Neuer Vorwärts

Sozialdemokratisches Wochenblatt

Nr. 80 SONNTAG, 23. Dez. 1934

Aus dem Inhalt:

Die Wege der Bestie

Preisschlacht gegen Verbraucher Wie ein Naziminister Millionär wird: 1.2 Million für 7000 Mark

Jäger ein wenig verändert

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Verlag: Karlsbad , Haus, Graphia"

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Preise und Bezugsbedingungen siehe Beiblatt letzte Seite

Wer erschießt wen?

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Hitler schwört auf Schacht

In der Spitzengruppe des Systems Görings Rechtstaten

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Wachsende Korruption und Zersetzung

Der Schutzgott der Korruptionisten Zwischen dem Justizminister Gürtner

Der Bürgermeister, der für Sauberkeit sor­gen wollte, wurde verhaftet.

dazu verschafft.

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Ehrenmänner

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Der Mann mit diesem Ruf hat diesen Empfang veranstaltet, um einen Mann mit noch ganz anderem Ruf wieder in diplo­matische Kreise zu bringen, nachdem er einen furchtbaren Stoß erhalten hat. Der Rosenberg hat es für nötig gehalten, den Göring einigen Diplomaten und Vertre­tern der Weltpresse vorzuführen. Warum das?

herrscht tiefe Unruhe. Der Machtkampf ist wieder an dem Punkte angelangt, wo Das außenpolitische Amt der NSDAP eine neue blutige Auseinandersetzung be­Braune Bonzen hat im Hotel Adlon in Berlin einen diplo­vorzustehen scheint. Die Frage, wer ver- und Göring hat es einen großen Krach Röhms Nachfolger Lutze läßt sich eine matischen Empfang veranstaltet. Unter haftet wen, wer erschießt wen? ist wieder gegeben. Göring hat zugunsten seiner Krea- große Villa bauen. Kosten 250.000 Mark, den» zahlreich erschienenen Ehrengästen<< hoch aktuell. Man erwartet neue Aus- turen kräftig in die Justiz eingegriffen. Im dazu 100.000 Mark für die Inneneinrichtung. waren am bemerkenswertesten die, die brüche des Terrors, neue Konflikte zwi- ersten Falle ging es um den Reichstagsbrand- Lutze hat sich dagegen gesichert, daß ihm nicht da waren. schen Reichswehr und SS, zwischen Büro- stifter Helldorf. Er sollte den Offenba- dieser Aufwand einmal zum Vorwurf ge- Leiter dieses Amtes ist Rosenberg. kratie und einzelnen Gewalthabern, zwi- rungseid leisten, da er sich weigerte, erging macht werden könne wie Röhm er hat Sein internationaler Ruf ist höchst zwei­schen dem Sicherheitsverlangen der Besit- gegen ihn Haftbefehl. Göring griff ein und sich die Zustimmung des Führers felhaft man könnte auch sagen, schon zenden und der Demagogie der sogenann- verbot die Inhaftnahme. ganz unzweifelhaft. Bei dem Gedanken, ten» Radikalen« in der NSDAP . Die Un- Im zweiten Falle stellte sich Göring vor Kultusminister Rust der neugebackene daß dieser Mann sich wieder einmal zu ruhe ist so stark, daß man im Volke ganz einen verurteilten Korruptionisten. In Göt- Millionär- findet, daß seine Dienstwohnung einer Mission im Ausland berufen fühlen allgemein von einem bevorstehenden neuen tingen wurde ein hoher Parteifunktionär zu klein sei. Er läßt sich eine Villa bauen, könnte, ringen die deutschen Berufsdiplo­30. Juni spricht. Die Absetzung brauner wegen Veruntreuung von Winterhilfegeldern natürlich auf Staatskosten. Die Möbel für maten verzweiflungsvoll die Hände Führer, die systematischen, durch die Ge- verhaftet. Die Verfehlungen wurden aufge- diese Villa werden aus staatlichen Schlössern trotz ihrer notorischen Gewissenlosigkeit. stapo vorgenommenen Massenverhaftun- deckt. durch den früheren Adjutanten des beschafft. gen von mutmaßlichen Gegnern des Sy- Ministers Kerrl , der Oberbürgermeister von Die Wohnungen dieser beiden Parasiten stems, die Massenjagd auf Homosexuelle, Nordhausen geworden war. Nach der Auf- kosten ungefähr das Doppelte der Summe, der aufgeregte Ton gewisser nationalsozia- deckung wurde der Beschuldigte verhaftet. die in Berlin am Tage der nationalen listischer Zeitungen, alles scheint diese Nun griff Göring ein und setzte die Frei- Solidarität« eingegangen ist. Die Geber Auffassung zu bestätigen. lassung durch. Dennoch kam es zur Gerichts- wissen nun wenigstens, wofür sie gezahlt Es geht etwas vor, es naht verhandlung. Der Beschuldigte wurde zu haben. etwas heran das ist die allgemeine einem Jahr Zuchthaus verurteilt Stimmung. Sie wird verstärkt dadurch, und im Gerichtssaal verhaftet. Göring tobte. Schacht drosselt Winterhilfe daß Zersetzungserscheinungen und Kor- Noch am gleichen Tag gab er telegraphisch Schacht hat angeordnet, daß Wirtschafts­ruption im System stärker als zuvor ans Anweisung, den Verurteilten freizulas- betriebe der Einwilligung des Reichswirt- der Diplomatie und in der großen Welt­Tageslicht kommen. sen. Er amnestierte ihn und setzte ihn schaftsministeriums bedürfen, bevor sie presse hinweggleitet, weil ihre ernste Be­Innerhalb der NSDAP wird noch stär- wieder in sein Amt ein. Zugleich wurde eine größere Spenden( über 10.000 RM.) für die handlung Verlegenheit wäre und Konse­quenzen erfordern würde. Zu diesen Din­ker zentralisiert. Vor einiger Zeit ist den Demonstration gegen das Gericht inszeniert. Winterhilfe zeichnen. gen Nachweis der gehört der Gauleitern die Finanzverwaltung abgenommen und bei Schuld des Göring am Reichs­der Reichsleitung tagsbrand. Nach der Veröffentlichung zentralisiert worden. Jetzt werden den der Ernst- Dokumente gibt es in der gan­Gauleitern systematisch die Zeitun­zen Welt niemanden mehr, der an der gen abgenommen, die bisher zu einem gu­ten Teil in ihrem privaten Besitz waren. Schuld des Göring zweifelt. Ein feines Renommee hat dieser Großwürdenträger Die bisherigen Besitzer werden zwar mit des Dritten Reiches , der» Kleiderständer<«<, phantastischen Summen entschädigt, wie ihn seine Spießgesellen vom 28. Fe­aber ihr Einfluß wird verringert. Sie ver­bruar 1933 unter sich nannten. tauschen Macht gegen Beute. seine Hände im Blut dieser Spießgesellen gewaschen. Er hat geglaubt, seinen zwei­felhaften Ruf mit dieser Wäsche wieder herzustellen. Umsonst das Verbrechen läßt ihn nicht los. Die vom Senator Bran­ting veröffentlichten Dokumente. lassen sich nicht beiseite schieben. Sie stehen

