Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Verlag: Karlsbad , Haus, Graphia" Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Nr. 77 SONNTAG, 2. Dez. 1934

Aus dem Inhalt:

Geiselhaft und Peitsche für Katholiken

Rabbiner im Konzentrationslager

Preise klettern in die Inflation Diktatoren des Altertums

Zwischen Göring und Fritsch

Reichswehr immer noch ,, Sphynx"

Krieges!

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Behaupten sich in diesem Schreck die Nationalsozialisten, dann könnte Deutsch­ land von ihnen in einen Krieg hinein­getrieben werden, den es nach der Auf­fassung der Wehrmacht auf keinen Fall erfolgreich führen kann.

Der alte Gegensatz zwischen der schichten nicht verlassen. Selbst gegen die aber auch eine wirkliche Ursache des Reichswehr und dem Nationalsozialismus heutige Art der Rüstung nimmt Fritsch wurde auch durch den 30. Juni nicht be- Stellung. Er hält sie für verfehlt. Sie er­Es verlautet, Hitler zeige sich den mili­reinigt. Dieser Tag brachte der Reichs- innern ja auch reichlich an das Flotten­tärischen Einwendungen Fritsch' durchaus wehr nur einen halben Sieg. Es siegten bauprogramm der wilhelminischen Aera. geneigt, er müsse anerkennen, daß sie viel noch andere unter völlig anderen Ge- Die Gegensätze werden dadurch ver­Behauptet sich die Reichswehr , dann Bichtspunkten, was u. a. durch die Er- schärft, die Mittel verschleudert. Beides fach berechtigt sind. Aber ihre Berück­Schießung Schleichers zum Ausdruck kam. bewirkte ja bekanntlich auch das Flotten- sichtigung würde von solchen wirtschaft- ist die heutige Herrschaftsform wieder So hat der 30. Juni die Gegensätze eher bauprogramm. Bei Kriegsausbruch war das lichen und politischen Konsequenzen be- stärker bedroht, der Krieg zunächst ver­verschärft. Schwerindustrie, Göring - ganze Zeug unbrauchbar. Es war vor al- gleitet sein, daß der Nationalsozialismus tagt. Hitler kann nach beiden Seiten um­Gruppe, Hitler- Blomberg und lem ein Geschenk an die Rüstungsindustrie, davor zurückschrecken muß. ( eine besondere Richtung vertretend) auch Fritsch, waren sich zwar einig in der Aktion gegen die SA über Umfang, Ziel und Methode bestanden jedoch Differen­zen. Die Reichswehr wollte nicht nur die damalige SA- Führung, sondern die ganze SA loswerden, sie wollte der SA ge­genüber nicht nur ihren Charakter als die

zu

fallen.

Das sind die Herren Studenten!

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hier treiben sie es heute in allen Groß­und wer kann das Uns ist bekannt, daß der Berliner Ge- städten Europas

