Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Nr. 70 SONNTAG, 14. Okt. 1934

Aus dem Inhalt:

Autarkie und Aufrüstung

Korruption in den Gemeinden Brauner Geiselmord

Der Untergang des Preußentums

Verlag: Karlsbad , Haus Graphia"

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Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Wo bleiben die Gelder der Arbeitsfront?

54 Millionen Bonzengehälter- Dunkle Dunkle Bilanz der Arbeiterbank Auf dem Nürnberger Parteitag sagte| Beiträgen werden von der> Neuen Züricher auch in dem Geschäftsbericht der geraub- lust ab. Die gerissensten Bilanzver­Ley wiederum, die Gewerkschaften seien Zeitung, die über eine zuverlässige Be- ten Arbeiterbank zum Vorschein. Als die schleierer in der Privatwirtschaft sind ge­übernommen worden,» um die politischen richterstattung verfügt, mit 50 bis 60 Mil- Gangster am 2. Mai 1933 die Arbeiterbank genüber dem neuen braunen Aufsichtsrat Seuchenherde dem Feinde zu entziehen, lionen RM. monatlich angegeben. Nach besetzten, lag der Rechnungsabschluß für der Arbeiterbank die ohne daß den Arbeitern Schaden ent- den bis zur Einführung der neuen Ein- 1932/33( 1. April 1932 bis 31. März 1933) kinder. stünde<<. Es sei im alten System so ge- heitsbeiträge geltenden Sätzen der einzel- vor. Der damalige Aufsichtsrat konnte in wesen, daß sich die Gewerkschaftsfunktio- nen Reichsbetriebsgemeinschaften beweg- einer Zeit, in der die sämtlichen privaten 1932/33 ausgewiesenen Kreditoren, d. h. näre machtvolle Positionen mit hohen Ge- ten sich die Beiträge in dem abgelaufenen Großbanken nur noch mit Reichssubven- die Einlagen der Gewerkschaften, Kran­hältern auf Lebensdauer zu schaffen ge- Jahr in den billigsten Verbänden zwischen tionen gehalten wurden, ein außerordent- kenkassen,

Die vom

früheren Aufsichtsrat für

Sozialversicherungsinstitute

wußt hätten. Er berichtete, daß die Ar- 60 bis 90 Pfennig pro Woche, die meisten lich günstiges Ergebnis feststellen. Er und der Arbeiter- Sparer hatten vor dem beitsfront am 1. März 1934 einen Gesamt- Berufe hatten Wochenbeiträge von 1.50 hatte deshalb beschlossen, eine Dividende Raub der Bank 135.50 Millionen Mark be­mitgliederbestand von 17 Millionen hatte. bis 2 Mk., die großen Berufsgruppen, wie von 5 Prozent zu verteilen, das waren bei tragen, sie waren nach der frisierten Ley­Nachdem er noch einige Beschimpfungen sie in den alten guten Gewerkschaften ver- 12 Millionen Stammkapital 600.000 RM. Bilanz bis Ende 1933/34 auf 140.70 Millio­der» gierigen Gewerkschaftsfunktionäre« einigt waren, aber bezahlten in der Ar- Gewinnausschüttung, und

In den Tod getrieben statt 17 nur 14 Millionen zahlender Mit- Bilanz und des Reingewinnes

es wurden nen( 31. März 1934) angewachsen und

von einst von sich gegeben hatte, teilte beitsfront Beiträge von 2 bis 3.50 RM., so außerdem weit über 300.000 RM. Ab- sollen Ende Juni 1934 die Höhe von 245 Pg. Selzner mit, daß die Gehälter aller Ge- daß ein Durchschnittsbeitrag für das hier schreibungen vorgenommen. Die braunen Millionen Mark erreicht haben. Selbst besprochene Berichtsjahr init einer Mark Retter hatten jedoch nach ihrer Besitz- wenn man diese letzte Zahl als wahr unter­keinesfalls überschätzt ist. Rechnet man ergreifung sofort die Bekanntgabe der stellt, so hätten die Einlagen der Arbeiter­von fast bank, seitdem sie von der Arbeitsfront ge­glieder, so ergibt sich eine wöchentliche einer Million Mark unterbunden. Es wurde tragen wird, nur um 100 Millionen Mark Beitragseinnahme von 14 Millionen oder überhaupt kein Geschäftsabschluß ver- zugenommen, während nach der vorher eine Jahreseinnahme von 728 Millionen öffentlicht. Erst im September 1934 hat gegebenen Uebersicht zur Finanzgebarung RM. Es müssen demnach, auch wenn man die inzwischen umgetaufte» Bank der der Arbeitsfront ein jährlicher Ueberschuß die verschwenderische Wirtschaft inner- Deutschen Arbeit A.- G.<< Berlin eine Zwei- von wenigstens sechshundert Millionen

Eine Frau als Geisel. Seit 18 Monaten wurde die Frau des emigrierten sozialistischen Bürgermeisters Worch von Langewiesen in Thüringen als Geisel für ihren Mann in Haft gehalten, halb der Arbeitsfront in Rechnung stellt, jahresbilanz, also für 1932/33 und 1933/34 Mark erzielt worden ist.

mit ihr ihre Tochter.