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Wie man Millionär wird

Kultusminister Rust verdient an der Nazirevolution

Aus der Umgebung des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heẞ , geht uns folgender zuverlässiger Bericht zu: Um die Gefahr zu großer Selbständigkeit bei führenden Wür­denträgern unter seiner Prätorianergarde hat Herr Hitler angeordnet, daß diese Würden­träger, soweit sie Besitzer von offiziellen wird nach dem nächsten Krampfanfall Parteizeitungen sind, diese der Parteikasse noch oben sein? Was wird aus dem» La h- zu verkaufen haben. Ausgenommen hat sich men«, dem» Kleiderständer«, dem nur der Herr Führer selbst mit dem» Völ­

Es ist ein Prozeß der inneren Entmach­tung in der NSDAP zugunsten der Spitze. Aber wer ist die Spitze außer Hitler , wer

brauchte, wie sie sonst nur in der Unterwelt üblich sind. Aus dem Berg von Kosenamen konnte sich Herr Heß schließlich folgenden Tatbestand herausklauben; Herr Rust hat, nachdem er die Riesenkaufsumme von der Partei einkassiert hatte,

seinem Kompagnon Behrendt, der einst 45 Prozent des Kapitals geleistet hatte, treu und brav seine einbezahlten 6000 M.

überwiesen!

hinterhältigen Aegypter«, gar kischen Beobachter«. Ebenso darf Der» alte Kämpfer« forderte nun von Heß nicht zu reden von Darré, Ley, Schi- das Zeitungsgeschäft auch weiterhin auf einen Druck auf Rust, dem Mitinhaber der rach und anderen Nebengöttern? Wer Privatrechnung betreiben der intime Freund Zeitungsfirma seinen Anteil von etwa verhaftet wen? Nur immer so weiter!

» Der Retter des Vaterlands

Was Schacht sagt, sagt Hitler Ende November fand in Berlin eine Kon­ferenz der Gauleiter statt. Hitler erklärte den Gauleitern, daß Schacht sein vol­les Vertrauen besitze. Er hoffe, in zwei Jahren Schacht als den>> Retter des Vaterlandes« ehren zu können. Wer Schachts Wirtschaftspolitik angreife, greife damit ihn

selber an.

Es gibt gewisse Dinge, über die man in

und zeugen gegen ihn.