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Vom Prager Insignienstreit zum zweiten Weltkrieg? die Tränen liefen ihm die > einzigst waffentragende Macht wahren, So ist es richtig! Weil die deutsche hält dagegen Protestversammlungen Cambon, sondern nicht einmal SA - Führer und Universität in Prag einige gelbmetallene unter freiem Himmel ab, wer veranstaltet Wangen hinunter und er sprach: ,, So wie Mannschaften in die Reichswehr aufneh- Geräte ohne Gebrauchswert an die tsche- dagegen öffentliche Umzüge? men. Doch gerade dies wurde nach dem chische Universität abgeben mußte, demon­30. Juni wieder in verstärktem Maße ver- striert die akademische Lausbubokratie sandte eines Deutschland benachbarten Unglück ermessen, das daraus entsteht?" In Berlin demonstrierten damals an sucht. Kämpften die Leute am Röhm ge- von Berlin und Köln gegen die Tschecho- Staates in mehr als 300 Fällen wegen Miẞ­gen die Reichswehr , um diese zu er­slowakische Republik. handlung seiner Schutzbefohlenen zu in- demselben Tage auch die sozial­setzen, so kämpfen die Leuté um Göring Kein Wort über den erledigten Prager tervenieren gezwungen war. Von all die- demokratischen Arbeiter. das durften sie damals um die Reichswehr , um diese in ihrem Insignienstreit! Er interessiert uns nicht, sen Fällen ist so gut wie nichts in der Sie brachten Sinne zu zer setzen und als zuverlässiges wir haben für ihn nicht das geringste Ver- Oeffentlichkeit bekannt geworden. Man Hochrufe auf den Frieden aus und sangen Instrument ihrer Terrorherrschaft ständnis. Aber was uns interessiert, ist hat sie absichtlich verschwiegen. Warum? ihr altes Kampflied nach den Klängen der sichern. die Tatsache, daß man in Berlin Pro- Weil man auf die Erhaltung freundschaft- Marseillaise, des Sturmganges der fran­Diesen Bestrebungen setzen sowohl die testversammlungen unter freiem Himmel lich- korrekter Beziehungen Wert legt, weil zösischen Revolution. Wer darf heute auf Kreise um und in Köln öffentliche Umzüge halten man den Frieden nicht gefährden will! deutschen Straßen den Frieden hochleben Blomberg als auch und zwar in besonders starkem Maße kann. Welches Glück der Freiheit blüht Aber wenn in Prag eine alte goldene lassen, oder die freiheitlichen Ideen von jene um Kette ihren Besitzer wechselt, dann zieht 1789 preisen? Ausgerottet, niedergetreten, der Wehrform, der Ausbildung, der Auf­Protestversammlungen in Berlin , öffent- der akademische Haufen vor die tschecho- in die Katakomben gejagt sind alle Fak­liche Umzüge in Köln gaben der Wehrmacht usw. spielen in die­waren? Haben slowakische Gesandtschaft, um seiner Ent- toren einer friedlichen und freiheitlichen eine Ahnung, rüstung über diese nationale Schmach Entwicklung. Jene Kräfte, die damals zu sem Streit wieder eine große, ja die ent- die Herren Studentchen Scheidende Rolle. Hitler steht zwi- warum, weshalb, wofür, wogegen sie Heil Ausdruck zu geben. Weiter fehlt nämlich schwach waren, das Unheil zu verhüten, oberirdisch sichtbar und Nieder und Prosit und Pereat brül- dem deutschen Volke zu seiner Ehre nichts, sie sind heute schen Göring und Fritsch, unentschieden wie immer. Die Verbindung Blomberg­len? Kennen sie überhaupt die Welt, in als daß die bewußte goldene Kette auch überhaupt nicht mehr vorhanden. weiterhin dem Rektor der deutschen Uni­Hitler stellt das Zentrum dar, das bestrebt ist, Nationalsozialismus und Reichswehr Da stehen sie nun in der Rauchstraße versität um den Hals hängen darf!

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Fritsch Widerstand entgegen. Die Fragen auf einmal dem deutschen Volke!

der sie sich befinden?

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zusammenzuhalten. Aber wenn der Natio­ nalsozialismus seine heutige Herrschaft Gesandtschaft und singen:

in Berlin vor der tschechoslowakischen

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er

Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte.

Drum gab er Säbel, Schwert und Spieẞ Dem Mann in seine Rechte. Drum gab er ihm den kühnen Mut, Den Zorn der freien Rede.. Wahrhaftig, das singen sie! Und die