Am 1. Oktober wurde Frau Worch von ihrer Tochter getrennt und ins Gefängnis von Gräfentonne gebracht. Dort hat sich die unglückliche Frau erhängt!

mindestens 600 Millionen RM. jähr­

licher Beitragsüberschuß

verbleiben, über dessen Verwendung auch

Es ist bisher

nicht ein Wort verlautet. nicht die geringste Abrechnung der Deut­

Sie ist systematisch in den Tod geschen Arbeitsfront erfolgt. trieben worden. Das schändliche Verbre­chen, eine Frau

als Geisel anderthalb

Jahre in Haft zu halten, ist zum Mord ge­

worden.

Die volle Verantwortung für dies neue Verbrechen fällt auf das Haupt der Macht­haber des Systems!

werkschaftsfunktionäre im Dritten Reich monatlich nicht weniger als 4.5 Millionen

r

RM., d. h. also

t

1

6

jährlich 54 Millionen RM.

gezogen, d. h.

den Gewinn des ersten Rechnungs­jahres benutzt, um den Verlust des zweiten Rechnungsjahres, des Hit­lerjahres, zu decken.

Nach diesem jetzt veröffentlichten, reich­die Diese skandalöse und korrupte Wirt- lich dunklen Bilanzbericht schließt schaft der Deutschen Arbeitsfront kommt Bank ohne Gewinn und ohne Ver­

Es steht fest, daß hier Riesen­summen, die den Zwangsmitgliedern der Arbeitsfront abgepreßt worden waren, weder von der Arbeitsfront verausgabt, noch etwa der Arbeiter­bank als Einlagen zugeführt wor­den sind.

Die Deutshe Arbeitsfront selbst gibt

Verändertes Europa

Die Schüsse von Marseille

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Der Bürgerkrieg in Spanien

Es ist schwer zu sagen, welches von den wollte Barthou nach Rom . Da krachten die Außenpolitik, scheint gesichert, solange der Außenminister Jeftitsch im Amte bleibt. Es

Schüsse des Kroaten .

aber wer wird imstande sein,

tige Haltung Jugoslawiens mäniens

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ausmachen. Im viel gelästerten alten Sy- blutigen Ereignissen der letzten Tage das stem beliefen sich die Gehaltsausgaben folgenschwerste sein wird: der Sieg der Für Frankreich kann es keine andere hat aber freilich auch schon Augenblicke nach den letzten Ausweisen des früheren Reaktion in Spanien , die Ermordung des Politik geben, als die von Barthou betriebene gegeben, in denen man in Paris um die künf­Gewerkschaftsbundes auf jährlich 7.3 Mil- Königs von Jugoslawien oder der gleichzei­lionen RM. Die Mitgliederzahl in der heu- tige gewaltsame Tod tigen Arbeitsfront ist etwa doppelt so hoch Außenministers Barthou . als die der früheren Gewerkschaften, was als Spanien und Jugoslawien ist Frankreich zuführen? Daß auch ein kluger Mann viel

des französischen

Mehr jedoch

der große diplomatische Gegenspieler des Dritten Reiches ;

die Politik Barthous ohne Barthou mit dem gleichen Erfolg wie früher weiter­

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wie auch, Ru­besorgt war. Jetzt beginnt mit der neuen Regentschaft innenpolitisch und außenpolitisch die Fahrt ins Ungewisse.

verderben kann, wenn ihm die außenpolitische Die inneren Vorgänge Spaniens haben seit Routine fehlt, hat der Fall Paul Bon- 1870 die Politik Europas nicht mehr ernst­lich beunruhigt. Auch jetzt dürfte die Erset­cour gezeigt, der Frankreich , wenigstens bis auf weiteres, den Verlust des polnischen zung Sampers durch Lerroux und die blutige Niederschlagung der gegen die neue Regie­Bundesgenossen brachte. Der Tod Barthous rung gerichteten Aktion an der außenpoliti­bedeutet für Hitlerdeutschland eine neue

