchzuführen, sozialistische Er- nur feststellen, daß, abgesehen von einigen gemacht habe. Das könne diesmal an- scheinen uns vom Uebel zu sein, und für zu leisten? Waren die bis- Tausend arbeitsloser, verzweifelter Schutz- ders sein, da die kämpfenden Schutz- das, worauf es in diesem Zusammenhang herigen Methoden des sozialistischen bündler, die österreichischen Arbeiter nicht bündler durch ihre mustergültige Dis- ankommt, hat wohl Genosse Jaksch Kampfes nicht längst überholt? Kommt anders einzuschätzen sind als ihre deutschen ziplin die Sympathien auch breiter bürger- in seiner jüngst erschienenen Broschüre es nicht erheblich weniger auf die politi- Brüder. Wer sie beide näher kennt, schätzt licher Teile gewannen und da sich seit die beste Fassung gefunden:»... die werk­sche Erfassung der Massen und mehr dar- sie beide gleich hoch und läßt sich dabei nicht dem Weltkrieg die politisch- sozialen Pe- tätigen Massen davon zu überzeugen, daß auf an, eine wehrhafte Elite zu durch die Tatsache beirren, daß sie gelegent- repitien gehäuft haben. Die erste Be- nach einer Periode der kapitalistisch ver­organisieren und der kühnen Gewalt lich unseren Wünschen und Erwartungen dingung des proletarischen Wiederauf- fälschten Volksherrschaft und nach dem stiegs sei die

ziehungsarbeit

tur nur

-

Einigung des Proletariats,

Zwischenspiel der Diktaturformen eine antikapitalistische Volks­herrschaft kommen muß, ist die große

mehr als der geistigen Eroberung zu ver- nicht entsprechen." trauen?! Es ist kein Zweifel, daß sich seit Denn dieselbe Arbeiterschaft, die in 1930 solche blanquistische, putschistische der einen Situation heroisch kämpft, kann Vorstellungen nicht nur in das Denken in einer anderen passiv oder abwartend allerdings müsse die geistige Einheit geistig- politische Aufgabe des sozialisti­breiter Massen, sondern auch in die Köpfe sein. Der Verfasser verweist auf die glän- der organisatorischen vorangehen. Eine schen Freiheitskampfes<<. sozialistischer Intellektueller eingeschli- zende Haltung der sozialistischen Arbeiter andere Bedingung sei die politische Er- Aber wenn man dieses Heft 10 der chen haben. Daß auch Hitler seine Dikta- während des Kapputsches hin und oberung der durch den Faschismus ver- sozialistischen Schriftenreihe aus der Hand auf breiter Massen basis auf die Aufstände zwischen 1919 und 1921. wirrten Proletarierschichten. Dazu gehöre, legt, bleibt der Eindruck: Hier spricht wagte und alle faschistischen Diktatoren Dieselben kommunistischen Arbeiter, die in daß wir uns selbst treu bleiben und als einer, der ein Lebensalter im proletari­dasselbe vortäuschen möchten, wird ent- diesen Revolten ihr Leben riskierten, sahen nächstes Ziel unseres Kampfes die schen Befreiungskampfe steht, ein Kämp­weder übersehen oder mit dem Hinweis 1934 der Etablierung der Hitlerschen Dik- Demokratie proklamieren, aber nicht fer, der an Marx und Engels geschult ist auf Italien und Oesterreich abgetan, wo tatur wie gelähmt zu. Diese Unterschiede deren direkten Gegensatz, die Diktatur. und einer stürmischen verwirrenden Epi­faschistische Gruppen als Minderheiten in der Haltung hängen zusammen mit den Mit diesem Bekenntnis zur demokrati- sode wegen nicht gewillt ist, die revolu­und durch Handstreiche zur Macht kamen. schen Entwicklung und zum demokrati - tionären Erfahrungen von 1830 bis 1848 Es ist darum erfreulich, daß in der schen Sozialismus schließt die Schrift. und die der Pariser Komune preiszu­Sozialistischen Schriftenreihe des Verlags wobei was der Verfasser übergeht Manchem wird dieser Schluß wie eine geben. Hier spricht einer, der gelernt hat, Graphia( Karlsbad ) in diesen Tagen zwei zu erwähnen wäre, daß der 5. März in Ueberbetonung eines alten, unzeitgemäß die wechselhaften Gesichter der Entwick­Schriften erscheinen, die das Thema Deutschland einer Volksabstimmung gegen gewordenen Postulats anmuten, aber dieser lung theoretisch zu erfassen Putschismus, Revolution und Massen­die Demokratie, für den Faschismus gleich- Schluß ist nur ein Echo des Geschreis zu manchen seiner politischen Schlußfolge­bewegung rungen stehen wie man will.