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deutschem vollzieht sich

Was in diesen Tagen in Prag und Wien , Köln und Berlin aufloderte, war nur ein Hoffen wir, daß die mittlerweile einge­uneingeschränkt behaupten will, muß tretene Beruhigung sich von Prag aus auch Tropfen Fegefeuer. Es war noch nicht die auf die übrige Welt ausbreiten wird! Hof- Hölle, es kann noch zum Guten wirken, ganz auf die Wehrmacht rechnen kön­nen, was er scheinbar doch noch immer fen wir, daß sich an diesem grandiosen wenn es als Warnung wirkt. Die Politik der Nichtinter­Insignienstreit kein neuer Weltkrieg ent­nicht kann. Göring würde aus der Wehr-| zündet! Hoffen wir, daß über diese lächer- vention hat ihren Sinn verlo­macht ein solches Instrument machen. liche Geschichte in einer Woche kein ren. Zu eng ist dieses Europa , als daß die Aber nach Auffassung der Gruppe Fritsch Menschen in Paris , London oder Prag Mensch mehr redet! kann dies nur auf Kosten der Brauchbar­Aber auch dann noch bleibt der Fall gleichgültig bleiben könnten gegenüber hen. Das Problem ist das: wie ist die in- zu verschlingen? gegen den> äußeren Feind gesche- Erde öffnet sich nicht, diese Rotte Korah interessant und lehrreich, weil symptoma- dem, was den Menschen in Berlin und Dres­Aber nein, Göring tisch. Zeigt er doch, was alles möglich den, Köln und Breslau widerfährt. Ueber­here und äußere Funktion der deutschen schmunzelt gnädig, Göbbels grinst ver- wird, wenn der Menschheit der politische all auf europäischem Boden, vor allem aber Armee miteinander zu vereinbaren, ohne gnügt über das ganze Gesicht. Hitler hat Verstand verloren geht! Zeigt er doch, wie jetzt auf die gegenwärtige Staats- und Wirtschafts- zum mindesten nichts dagegen einzuwen- in einer elektrisch geladenen Atmosphäre europäisches Schicksal. Es ist für politik aufzugeben? Wie können die Mas- den. Denn der Zorn der freien Rede, der Funken entstehen und aus ihnen Brände die zivilisierte Welt, für die Welt, die den sen zur gleichen Zeit versklavt und für die mit Säbel, Schwert und Spieß droht, gilt und Explosionen. Ja, der Fall ist lehrreich. Frieden will, unmöglich, zwischen den zwei begeisterte Kriegsführung gewonnen wer- ja nicht den Würgern des deutschen Vol­die es heute gibt, dem So fängt es an. Das ist die typische Deutschland , den? Wie sind totaler Staat und totale kes, er gilt dem Gesandten der Tschecho­Deutschland der Unterdrücker und dem Ablenkung nach außen! Mobilmachung miteinander zu vereinbaren? slowakischen Republik ! Erst hat man es mit Judenhetze ver- der Unterdrückten, noch länger den Neu­sucht, dann trieb man einen republikanisch tralen zu spielen. Wenn sie nicht offen für In Deutschland werden Menschen, ehren- gesinnten Reichsbankrat und Hausbesitzer das Deutschland der Unterdrückten, für lich in einer Denkschrift des Generals von hafte, angesehene, rechtschaffene Männer wegen angeblich unsozialer Gesinnung das um Freiheit und Frieden ringende und Frauen, wie herrenlose Hunde zusam- durch Radau und Gefangennahme zum unterirdische Deutschland Partei ergreift, ist sie verloren! mengefangen, nachts aus ihren Wohnun- Selbstmord. Sodann veranstaltete man Fritsch offen aufgerollt. Vielleicht Soll sie zu den Waffen greifen, Krieg Zweifel am Vorhandensein dieser Denk­gen geholt, geschlagen, bis das Blut spritzt, Lust jagden auf wirkliche oder angebliche schrift berechtigt, denn amtlich ist dar­in Kerker geworfen, in Konzentrations- Hamsterer. Ist es schon so weit, daß sol- gegen Deutschland führen? Nimmermehr! über nichts bekannt, doch entscheidend ist, wann sie den Tag der Freiheit schauen wenn man nicht auswärtige lager gesteckt und keiner sagt ihnen, che Volksbelustigungen nicht mehr ziehen, Gerade wenn sie das nicht will, muß sie Ge- sich ihrer Solidarität bewußt sein mit

Das ist in diesem Staat das entschei­dende Problem.

Pressemeldungen zufolge wurde es kürz­

sind

daß die Probleme vorhanden sind. werden. In Deutschland steckt man öffent- sandtschaften zu ihrem Objekt jenen Deutschen , die gegen eine Verbre­In dieser Denkschrift wehrt sich die liche Gebäude an, um nachher wissentlich macht? Muß der Volkszorn sich in der cherbande für Deutschland kämpfen. Reichswehr nicht nur gegen den Totali- unwahr politische Gegner der Brandstif- Rauchstraße Luft machen, damit er sich Und sie soll gegen die verblödeten Spröß­tätsgedanken der NSDAP , der keinen tung bezichtigen zu können. In Deutsch - nicht noch viel gründlicher in der Wil- linge der Bourgeoisie, die nur den laute­Raum mehr für den Staat im Staate las- land werden Rollkommandos ausgeschickt, helmstraße entlädt? sen will, es wird dort auch von überpar- um politisch Verdächtige aus dem eigenen

teilicher

sten, nicht den größten Teil der Studen­tenschaft ausmachen, die Arbeiter Am Vorabend der Kriegserklärung rufen, die für ihre Rechte und für das ihrer Kinder kämpfen, nicht für nicht aus und den Ausländer auf der Straße ange- stische Studenten in Berlin Unter den Lin- Ehrenketten und Szepter, Zöpfe und Per­Nur die deutschen Arbeiter und wer in Paris , in Lon- ster der französischen Botschaft, von einem können Europa retten! Helft ihnen zur

und gesamtnationaler Jugend- Lager oder Deutschnationale oder Katho­

erziehung gesprochen. Die nationalsoziali- liken niederzuknallen. In Deutschland wer- Ende Juli 1914 demonstrierten nationali- Brot stische Erziehung reiche man täusche sich eine Stimmung vor, die fallen, bespien, beschimpft, geschlagen, ver- den gegen den ,, Erbfeind". An einem Fen- rücken. wirklichkeitsfremd sei. Im Moment Gefahr könne man sich auf breite Volks- don, in Brüssel , in Amsterdam , in Prag Vorhang verdeckt, stand der Botschafter Freiheit, damit sie es tun!

der schleppt

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