natürlich nicht bedeutet, daß damit die das Herzstück Europas , und mehr als ein Verwaltungstätigkeit der Arbeitsfront anderer von den Toten dieser Woche war auch eine Verdoppelung der besoldeten Barthou eine Hauptfigur der europäischen Funktionäre rechtfertigen könnte. Aber Politik. Er war selbst wenn man die Gehaltsausgaben ent­sprechend der Mitgliederzunahme heute| mit 12 bis 13 Millionen RM. zuzugestehen ihm war es in wenigen Monaten gelungen, außenpolitische Chance. Es besteht anderer- schen Konstellation nichts ändern. Mit tiefem bereit wäre, so zeigt doch die tatsächliche eine Wendung der ganzen Weltlage herbei- seits aber auch die Gefahr, daß der Nach- Schmerz aber sehen alle freiheitlich: Gesinn­Gehaltssumme von 54 Millionen RM., wel- zuführen. Wüßte man nicht, was Hitler und ches Wohlleben sich die braunen Bonzen seine Leute in ihrer Dummheit für Frank­auf Kosten der dürftig lebenden Beitrags- reich getan haben zahler im» Staat der Arbeit«, im Staat der geradezu für einen Hexenmeister halten. In| Einfachheit erlauben dürfen. Die Vertrei- Wirklichkeit war er nur ein geschickter und bung der gierigen Gewerkschaftsbonzen trotz hohen Alters höchst aktiver Politiker, I war also kein billiger Spaß.

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man müßte Barthou

der die Plumpheit seiner Gegner in glänzen­Sein Ziel Frankreich durch Bündnisse und SO stark zu machen, daß

folger Barthous durch überscharfes, nervö- ten der Welt ein Land, dessen Uebergang zur ses Vorgehen Schaden stiftet und die Aus- Republik sie einst begeistert begrüßten, in sicht auf Erhaltung des Friedens noch wei- die Reaktion zurücksinken. Der Sturz Primo de Riveras zeigte ihnen die Vergänglichkeit ter vermindert. Aus der Regierung Doumergue ist durch der Diktaturen, seitdem erleben sie nun in

Spanien

den Tod Barthous das Glanzstück herausge­zum dritten Male den Fall einer demo­brochen. Die Regierung erleidet diese Ein­Der Generalreiniger Ley hat es aber in der Weise auszunützen verstand. kratischen Republik. buße in einem Augenblick, in dem die Gegen­Nürnberg unterlassen, irgendwelche Anga- war, Früher sprach man von Republiken ohne ben darüber zu machen, wo die übri- Freundschaften sätze im Innern außerordentlich gespannt sind. Ein starker Außenminister konnte auf Republikaner, heute gibt es wohl Republika­gen Millionen der von den Ar- Hitlerdeutschland einen Angriff nicht wagen diese Gegensätze mildernd wirken, er mußte ner, aber in den meisten Republiken Euro­

Darum hat er den alten Bund mit

es wohl auch, da ein Minimum nationaler Geschlossenheit für den Erfolg seiner Politik unerläßlich ist. So hinterläßt der ermordete Außenminister auch in der Innenpolitik Frankreichs eine schwer ausuzfüllende Lücke.

gebrachten Beitragsgroschen Rußland wieder erneuert, eine Wiederannä­geblieben sind. Etwa 40 Millionen herung Englands an Frankreich bewirkt, die j RM. soll» Kraft durch Freude « jährlich jugoslawisch- bulgarische Versöhnung geför­kosten. Rechnet man die erwähnte Ge- dert und nach dem 25. Juli, der Mussolini ! haltsausgabe von 54 Millionen RM. und zum wütendsten Gegner des Dritten Reiches eine hoch geschätzte Summe für Unter- machte- stützungen und Verwaltungskosten von französischen Freundschaft erfolgreich gear- bei und zufällig Frankreich trafen, waren

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an der Erneuerung der italienisch­

Die Schüsse des Kroaten, die nur neben­

pas befinden sie sich im Gefängnis, im Kon­zentrationslager oder auf der Flucht. In Deutschland hängt die noch gläubige Masse

ebenso an dem Traum der faschistischen Weltrevolution wie vordem an dem Traum der bolschewistischen. Nun hat der Glaube, daß die ganze Welt in der Richtung zum Faschismus marschiert, durch die spanischen Ereignisse eine neue Stärkung erfahren. So kann kein Zweifel daran bestehen, daß die gebracht haben. Er kann beseitigt, zum mindesten gemildert wurden. freiheitlicher oder föderalistischer sein wird sagen, daß diese Woche für ihn gut gewesen an Darum mußte Alexander nach Paris , darum als mit ihm. Die Fortführung der bisherigen| ist!

weiteren 30 Millionen RM. hinzu, so dürfte beitet. gesamte Deutsche Arbeitsfront rund

die

Die italienisch- französische Freundschaft Ihre

nach Jugoslawien gezielt. Folgen hat der Schütze weder erlebt

125 Millionen RM. im Jahre für ihre war nur dann wieder herstellbar, wenn die noch vorausgesehen. Nichts spricht dafür, Ereignisse der letzten Tage für Hitler einen Zwecke einschließlich der Versorgung ihrer Gegensätze zwischen Jugoslawien und Italien daß Jugoslawien ohne den König Alexander Prestigegewinn Parteianwärter verausgaben.

Die Einnahmen der Arbeitsfront