behandeln und die Erfahrungen aus frühe­ren Revolutionen mit denen der neueren Zeit zu verbinden suchen. Die eine ist be­titelt» Grenzen der Gewalt und stammt aus der Feder eines Mannes, der mitten in der deutschen und österreichi­schen Bewegung gestanden hat und als einer der bekanntesten Theoretiker der Bozialistischen Internationale gilt. Seine

Auseinandersetzungen knüpfen an die Vor­würfe an, die der Führung unserer öster­reichischen Bruderpartei wegen ihrer an­geblichen» Defensiv- Ideologie« gemacht| wurden und rollen die taktischen und strategischen Fragen sozialistischer Mas­senbewegungen auf: Je mehr das Prole­tariat im Laufe der Entwicklung errang, desto öfter mußte es nicht nur in der Tendenz, sondern auch in der Taktik zumeist eine Defensivlinie halten. Ob der Klassenkampf jeweilig offensiv geführt wird oder defensiv, hängt nicht vom Be­lieben der Kämpfenden ab, sondern von Bedingungen, die allgewaltig und mit der Wucht von Naturgesetzen wirken. Das Proletariat ist heute fast allgemein in die Defensive gedrängt worden, nicht durch irgend eine verfehlte Ideologie, sondern durch die Macht der Verhältnisse. Das brauche uns nicht zu entmutigen, denn seit Ausbruch des Weltkrieges seien die Perepitien, die entscheidenden Wendungen rascher aufeinander gefolgt denn vorher und ihre Intensität ist gewachsen. Viel wichtiger als das Widerstehen gegen die militärischen Machtmittel der Reaktion sei

die

Abwehr ihres geistigen Einflusses

sichtbarer

zu

--

Der Ver­

in den arbeitenden Massen. fasser erörtert dann die Umstände, die das Kräfteverhältnis in Oesterreich immer kratie verschoben und hält die auswei­chende Taktik in den Jahren vor dem Fe­bruar 1934 für richtig, da die Situation an den Grenzen einen für den österreichi-| schen Sozialismus siegreichen und zweck­haften Ausgang einer Revolution unwahr­scheinlich machte. Der Aufstand der Fe­bruartage sei denn auch eine völlig spon-|

ungunsten der Sozialdemo­

wesen und es sei nicht zutreffend, das als» den Aufstand der österreichischen Ar­beiter zu bezeichnen. Hier sei eine Fest­

stellung nötig:

Unterschieden in der Situation,

-

HAZANA

-

Tausend Jahre

BERG OLD EST:

FABRUS

» sys.

UTSCHES

BERG

SEKT

025

BERG GOLDS

SERT

» Tausend Jahre so weiter! Heil Hitler!<<

-

mag man

Putsch oder Revolution?

So nennt sich die andere Broschüre ( Heft 11); ihr Verfasser ist Julius Deutsch . Auch er geht vom deutschen und österreichischen Beispiel aus, wendet sich gegen die Putschromantik und ihre Gefahren, warnt davor, die Gewalt zu überschätzen und eine Art Fetisch daraus zu machen. Auch er unterstreicht die Er­fahrungen, die wir im Laufe einer langen Entwicklung machen mußten: Daß die ganze Arbeiterklasse auf dem Kampf­platz erscheinen muß, wenn dauernde Erfolge erreicht werden sollen. Nur be­tont er die Notwendigkeit der proletari­schen Wehrhaftigkeit und der Vorberei­tung auf gewaltsame Auseinandersetzung zum Schutze der Arbeiterrechte mehr, als der andere Verfasser und kommt damit auch der Meinung breiter Teile des mittel­europäischen Proletariats näher. Zusam­menfassend sagt er:

,, Zwischen der pazifistischen Illu­sion auf der einen und der blanquisti­schen Putschromantik auf der an­deren Seite die richtige taktische Methode des proletarischen Befreiungskampfes zu finden, ist die Aufgabe, die unserer Ge­neration gestellt ist."

Der besondere Wert dieser Schrift besteht jedoch in einer Auseinandersetzung kommunistischen mit jenen

aus

Schreibtischstrategen, denen die Februarkämpfe lediglich willkommener An­laẞ waren, die Führer der österreichischen Erhebung zu beschimpfen, ihnen Verrat, Unfähigkeit, Unentschlossenheit und wel­che Laster sonst noch vorzuwerfen. Deutsch macht die Abrechnung gründlich: Er schildert den Verlauf der russischen Februar- und Oktoberrevolution und be­legt seine Darstellung mit Zitaten Trotzki' s» Geschichte der russischen Re­volution«. Aus diesem kommunistischen Werk ergibt sich, daß beide Revolutionen nur denkbar waren, weil Krieg und Hun­ger nicht nur die Massen revolutioniert, sondern auch Armee und Staatsapparat zerrüttet hatten. Die Revolution begann mit dem Ringen um die Seele der Solda­ten, die immer mehr zum Volke hinüber­schwenkten.

Und die bolschewistische Führung? Trotzki unterstreicht an verschiedenen