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Er hat

Es ist wahr, daß keine einzige fremde Regierung den Entschluß bekundet hat, des Führers, Herr Julius Streicher in 500.000.- auszubezahlen. Und da eine der mit diesem Mann keinerlei Beziehungen Nürnberg . Zu denen, denen man das Sprach- artige Regelung von Geschäften selbst inner- mehr zu unterhalten. Das Prinzip der rohr einer eigenen Zeitung genommen hat, da- halb der Organisation» Immertreu< als Treu Nichteinmischung deckt ihn, wie es jede mit sie nicht auf dumme Gedanken kommen, und Glauben gilt, hat sich Herr Heß breit- korrupte, verbrecherische, blutbesudelte gehört auch der preußische Kultusminister schlagen lassen, sich für diese Forderung bei Regierung deckt. Es bewirkt, daß die Rust. Rust starkzumachen und auf ihn im Sinne internationale große Presse, die sich in Er hat vor einigen Jahren zusammen mit einer solchen Lösung einzuwirken. Einiger- Regierungsnähe befindet, sich zurückhält. einem Herrn Behrendt das Sta mm ka- maßen beruhigt fuhr der» alte Kämpfer« ab. Aber auch die strengste Beachtung pital von 13.000.- für das national- Schließlich, so dachte er, hat man doch nicht des Nichteinmischungsprinzips verhindert sozialistische Parteiblatt Niedersachsens , nur für Herrn Rust allein und ausschließlich nicht, daß sich um einen Mann wie Gö­die>> Niedersächsische Tageszeitung«( NTZ) das Eigentum sozialdemokratischer Organi- ring ein moralischer Absperrungskordon aufgebracht. Und zwar war Herr Rust mit sationen gestohlen! Inzwischen sind aller- zieht. Das Bild dieses Mannes schwankt 7000 Mark und Herr Behrendt mit 6000 M. dings einige Wochen ins Land gegangen, nicht mehr in den Augen der unabhän­ohne daß Herr Rust etwas beteiligt. von gigen Weltmeinung.

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Alle wirtschaftspolitischen Kriti­ker Schachts kämen, auch wenn sie alle alte Darum mußte er aufs neue feierlich Kämpfer seien, in ihren Verdiensten alle zu­Bei dem jetzigen Verkauf an die Partei hat sich hören ließ, von einem Scheck sammen jenen nicht gleich, die Schacht sich man sich natürlich dieser Einzelheiten nicht an Behrendt gar nicht zu reden. präsentiert werden! Er ist von Rosenberg bereits um das Dritte Reich erworben habe. erinnert, sondern allein nach dem jetzigen Und dabei ist sicher, daß ihm Heẞ Bescheid neu eingeführt worden als» der Vertreter Wert der Zeitung gesehen. Und da dieses gesagt hat. Natürlich in konzilianten For- der stärksten kämpferischen Anschauun­Die Kapitulation Hitlers vor Schacht( der Blatt inzwischen die Maschinenparks men, wie es sich unter Ehrenmännern als gen des Nationalsozialismus«<, als der Blut­übrigens seit 1907 Mitglied der Loge Urania des einstigen sozialdemokratischen» Volks- Selbstverständlichkeit geziemt. Herr Rust bat hund gegen Marxismus und Kommunis­zur Unsterblichkeit, zugehörig zur Großen willen( Hannover )» nationalisiert<< wenn auch mit einem trockenen und mus, der Mann der Gestapo und der Kon­sogar hat, Loge einem nassen Auge Herrn Heẞ Zusagen zentrationslager. Die Dauerverbrechen des von Preußen, genannt zur Freundschaft, is das einstige Käseblättchen schon einen 1st) erscheint vollständig. Als Opfer dieser Batzen wert. Kurz und gut: gemacht. Gehalten hat er sie jedoch bis heute Göring sollen in den Augen aller Reaktio­Kapitulation blieben näre und aller erschrockenen Bürge sein Verbrechen vom 28. Februar 1933 zudek­Der Fall Rust steht nicht allein. Der ken. Der Göring hat, gehorsam den An­Koch in Ostpreußen hat ihm solche Ge- weisungen seines Managers Rosenberg sich schäfte schon vorgemacht, und der bayri- seiner terroristischen Taten gerühmt. Er am Tage seiner Absetzung( ohne zu Für die Partei war damit die Angelegenheit sche Kultusminister Schemm hat es noch hat in einem Atemzug die Konzentrations­ahnen, daß man in Berlin dabei war, Brück- erledigt, bis eines Tages bei Herrn Heß, dem besser verstanden als Rust. Alle aber sind lager als Stätten geschildert, die abschrek­ner abzusägen) den besonderen Dank Stellvertreter des Führers, ein aufgeregter Waisenknaben gegen Hitler , den der Be- kend und entsetzenerregend wirken sollen, dafür aussprach, daß die Oderprojekte so und schimpfender» alter Kämpfer« auftauchte sitz des Eher- Verlags zum mehrfachen Mil- und hat die Greuel in den Konzentrations­schnell in Angriff genommen worden sind! und gegen Herrn Rust Schimpfworte ge- lionär gemacht hat. lagern abgeleugnet. Nebenbei bemerkt:

auf der Strecke der

Führer der Wirtschaft Graf Goltz, Gott­ fried Feder

und Brückner, dem

Frick gelegentlich seiner Oberschlesienreise

noch

Herr Rust erhielt von der Partei für die Zeitung die schöne Summe von 1,200.000.­( in Worten: eine Million und zweihundert­tausend( Mark).no

tis)

nicht!

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